Angst
und (Schul-) Verweigerung
Margaretha Florin
Dozentin PSS / Fachpsychologin für Psychotherapie FSP / pca
Schwieriges Verhalten in der Schule
Einstieg
• Wo im Körper sitzt bei mir die Angst?
• Wie zeigt sich Angst bei mir selber
(körperliche Veränderungen / seelisch / Gedanken und Wahrnehmungen)?
• Wie reagiere ich auf Angst? Welche Strategien habe ich?
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Inhalt des Referats
1. Entwicklungs- und neuropsychologische Erkenntnisse zu Angst 2. Von der Angst zur Verweigerung: ein Teufelskreis
3. Auswirkungen auf Lernen und Unterricht 4. Unterstützung und Förderung
1.
Entwicklungs- und
Neuropsycho- logische
Erkenntnisse
Ø Angst ist einerseits eine normale, manchmal lebenserhaltende Reaktion auf eine bedrohliche Situation. Ein mittleres Mass an Angst kann die Aufmerksamkeit steigern und die
Leistungsfähigkeit ankurbeln.
Ø Anderseits sind Ängste in der (kindlichen) Entwicklung unabdingbare Begleiter. Sie zeigen sich altersspezifisch verschieden und weisen auf zu bewältigende
Entwicklungsaufgaben hin. Beispiel: Fremdeln / Angst vor Monstern unter dem Bett / ...
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Grundannahmen
Ø Auch bei Kindern und Jugendlichen gehören Ängste also zur alltäglichen Lebenserfahrung. Erst wenn Intensität und Dauer eine
erhebliche Beeinträchtigung der Entwicklungsmöglichkeiten darstellen, kann von Angst als einer Verhaltensstörung mit erheblichem Leiden gesprochen werden.
Ø Bei solchen Ängsten treten oft auch somatische Beschwerden (z.B.
Kopf- oder Bauchschmerzen) ohne körperlichen Befund auf.
Gehirn und Nervensystem sind mit dem Körper und den Gefühlen eng vernetzt.
Das Nervensystem (NS) hat verschiedene Funktionseinheiten:
o Einerseits das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) o Andrerseits das periphere Nervensystem mit den beiden Anteilen somatisches NS und vegetatives/autonomes NS
Alle Einheiten sind durch eine astronomische Anzahl Verbindungen untereinander verknüpft.
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Neuropsychologische Grundlagen
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Ø Das Gehirn ist aufgeteilt In Grosshirn, Zwischenhirn, Kleinhirn und Stammhirn.
Ø Besondere Bedeutung für die Angst hat das Zwischenhirn, insbesondere der Mandelkern, die Amygdala.
Neuropsychologische Grundlagen
Ø Die Amygdala ist zuständig für die Bewertung und
Wiedererkennung von Situationen, signalisiert mögliche Gefahren.
Ø Sie leitet die zugehörigen vegetativen Reaktionen wie
Herzklopfen, Schweissausbrüche, Zittern, Bauchweh etc. ein.
Ø Sie bewirkt eine vermehrte Ausschüttung von Stresshormon, welches seinerseits das Funktionieren des Grosshirns (Denk- und Lernprozesse) unterdrückt.
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Neuropsychologische Grundlagen
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Ø Im Gehirn hat mal der emotionale Bereich die Oberhand, mal der Handlungsbereich. Immer aber sind die Bereiche miteinander
verbunden.
Ø Denken, Handeln und Erlebnisse sind deshalb immer von Gefühlen begleitet, und umgekehrt steuern die Gefühle unser Denken und
Handeln.
Ø Meist ist das kein Problem. Wenn aber Angst, Panik und
Herzklopfen im Gehirn Oberherrschaft bekommen, ist das mindestens unangenehm, schlimmstenfalls einschränkend oder gar behindernd.
Neuropsychologische Grundlagen
(Nach: Schulze, U., 2008) 11
Alter Entwicklungsquellen typischer Angst
Angststörungen
Primar- schulalter (6-11 J.)
• Trennung vom Elternhaus
• Schlechte schulische und sportliche Leistungen
• Soziale Ablehnung
Trennungsangst Schulangst Schulphobie Soziale Ängste
Generalis. Angststörung Jugend-
alter
(12-18 J.)
• Ablehnung durch Freunde / Peers
• Pubertätsbedingte (körperl.) Veränderungen
Soziale Phobie Agoraphobie Panikstörungen
Entwicklungspsychologische Grundlagen
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Ø Ängste sind, wie alle Verhaltensstörungen, multifaktoriell bedingt.
Ø Neben den für alle Störungen geltenden Ursachen geht man bei Ängsten auch von konstitutionellen Faktoren aus.
Ø Risikofaktoren (z.B. weibliches Geschlecht, frühes Auftreten, kritische Lebensereignisse, familiäre Belastung durch vorhandene Angststörungen der Eltern, unsicher-vermeidender Bindungsstil).
Ø Gründe in der Schule: Versagensangst, Mobbing, Angst vor der LP, etc.
Ursachen von Angststörungen
Ø Schwer zu bestimmen, weil hohe Komorbidität (z. B. mit Depression).
Ø Phobien sind am häufigsten.
Ø Bei Mädchen kommen Angststörungen häufiger vor als bei Jungen.
Ø In der Kinder- und Jugendpsychiatrie recht häufig (>10%), in der Gesamtpopulation nur 1-4%.
Ø Schulangst kommt bei ca. 5% der Schülerinnen und Schüler zumindest einmal während der Schulzeit vor. Alle sozialen Schichten sind etwa gleich stark betroffen. (Häring &
Kowalczyk, 2011)
Ø Tendenz zunehmend. Gründe: Erhöhte Ansprüche an Leistung, Autonomie, Selbständigkeit, etc.
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Häufigkeit von kindlichen Angststörungen
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Ø Da Ängste multifaktoriell bedingt sind, gilt es alle möglichen Aspekte bei der Diagnostik zu ergründen (schulische Gründe, individuelle
Prädisposition und Veranlagung, familiäre Aspekte).
Ø Eine genaue, differenzierte Diagnostik ist jeder Förderung und Intervention voranzustellen!
Diagnostik
1. Phobiefragebogen für Kinder und Jugendliche (PHOKI):
Ø Skalen: Angst vor Gefahren und Tod / Trennungsängste / Soziale Ängste / Angst vor Bedrohlichem und Unheimlichem / Tierphobien / Angst vor medizinischen Eingriffen / Schul- und Leistungsängste
2. Angstfragebogen für Schüler (AFS):
Ø Skalen: Prüfungsangst / manifeste Angst / Schulunlust
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Diagnostik: zwei FB-Beispiele
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2. Von der Angst zur
Verweigerung:
Ein
Teufelskreis
Ø Die meisten Kinder mit Ängsten und Panikattacken verweigern den Schulbesuch.
Ø Kinder und Jugendliche können der Schule, der Quelle ihrer Angst, nur dadurch entgehen, dass sie krank werden.
Ø Die Angst wird mit Vermeidungsverhalten stetig grösser.
Ø Mit der Schulverweigerung sind soziale Entwicklung und Integration gefährdet.
Ø Druck ist dennoch kontraproduktiv.
☛ Ein Teufelskreis beginnt!
Teufelskreis Angst
(Schul-)Angst
Überforderung, körperliche Beschwerden
Rückzug, Vermeidungs-
verhalten Schuldgefühle,
Soziale Isolation Druck, Stress Fehlende Übung
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Frühe Signale von Angst und Verweigerung
v dauerhafte Müdigkeit, Erschöpfung...
v anhaltende Unruhe, Nervosität...
v Konzentrationsstörungen,...
v Lustlosigkeit,
Niedergeschlagenheit,...
vÜberempfindlichkeit, Gereiztheit,...
v Psychosomatische Beschwerden...
v Schlafstörungen, Angst- und Albträume...
v Schulische Misserfolge, Überforderung...
v Soziale Isolation in der Klasse...
3.
Auswirkungen auf Lernen
und Unterricht
Im Gegensatz zu sozialen Verhaltensstörungen, die oft ein sofortiges Reagieren erfordern, weil sie
provozieren, stören und den Unterricht durcheinander bringen, kommen emotionale Verhaltensstörungen verhältnismässig ruhig daher. Kinder mit ängstlichem, schüchternem und (schul-)verweigerndem Verhalten werden deshalb gerne übersehen.
Ängste und Verweigerung haben dennoch massive Auswirkungen auf Schule, Unterricht und Lernen.
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Auswirkungen von Angst auf das Lernen
Ø Angst und Depression reduziert die Informationsverarbeitungskapazität.
Ø Angst und Langeweile führen zu Oberflächenstrategien.
Ø Prüfungsangst reduziert die intrinsische Motivation und verstärkt den Wunsch, Misserfolg zu vermeiden.
Ø Positive Stimmung begünstigt kreative Formen des Denkens (Risikofreude).
Ø Negative Stimmung begünstigt analytisches, detailorientiertes Denken (Ausrichtung auf Sicherheit). (Vorlesung Baeriswyl, 2009)
Auswirkungen von Angst auf das Wohlbefinden
Ø LP/SHP können auslösende oder verstärkende Faktoren bei Schulangst und -verweigerung sein.
Ø Kindliche Ängste und Verweigerungsverhalten zeigen sich im Schulalltag oft durch Schweigen und/oder Weinen. Beides sind herausfordernde
Reaktionen für LP und SHP.
Ø Angststörungen können sich auf viele Lebensbereiche ausdehnen und zu einer grundlegenden Beeinträchtigung im Alltag führen. Solche Ängste
gehören durch Fachleute (ev. auch medikamentös) behandelt, erfordern jedoch Zusammenarbeit und Austausch.
Ø Bei Trennungsängsten ist meistens auch die Familie (Mutter) mit ihren eigenen Ängsten mit involviert.
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4.
Unterstützung und Förderung
Ø LP/SHP sind ausserfamiliäre soziale
Schutzfaktoren (für emotionale Bindung, Fürsorge und Vorbildwirkung).
Ø Schüler sind weniger auffällig, wenn sich das pädagogische Engagement von LP/SHP an ihren Interessen orientiert und eine gute Kooperation zwischen LP/SHP herrscht.
Ø Bei den allermeisten Angststörungen ist therapeutische Hilfe notwendig...
Peerbeziehungen und Selbstwirksamkeit
Ø Die Schule ist neben der Familie und den Peers die wichtigste Sozialisationsinstanz für Kinder und Jugendliche.
Ø Wichtig: gute Peerbeziehungen; vertrauens- und respektvolle LP/SHP; Integration und Chancen-gleichheit bzw. -gerechtigkeit
Ø Schüler/innen haben ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, Zugehörigkeit, Selbstwirksamkeit und Wohlbefinden.
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Dont‘s und To Doe‘s
Ø Blossstellung und Stigmatisierung vermeiden.
Ø Bemitleiden auch!
Ø Weder Zwang noch Strafe zur Leistungssteigerung einsetzen.
Ø In jeder Stunde kleine Erfolgserlebnisse ermöglichen.
Ø Selbstbewusstsein und Mut stärken.
Ø Entspannung und Achtsamkeit üben.
Ø Methoden der Angstbewältigung trainieren.
Ø Kopfhörer, Trennwände, etc. zu Reizabschirmung anbieten bzw. verwenden.
Ø Verständnis und Gesprächsbereitschaft anbieten.
Körperübungen zur Steuerung der Gemütslage
ØIm Gehirn gibt es nicht nur den Mandelkern mit seinen Reaktionen, sondern eine Menge Zentren, die aktiviert werden können und damit die Angst
spürbar abschwächen.
o Bewegungen mit Händen, Füssen und Gesicht sind sehr wirkungsvoll und aktivieren so grosse Hirnareale, dass sie die Oberhand über die Emotionszentren gewinnen können.
o Augen, Ohren, Geruchssinn und Kleinhirn verhelfen zu Orientierung und Gleichgewicht.
o Körperberührungen trösten und beruhigen das Emotionszentrum.
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Konkrete Übungen
Ø Brust raus („super giant hero-point“) Ø Kopf hoch
Ø Hände in die Hüfte stemmen Ø Schnauben und Schlürfen Ø Breitbeinig stehen und gehen Ø Schnippen
Ø Trommeln
Ø Zunge bewegen
Ø Brust reiben / klopfen
Und wieder:
Der Bogen zu...
Ressourcendenken: Ein Kind besteht nicht nur aus ängstlichem und (schul-)verweigerndem Verhalten allein...
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Wohlbefinden
Schutzfaktoren
Herzlichen Dank für die
Aufmerksamkeit!
Verwendete Literatur
Ahrbeck, B. & Willmann, M. (Hrsg.). 2010. Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Stuttgart:
Kohlhammer.
Baeriswyl, F. (2009) Vorlesung 4: Motivation. Uni Freiburg.
Dilling, H. et al. (1993). Internationale Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10 Kapitel V (F) (2. Aufl.). Bern: Huber.
Döpfner, M.; Schnabel, M.; Goletz, H.; Ollendick, T. (2006). PHOKI – Phobiefragebogen für Kinder und Jugendliche. Göttingen: Hogrefe.
Croos-Müller, C. (2013). Nur Mut! Das kleine Überlebensbuch (3. Aufl.). München: Kösel.
Croos-Müller, C. (2013). Kopf hoch! Das kleine Überlebensbuch (6. Aufl.). München: Kösel.
Croos-Müller, C. (2013). Viel Glück! Das kleine Überlebensbuch. München: Kösel.
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Haider, H. (2008). Psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen. Linz: Veritas.
Häring, H.-G. & Kowalczyk, W. (2011). 99 Tipps – Wenn Schüler Hilfe brauchen. Berlin:
Cornelsen
Myschker, N. 2009. Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen (6.Aufl.). Stuttgart:
Kohlhammer.
Saller, V. et al. (Hrsg.). (2008). Neue psychiatrische Diagnosen im Spiegel sozialer Veränderungen. Zürich: Seismo.
Schulze, U. 2008. Angststörungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Referat Ulm, 13.4.2008.
Wieczerkowski, W., et al. (1998). Angstfragebogen für Schüler (AFS). Göttingen: Hogrefe.