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Wenn die Lust zur Last wird

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82 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Dezember 2020 | www.diepta.de

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m Normalfall gilt Sex als eine der schönsten Ne- bensachen der Welt: Er macht glücklich, stärkt das Wohlbefinden, das Immun- system sowie das Herz-Kreis- lauf-System und verbrennt zu- sätzlich auch noch Kalorien.

Außerdem wird bei der sexu-

ellen Handlung im Idealfall Nähe zwischen zwei Menschen hergestellt und deren Bezie- hung gestärkt. Man sollte mei- nen, dass es ein Zuviel an Sex gar nicht gibt – anders ist es je- doch bei Betroffenen mit Sex- sucht, auch Hypersexualität genannt.

Sexualität außer Kontrolle Eine Hypersexualität entwickelt sich schleichend – mit Lust oder gar Liebe hat sie nichts zu tun.

Während die Frequenz der Triebbefriedigung und somit die Abhängigkeit zunehmen, re- duziert sich gleichzeitig die per- sönliche Freiheit. Meist verän-

dert die Sexsucht auch die Persönlichkeit einer Person. Auf die intensiven Hochgefühle während der sexuellen Befriedi- gung folgen eine innere Leere, Selbstzweifel oder Langeweile, sodass Betroffene erneut eine sexuelle Aktivität wünschen.

Die Hypersexualität stellt für Patienten eine enorme Belas- tung dar, denn ihr Leben wird von den Gedanken rund um das Thema Sex bestimmt. Die Sexu- alität hat den Stellenwert eines Zwangs übernommen: Betrof- fene suchen permanent nach dem nächsten sexuellen Kick, werden dadurch allerdings nicht befriedigt, sodass das Ver- langen gleich wieder besteht.

Typisch bei Sexsüchtigen sind eine erhöhte Promiskuität, Bin- dungsschwierigkeiten an einen Partner, exzessives Masturbie- ren sowie das Konsumieren von Pornografie bei jeder Gelegen- heit (teilweise über mehrere Stunden täglich). Häufig neh-

© PeskyMonkey / iStock / Getty Images

Sexualität gehört eigentlich zu einem erfüllten Leben dazu. Doch wenn Menschen ihren kompletten Alltag um ihre sexuellen Bedürfnisse herum planen, liegt eine Hypersexualität vor.

Wenn die Lust zur Last wird

PRAXIS PSYCHOLOGIE IN DER APOTHEKE

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Dezember 2020 | www.diepta.de

men sexsüchtige Menschen die Dienstleistungen von Prostitu- ierten wahr oder bieten ihren Körper selbst an. Sie verschul- den sich, weil sie ohne Sex-Hot- lines oder Bordellbesuche nicht mehr auskommen.

Die Hypersexualität stellt ein Zwangsverhalten und/oder eine Impulskontrollstörung dar, zudem weist sie einige Paralle- len zu einem klassischen Sucht- verhalten auf. Menschen mit Hypersexualität sind nicht mehr in der Lage, ihr Sexualver- halten zu steuern. Sie vernach- lässigen aufgrund der Störung ihre übrigen Interessen sowie ihr soziales Leben, um ihr sexu- elles Verlangen zu befriedigen.

Beziehungen und der Alltag lei- den somit unter dem Zwangs- verhalten, es kommt zu Proble- men in der Partnerschaft bis hin zur sozialen Isolation. Meistens sind Männer von der Hyperse- xualität betroffen, was damit zusammenhängen kann, dass ihre Sexualität oft verlässlicher funktioniert als die der Frauen.

Hypersexualität in der Ge- schichte Durch das Internet haben sexuelle Störungen ver- mutlich zugenommen, jedoch hat es die Sexsucht auch schon in früheren Zeiten gegeben. Messa- lina, die Gattin des römischen Kaisers Claudius, war für ihren unsittlichen Lebensstil bekannt und soll heimlich der Prostitu- tion nachgegangen sein. Sie galt als kaiserliche Hure und war habgierig, sexbesessen und grau- sam. Bei Frauen bezeichnet man die Sexsucht daher bis heute auch als Messalina-Komplex. Ein krankhaft gesteigerter männli- cher Geschlechtstrieb wurde frü- her in der Medizin und Psycho- logie auch Donjuanismus (nach Don Juan) genannt. Don Juan gilt in der europäischen Dich- tung als Frauenheld und als der berühmteste Verführer der Thea- tergeschichte.

Als Krankheit anerkannt Im vergangenen Jahr hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Diagnose „zwang- haftes Sexualverhalten“ in den Katalog der Krankheiten für das ICD-11 aufgenommen. Die Di- agnose ist dann angebracht, wenn Betroffene ihre intensi- ven, wiederkehrenden Sexual- impulse über längere Zeiträume nicht kontrollieren können und ihr Familien- und Arbeitsleben davon beeinflusst werden. Pati- enten können ihr Verhalten nicht mehr selbstständig und ohne Hilfe einstellen, beschäfti- gen sich permanent mit ihrer Sucht und haben die Kontrolle über ihr Verhalten verloren.

Durch die offizielle Anerken-

nung können Ärzte und Psy- chologen die Behandlung in Zukunft leichter mit den Krankenkassen abrechnen und müssen keine Ersatzdiagnosen anwenden. (Das Klassifikations- system ICD wurde erstmals nach 30 Jahren überarbeitet und soll ab 2022 als ICD-11 in Kraft treten)

Hinweise auf die Sucht Wis- senschaftler der University of Cambridge verglichen die Hirn- aktivität von Sexsüchtigen mit gesunden Probanden, wenn sie sich kurze Sport- und Pornovi- deos ansahen. Sie stellten fest, dass bei den Versuchsteilneh- mern mit Hypersexualität die Regionen (Amygdala, das vent- rale Striatum, der anteriore cin- guläre Kortex) aktiv waren, die auch bei Drogensüchtigen rele-

vant sind, wenn sie Bilder der Droge betrachteten. Die Autoren der Studie betonten allerdings auch, dass weitere Untersuchungen zwischen den Ähnlichkeiten von Drogen- und Sexsüchtigen erforderlich sind und weitgehende Schlüsse auf die Diagnostik auf der Basis dieser Studie nicht möglich sind.

Verschiedene Auslöser Die Ursachen einer Hypersexualität sind nicht abschließend geklärt.

Erfahrungen aus der Kindheit oder Jugend, wie etwa eine übersexualisierte Atmosphäre im Elternhaus oder eine Tabui- sierung von sexuellem Verhal- ten, spielen bei der Entstehung

einer Sexsucht vermutlich eine Rolle. Auch neurobiologische Vorgänge im Belohnungszent- rum des Gehirns fördern unter Umständen die Hypersexuali- tät, sodass bei einigen Betroffe- nen Antidepressiva eingesetzt werden, welche die Libido sen- ken. Manchmal dient die gestei- gerte Sexualität auch dazu, Angst, Langeweile oder Gefühle der Niedergeschlagenheit zu mildern. Insbesondere bei jün- geren Menschen kann die Hy- persexualität als Nebenwirkung von Dopaminagonisten, die zur Behandlung der Parkinson- krankheit eingesetzt werden, auftreten. Bei Personen mit einem Klüver-Bucy-Syndrom, einer beidseitigen Schädigung der Temporallappen (ein- schließlich der Amygdala), zeigt sich oft ein übersteigerter Sexu-

altrieb. Auch beim Kleine-Le- vin-Syndrom, einer seltenen Erkrankung, die sich durch teil- weise wochenlang andauernde Schlafphasen kennzeichnet, kommt es in den Wachphasen mitunter zu einem hypersexuel- len Verhalten.

Wege aus der Sucht Eine Psychotherapie ist bei Personen mit Sexsucht vielversprechend, denn Patienten erlernen Wege, das Verhalten besser zu kontrol- lieren. Es ist zusätzlich möglich, den Computer mit einer Filter- software auszustatten, um sexu- ellen Reizen zu entgehen. Be- troffene erlernen außerdem, mit negativen Emotionen anders umzugehen und sie nicht durch

sexuelle Befriedigung zu kom- pensieren. Sport oder Entspan- nungsübungen stellen beispiels- weise hilfreiche Alternativen dar.Im Rahmen der Aufarbeitung verstehen Patienten die Gründe für die Entwicklung ihrer Sym- ptomatik im Zusammenhang mit ihrer Biografie. Sie bauen Selbstvertrauen auf, erlangen Wissen über die Sucht und er- lernen Methoden, die Verhal- tensmuster zu durchbrechen und die Reize zu kanalisieren.

Unterstützend können Betrof- fene sich einer Selbsthilfe- gruppe anschließen – als allei- nige Maßnahme reicht dies jedoch nicht aus.  n

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

Ein ausschweifendes Liebesleben ist

noch keine Sexsucht. Sexsüchtige

können ihr Verhalten nicht mehr steuern.

Referenzen

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