• Keine Ergebnisse gefunden

Handel und Politik

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Handel und Politik"

Copied!
10
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

von Stefan A. Schirm

D

ie Entwicklung des Welthan- dels ist eine der größten Er- folgsgeschichten der interna- tionalen Politik in den letzten 50 Jah- ren. In zahlreichen multilateralen Verhandlungsrunden kamen die be- teiligten Staaten überein, Handels- beschränkungen drastisch abzubau- en, und schufen mit der schlichtungs- und sanktionsbewehrten Welthan- delsorganisation (WTO) eines der schlagkräftigsten Instrumente der

„global governance“. Die Mitglied- schaft in der WTO umfasst inzwi- schen fast alle Staaten der Erde. Mit der Liberalisierung des Welthandels zielte die Staatengemeinschaft erfolg- reich auf Wachstumsimpulse und damit auf eine Mehrung weltwirt- schaftlichen Wohlstands. Auch infol- ge der Liberalisierungen stieg der grenzüberschreitende Handel von Gütern und Dienstleistungen in den letzten 50 Jahren stärker als das Welt- sozialprodukt.1 Damit ist globaler Handel ein Kernelement der Globali- sierung, verstanden als zunehmender transnationaler Anteil an der gesam- ten Wirtschaftsleistung.

Angesichts dieser Erfolgsbilanz ist es auf den ersten Blick erstaunlich, wie kontrovers Handelsliberalisierungen in den Industrieländern diskutiert

werden. Denn gerade auf diese Länder konzentrieren sich sowohl Wohlstand als auch Welthandel. Insofern ist „glo- baler“ Handel auch genau genommen überwiegend ein Phänomen der OECD-Welt und einiger Schwellen- länder, die – wie Mexiko und Südko- rea – im letzten Jahrzehnt in die OECD aufgenommen wurden. Im Gegenzug weist diejenige Staaten- gruppe geringes Wachstum auf, die sich dem Welthandel nur wenig geöff- net hat.2Wenn aber Wohlstand und Wachstum positiv mit Offenheit ge- genüber dem Weltmarkt korrelieren, dann scheint die zunehmende Oppo- sition gegen Liberalisierung erklä- rungsbedürftig. Wie beeinflusst die Globalisierung des Welthandels gesell- schaftliche Interessen und damit na- tionale Handelspolitik? Führt Globali- sierung zu einer weltweiten Konver- genz marktliberaler Politik? Wird der Staat – wie oft befürchtet – durch au- ßenwirtschaftliche Liberalisierung ge- schwächt? Müssen Wohlfahrtssysteme wie Umweltstandards abgebaut wer- den? Welche gesamtwirtschaftlichen Vorteile liegen in globalem Handel?

Globaler Handel wirkt im Prinzip wie die beiden anderen Säulen welt- wirtschaftlicher Globalisierung: Fi- nanzmärkte und Direktinvestitionen.

Alle drei Bereiche verkörpern die zu- nehmende Mobilität und das gewach- sene Volumen grenzüberschreitender ökonomischer Aktivitäten. „Global“

bedeutet aber nicht, dass der Prozess

Handel und Politik

Der Einfluss globaler Märkte auf nationale Interessen

Prof. Dr. Stefan A. Schirm, Professor für Politische Wissenschaft, Universität Stuttgart.

(2)

der Globalisierung tatsächlich alle Länder einschließt, sondern dass Ka- pital, Produktion und Handel alle Länder betreffen können und werden, wenn sie attraktive Bedingungen für transnational mobile Ressourcen bie- ten. Globale Märkte erstrecken sich zunehmend und potenziell auf alle Länder. Daher übt Globalisierung kompetitiven Druck auf Firmen und auf Staaten aus: Erstens müssen sich Firmen dem globalen Wettbewerb an- passen, wenn sie auf dem Weltmarkt konkurrieren wollen, in den ihre Hei- matmärkte in wachsendem Ausmaß integriert sind. Zweitens konkurrie- ren aber auch Staaten zunehmend ge- geneinander als Standorte für Investi- tion und Produktion. Da Globalisie- rung den grenzüberschreitenden Abzug und Zufluss von Ressourcen erleichtert, steigen die Anreize für Re- gierungen, ihre Wirtschaftspolitik den Erwartungen globaler Märkte an- zupassen, um an der Wachstums- dynamik globalen Wirtschaftens zu partizipieren. Staaten verursachen diesen Globalisierungsprozess seit den siebziger Jahren nicht nur durch die Liberalisierung von Handel und Kapitalverkehr, sondern konkurrie- ren seitdem zunehmend auf dem Weltmarkt der Standortvorteile.

Aus diesen Wirkungen von Globa- lisierung folgt konsequenterweise die Konvergenzthese: Um die Wett- bewerbsanreize des Weltmarkts zu nutzen, müssen Regierungen markt- liberale Reformen durchführen und damit ihre Wirtschaftspolitiken auf ein ähnliches Muster hin annähern.

Tatsächlich lässt sich in vielen Indus- trieländern, aber auch in Schwellen-

ländern eine Tendenz zu mehr Markt- wirtschaft und eine Schwächung in- terventionistischer Politik beobach- ten. In Europa leiteten beispielsweise Margaret Thatcher und François Mit- terrand eine Abkehr von neokeynesia- nischen Rezepten in den achtziger Jahren ein. In Lateinamerika war Me- xiko der Vorreiter einer marktlibera- len Reform der früheren Industriali- sierung zur Substitution vom Impor- ten. Bei diesen Liberalisierungen er- füllt regionale Kooperation eine wichtige Rolle: der europäische Bin- nenmarkt wie die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) fördern nicht nur ökonomische Effizienz, sondern auch Wachstum und politi- sche Stabilität von Reformen durch multilaterale Absicherung und Selbst- bindung der beteiligten Regierungen.3 Gleichzeitig scheint aber innerhalb der Tendenz zur Konvergenz um eine marktliberale Neuausrichtung von Politik auch ein erheblicher Spiel- raum für Divergenz zu bestehen.

Vergleicht man etwa die Staaten West- europas, so lassen sich unschwer deutliche Unterschiede in der Arbeits- markt-, Steuer- und Wohlfahrtspoli- tik ausmachen. Ein Vergleich der ame- rikanischen Politik mit derjenigen kontinentaleuropäischer Staaten ver- deutlicht den anhaltenden nationalen Handlungsspielraum im Zeitalter der Globalisierung ebenfalls. Die Han- delsbarrieren in Europa (etwa in der Landwirtschaft) wie in den USA (etwa bei Stahl) zeigen, dass der Druck von Lobbygruppen immer noch stärker sein kann als die Liberalisierungs- anreize der Globalisierung. Staaten müssen sich der Globalisierung also

(3)

nicht anpassen, wenn sie nicht wollen.

Allerdings hat eine solche Politik ihren Preis, wie die Debatte um die geringen Auslandsinvestitionen, die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und die Klagen über die Verteuerung von wichtigen Importen wie Stahl in den USA zeigen.

Geschwächter Staat?

E

ines der häufigsten Argumente in der Globalisierungsdebatte sieht den Staat doppelt geschwächt: Durch den stärkeren Wettbewerbsdruck müsse der Staat erstens Steuern und somit Leistungen im Wohlfahrtssys- tem verringern und zweitens Sozial- und Umweltstandards abbauen.

Beide Thesen lassen sich mittlerweile empirisch widerlegen. Hinsichtlich des Zugriffs auf die finanziellen Res- sourcen der Gesellschaft hat sich der Anteil des Staates in den letzten Jahr- zehnten nicht nur nicht verringert, sondern sogar erhöht: unter den Staa- ten der G-7 fiel der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt (government re- ceipts) zwischen 1990 und 2000 nur in Japan, während er in allen anderen Staaten anstieg.4 Gegen die These einer Verringerung von Steuern und Staatsanteil als Folge außenwirt- schaftlicher Offenheit spricht eben- falls, dass in Europa gerade diejenigen Staaten mit der größten Offenheit auch diejenigen mit den höchsten Steuern und dem höchsten Staats- anteil am BSP waren. Dänemark und Schweden sind die herausragenden Beispiele. Sie weisen sowohl einen hohen Außenhandelsanteil als auch

einen hohen Staatsanteil am BSP auf.

Grundsätzlich reagieren globale (Fi- nanz-) Märkte nicht negativ auf die Höhe der Staatseinnahmen am Sozi- alprodukt, sondern auf Haushalts- defizite, da diese inflationsfördernd wirken können.5

Entscheidend für die Wettbewerbs- fähigkeit eines Standorts ist nicht der Umfang staatlicher Einnahmen und Ausgaben, sondern deren Qualität. Es geht nicht um die Frage nach „mehr“

oder „weniger“ Staat, sondern um einen „anderen“ Staat. Die Reformen der Wohlfahrtssysteme in Schweden, den Niederlanden und Dänemark sind gute Beispiele dafür, wie Wohl- fahrt und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen sind: mehr Flexi- bilität auf dem Arbeitsmarkt und Selbstverantwortung für die Empfän- ger von Transferzahlungen müssen nicht gleichbedeutend sein mit einer qualitativen Reduzierung staatlicher Leistungen.6In Deutschland scheint dagegen die Überzeugung vorzuherr- schen, dass Wettbewerbsfähigkeit und Wohlfahrtsstaat sich gegenseitig aus- schließen. Außerdem wird hier zu Lande mehr über den Umfang des Wohlfahrtsstaats diskutiert als über seine qualitative Neuausrichtung. Die Offenheit für den Außenhandel steht jedenfalls einer hohen Staatsquote nicht per se entgegen.

Der zweite Teil der These vom ge- schwächten Staat lässt sich ebenfalls empirisch nicht bestätigen: Infolge zu- nehmender Außenhandelsverflech- tung kam es nicht zu einem Abbau von Umwelt- und Sozialstandards in In- dustrieländern. Ein „race to the bot- tom“ infolge des gestiegenen Wett-

(4)

bewerbs mit Ländern, die niedrigere Standards aufweisen, lässt sich nicht beobachten. Es liegen aber eine Reihe von Beispielen für eine Verschärfung solcher Standards vor – nicht zuletzt die Ökosteuer in Deutschland. Seit Seattle ist eine multilaterale Veranke- rung solcher Standards auch eines der zentralen Themen bei den WTO-Ver- handlungen. In regionalen Abkom- men wie der EU und der NAFTA sind Umwelt- und Sozialstandards bereits multilateral verankert worden und sti- mulieren eine Anhebung in den weni- ger entwickelten Mitgliedsländern.

Der Staat ist demnach nicht per se geschwächt.Vielmehr verändert Glo- balisierung die Rahmenbedingungen für wirtschaftspolitische Optionen, indem sie über den stärkeren Wett- bewerb um mobile Ressourcen die Anreize für marktliberale Reformen und die Kosten für interventionisti- sche Politik erhöht. Insofern wird die Autonomie von Regierungen einge- schränkt, eine Politik zu verfolgen, die die Erwartungen globaler Märkte ignoriert. Dies ist allerdings nicht gleichbedeutend mit der Schwächung grundlegender Staatsfunktionen, wie der Gewährleistung von Wachstum und Wohlstand. Nur wenn man den Staat ausschließlich als interventio- nistischen, etwa neokeynesianischen Staat definiert, ist die These von der Schwächung aufrecht zu erhalten: in der Tat schränkt grenzüberschreiten- de Mobilität die Wirksamkeit von

„deficit spending“ ein und erhöht die Standortnachteile von Intervention und rigider Regulierung. Definiert man dagegen den Staat als Verant- wortlichen für die politischen Rah-

menbedingungen für ökonomische Prosperität, dann kann er mit der Nutzung der Wachstumsdynamik von Globalisierung durch soziale Marktwirtschaft seine Verantwor- tung sogar besser wahrnehmen und wäre somit gestärkt.

Exkulpation als Bumerang

Trotz gegenteiliger Indizien ist das Argument, Globalisierung „zwinge“

den Staat zu Reformschritten, auch bei Regierungen beliebt. Außenwirt- schaftlicher Druck als Begründung für politische Maßnahmen taucht nicht nur bei Schritten auf, mit denen die Anreize von Globalisierung besser genutzt werden sollen. Vielmehr ist diese Argumentation auch bei der Be- gründung für die Notwendigkeit von Reformen populär, die nicht auf Glo- balisierung zurückzuführen sind. In Deutschland wäre etwa eine Reform der Subventionen für die „Sunset- Sektoren“ Werften und Kohle sowie für die Landwirtschaft auch ohne Globalisierung im Interesse der Ge- sellschaft. Gleiches gilt für eine Um- stellung der Rentenversicherung. Der Druck zur allgemeinen Verringerung von Steuern entsteht aber nicht durch Globalisierung, wie die skandinavi- schen Länder zeigen, sondern scheint eher auf einen Wandel des Wählerwil- lens in europäischen Wohlfahrtsstaa- ten – „weniger Staat, mehr individuel- le Freiräume“ – zurückzugehen.7

Wenn die Politik gegenüber denje- nigen, die ihre Privilegien (staatliche Leistungen oder Schutz) durch Refor- men geschmälert sehen, mit externen Zwängen argumentiert, dann ge-

(5)

winnt sie kurzfristig eine „Entschul- digung“. Allerdings kommt diese Ex- kulpation als politischer Bumerang wieder zurück, weil sie außenwirt- schaftliche Öffnung als Negativum darstellt und es künftig für Regierun- gen schwer macht, die Vorteile von Globalisierung glaubwürdig zu prä- sentieren. Wenn Regierungen verbal ihre Verantwortung auf (als uner- wünscht apostrophierte) außenwirt- schaftliche Faktoren transferieren, dann können sie später nur unter er- schwerten Umständen Globalisie- rung als Chance darstellen und ent- sprechend Reformen begründen. Das Spiel mit der Exkulpation umstritte- ner Maßnahmen durch externen Druck findet sich in Europa auch im Hinweis auf die Zwänge aus „Brüssel“

und in vielen Entwicklungsländern im Verweis auf den Internationalen Währungsfonds als Verantwortliche für langfristig zwar positive, kurzfris- tig aber für einige Gruppen negative Maßnahmen.

In der Handelspolitik ist diese Vor- gehensweise für die langfristigen ge- samtgesellschaftlichen Interessen be- sonders problematisch. Importe wer- den oft als schädlich hingestellt, wenn sie billiger sind als einheimische Waren. Dabei wird meist unterschla- gen, dass solche Importe als Konsum- güter den Lebensstandard erhöhen bzw. als Vorprodukte die Wett- bewerbsfähigkeit des eigenen Stand- orts stärken. Die jüngst von den USA eingeführten Importbeschränkungen für Stahl verteuern die Produktion etwa für PKW und verhindern Effi- zienzsteigerungen der heimischen Stahlindustrie. Die kurzfristige Siche-

rung von Stahlarbeitsplätzen in den USA geht dabei auf Kosten der ame- rikanischen Konsumenten und be- droht Jobs beispielsweise in der Auto- mobilindustrie.

Interessengruppen

W

elchen Einfluss haben globale Märkte auf nationale Interes- sengruppen? Mit der Zunahme des Außenhandelsanteils an der gesamten Wirtschaftsleistung steigt auch der Anteil derjenigen Arbeitnehmer und Kapitalgeber, deren Jobs bzw. Gewin- ne von der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt abhängen – in Deutschland wurden 1999 rund 30%

des BSP im Export erwirtschaftet, in den Niederlanden 60% und in den USA 10%.8Das Interesse dieser direkt in die Herstellung von „tradables“ in- volvierten Gruppe orientiert sich an der Konkurrenzfähigkeit ihrer Pro- dukte auf dem Weltmarkt und favori- siert daher prinzipiell weitere Han- delsliberalisierungen. Für diese Grup- pe ist sowohl die Einfuhr von Vorpro- dukten wichtig als auch die Offenheit der Zielmärkte, die gefährdet wäre, wenn die eigene Regierung Handels- schranken erhöhen würde. Gleichzei- tig liegt es im Interesse der Produzen- ten von tradables, durch weitere Handelserleichterungen z. B. über WTO-Verhandlungen ihre Wett- bewerbsfähigkeit auf Zielmärkten zu erhöhen. Die Relevanz dieser Gruppe ist aber nicht nur mit ihrem wachsen- den Anteil am BSP gestiegen, sondern auch mit der durch Globalisierung er- leichterten Möglichkeit, ihre Aktivitä-

(6)

ten ins Ausland zu verlagern. Diese

„exit option“ und der Zwang, auf dem Weltmarkt konkurrieren zu müssen, verleiht transnationalen Akteuren po- litisches Drohpotenzial.

Anders gelagert ist dagegen das In- teresse der nach wie vor dominanten, aber schrumpfenden Gruppe der Hersteller von „non-tradables“. Diese Gruppe ist an Handelsliberalisierun- gen entweder desinteressiert, wenn ihre Produkte nicht gehandelt werden können, oder sie empfindet Importe als Bedrohung, wenn ihre Produkte nicht wettbewerbsfähig sind. Insofern sieht sich jede Regierung bei Ver- handlungen über allgemeine Han- delserleichterungen entgegengesetz- tem Druck nationaler Lobbygruppen ausgesetzt. Globalisierung löst hier zum Teil den klassischen Antagonis- mus zwischen Kapitalgebern und Ar- beitnehmern auf, da beide Seiten ähnliche Interessen haben – je nach Zugehörigkeit zum Tradables- oder zum Non-tradables-Sektor. Für die entsprechenden korporativen Orga- nisationen bedeutet diese Entwick- lung eine neue Herausforderung, da beispielsweise die Industriegewerk- schaft Metall sowohl das Interesse der exportorientierten Automobilbauer an Liberalisierungen vertreten muss als auch das Interesse der Stahlarbei- ter an Protektion durch Import- beschränkungen.

Die genauere Betrachtung des Ein- flusses globalen Handels nach Inte- ressengruppen schränkt aber nicht nur teilweise den Gegensatz Arbeit- geber-Arbeitnehmer ein, sondern zeigt auch, dass es eigentlich keine

„internationalen“ Handelskonflikte

gibt. Was oftmals nach zwischen- staatlichen Differenzen aussieht, sind tatsächlich innenpolitische Interes- senkonflikte. Nicht nationale Interes- sen im Sinne gesamtgesellschaftlicher Interessen stoßen aufeinander, son- dern Einzelinteressen, die das Gehör der jeweiligen Regierung finden. Die Verlierer liberalisierungsbedingten Strukturwandels versuchen ihre An- passungskosten zu verringern, indem sie außenwirtschaftlichen Schutz for- dern. Transatlantische Handelskon- flikte entstehen dann, wenn sich auf der einen Seite protektionistische Lobbys durchsetzen und damit die Interessen liberalisierungsfreundli- cher Gruppen auf der anderen Seite schädigen.

Der Schutz einzelner Produzenten ist aber nicht nur gesamtwirtschaft- lich problematisch, sondern verliert durch internationale Arbeitsteilung auch zunehmend an Wirksamkeit:

Wenn die Einzelteile eines Produkts aus verschiedenen Ländern kommen, dann entsteht durch neue Handels- barrieren möglicherweise auch für die

„einheimischen“ Hersteller mehr Schaden als Nutzen. Protektionismus zeigt selbst kurzfristig nicht die ge- wünschte Wirkung auf lokale Arbeits- plätze bzw. Gewinne, wenn die betref- fenden Unternehmen wesentliche Teile der Produktion im Ausland ab- wickeln oder als Importe beziehen.

Bereits ein Drittel des Welthandels ist Intrafirmenhandel zwischen Unter- nehmensteilen ein und desselben Konzerns. Handelsbarrieren betreffen daher nicht nur Konkurrenten, son- dern verteuern auch die Produktion transnationaler Unternehmen.

(7)

Freihandel

G

esamtwirtschaftlich würde Frei- handel positiv wirken, da er über Wettbewerb, Mobilität und In- novation eine effizientere Allokation von Ressourcen ermöglicht und somit die Produktion von Waren wie Dienstleistungen dort erlauben würde, wo sie am günstigsten her- gestellt werden können. Die Nutzung komparativer Kostenvorteile durch Freihandel ist gesamtgesellschaftlich wohlstandsmehrend. Dabei geht es wohlgemerkt in erster Linie um Kos- tenvorteile im Vergleich zwischen Produkten (erst in zweiter Linie zwi- schen Ländern) und um die Speziali- sierung auf diejenigen Produkte, die am jeweiligen Standort am günstigs- ten hergestellt werden können.9 Was die Handelstheorie seit langem pos- tuliert, kann als positive Korrelation zwischen außenwirtschaftlicher Of- fenheit und Wohlstandsmehrung in vielen empirischen Beispielen beob- achtet werden.

Trotz enormer Entwicklungs- unterschiede führte etwa die Öffnung der damaligen EG zur Iberischen Halbinsel weder zu einer Verarmung Portugals und Spaniens noch zu sin- kendem Wohlstand in den industria- lisierteren Mitgliedsländern. Dies liegt nur zum Teil an den so genann- ten statischen Gewinnen durch Frei- handel, die durch effizientere Res- sourcenallokation und Spezialisie- rung entstehen. Hinzu kommen die langfristig wichtigeren dynamischen Gewinne durch Wettbewerb und Herstellung in größeren Stückzahlen, die über Massenproduktion nied-

rigere Preise und damit höhere Kauf- kraft ermöglichen.

Diese positiven Wirkungen von Handel treten bei regionaler Wirt- schaftsintegration und bei globaler Liberalisierung auf. Allerdings ma- chen sich die positiven Folgen nur langfristig und gesamtwirtschaftlich bemerkbar, während die Anpassungs- kosten von Freihandel kurzfristig und sektorspezifisch zu spüren sind.

Daher ist der Widerstand derjenigen, die Anpassungskosten zu tragen haben, schneller und präziser als die Unterstützung der Allgemeinheit für Liberalisierungen. Dies ist das Kern- dilemma der aktuellen Handelspoli- tik in vielen Industrieländern. Um kurzfristige Lobbyinteressen aus wahltaktischen Erwägungen zu be- friedigen, greifen Regierungen immer wieder auf protektionistische Maß- nahmen zurück, anstatt langfristig sinnvolle Liberalisierung zu fördern.

Die Auflösung dieses Dilemmas liegt in der Feinabstimmung zwischen Li- beralisierung und Wohlfahrtsstaat, die sich nicht nur nicht widerspre- chen, sondern auch befördern kön- nen. Wenn wohlfahrtsstaatliche Leis- tungen gezielt und für Empfänger verpflichtend auf eine Abfederung von Anpassungskosten durch Um- schulung und Mobilität ausgerichtet werden, dann kann Handelsliberali- sierung auch für Beschäftigte nicht- wettbewerbsfähiger Firmen mittel- fristig eine Chance sein.

Wie bei jedem Strukturwandel hat der Wohlfahrtsstaat auch bei Han- delsliberalsierung eine wichtige Funktion: Die Kompensation der kurzfristig „Geschädigten“ drückt ge-

(8)

sellschaftliche Solidarität aus und ver- ringert Opposition gegen Liberalisie- rungen. Diese Kompensation muss aber auf Hilfe bei der Wiedereinglie- derung in zukunftsfähige Berufe ge- richtet sein, um Wirkung zu entfalten.

Dies bedeutet erstens, dass nicht ein- fach Transferzahlungen, sondern bei- spielsweise finanzielle Unterstützung bei Umschulungen und/oder befriste- te Lohnzuschüsse bei neuen Arbeits- stellen geleistet werden. Zweitens soll- te von den Empfängern staatlicher Unterstützung auch Solidarität mit der Gesellschaft in Form geographi- scher und professioneller Mobilität erwartet werden. Politischem Wider- stand gegen Handelsliberalisierungen kann außerdem durch einen offenen Diskurs über die gesamtwirtschaftli- chen Vorteile von Handel begegnet werden.

In den Nord-Süd-Beziehungen würde ein Ausbau der Anpassungshil- fen weitere Liberalisierung in Ent- wicklungsländern fördern.Allerdings muss diese Unterstützung an Good- governance-Konditionen gekoppelt werden, damit sie nicht in der Privile- gierung einzelner Gruppen verpufft.

Während Freihandel gesamtwirt- schaftlichen Wohlstand mehrt, ist dessen Verteilung im wesentlichen eine Funktion nationaler politischer Systeme und Strukturen.

Auf Grund der stärkeren Integrati- on nationaler Ökonomien in die Weltwirtschaft und dem daraus fol- genden Wettbewerb verschieben sich interne Interessenlagen und steigen die Anreize für Regierungen, ihre Wirtschaftspolitik auf die Wett- bewerbsbedingungen des Weltmarkts

auszurichten. Dabei ist es sinnvoll, sich auf die jeweiligen komparativen Kostenvorteile durch handelspoliti- sche Öffnung zu spezialisieren. Kom- parative Vorteile bzw. Nachteile eines Standorts liegen aber nicht nur in un- veränderbaren Ressourcen (Rohstof- fe, geographische Lage etc.) und ge- wachsenen ökonomischen Struktu- ren (Industrie, Landwirtschaft etc.), sondern sind zum großen Teil Ergeb- nisse der jeweiligen politischen Rah- menbedingungen. Diese institutio- nelle Dimension reicht von politi- scher Stabilität über die Organisation des Beziehungsdreiecks zwischen Staat, Gewerkschaften und Arbeit- gebern bis hin zu Ausbildung und Transferzahlungen im Wohlfahrtssys- tem. So können etwa die duale Ausbil- dung (Lehre), die niedrige Streikhäu- figkeit und das staatliche Kreditwesen (etwa Landesbanken) komparative institutionelle Vorteile für Deutsch- land sein. Im Fall Großbritanniens und der USA liegen institutionelle Vorteile etwa in der Fähigkeit von Fir- men, durch Zugang zu „venture capi- tal“ und durch die Flexibilität des Ar- beitsmarkts sowohl Innovation wie Marktanpassung schneller zu be- werkstelligen. Beide institutionellen Muster, die „coordinated markets eco- nomies“ und die „liberal market eco- nomies“, haben in den letzten Jahr- zehnten für breiten Wohlstand ge- sorgt.10

Beide Modelle zeigen aber auch in- nenpolitischen Widerstand bei der Anpassung an Globalisierung, wie der neue Protektionismus in den USA und die deutsche Reformunwilligkeit verdeutlichen. Wiederum können die

(9)

Niederlande und Dänemark als Bei- spiele für den qualitativen Umbau von

„coordinated market economies“ gel- ten. Handelspolitik sollte sowohl die Anreize von Globalisierung durch stärkere Außenöffnung nutzen, als auch die Effizienz der jeweiligen insti- tutionellen Vorteile erhöhen. Die Auf- gabe für die Politik besteht darin, die- jenigen institutionellen Rahmenbe- dingungen zu identifizieren und zu verbessern, die dem eigenen Land einen Vorteil im globalen Wettbewerb erlauben. Wenn etwa Deutschland im Vergleich zu den USA einen stärkeren Vorteil (bzw. einen weniger starken Nachteil) beispielsweise im Bereich Bildung hat als bei der Lohnhöhe, dann sollte es sich auf die Verbes- serung des Bildungswesens speziali- sieren und nicht den Versuch unter- nehmen, mit den USA durch nied- rigere Löhne zu konkurrieren. Öko- nomisch wie gesellschaftspolitisch unsinnig ist es dagegen, beispielsweise dem Kohlesektor Erhaltungs- statt Anpassungssubventionen zu zahlen und Bildungsmängel festzustellen, ohne Investitionen in deutsche Uni- versitäten vorzunehmen.

Die Relevanz politischer Rahmen- bedingungen für globale Wett- bewerbsfähigkeit impliziert nicht,dass diese unveränderbar sein sollten.Viel- mehr müssen diejenigen Bedingun- gen verbessert werden, die tatsächlich komparativen Vorteilen entsprechen, und jene reformiert werden, die einer Mehrung gesamtgesellschaftlichen Wohlstands entgegenstehen. Dabei ist die kontinentaleuropäische Konsens- kultur nur dann im Interesse der Be- völkerung, wenn sie die Gestaltung

von Strukturwandel ermöglicht.Diese Aufgabe für die Politik wurde durch Globalisierung dringender, da öko- nomische Prosperität in zunehmen- dem Ausmaß von der Wettbewerbs- fähigkeit auf dem Weltmarkt abhängt.

Dies gilt auch ganz direkt für die Res- sourcenausstattung des Staates, das Steueraufkommen, das bei wachsen- der Außenhandelsverflechtung ver- mehrt auf globalen Märkten erwirt- schaftet wird. Mit einer politischen Abschottung von letzteren würde sich die Regierung unmittelbar die Ein- nahmen kürzen.

Überzeugungsarbeit

G

lobaler Handel schwächt den Staat nicht peer se, erlaubt diver- gierende Antworten auf grenzüber- schreitenden Wettbewerb, betrifft In- teressengruppen sehr unterschied- lich, bietet die Chance auf Wohl- standsgewinne und führt Staaten in Konkurrenz auf dem Weltmarkt der Standortvorteile. Für die Handlungs- optionen der Regierungen bedeuten die höhere Mobilität und das größere Volumen grenzüberschreitender öko- nomischer Aktivitäten sowohl größe- re Anreize für Handelsliberalisierung als auch höhere Kosten für eine Poli- tik, die die Anforderungen des Welt- markts ignoriert. Mit dem steigenden Außenhandelsanteil verstärken sich transnationale Interessen, die wohl- gemerkt nicht nur extern sind, son- dern diejenigen internen Sektoren einschließen, deren Existenz vom Weltmarkt abhängt. Eine merkantilis- tische Privilegierung „nationaler“

(10)

Produzenten wird in dem Ausmaß ab- surd, in dem durch Handel und glo- bale Arbeitsteilung die Unterschei- dung zwischen „intern“ und „extern“

verschwimmt.

Das Dilemma für nationale Han- delspolitik besteht in der Möglichkeit, kurzfristig Sympathien einzelner Wählergruppen durch Protektionis- mus zu gewinnen, damit aber das langfristige gesamtwirtschaftliche In- teresse an Handelsliberalisierungen zu schädigen. Aus diesem Dilemma können sich Regierungen auf zwei Wegen befreien: erstens können sie die Bevölkerung vom Sinn außen- wirtschaftlicher Offenheit überzeu- gen und die Träger der Anpassungs- kosten entschädigen bzw. mit geziel- ten Investitionen in komparativ wie institutionell leistungsfähige Bereiche integrieren. Zweitens können Regie- rungen sich durch Selbstbindung an

multilaterale Abkommen etwa in der EU und der WTO dem politischen Zugriff von Lobbygruppen entziehen.

Wenn die Regierung nicht mehr auf Protektionismus zurückgreifen kann, dann ist Einzelinteressen der An- spruch auf Änderung der Politik ent- zogen. Multilaterale Selbstbindung sollte aber ohne die verbale Übertra- gung der politischen Verantwortung auf internationale Organisationen oder Globalisierung geschehen, da sie ansonsten dem erst genannten Weg, der Überzeugungsarbeit, zuwider- läuft. Schließlich sollten sich die heu- tigen Regierungen daran erinnern, warum ihre Vorgänger Handelslibera- lisierungen und damit auch nationa- len Strukturwandel in den letzten Jahrzehnten vorangetrieben haben:

um nationalen wie weltwirtschaftli- chen Wohlstand zu stimulieren – üb- rigens mit Erfolg.

1 Zum Wachstum des Welthandels im Ver- gleich zum Weltsozialprodukt 1950–2000 vgl. World Trade Organization (WTO), In- ternational Trade Statistics 2001, Genf 2001, S. 27.

2 Vgl. Globalisation and its Critics – A Survey of Globalisation, in: The Economist, 29.9.2001, S. 10 ff.

3 Zu den Wirkungen globaler Märkte und re- gionaler Integration vgl. Schirm, Globale Märkte, nationale Politik und Regionale Ko- operation in Europa und den Amerikas, Baden-Baden 2001 (2. Aufl.); ders., Globali- zation and the New Regionalism, Cam- bridge 2002.

4 Vgl. Globalisation and its Critics – A Survey of Globalisation, a.a.O. (Anm. 2), S. 16.

5 Vgl. Geoffrey Garrett, Global Markets and National Politics: Collision Course or Virtu- ous Circle?, in: International Organization, Nr. 4/1998, S. 787–824.

6 Vgl. Model Makers – A Survey of the Ne- therlands, in: The Economist, 4.5.2002.

7 Vgl. Martin Wolf, Will the Nation-State Sur- vive Globalization?, in: Foreign Affairs, Nr.

1/2001, S. 188.

8 In den Industrieländern insgesamt stiegen Exporte (Importe) als Prozentsatz des BSP von 17,4% (18%) 1990 auf 22,9% (23,2%) 1999. Zahlen aus: United Nations Confe- rence on Trade and Development (UNCTAD), <http://stats.unctad.org>, zu- gegriffen am 2.5.2002.

9 Zu komparativen Kostenvorteilen vgl.

Schools Brief – Trade Winds, in: The Econo- mist, 8.11.1997, S. 99–100.

10Vgl. in diesem Zusammenhang Peter A.

Hall/David Soskice, An Introduction to Va- rieties of Capitalism, in: dies. (Hrsg.),Varie- ties of Capitalism. The Institutional Foun- dations of Comparative Advantage, Oxford 2001, S. 1–68.

Anmerkungen

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die auf  Stadt- und Regionalentwicklung und für Marketing im öffentlichen Sektor spezialisierte CIMA GmbH und die GIU Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung mbH

Die umfassende und regelmässige Kommunika- tion einer Gemeinde mit ihren Anspruchsgrup- pen ist ein wichtiger Teil der Gemeindetätigkeit und hilft Vertrauen zu schaffen,

«Wer erkennt, welche Massnahmen sich günstig auf den Schmerz auswirken, kann die Schmerzverarbeitung Schritt für Schritt günstig beeinflussen lernen.».. «Scheinbar

und „Betriebsärzte&#34; (VBG 122 und 123), das heißt nach Abschluß des Genehmigungsverfahrens durch den Bundesminister für Arbeit und So- zialordnung voraussichtlich im Juni

Die Qualitätssicherung der privaten Schulung muss aufgrund der persönlichen Reflexion der unter- richtenden Person und der Lernreflexion der Schülerin oder des Schülers sowie

Die Berufs- ordnung in der Bundesrepublik und das Ärztegesetz in Österreich hätten diese Verpflichtung zwar festgeschrieben, offen sei dabei jedoch das Wie: ob freiwillig

reduziertem Einsatz von Pökelstoffen; Alexander Beck, Renate Dylla, Markus Geißlinger, Hermann Jakob, Boris Liebl, Friedrich-Karl Lücke FiBL, Leitfaden, 2008, 67 Seiten,

Gemäss §8 Absatz 1 Bildungsgesetz vom 6. Juni 2002 [SGS 640] steht der Besuch von ausserkantonaler staatlicher oder staatlich anerkannter Schulen