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„Staub in den Mund".
Von W. Bacher.
Als beachtenswerthe Analogie zu der von Goldziher be¬
sprochenen arabischen Redensart (Z. d. D. M. G. XLII, 587) sei es
mir gestattet, die sowohl in ihrem Wortlaute, als in ihrer Anwendung entsprechende jüdisch-aramäische Redensart irimcb Nicy anzuführen.
Dieselbe wird von Räbä, dem bekannten babylonischen Amörä
des vierten Jahrhunderts, gebraucht, um Hiob ob seiner kühnen
und unschicklichen Aeusserungen gegen die Gottheit zu tadeln.
In Bezug auf Hiob 6, 2 sagt Räbä (Bäbä bathrä 16b): snsy
icbD Nm-ian m-iNT rr^^sisb, d. i. „Staub in Hiob's Mund!
Diese Vertraulichkeit (oder „Kameradschaft", wie Wünsche übersetzt)
dem Himmel gegenüber!" Und in Bezug auf Hiob 9, 33 (ib.): Nie?
■ian nN n^am© -lay w üiba avNn fr'msb, d. i. „Staub in Hiob's
Mund! Giebt es einen Knecht, der seinen Herrn zurechtweist?"
Nach einer unrichtigen, aber von Wünsche aufgenommenen Leseart
hätte R. dieselbe Redensart auch auf Hiob 31, 1 angewendet. Auf
diesen Vers passt jedoch die Redensart keineswegs, da nach der
Bemerkung des genannten Amora Hiob mit den Worten „Ich habe
einen Bund geschlossen u. s. w." nicht etwa Unschickliches sagt,
sondern sich einer Tugendhaftigkeit rühmt, in der ihn Abraham
weit übertroffen habe. Mit Unrecht hat Wünsche als Urheber der
zwei Aussprüche, in denen unsere Redensart vorkömmt, Rab ge¬
nannt, nach der Leseart der neueren Ausgaben ; denn die Münchener und ebenso die anderen Handschriften haben Na", die Ed. Venedig
'an, woraus einerseits mit Weglassxmg des Striches an wurde,
andrerseits mit falscher Auflösung der Abbreviatur das na- der
älteren Drucke (s. Rabbinowitz, Dikduke Sofrim XI, 75). Der
Amora Raba war es in der That, der in seiner Redeweise kräftige,
volksthümlicbe Ausdrücke anzuwenden liebte (s. meine Agada der
babylonischen Amoräer, S. 124), und als eine solche volksthümlicbe,
bei den Juden Babyloniens gebräuchliche Bedensart dürfen wir denn
auch den Ausruf trmcb Nncr anerkennen. Uebrigens lautet die¬
selbe ursprünglich wohl rr^mca Nnry, wie die Handschriften (bei
614 Bacher, Staub in den Mund.
Rabbinowitz a. a. 0) bezeugen. Auf keinen Fall darf übersetzt
werden ,auf den Mund", sondern „in den Mund". Der Mund, der
so Unziemliches gesprochen —■ besagt die Redensart — hätte eher
„mit einer Handvoll Erde" gestopft werden sollen. Ganz entspricht dieser richtigeren Leseart die von Goldziher (ib. S. 589) angeführte persische Redensart ^.S>Jcj ^«-S'Ls» „Staub in meinen Mund",
welche die Perser anwenden, um das Bedauern über etwas von
ihnen blasphemisch oder unehrerbietig Gesagtes auszudrücken. Also
dieselbe Anwendung in Bezug auf den Sprechenden selbst, wie bei
Räbä in Bezug auf Hiob. Ob nicht die persische Redensart in
altere Zeit zurückreicht und so der von Räbä, dem unter persischen
Einflüsse lebenden Amörä, gebrauchten Redensart näher gerückt er¬
scheint? Jedenfalls haben beide denselben Sinu. Es ist kein Zweifel,
dass unter dem „Staub" der Grabesstaub gemeint ist , wofür der
biblische Sprachgebrauch für "id? genügende Beispiele bietet, s. Ps.
22, 30; ib. 30, 10; Jes. 26, 19; ' Hiob 7, 21; ib. 20, 11; 21, 26;
vgl. Gen. 3, 19; Hiob 10, 9; Ps. 104, 29 (Klagel. 3, 29, welches
Goldziher anführt, gehört nicht hieher, da dort nicht vom Grabe,
sonderu von der demuthsvollen Selbsterniedrigung vor Gott die
Rede ist). Als interessantes Beispiel für diesen Gebrauch von nsy
aus der nachbiblischen Zeit sei noch die von Josua b. Chananja
(im 2. nachchristl. Jahrhunderte) zweimal gebrauchte Redensart
angeführt: iN3T ]3 pnT^ pn ■j"'2'y73 isv nbii ■^■jz„0, wer könnte
den Grabesstaub von deinen Augen heben, Jochanan b. Sakkai!"
(M. Sota 5, 2 und 5, vgl. weitere Beispiele in meiner Agada
der Tannaiten, I, 166, Anm. 2).
Als Seitenstück zu der Redensart „Staub in den Mund" sei
eine andere ebenfalls im babyl. Talmud vorkommende erwähnt, in
der auf paradoxe Weise Bewunderung und Verwünschung vereint
zum Ausdrucke gelangen. In Bezug auf die von König Nebukad¬
nezar angestimmte Hymne , Daniel 3, 33, sagt der bedeutende
Agadist R. Jizchak (ein Zeitgenosse des oben genanuten Räbä) :
nuDi ^Nb?: N3 NbiabiNTD yian imN bis vb "^inb nmn anT pani
a-^bn -lEoa nn njasuj mnacnm mniia ba m;ib lapia iib by.
„Siedendes Gold sei in den Mund jenes Frevlers gegossen! Wäre
nicht ein Engel gekommen, um ihn durch eineu Schlag auf den
Mund an der Fortsetzung seiner Hymne zu hindern, so hätte er
alle Lieder und Hymnen Davids in den Psalmen zu verdunkeln ge¬
trachtet" (Sanhedrin 92 b unten). Der Zusammenhang zwischen der
Redensart „Staub in den Mund" und der andern „Gold in den
Mund' ist nicht zu verkennen. Die letztere ist, wie das Raschi z. St.
in seiner prägnanten Weise ausdrückt , ein in schöne , rühmende
Worte gekleideter Fluch (nbbp Tuabi Nibrn Nlißib), in welchem
dem heidnischen Könige die Anerkennung ob seiner begonnenen
Hymne gezollt, zugleich aber eine ähnliche Verwünschung über ihn
ausgesprochen wird , wie oben mit der Redensart „Staub in den
Mund" über Hiob , natürlich weil eine solche mit den Psalmen
Bacher, Staub in den Mund. 615
Davids wetteifernde Lobpreisung Gottes in den Mund eines Böse¬
wichtes, wie es der babylonische König war, nicht gehört. „Staub"
und „Gold" bilden sprichwörtliche Gegensätze , wie aus der von
Levy, Neuhebr. Wörterbuch I, 513b citirten Aeusserung Ismael
b. Jose's (Ende des zweiten Jahrhunderts) ersichtlich ist: DiCD
bffl mnb T'a -p icrb an; pa-a. „Ein Unterschied,
wie zwischen Gold und Staub, besteht zwischen dem Zeitalter meines
Vaters und dem unsrigen!" (Jer. Talmud, Gittin 48b, Ende des
VI. Cap.). Das Gold in der Kedensart ist „siedend", weil es sonst
nicht geeignet ist, den Mund zu stopfen. — Ich bemerke noch,
dass in der Redensart vom „Gold in den Mund' die Münchener
Handschrift ves by liest statt ve "jinb , und eine andere ebenfalls
von Rabbinowitz zur Stelle verzeichnete Leseart lautet: i^JB by
(Dikd. Sofrim IX, 260). Die letztere würde der von Goldziher,
S. 588, erwähnten vollen Redensart „Staub in's Angesicht" ent¬
sprechen, welche auf unberufene Lobredner angewendet wird.
Budapest, im März 1889.
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j\ ui— 5-
Von Franz Praetorius.
Aus dem, was die arabischen Grammatiker über das ^lJu^I \^J>- sagen, und aus den Beispielen, die sie anführen, scheint Folgendes
als wesentlich hervorzugehn: Einzelne Wörter oder kleinere Wort¬
compiexe können auslautendes ä i ü in äh ih üh dehnen , einem
auslautenden Consonanten aber Ih anhängen, sobald sie, begrifflich
einen ganzen Satz vertretend rmd in Pausa stehend, als Frage mit
starkem, „missbilligendem' Erstaunen gesprochen werden. Wenn
beispielsweise jemand sagt ^^Ji\ ^ilii, so kann darauf entgegnet
O J
werden sj-i^'bSl wirklich der EmirV; oder wenn jemand sagt
Oo.. ojioOi-
üoj |.J0», so kann erwidert werden «wOlXj^I oder 4.^1 j^j^i wirk¬
lich derZaid?. Im letzteren Beispiel ist ein ^.^1 hinzugefügt, was
öfters in derartigen elliptischen Fragesätzen der Fall sein soll. Ob
o
dieses hier eigentlich negative , demonstrative oder noch andere
Bedeutung hat, dürfte für uns wenig in Betracht koramen.
Es ist klar, dass das h pausal ist, und dass auch den Deh¬
nungen zu ä 1 ü, sowie dem angebängten i nicht speciell fragende
Bedeutung innewohnt. Die fragende Bedeutung kommt vielmehr
erst durch den fragenden Ton und durch das, nach Angabe der
£■
Araber stets vorgesetzte, fragende \ . Die gleichen Dehnungen und
das gleiche angehängte i, sämmtlich aber ohne das pausale h, findeu
sich auch im Context, oder wenigstens im virtuellen Context der
Rede als ^ . Hier hat der deutliche Wunsch, die Rede
<i /, n *