im Akkadischen
Von Raineb Mabia Voigt, Tübingen
1. Kritik an der traditionellen Darstellung
2. Inteme Stmkturiemng des Systems der Verbalformen 3. Präteritum und Präsens der tan-Stämme
4. Präteritum und Präsens beim vierradikaligen Verb
5. Präteritum und Präsens beim mediae infirmen Verb
6. Präteritale Gemination beim mediae infirmen Verb 7. Bildung des Präsens
8. System der präteritalen Formen 9. System der präsentischen Formen
10. Präteritum und Präsens in den tan-Stämmen des mediae infirmen Verbs
11. Trennung der beiden Konstituenten des Iterativmorphems
12. Stmktur der präteritalen Formen des mediae infirmen Verbs
13. Stmktur der präteritalen Formen des vierradikaligen Verbs
14. Präterita der tan-Stämme beim mediae infirmen, starken dreiradikaligen und vierradikaligen Verb
15. Reihenfolge der tempus- und stammbüdenden Morpheme
16. G. Steiners Gegenvorschlag 17. Die drei St(n)-Stämme 18. Verba primae Aleph 19. Schlußfolgemng
0. Die Stellung der iterativ-habitativen tan-Stämme im System der
akkadischen Verbalstammbildung läßt sich leicht bestimmen. Wenn
man von den vier Basisstämmen, d.i. dem Grundstamm (G), dem Dop¬
pelungsstamm (D), dem Kausativstamm (§) und dem Passivstamm (N),
ausgeht, stellen die tan-Stämme (Gtn, Dtn, Stn, Ntn) neben den ta-
Stämmen (Gt, Dt, St, Nt) regelmäßige Erweiterungen dazu dar.' Der
Nasal des infigierten tan-Morphems wird dabei in allen Formen außer
' Ein Kombination von zwei Basisstämmen ist nur in dem 'hymnisch-epi¬
schen' SD-Stamm bezeugt, s. GAG § 95. Die seltenen R-Stämme seien nur am
Rande erwähnt, s.B. Kienast: Verbaljormen mü Reduplikatümen im Akkadi¬
schen. In: Orientaha 26 (1957), 44-50; id.: Weiteres zum R-8tamm des Akkadi¬
schen. In: JCS 15 (1961), 59-61; R. M. Whiting: TheRstem(s) in Akkadian. In:
Orientalia 50 (1981), 1-39.
Die tan-Stämme mid das System der Verbalformen im Akkadischen 247
dem Präsens, wo er vor einem Vokal steht, an den folgenden Konsonan¬
ten assimiliert.^
1. Kritik an der traditionellen Darstellung
In dieser „gängigen Theorie"' glaubt G. Steiner" nun schwerwie¬
gende Widersprüche aufgedeckt zu haben, die eine altemative Interpre¬
tation der tan-Formen erforderlich machen. Er sieht in dem Nasal ein
präsentisches Morphem, das eben deshalb in den anderen Tempusfor¬
men nicht in Erscheinung treten kann. Diese Theorie hat gewisse semi-
tohamitische Implikationen, auf die wir hier jedoch nicht eingehen
möchten'. Unsere Überlegungen betreffen allein die Kritik an der gängi¬
gen Theorie der tan-Stammbildungen. Nach Steiner handelt es sich
hauptsächlich um folgende Fragen, die im Rahmen der traditionellen
Auffassung nicht beantwortbar sein sollen:
a) Wamm wurde im Präteritum Dtn ( *up""^rris -* ) uptarris nach dem
infigierten tan-Morphem kein Hilfsvokal eingefiigt, wie es im Präsens
Dtn {*up"'"rras -*) uptanarras offensichtlich der Fall ist? Oder: Warum
wurde im Präteritum Dtn der notwendige Hilfsvokal „sekundär wieder
elidiert", aber nicht im Präsens?'
b) Wamm wurde eine „dreifache Konsonanz regelwidrig durch 'Aus¬
stoßen' des ersten Konsonanten" vereinfacht?' Wamm unterblieb die¬
ser Vogang bei den Präsensformen, die doch mit den Präteritumformen
„strukturell gleichwertig" sind?*
^ S. A. Poebel: Studies in Akkadian grammar. Chicago 1939, mit der Muster¬
ableitung des Imperativs *ptanras -» pitarras (S. 42).
^ Wie sie in W. von Sodens GAG (Grundriß der akkadischen Grammatik. Rom
1952) und GAG-E (Ergänzungsheft zum Grundriß der akkadischen Grammatik.
Rom 1969) normativ wurde. Es versteht sich von selbst, daß man als verglei¬
chender Semitist auf Arbeiten der Art fußen muß und sich nicht eigene Formen¬
sammlungen anlegen kann.
" Die sog. tan-Stämme dss akkadischen Verbums und ihre semitischen Grundla¬
gen. In: ZDMG 131 (1981), 9-27.
' Beachtenswert sind die Parallelen zwischen dem Akkadischen und Berberi¬
schen, über die wir in einem anderen Zusammenhang handeln werden.
' S. Steineb ebd. 11.
' A.a.O.
' A.a.O. Danach gingen im Ntn-Stamm sowohl das FVäsens ittanapras als
auch das Präteritum ittapras auf eine „gemeinsame Urform Hntanapras" (S. 12) zurück, was in der Tat nicht sinnvollerweise anzunehmen ist. In gleicher Weise
rümmt B. Kienast (Orientalia 26 [1957] 46) vom Präteritum Gtn an, das „zu
erwartende "uptanarris" habe sich „unter Zurückziehung des Akzentes und
c) Warum steht das temporale Perfektmorphem vor dem stammbil¬
denden tan-Morphem, während die gewöhnliche Folge umgekehrt ist?
d) Warum lautet das Präteritum des mediae infirmen Verbs im Gtn-
Stamm iktün und nicht, wie man nach dem Präsens iktanän erwarten
sollte, "iktanünf
e) Warum erscheint im 'starken' Präteritum Gtn von Verben mediae
infirmae sovrie mediae Aleph anstelle vonj^' bzw. " {*- n') nicht lautge¬
mäß ww?'"
f) Warum wird in den präteritalen Formen des Gtn-Stammes mediae
infirmer Verben mit Endungen der dritte Radikal geminiert?
g) Warum wird im Präteritum des Ntn-Stammes vicrradikaliger Ver¬
ben der dritte Radikal {ittabalakkat) und nicht der nach dem ta des tan-
Morphems stehende Radikal geminiert? Wie erklärt sich diese 'Teilung'
des tan-Morphems?
Weil eine Beantwortung dieser Fragen „Regelwidrigkeiten und Aus¬
nahmen"" mit sich brächten, glaubt Steineb die gängige Theorie „ad
absurdum" gefiihrt zu haben. Unser Anliegen wird es sein, die in Frage
gestellte traditionelle Theorie durch eine systematische Darstellung der
zugrunde liegenden Regeln zu festigen. Dabei wird sich herausstellen,
daß obige Fragen, wenn sie nicht überhaupt gegenstandslos werden,
eine sinnvolle Antwort finden.
etappenweiser Elision der SUbe -na-" zu uptarris entwiokelt. Nach unserer Kon¬
zeption sind dergleichen Sonderannalunen für bestimmte Formen nicht nötig,
s.u.
' In unserem Notationssystem bezeichnet ein Circulus morphologisch
unmögliche bzw. falsch gebildete Formen, von denen keine Oberflächenformen abgeleitet werden können. Morphologisch mögliche bzw. richtig gebildete For¬
men, die mithUfe von explizit formulierten Regeln in Oberflächenformen überge¬
führt werden können, werden demgegenüber mit einem Asteriskus markiert.
Die Antwort sei schon vorweg gegeben. Lautgesetze wirken nieht immer
blind. Manchmal ist der Stellenwert der am Lautwandel beteiligten Elemente zu berücksichtigen. Ein Aleph als Wurzelradikal kann sich so gegenüber einem vor¬
angehenden Nasal als stärker erweisen — eine Erscheinung, die man auch als
Systemzwang bezeichnet. Außerdem geben Parallelformen (inneralb des
Gesamtakkadisehen) im N-Stamm von Verben primae Aleph, wie Präteritum
innakil {<- Hn'akü) neben i"adir (-► Hn'adir) (s. GAG"' P 15), auch keinen Anlaß, an der Existenz des verbalstammbildenden Nasals zu zweifeln. (Im Ntn- Stamm des starken Verbs ist der passivische Nasal übrigens in keiner einzigen Verbalform als n erhalten!)
" Steiner ebd. 12.
'2 A.a.O.
Die tan-Stämme und das System der Verbalformen im Akkadischen 249
2. Interne Strukturierung des Systems der Verbalformen
Die Bildungsweise der tan-Stämme kann man nur erfassen," wenn
man versucht, die inteme Stmkturiemng des ganzen Verbalformensy¬
stems in den Griff zu bekommen und die Position dieser Stämme im
Gesamtsystem zu bestimmen. Unter der intemen Stmkturiemng des
Verbalformensystems verstehen wir die Summe der formalen Beziehun¬
gen, die zwischen den verschiedenen Tempusformen eines Verbalstam¬
mes und den gleichen Tempusformen verschiedener Verbalstämme fest¬
gestellt werden können. '" Unsere Behandlung der tan-Stämme (X = G/
D/S/N) berücksichtigt vor allem folgende Beziehungen:
Präteritum Xtn <-► Präsens Xtn,
Präteritum X Präteritum Xt <-> Präteritum Xtn,
Präsens X Präsens Xt <-» Präsens Xtn.
3. Präteritum und Präsens der tan-Stämme
Wir wollen zuerst den formalen Beziehungen zwischen dem Präteri¬
tum und Präsens der tan-Stämme nachgehen. Beim starken dreiradika¬
ligen Verb geht es um folgende Formen:
Präteritum Präsens
Gtn ip'^WVs ^ ip'^^arrVs
Dtn up'^rris •<->■ up""'arras
§tn ui"'pris *~* uS'^^'apras
Ntn ii^^prVs <-»■ ilf'"'aprVs
Um das zugmnde liegende Bildungsprinzip erkennen zu können, grei¬
fen wir auf den Gmndstamm zurück, weil dieser gewissermaßen die
Keimzelle des ganzen Verbalstammbildungssystems darstellt. Die bei¬
den betreffenden Formen des Gmndstammes lauten:
(Präteritum) iprVs (Präsens) iparrVs.^^
" Wir beschränken uns dabei im wesentlichen auf die beiden Formen des Präteritums und Präsens, da eine Berücksichtigung aller Formen des Paradig¬
mas in einem Artikel kaum möglich ist. Der Herausarbeitung meiner Konzep¬
tion mag dies andererseits gerade forderlich sein.
Unsere Studie unterscheidet sich damit grundlegend von der Arbeit von D.
O. Edzard über Die Stämme des altbabylonischen Verbums in ihrem Opposi¬
tionssystems {Studies in honor of B. Landsberger onhis . . . Chicago 1965, S. 111- 120), die die fuirktional-semantisehe Relation der Verbalsstammableitungen
zum Thema hat.
" V steht fur die drei Vokafe u/i/a.
Sollte es nun möglich sein, die synchrone formale Beziehung, die sich
aus diesen beiden Formen gewinnen läßt, in plausibler Weise auf die
obigen Formen der tan-Stämme anzuwenden, würde dies fiir die Gültig¬
keit der aufgestellten synchronen Beziehung sprechen. Im Grundstamm
ist das Präsens durch zwei morphologische Merkmale vom Präteritum
unterschieden: durch den a-Vokal und durch die Gemination des folgen¬
den (zweiten) Radikals. Vgl. demgegenüber die Darstellung von E. Rei-
ners", die mit einer präsentischen Gemination und der Einfiigung
eines Hilfsvokals arbeitet. In meiner Konzeption ist a kein Hilfsvokal,
sondem ein morphologisches Merkmal des Präsens". Bewährt sich das
Büdungsprinzip des Präsens im Grandstamm auch in den tan-Stäm¬
men? Offensichtlich nicht, wenn man von den oben wiedergegebenen
Formen des Präteritums ausgeht. Vom Präteritum Gtn iptarras führt so
kein Weg zum Präsens iptanarras. Nimmt man aber die zugmnde liegen¬
den Formen des Präteritums zum Ausgangspunkt, ist die Ableitungsbe¬
ziehung klar erkennbar:
Präteritum Präsens
Gtn (ip'^'rVs ^ ) Hp'^^rVs ^ ip"'''arrVs Dtn (up'^rris •<-) *up""'rris *->■ up'^^'arras Stn (ui'^pris -) *ui""'pris — uS'^^apras Ntn {i^^prVs *in""'prV8'^ it^^^aprVs
Außer der offensichtlichen Regel, daß n an einen folgenden Konso¬
nanten assimiliert wird'*, benötigen wir zur Ableitung der belegten For¬
men des Präteritums nur eine einfache Regel, die die Vereinfachung
einer Dreifachkonsonanz zu einer Doppelkonsonanz beinhaltet, z. B. rrr
rr,^^ ppr pr. Es ist sinnvoll, den Nasal des tan-Morphems zunächst
(nach der ersten Regel) an eine folgende Doppelkonsonanz anzuglei¬
chen und dann (nach der zweiten Regel) zu tilgen, vgl. die von
SoDENsche Ableitung:^"
Dtn 'W'Vm - Si^^Ppris - uS'^pris.
" A linguistic analysis of Akkadian. Den Haag 1966, S. 78.
" Daß a ein morphologisches Merkmal des Präsens darstellt, erkennt man deutlich am assyrischen Präsens der mediae infirmen Verben, z. B. iküan. Abzu- lefmen sind von daher alle Theorien, die hier ein „sekundäres" a (s. B. Kienast:
Das System der zweiradikaligen Verben im Akkadischen. In: ZA 55 [1962] 138- 155, S. 151) annehmen.
S. GAG § 33.
" S. GAG § 20i.
2° A.a.O.
Die tan-Stämme mid das System der Verbalformen im Akkadischen 251
Diese Regeln gelten nun auch für die Ableitung des Präsens, das sich
durch einen a-Vokal vor einem geminierten Radikal auszeichnet. Wäh¬
rend der charakteristische Vokal in allen Formen nach dem tan-Mor¬
phem in Erscheinung tritt, kann sich die Gemination des folgenden
Konsonanten nur im Gtn-Stamm zeigen (iptarfras). In den anderen
tan-Stämmen verhindert die Konsonantenlängung (in Dtn) bzw. Dop¬
pelkonsonanz (in Stn und Ntn) die Realisierung der Präsensgemination
(z.B. Dtn uptarfrras, Stn uätan^pras). Man ist hier natürlich versucht,
n£ich dem Vorgang der Präterita eine Gemination anzunehmen, die wie¬
der aufgehoben wird, also z.B. Stn htStan^^pras liStan'^pras. Dagegen
sprechen die betreffenden Formen der Verba primae Aleph. Das Prä¬
sens Stn des Verbs (')akäM" lautet uitan'^kal, eine Form, die nicht auf
Sistan"''kal zurückgehen kann. Die Theorie, die Form uStanakkal auf
eine vom starken Verb nicht gebildete Form *uitana'akkal ( *uStanapar-
ras) zurückzuführen^', setzt fiir die Flexion einer Verbalklasse (eben der
der Verba primae Aleph) eine morphologische Ausnahme voraus, die
nach unserer Theorie nicht besteht. Als Merkmal des Präsens gelten der
a-Vokal und die Gemination des folgenden zweiten Radikals oder des
Konsonantenbündels, zu dem er gehört, s.:
G ip^r Vs - ip''rrVs
D up'^ras uparras
Dtn uptarfras uptarfrras
s uS^pr as -
uS'^pras Stn TiStarfpr as -» uätarfpras
Wie man sieht, kann die präsentische Gemination nach einer Folge
von zwei (gleichen oder verschiedenen) Konsonanten nicht zum Aus¬
druck kommen. Unsere Konzeption findet ihre Bestätigung in den Prä¬
sensformen des S-, Stn- und Ntn-Stammes von Verben primae Aleph
(sowie primae infirmae), die bekanntlich einen gemimerten zweiten
Radikal zeigen," s.:
Präteritum Präsens
S {uSäkil *-) *uSa'kil •<-<• *vJ'"k'al (-► uiakkal) Stn [uStakkü *-) *uS"""kil *ii^tan'"k al (- uStanakkal) Ntn (ittakkVl ^) *in"""kVl *intan'"k'Vl ittanakkVl)
2' S. Kienast in: ZA 55 (1962), 142.
Die Verben primae w und j werden in diesen Stämmen wie die Verben pri¬
mae Aleph behandelt, z.B. PTäsens S uSahbal wie uSakkal und Stn uStanabbal wie vAtanakkal.
18 ZDMG 137/2
Zur Ableitung der präsentischen Fonnen benötigen wir keine speziel¬
len Basisformen, die nur bei diesem Verbtyp Geltung hätten, sondem
nur die einfache Regel ('k): kk.
4. Präteritum und Präsens beim vierradikaligen Ver¬
bum
Die Bildungsweise des Präsens der vierradikaligen Stammbildungen
bietet eine Besonderheit, die es zu klären gilt. Im Präteritum des N-
Stammes bilden nämlich der zweite und dritte Radikal einer vierradika¬
ligen Vl^urzel eine Konsonantenverbindung, die gegen unsere bisherige
Erfahrung im Präsens durch den charakteristischen a-Vokal auf¬
gesprengt wird:
Präteritum Präsens
N (ibbalkit *-) *inbalkit *-* *inbal''k at (-* ibbalakkat)
Weshalb lautet das Präsens nun nicht "ibbalkat, wie man aufgmnd der
bisherigen Bildungen erwarten könnte? Zur Beantwortung dieser Frage
müssen wir überlegen, in welcher Weise überhaupt vierradikalige Ver¬
ben flektiert werden. Ihre Flexion richtet sich natürlich nach dem drei¬
radikaligen Verb. Der überschüssige Radikal einer vierradikaligen
Wurzel wird dabei entweder dem zweiten oder dem ersten Radikal einer
dreiradikaligen Wurzel zugeschlagen. Für die erste Möglichkeit sei nur
auf das Arabische verwiesen, dessen vierradikalige Wurzeln nach dem
Muster des Verdoppelungsstammes der dreiradikaligen Wurzeln konju¬
giert werden," vgl. ^amhara/ju^amhiru 'versammeln' und balbala/jubal-
büu 'verwirren' mit harrama/juharrimu 'verbieten' (KaKKaKa/juKoK-
KiKu). Die zweite Möglichkeit ist im Harari, einer südäthiopischen
Sprache realisiert.^'' Die Basisformen des Perfekts/Imperfekts einer
vierradikaligen Wurzel lauten dort -gläbät-/-gläbt- 'umdrehen', ganz
analog zum dreiradikaligen Verb -säbär-/säbr- 'brechen'.
Für das Akkadische gilt nun, daß wie im Harari die beiden ersten
Radikale einer vierradikaligen Wurzel die Position des ersten Radikals
einer dreiradikaligen Wurzel einnehmen. Im Präteritum des N-Stam¬
mes haben wir folgende Formen:
S. A. Heidel: The system of the quadriliteral verb in Akkadian. Chicago 1940, S. 4.
S. G. Goldenberg: The Semitic languages of Ethiopia and their classifica¬
tion. In: BSOAS 40 (1977), 461-507, S. 497.
Die tan-Stämme und das System der Verbalformen im Akkadischen 253 4rad.: Hnhal kit (->• ibbalkit)
V
3rad.: ""in pa ris {-* ipparis)
Das Präsens leitet sich jetzt ganz regelmäßig ab:
Hnbafkat ( ibbalakkat)
V,
Hn p "r as ( ipparras)
Beim vierradikaligen Verb zeigt das Präsens N also eine Verdoppe¬
lung des vorletzten Radikals, weil das maßgebende dreiradikalige Verb
in diesem Fall den vorletzten Radikal auch längt. Der S-Stamm des
vierradikaligen Verbs richtet sich ganz nach dem N-Stamm:
Präteritum Präsens
N ibbalkit ibbalakkat
S uäbalkit •<-► uSbalakkat
5. Präteritum und Präsens beim mediae infirmen Ver¬
bum
Einen weiteren Sonderfall stellt der mediae infirme Verbaltyp dar, der
bekanntlich keinen geminationsfähigen zweiten bzw. vorletzten Radi¬
kal vorzuweisen hat. In den Doppelungsstämmen wird statt dessen der
letzte Radikal gelängt:
mediae sanae (ass.) mediae infirmae
F*räteritum D uparris uka"in ukin/ukinnü
Dt uptarris ukta"in uktin/uktinnü
Dtn uptarris ukta"in uktin/uktinnü
(Im Assyrischen wird das mediae infirme Verb in die Klasse des star¬
ken Verbs übergeführt, wobei als zweiter Radikal ' bzw. j fungieren^'.)
In gleicher Weise wird im Präsens, das sich sonst durch die Gemina¬
tion des vorletzten Radikals auszeichent, der letzte Radikal gelängt:
Präteritum Präsens
G ikün ( Sküann ->) ikän/ikunnü,
ass. iküan/ikunnü iäim <->■ ( *iSiamm -*) iSäm/iSimmü
ibäS ( HbäaiS -»•) ibäi/ibaiSü
" S. GAG § 104p.
18*
§ uSmitft) uSmät/uSmattü
(vgl. ass. vMiat/uSbittü)
§t uStahiq •<-► uStahäq/uStahaqqü
Wie man an den G-Formen mit Endung sieht, ist der letzte Radikal in
den präsentischen Formen verdoppelt. Vor ihm erscheint in den
endungslosen Formen der für das Präsens charakteristische a-Vokal.
Die zugrunde liegende Form zeichnet sich natürlich durch beide Merk¬
male aus, vgl. wiederum die Präsensbildung des mediae infirmen Verbs
mit der des starken Verbs:
6. Präteritale Gemination beim mediae infirmen Ver-
Gegen die Interpretation der Finalgemination als präsentisches
Merkmal des mediae infirmen Verbtyps könnten die präteritalen For¬
men des S-Stammes {uSmit/itSmittü) sowie vielleicht auch des St-Stam¬
mes {vJtahiq/uitahiqquV^ ins Feld gefiihrt werden, die ebenfalls eine
Längung des letzten Radikals zeigen. Man könnte auf die Idee kommen,
in der ungewöhnlichen Gemination ein Merkmal des Doppelungsstam¬
mes zu sehen und hier einen SD-Stamm (bzw. vielleicht einen SDt-
Stamm) anzunehmen.^' Zur reinen Erfassung der Formen mag eine
solche Beschreibung verwendet werden, zu ihrer Erklärung taugt sie
aber nicht^*. Um hier weiterzukommen, müssen wir wieder auf das
starke Verb zurückgreifen, das im Präsens S bekanntlich keine Gemina¬
tion zeigt (uSapras). Wenn beim mediae infirmen Verb im Präsens der
letzte Radikal gelängt wird, so eignet sich diese Gemination zur Über¬
tragung auf andere Verbalformen, wie auf das Präteritum:
Präteritum Präsens (durchgängiges Merkmal)
II K uSapras •<-► uSapris \ — Gemination |
II V *uSmätt *uSmitt | -t- Gemination |
Präteritum Präsens
ip'"'rVs
^ *ikü''''n
II K iprVs
^ W"m
*ibä'^S
bum
( *vJmü)
S. GAG* P 28 Anm. 19.
S. GAG § 1048.
Wie sclion W. von Soden gesehen hat, s. GAG § 104u.
Die tan-Stämme und das System der Verbalformen im Akkadischen 255
Daneben sind auch andere Formen von der sekundären Gemination
erfaßt worden, vgl. den Infinitiv Sumütu"^, jB iumuttu^'^, aA iamuttu^".
Man kann hier mit B. Kienast" von einer Analogiebildung nach dem
Präsens reden. Damit ist aber der Grund fiir diese Analogiebildung bzw.
fiir das Fehlen einer solchen im Grundstamm noch nicht gegeben. Er
liegt in dem Bestreben, die Strukturierung der Stammbildungen des
starken und schwachen Verbs zu vereinheitlichen. Nur weil im S-Stamm
des starken Verbs im Unterschied zu fast allen anderen Stämmen eine
Gemination ganz fehlt, konnte sie beim mediae infirmen Verb durch
Übertragung vom Präsens auf andere Verbalformen als sekundäres
Merkmal dieses Stammes interpretiert werden. Von daher könnte man
den S-Stamm der mediae infirmen Verben als S(D)-Stamm bezeichnen,
d.i. ein S-Stamm mit sekundärer Verdoppelung.
7. Bildung des Präsens
Das Präsens unterscheidet sich vom Präteritum durch den a-Vokal
vor dem gelängten vorletzten bzw. — beim mediae infirmen Verb — letz¬
ten Radikal. Gehört der vorletzte Radikal eines dreiradikaligen Verbs
im Präteritum zu einer Konsonantengruppe, unterbleibt im Präsens die
Gemination.'^
Der a-Vokal stellt nach unserer Konzeption weder einen Hilfsvokal"
noch einen Bestandteil des Iterativmorphems'" dar, sondem eines der
beiden Merkmale des Präsens.
8. System der präteritalen Formen
Das Netz, in dem die präteritalen und präsentischen Formen der tan-
Stämme verwoben sind, ist noch enger geknüpft. Wir wollen die For-
" S. GAG* P 28.
^° S. GAG-E* P 28.
" ZA 55 (1962) 151 Anm.
In unserem djmamisehen Modell kann diese Regel nicht auf den Grund¬
stamm angewendet werden, da er gerade das Muster zur Büdung der FVäsens-
formen der anderen Stämme abgibt.
" S. zu Anm. 16.
S. Steiner ebd. 9 Anm. 2. Insbesondere I. J. Gelb: Sequential reconstruc¬
tion of Proto-Akkadian. Chicago 1969, S. 194 rechnet durchgängig mit einem
tana-Morphem, ebenso B. Kienast in: Orientalia 26 (1957) 46, L. A. Lipin: The
Akkadian language. Moskau 1973, S. 131, J. Kurylowicz: Studies in Semitic
grammar and metrics. London/Warschau 1973, S. 63.
men der tan-Stämme mit denen der ta-Stämme sowie der jeweiligen
Basisstämmen vergleichen. Für das Präteritum ergibt sich folgendes
BUd:
X Xt Xtn
G ip~rVs ip'^rVs V"»-^s (- iptarrVs)
D up''rris *-* up"'rris ■hip""'rm (-<■ uptarris)
§ uS''pris uS'^pris •H- *Mi"'>m (- uStapris)
N HnparVs *in"'prVs — *in""'prVs (- ittaprVs)
(-* ipparVs) ittaprVs)
Da der Nasal des Iterativmorphems assimiliert wird, ist nur in den
Grundstämmen das Präteritum des tan-Stammes von dem des einfa¬
chen ta-Stammes eindeutig unterschieden. Man beachte die Regelmä¬
ßigkeit der präteritalen Bildungsweise in den jeweiligen Stammreihen.
So kann man die Formen der G-Stämme in einem Ausdruck zusammen¬
fassen:
^ (" 1
• Gt Hp I la rVs
Gtn [ tan \
Genauso bei den D- und S-Stämmen:
D |a I S h 1 .
Dt Hip \ ta \ rris St Hii { ta ? pris
Dtn ■ \ tan \ Stn l tan J
Nur bei den N-Stämmen gelingt eine solche Darstellung nicht.
9. System der präsentischen Formen
Wir betrachten nunmehr die Präsensformen der zwölf Stammbildim-
gen:''
'' In diesem Zusammenhang ist die Theorie von A. Poebels in: Assyriologi¬
cal Studies 9 (1939) 41 erwähnenswert, der Präteritum und Präsens auf eine
gemeinsame Basisform zurückfuhren möchte, z. B. Gtn Hptanaras. Als differen¬
zierender Faktor wird die Betonung eingeführt:
Präteritum iptänfajras iptarras
Präsens Hptand(r)ras iptanarras
Im Gegensatz zu unserer Konzeption gelten also weder der o-Vokal noch die
Gemination als ursprüngliches Merkmal des Präsens.
Die tan-Stämme und das System der Verbalformen im Akkadischen 257
X Xt Xtn
G ip~arrVs ip'arrVs *->■ ip""^arrVs D up~arras •<-► up'arras •<-> up"'^arras
S Uli' apras uS'apras uS'^^^'apras
N HnTparrVs ■<-►(Hn'aprVs *in"'^aprVs (-* ittanaprVs)
{->■ ipparrVs) ->■ *ittaprVs)^^
Wir erkennen wieder folgende regelmäßige Bildimgsweise:
ia I
*up l ta } arras
G ' - ' D
Gt *ip ta arrVs Dt
Gtn tan Dtn
§ fa 1
St *tis ta apras
Stn tan ,
Zur Ableitung all dieser Formen des Präteritums und Präsens benöti¬
gen wir außer der schon behandelten Nasalassimilations- und Trikonso-
nanzvereinfachungsregel nur die allgemein anerkannte Regel, die einen
Langvokal vor folgender Doppelkonsonanz verkürzt.
Die Struktiuformeln des Präsens wie des Präteritums der drei
Stammreihen ließen sich noch weiter zusammenfassen und in einer all¬
gemeinen Strukturformel wiedergegeben. Darauf soll hier verziehtet
werden, da man auch ohne eine weitere Formalisierung erkennen kann,
in welch regelmäßiger Weise sich die beiden Haupttempora der tan-
Stämme in das Gesamtsystem der Verbalstammableitungen fügen.
Allein die N-Stämme tanzen da etwas aus der Reihe. Sieht man genauer
hin, sind es allein die Formen des N-Basisstammes, die nicht in das Bild
passen, das wir oben aus einer vergleichenden Betrachtung der G-, D-
und S-Stämme gewonnen haben. So zeigt das Präteritum N ipparis eine
Silbenstruktur (nämlich v-KKvKvK), die sonst nur im Gt-Stamm
(iptarVs) begegnet, was möglicherweise kein reiner Zufall ist, stellen
doch beide Bildungen passivische Ableitimgen zum Grundstamm dar.
Von daher erklärte sich dann auch das Präsens N ipparrVs, das eben wie
das Präsens Gt iptarrVs gebildet ist.
" Ganz sichere Belege für das Präsens Nt fehlen noch, s. GAG-E* P 13, Stei¬
ner ebd. S. 20.
10. Präteritum und Präsens in den tan-Stämmen des
mediae infirmen Verbums
Die synchrone Beziehung zwischen Präteritum und Präsens tritt bei
den tan-Stämmen des mediae infirmen Verbs nicht in derselben Weise
wie beim starken Verb zutage:
Präteritum Präsens
Gtn *iktünn {iktün/iktunnü) Hktanüann {iktanän/iktanunnü)
(*iStimm) *iStaniamm (iitanäm/iStanimmü)
HbtäSS (*ibtanäaM) {HbtavM/HbtanaSSü)
Dtn *uktinn {uktin/vktinnü) *-* *uktanänn (uktanän/uktanannü)
Stn uStaMnn *-* *uStaJcänn
Ntn nicht belegt
Man könnte nun mit Steiner'' der Meinung sein, das Präteritum
z. B. von Gtn müßte nach der Analogie des starken Verbs (Präteritum :
Präsens ip'^^^'^rras : ip''"'arras = x : iU'^'^än, x =) "ik'^^ün lauten, wenn man
ein tan-Morphem in diesen Pormen nachweisen wollte. Die angeführte
Analogiegleichung ist jedoch nur auf den ersten Blick überzeugend. Ein
Vergleich mit dem starken Verb zeigt, daß im Präteritum niemals ein n
erscheint, da es an den folgenden Konsonanten assimiliert ist. Beim
schwachen Verb tritt es nicht in Erscheinung, weil in dieser Verbal¬
klasse andere Bedingungen herrschen. Es sei nur an die Bildungsweise
der Doppelungsstämme erinnert, die ursprünglich nicht den zweiten
Radikal (wie beim starken Verbum)'*, sondem den dritten Radikal län¬
gen. Das Gleiche gilt fur die Bildungs weise des Präsens, dessen Gemi¬
nation sich beim mediae infirmen Verb nicht am zweiten Radikal (wie
beim starken Verb), sondem am dritten Radikal realisiert. Von daher
ist es nicht verwunderlich, wenn die auf eine Assimilation des n zurück¬
gehende Längung nicht am zweiten Radikal (wie beim starken Ver¬
bum), sondem am dritten Radikal in Erscheinung tritt.
11. Trennung der beiden Konstituenten des Iterativ¬
morphems
Von daher kommt es zu einer Trennung der beiden Konstitutenten
des Iterativmorphems, die nur bei einer statischen Betrachtungsweise
auffällig ist. Die Formen des mediae infirmen Verbaltyps sind nämlich
^' Steinbe ebd. 14.
" Später sind auch starke Bildungen der Art Präteritum Gtn iSta"iin/iStajjim möglich, s. GAG § 104.
Die tan-Stämme mid das System der Verbalformen im Akkadischen 259
ofTensichtlich unter Wahrung des infirmen Charakters des zweiten Ele¬
mentes der Wurzel nach den Formen des starken Verbs gebildet wor¬
den. Wir dürfen also nicht ohne weiteres ein starres Bildungsprinzip
ansetzen, das in ganz schematischer Weise die Bildungen beider Ver¬
baltypen erfassen könnte. Wir müssen vielmehr vom starken Verb aus¬
gehen und das dort erkennbare Bildungsprinzip mutatis mutandis auf
das schwache Verb übertragen. Beim starken Verb erkennen wir als Bil¬
dungsprinzip des Präteritums Gtn das dentale Element nach dem
ersten Radikal und die Gemination des zweiten Radikals. Bei einer
Übertragung auf das mediae infirme Verb ergibt sich bei dem zweiten
Merkmal natürlich eine Verlagerung der Gemination auf den dritten
Radikal und somit eine Trennung der beiden Merkmale. Zu beachten
ist, daß das übertragene Bildungsprinzip sich nach den Oberflächenfor¬
men des starken Verbs richtet und nicht nach deren Tiefenformen (d. s.
die tan-haltigen Stemchenf ormen). Die Gemination der tan-Stämme
wird hier also nicht als Ergebnis einer Assimilation des Nasals interpre¬
tiert, sondem einfach als Längung des betreffenden Konsonanten auf¬
gefaßt. Der Vorschlag von Steiner, in der Längung des Konsonaten
überhaupt das Merkmal der Iterativstämme zu sehen, scheitert an dem
hohen Grad der intemen Stmkturiemng der Verbalstammbildungen,
die ohne Annahme eines tan-Morphems nicht aufrechterhalten werden
könnte.
12. Struktur der präteritalen Formen des mediae infir¬
men Verbums
Daß das Präteritum Gtn des mediae infirmen Verbs mit der Form
iktün/iktunnü nicht außerhalb der zu erwartenden Bildungsmöglichkei¬
ten liegt, wie Steiner meint", zeigt ein Vergleich der präteritalen For¬
men der drei G-Stämme mit denen der D-Stämme:
G (II u) G (II i) D (II V) D (II K)
X ik^n iS'm uMn/uk^nnü up''rris
Xt iä^'m uJc''n/uk''nnü up^'^rris
Xtn *i^'™mM uk^'< >nnü up^"' ^rris
Nach dem ersten konsonantischen Element steht in den Basisstäm¬
men ein Vokal (ü, i, ä), in den ta-Stämmen ein < plus Vokal {tü, ti/ti, ta)
und in den tan-Stämmen ein t plus Vokal plus Längung des folgenden
Konsonanten, wenn diese realisierbar ist {tuK, tiK/ti( ), ta( )).
S. Steiner ebd. S. 14.
Dieser Vergleich zeigt deutlich, daß das Präteritum Gtn gar nicht "ik-
tanün lauten kann. Eine solche Form hätte nur dann einen Sinn, wenn
das Präteritum im Dtn-Stamm "uptanarris (anstatt uptarris) und im Stn-
Stamm "uStanapris (anstatt uitapris) lauten würde.
13. Struktur der präteritalen Formen des vierradikali¬
gen Verbums
Die Formenbildung des vierradikaligen Verbs stellt nach Steiner
ein weiteres Argument gegen die Annahme von tan-Stämmen dar. Eine
tan-Stammbildung vicrradikaliger Verben soll danach nicht möglich
sein, weil dies eine nicht plausible Trennung der beiden Konstituenten
dieses Morphems voraussetzen würde. In der Tat ist eine Entwicklung
des Präteritums Ntn „aus der primären Form *intanb(a)lkat nher Httabl-
kat'"*° zu der realen Form ittabalakkat nicht sinnvollerweise anzuneh¬
men. Eine solche Ableitung kann nicht gelingen, solange man von
einem statischen Modell ausgeht, in dem die verschiedenen Verbalklas¬
sen als gleichgewichtige Teile des Gesamtsystems gelten. Man muß
vielmehr von einem dynamischen Modell ausgehen, das die Entfaltung
des Systems in Betracht zieht. Gerade bei den vierradikaligen Verben
ist es ja offensichtlich, daß deren Bildungsweise nicht gleichberechtigt
neben der der dreiradikaligen Verben steht, sondem irgendwie aus ihr
hervorgegangen ist (s. oben § 4). In unserem Falle wird deutlich, daß
sich das Präteritum des vierradikaligen Verbs, wie auch des schon
behandelten mediae infirmen Verbs, aus dem des starken dreiradikali¬
gen Verbs entwickelt hat, indem die Positionen der beiden Konstituen¬
ten des tan-Morphems einer Metanalyse unterzogen wurden. In der
Gtn-Form iptarras wurde die Gemination des auf das infigierte ta(n)-
Element folgenden Radikals als Gemination des vorletzten Radikals
interpretiert. Auf vierradikalige Verben angewandt, ergibt sich so die
Form itf%ala''kat fiir das Präteritum Ntn und uS'''bla''kit für das Präteri¬
tum Stn. Beide Formen weisen die Merkmale des Präteritums der tan-
Stämme auf, d. i. die Konstituente ta nach dem ersten konsonantischen
Element und die Gemination des vorletzten Radikals.
14. Präterita der tan-Stämme beim mediae infirmen,
starken dreiradikaligen und vierradikaligen Verb
Für die Bildung der tan-Stämme des mediae infirmen bzw. vierradika¬
ligen Verbums haben wir also eine Stmkturiemng nach dem Muster des
Steiner ebd. S. 14, vgl. GAG § lIOc.
Die tan-Stämme mid das System der Verbalformen im Akkadischen 261
starken dreiradikaligen Verbums feststellen können. Von besonderer
Bedeutung ist dies für das Präteritum, dessen auf die Assimilation des n
zurückgehende Gemination (des vorletzten Radikals starker dreiradi¬
kaliger Verben) sich beim mediae infirmen Verb am letzten und beim
vierradikaligen Verb am vorletzten Radikal realisiert:
3- rad. Gtn
Gtn (II V)
4- rad. Ntn
15. Reihenfolge der tempus- und stammbildenden
Morpheme
Ein weiteres Argument gegen die traditionelle Ansetzung von tan-
Stämmen sieht Steiner in der Reihenfolge der Morpheme im Perfekt,
das sich bekanntlich auch durch ein dentales Element auszeichnet.
Nach ihm steht ein „spezielleres Morphem hinter dem allgemeineren,
insbesondere ein 'tempusanzeigendes' Morphem hinter einem stamm-
bildenden""', wie im Kausativstamm {-S-ta-) und im Passivstamm (-Ti¬
ta-). „AufTällig" wäre demnach die Reihenfolge der beiden Morpheme in
den tan-Stämmen: -ta-tan-. Diese Argumentation vemachlässigt wie¬
der die inteme Entwicklung des Systems der Verbalformen, die zu einer
ganz regelmäßigen Bildungsweise des Perfekts geführt hat. Das Perfekt
zeichnet sich nämlich in ganz schematischer Weise durch ein Morphem
ta nach dem ersten konsonantischen Element aus, d. i. in den G- und D-
Stämmen der erste Radikal und in den §- und N-Stämmen das Verbal-
stammbildungselement.
Eine diachrone Interpretation dieser Regel bringt an den Tag, daß
zumindest die tan-Stämme ihr Perfekt später als die Basisstämmen
gebildet haben müssen — eine linguistische Schlußfolgerung, die schon
eine philologische Bestätigung gefunden hat. Nach Steiner sind die
Perfektformen von Iterativstämmen „erst sehr viel später (sicher im
Mittelbabylonischen") belegt''^ Von daher stellt die Position des tempo¬
ralen Elements -ta- vor dem stammbildenden Element -tan- kein Argu¬
ment gegen die traditionelle Ansetzung des letzteren dar.
Steiner ebd. S. 13.
Ebd. S. 16, Anm. (Dieser Sachverhalt ist dabei gerade nicht „unerheblich",
sondem von entscheidender Bedeutung.), 19.
ipsnis 'K
ip'" 'ras <- ip^^^ras
I \
*ik'' M ( iktun/iktunnü)
Hn'" bala ''kat ( ittabalakkat)
16. Steiners Gegenvorschlag
Trotz der Bemühungen von Steiner ist es also nach wie vor höchst
sinnvoll, das Iterativmorphem mit einem Nasal anzusetzen'". Dieser
Nasal wird in allen Formen außer dem Präsens assimiliert, wobei die
Längung des Konsonanten vor einem direkt folgenden Konsonanten
nicht zum Ausdruck kommt. Vor einem Vokal bleibt die Längung jedoch
erhalten und gibt Zeugnis von dem assimilierten Nasal ab. Will man
dies nicht anerkennen, muß die Gemination des vorletzten Radikals in
anderer Weise erklärt werden"". Steiner nimmt nun in all diesen Fäl¬
len VerdoppelungsStämme an. Statt Gtn schreibt er GDt, wobei er nicht
nur in Konflikt mit dem traditionellen Dt-Stamm kommt, sondem sich
auch der Möglichkeit beraubt, den traditionellen Dtn-Stamm in ein
System einzubeziehen (DDt ?). Wie man erkennen kann, entsteht ein
inadäquates Bezeichnungssystem. Die neuen Stammbezeichnungen
lassen sich nicht zu einem System zusammenschließen, das über eine
reine Klassifikation aufgmnd von relevanten Oberflächenmerkmalen
hinausginge. Wir wären also schlecht beraten, das traditionelle System
der Verbalstammableitungen aufzugeben, da sich nur in ihm, wie man
weiß, eine einfache und durchsichtige Stmkturiemng ergibt:
G/D/Ö/N X -/t/tn.
"' Ganz anders J. Renger (Bespr. des GAG in: JNES 31 [1972] 228-232) mit seiner Interpretation des Nasals als Gleitlaut zwischen zwei Vokalen. Das P*rä- sens Gtn iptanarras ginge so auf eine Form ip'''arras zurück, während im Präteri¬
tum Gtn der mediae infirmen Verben kein Gleitlaut in Erscheinung trete, son¬
dem der Vokal des <a-Morphems getilgt werde (ikf^'un ->■ iktün; naeh der 'Gleit¬
lauttheorie' wäre gerade "iktanün zu erwarten). Interessant ist die Konstmktion von E. Reiner: A linguistic analysis of Akkadian. Den Haag 1966, S. 95, die in dem Nasal das Ergebnis der Dissimilation zweier morphemischer Längeeinhei¬
ten sieht (etwa ip^r.-as ->■ ipta'r.as iptan''rras). Da wir in vorliegender Arbeit versucht haben, in der Rekonstmktion möglichst nahe an den belegten Formen zu bleiben und nur einfache Lautregeln zur Ableitung der belegten For¬
men anzunehmen, schien es nur sinnvoller, mit einem Nasal und dessen Assimi¬
lation zu arbeiten, als umgekehrt die Konsonantenlänge als ursprünghch anzu¬
sehen. Es ist allgemein zu beobachten, daß eher ein Nasal assimiliert wird, als daß einer durch Dissimilation entsteht.
''" Auch Renger (ebd.), der übrigens von Steiner nicht erwähnt wird, hält die Gemination fiir das relevante Merkmal der Iterativstämme; andererseits sol¬
len sich Gt und Gtn in der unterschiedlichen Perseveranz des vokalischen Teüs des ta-Morphems (also etwa t(a) : ta\) unterscheiden. Daß die Iterativität
ursprünglich nur durch die Gemination ausgedrückt wurde, meint auch J.
KuRYtowicz: Studies in Semitic grammar and metrics. London/Warschau 1973.
Das n des Präsens geht nach seiner emst zu nehmenden Theorie auf „a morpho-
Die tan-Stairrme und das System der Verbalformen im Akkadischen 263
17. Die drei §t{n)-Stämme
Die 'Oberflächlichkeit' der STEiNER'schen Verbalstammklassifizie-
ning zeigt sich in der Behandlung der t-haltigen Kausativstämme. Nach
dem Präsens werden drei verschiedene St(n)-Stämme unterschieden:
§t (mit Ablaut), d.i. der traditionelle Stpassj^-Stamm, dessen Präsens
durch Ablaut gebildet wird (uSapras), St (mit Gemination), d. i. der tra¬
ditionelle §t|ex -Stamm, dessen Präsens einen geminierten vorletzten
Radikal zeigt {uStaparras), und §t (mit Morphem n), d.i. der traditio¬
nelle Stn-Stamm, der im Präsens ein n zeigt (uStanapras). Die Eintei¬
lung dieser drei ansonsten gleichlautenden Stämme (z.B. Präteritum
uStapris) nach der Art der Präsensbildung ist nur in einem rein deskrip¬
tiven Sinne akzeptabel, zu einer aussagekräftigen Systematik der Ver¬
balstammableitungen taugt sie nicht. Sinnvoll ist allein die traditionelle
Einteilung in ta- und tan-Stämme, die bei den Kausativstämmen um
eine zusätzliche, bisher noch nicht behandelte Differenzierung erweitert
werden muß. Wir meinen die Unterscheidung zwischen den beiden St-
Stämmen, dem passivischen St,-Stamm und dem lexikalischen St2-
Stamm, die nach unserer Systematik erklärt (und nicht nur beschrie¬
ben) werden kann. Wie erinnerlich, beziehen wir das Präsens durch eine
synchrone Regel auf das Präteritum. Danach wird der vorletzte Radi¬
kal, wenn er nicht in einer Konsonantenverbindung steht, verdoppelt.
Die normale Präsensform zum Präteritiun St uStapris lautet also ulta-
pras, wodurch die Konjugation der passivischen t-Ableitung zum S-
Stamm bestimmt ist. Daneben gibt es den lexikalischen St-Stamm, der
nicht eine t-Ableitung zum Kausativstamm, wie es beim StpStamm der
Fall ist, sondem umgekehrt ein „Kausativ zum Gt-Stamm" darstellf'
und von daher nach dem Muster des vierradikaligen Verbs konjugiert
wird:
Präteritum lYäsens (Wurzel)
3- rad.: St2 uitapris uStaparras (als ob Hprs)
4- rad.: S ulbalkit <-> uSbalakkat (*blkt)
logieal interpretation of geminated consonants" (S. 63) präteritaler Formen zurück. So sei z. B. uptarris als aus *uptanris entstanden aufgefaßt worden, was
zur BUdung des Präsens uptanarras gefuhrt habe.
GAG § 94d. Nach dem von D. E. Edzard (Fs. Landsberger 119) gegebenen
Oppositionssystem der Verbalstämme lassen sich die beiden St-Stämme ein¬
drücklich nach ihrer Relation zu dem jeweUigen Ausgangsstamm darsteUen:
§t, s
Stj ^ Gt
18. Verba primae Aleph
Das STEiNEB'sche System scheitert also an der konsonantischen
Längung, die in dem traditionellen System durch die Assimilation eines
Nasals erklärt wird. Es geht nicht an, in ihr einfach das Merkmal des
Doppelungsstammes zu sehen, da diese Konzeption keine angemessene
Bestimmung aller verbalen Bildungen erlaubt. Besonders greifbar wird
dies an dem Beispiel, das Steiner als letzte der angeblichen „Regelwi¬
drigkeiten und Ausnahmen""* der „gängigen Theorie" präsentiert und
das deshalb auch zuletzt behandelt werden soll. Die Verben primae
Aleph zeigen nämlich in den §- und N-Stämmen bemerkenswerte
Besonderheiten. Im Unterschied zum starken Verb zeigen z. B. alle For¬
men dieser Verbalklasse im Stn-Stamm einen geminierten zweiten
Radikal. Es ist offensichtlich, daß der schwindende erste Radikal der
Wurzel dem Nasal des Iterativmorphems die Möglichkeit der Assimila¬
tion an den zweiten Radikal bot, die beim starken Verb nicht gegeben
ist:
Präteritum (I ') *uS"""kil (I K) uS'^yris
*uS""'kil uitapris
ultakkü
Bei den Verben primae Aleph sind also die St- und Stn-Stämme nicht
nur im Präsens, wie beim starken Verb, sondem in allen Formen unter¬
schieden, s. z.B.:
Stn (I ') St/Stn (I K)
ultakkil uitapris
Sutakkil iutapris
Sutakkuhf^ iutaprusu"'
Sutakkul Sutapms
Präteritum Imperativ Infinitiv Stativ
St (I ') uitäkil Sutäkil iutäkulu"' Sutäkul
Dieser zwingende Nachweis der nasalen Komponente des Iterativ¬
morphems auch außerhalb des Präsens wird nicht durch die Stei-
NER'sche ad hoc-Interpretation des Stn-Stammes als SDt-Stamm ent¬
wertet: Es ist kein Gmnd einzusehen, weshalb gerade nur die Verben
primae Aleph (bzw. primae infirmae) ausschließlich ihren Stn-Stamm
von einer SD-Basis bilden sollten. Ein Hinweis auf die „singuläre Inf.-
Form Sutraqqudum 'das immer wieder Tanzenlassen'"'", die zu einem
SDt- oder SDtn-Stamm gehört, wäre dabei auch dann nicht aussage¬
kräftig, werm es mehr Formen dieser Art gäbe.
"* Steinee ebd. S. 12.
" GAG § 95 c.
Die tan-Stämme und das System der Verbalformen im Akkadischen 265
Nach G. Steiner stellt das Präsens ursprünglich die einzige Form
der 'erweiterten' Iterativstämme dar, die sich die fehlenden Formen aus
dem Paradigma der einfachen t-Stämme geborgt hätten."* Warum sollte
nun das primae Aleph (bzw. primae infirme) Verb durch Rückgriff auf
eine marginale Stammbildung (§D) eine vollständige Differenzierung
der beiden sonst nur in einer einzigen Form unterschiedenen '§t'-Ver¬
balstammparadigmen entwickelt haben?
Diese Fälle zeigen unmißverständlich, daß die Ablehnung eines itera¬
tiven tan-Morphems zu Ungereimtheiten führt, die auch innerhalb der
neuen (STEiNER'schen) Theorie bestehen bleiben.
19. Schlußfolgerung
Die Theorie von Steiner muß also aus zwei Gründen auf Ablehnung
stoßen."' Zum einen vermag die traditionelle Theorie im Unterscheid zu
der neuen Theorie alle Formen nicht nur zu beschreiben, sondem auch
in einfacher Weise zu erklären. Die Hinweise auf angebliche „Regelwi¬
drigkeiten und Ausnahmen" werden, soweit sie nicht von Anfang an
verfehlt sind, durch unsere Neuformulierung der traditionellen Theorie
tmd ihre Einbindung in eine umfassendere Systematik gegenstandslos.
Zum anderen leistet die neue Theorie weit weniger als die traditionelle.
Zu ihrer Aufrechterhaltung müssen nämlich Annahmen gemacht wer¬
den, die die Formenbildung in unnötiger Weise verkomplizieren. Insbe¬
sondere das regelmäßige und einfache System der zwölf Verbalstamm¬
ableitungen (vier Basisstämme mit jeweils zwei möglichen Erweite¬
mngen) wird man nicht ohne zwingenden Gmnd zugunsten eines unre¬
gelmäßig und komplizierten Systems aufgeben wollen, nur um Erschei¬
nungen beschreiben zu können, die in dem traditionellen System ohne¬
hin besser erfaßt sind.'"
"' S. Steiner ebd. S. 25.
"' Damit ist freUich streng genommen die These, der Nasal des Iterativmor¬
phems ginge auf ein präsentisches n zurück, nicht widerlegt. Es hat sich nur gezeigt, daß eine solche Theorie weder von der FormenbUdung her gefordert ist,
noch zu deren interner Strukturierung etwas beitragen kann.
'" In den Fußnoten ist folgende Literatur zitiert: Edzard 14, Gelb 34, Gol¬
denbebg 24, Heidel 23, Kienast 1, 17, Kurylowicz 34, Lipin 34, Poebel
2, Steiner 4, Reiner 16, Renger 43, von Soden 3, Whiting 1.
By John Huehnergard, Cambridge, Mass.
The aim of the present note is to suggest that in the dialects of Old
Aramaic, the jussive of the third person feminine plural, written yqtln
(or Iqtln), reflects not *yvqtvlän, as might be expected from later Arama¬
ic dialects, but rather *yvqtvlnä, as in Arabic'
Third feminine plural forms ofthe prefix-conjugation occur in Old Ara¬
maic in the Sfire inscriptions, the Tell Fakhariyah inscription, and the
Samalian texts from Zincirli.^ Since our analysis of the feminine forms
involves comparison with their masculine counterparts, it is necessary
to list below the examples of both genders that are found in the texts
just mentioned. The examples are divided into indicative (i. e., non-jus¬
sive) and jussive usages, since that distinction will also be important in
the discussion that follows.
' The arguments put forth in this note would appfy equaffy to the second per¬
son feminine piuraf, no exampfes of which are attested as yet in Ofd Aramaic in¬
scriptions. Given that the endings on second mascuhne pturat forms ofthe pre¬
fix-conjugation (see below, notes 10, 14) exhibit the same distribution as the cor¬
responding third person forms, we may be confident in assuming that the second feminine plural would be written *tqtln, which in the jussive, if my hj^pothesis is valid, would reflect *tvqtvlna rather than Hvqtvlän. Note: In vocalizations of paradigmatic Aramaic verbs throughout the paper, I have represented both the prefix vowef and the thematic vowei of active G (pa'al) forms simpiy as v; the thematic vowel is, of course, lexical, while the date ofthe generalization of i as the prefix vowel in Aramaic (i.e., yi-, etc., from earlier *ya-/yi-) is unknown.
^ Except where noted otherwise, these texts are cited below according to the
following publications: KAI (= H. Donner and W. Röllig: Kanaanäische und
aramäische Inschriften^. Wiesbaden: Harrassowitz 1971) numbers 222-224 for
Sfire, numbers 214-215 for Zincirli; A. Abou-Assaf, P. Bordreuil, A. R. Mil¬
lard: La statue de Tell Fekherye et son inscription bilingue assyro-arameenne.
Paris: Ed. Recherche sur les civhisations — ADPF 1982. (fitudes Assjrriologi- ques. Cahier no. 7.), pp. 23-24 for Tell Fakhariyah.