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Diese Haltung der Besatzungsmächte wirkte auch in der Historiographie lange nach

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Bericht Gerd R. Ueberschär

Gegner des Nationalsozialismus 1933—1945

Volksopposition, individuelle Gewissensentscheidung und Rivalitätskampf konkurrie- render Führungseliten als Aspekte der Literatur über Emigration und Widerstand im Dritten Reich zwischen dem 35. und 40. Jahrestag des 20. Juli 1944

Die historische Forschung in den ehemaligen Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland hat sich nach Kriegsende erst allmählich in mehreren Entwicklungspha- sen und keineswegs geradlinig mit dem Widerstand gegen Hitler als einem bedeuten- den Phänomen der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 beschäftigt, da ins- besondere das Vorhandensein einer deutschen Opposition gegen den Nationalsozia- lismus von den Alliierten in den ersten Jahren nach 1945 tabuisiert worden war. Diese Haltung der Besatzungsmächte wirkte auch in der Historiographie lange nach. Die ersten deutschsprachigen Arbeiten zu diesem Thema mußten im Ausland veröffent- licht werden. Nachdem sich die Geschichtsschreibung dann zuerst um den faktischen Nachweis sowie die besondere Würdigung und Rehabilitierung des »Anderen Deutschlands« bemüht hatte, standen danach geschlossene Darstellungen und Deu- tungen des bürgerlich und militärisch-konservativ orientierten Widerstandes als Aus- druck der Gewissensentscheidung gegen das verbrecherische System der Nationalso- zialisten und die detaillierte Beschreibung der Aktion vom 20. Juli 1944 im Mittel- punkt der Untersuchungen. Der sichtbare Umsturzversuch vom 20. Juli erhielt sym- bolische Bedeutung für die Begriffsbestimmung von Opposition und Widerstand ge- gen Hitler. Über weite Strecken ist es dadurch zu einseitiger Hervorhebung der militärisch-konservativen Widerstandsleistung gekommen, die zugleich in Verbin- dung mit einer der aktuellen, politischen Situation im »Kalten Krieg« entsprechenden Sichtweise zum Verschweigen des Arbeiterwiderstandes führte so daß große Berei- che der Widerstandsbewegung in den Darstellungen unberücksichtigt blieben.

Nach dem Abklingen des innerstaatlichen Harmonisierungsbedürfnisses und des Ost- West-Gegensatzes während des Kalten Krieges kam es Mitte der sechziger Jahre so- wohl zur Verbreiterung des Widerstandsbegriffes unter stärkerer Berücksichtigung und Einbeziehung der lange Zeit als »landesverräterisch« abqualifizierten Wider- standsaktivitäten von nicht zur politischen Elite zählenden kommunistischen und so- zialistischen Arbeiterkreisen oder anderen Gruppen, die mit dem Ausland konspirier- ten, als auch zu ersten kritischen Analysen der politischen Zukunftsvorstellungen des Widerstandes. Seither besteht sowohl eine kritischere als auch differenziertere Be- trachtungsweise des Phänomens Widerstand, als sie den Studien der fünfziger Jahre zugrunde lag; sie führte zugleich zur Revision der bisher bestehenden Urteile über die Motive und Verfassungspläne des konservativen Widerstandes. Mit dieser Sichtweise korrespondierte die Bereitschaft der Geschichtsschreibung, sich verstärkt der Existenz der sozialdemokratischen, kommunistischen und gewerkschaftlichen Widerstandsfor- men zuzuwenden.

Forschung und Historiographie über die Opposition gegen Hitler und den National- sozialismus von 1933 bis 1945 haben schließlich durch die Einbeziehung der Wider- standsthematik in die 32. Versammlung deutscher Historiker im Oktober 19782 nicht unwesentliche Impulse erhalten. Kurz darauf kam es auch im Zusammenhang mit den zum 35. Jahrestag des 20. Juli erschienenen Veröffentlichungen ab 1979 zu mehreren Bilanzen, Überblicken und Einzeldarstellungen mit neuen Ansätzen sowie bewußten 141 M G M 1/84 Rückgriffen auf vertraute Darstellungsformen, wie dies mehrere Lebensbeschreibun-

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gen und Biographien einzelner Widerstandskämpfer erkennen lassen. Trotz dieser Fülle der seither erschienenen Publikationen, zu denen auch einige wenige neue Ar- beiten zum kirchlichen Widerstand zählen3, haben sich die Schwerpunkte seit dem 32. Historikertag kaum wesentlich verschoben. Die nachfolgende Würdigung, für die es nicht möglich war, sämtliche Titel der letzten Jahre lückenlos heranzuziehen, rich- tet sich nach dieser Akzentsetzung, um vielen Arbeiten vergleichend gerecht zu wer- den: Ausgehend von den gedruckt vorliegenden Beiträgen zur Diskussion auf dem Historikertag von 1978 (I) und den daraus resultierenden Forderungen der Fachdi- daktik (II), werden neue Überblicks- und Gesamtdarstellungen sowie Sammelbände zur Gesamtgeschichte des Widerstandes (III) vorgestellt. Die neueren Einzelstudien, biographischen Arbeiten, thematischen Aufsatzsammlungen und kleineren Beiträge werden entsprechend den beiden Schwerpunkten in zwei großen Gruppen — nach Emigration und Arbeiterwiderstand (IV) sowie nach bürgerlichem und militärisch- konservativem Widerstand (V) — mit einem abschließenden Resümee (VI) betrachtet.

I

Auf der sich mit dem »Widerstand gegen den Nationalsozialismus« beschäftigenden Sektion des 32. Historikertages standen Fragen der Terminologie und Didaktik sowie der historischen Einordnung und Beurteilung des Widerstandes aus Militärkreisen und aus der Arbeiterschaft gleichsam als aktuelle Bestandsaufnahme der Widerstands- forschung vor dem 35. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Mittelpunkt. Während die von Peter Hüttenberger in seinem Tagüngsbeitrag vorgenommene Auflösung des einheitli- chen Widerstandsbegriffs in eine Reihe von Einzelbegriffen einen Rückblick auf seine schon 1977 vorgelegten »Vorüberlegungen zum Widerstandsbegriff«4 darstellte, um damit die Inhalte einzelner Formen der »Widersetzlichkeiten« und der »Leistungsver- weigerungen« im Gegensatz zum eng begrenzten aktiven eigentlichen Widerstand als Aktion zum Sturz des NS-Regimes exakter erfassen zu können, wurde insbesondere die Forderung nach einer sachlichen Bewertung größerer Widerstandskreise und ihres eigentlichen Wollens Ausgangspunkt neuer, breiter angelegter Untersuchungen; Falk Wiesemann verdeutlichte diesen Ansatz im Zusammenhang mit dem aufgenommenen Forschungsprojekt über Widerstand und Verfolgung in Bayern während der NS- Zeit5.

Die erneute Uberprüfung der Bedeutung von Militär und Arbeiterschaft für die Wi- derstandsbewegung resultierte aus den überaus kritischen Arbeiten vorangegangener Jahre über die politischen Absichten und Konzeptionen einzelner Widerstandskreise6. Noch im Vorfeld des Historikertages hatte Klaus Hildebrand in einem um zeitgemäße Einordnung und gerechte Interpretation bemühten Beitrag über »Die ostpolitischen Vorstellungen im deutschen Widerstand« 7 vor deren, die historischen Rahmenbedin- gungen außer acht lassenden, eilfertigen Verurteilung gewarnt. Hildebrand spricht sich dafür aus, eine Interpretation dieser Vorstellungen nur im Rahmen der außenpo- litischen Ideen der Widerstandsgruppen insgesamt und unter Berücksichtigung der in dieser Zeit vorherrschenden und das politische Denken bestimmenden »traditionellen Wertvorstellungen« vorzunehmen, ohne in den Fehler zu verfallen, die politischen Zielvorstellungen »im Lichte der für die Nachkriegsverhältnisse in Ost und West ver- bindlichen Geschichtsbilder [zu] interpretieren« (S. 216). Er bestreitet nicht, daß tra- ditionelle Machtstaatsvorstellungen die Konzeptionen der Goerdeler-Beck-Hassell- Gruppe und auch zum Teil des Kreisauer Kreises bestimmten; dennoch bestanden aber nach seiner Ansicht »fundamentale« Unterschiede zu Hitlers programmatischen Vorstellungen und dessen Kriegs-, Besatzungs- und Rassenpolitik in Osteuropa. Die 142 Berücksichtigung dieses als bedeutungsvoll erkannten »Bruchs« und grundsätzlichen

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Unterschiedes zu Hitlers »Programm« bietet zweifellos eine geeignetere Ausgangspo- sition für die Bewertung als eine an den Beurteilungskategorien der Zeit vorbeige- hende Einordnung vor dem Hintergrund des »Kalten Krieges« oder vor dem Spiegel der parlamentarisch-demokratischen Staats- und Gesellschaftsform heutiger Zeit.

An Hildebrands Forderung nach Berücksichtigung zeitgemäßer Beurteilungskatego- rien anknüpfend, hat Erich Kosthorst in seinem inzwischen auch in einer Aufsatz- sammlung veröffentlichten Vortrag über »Didaktische Probleme der Widerstandsfor- schung«8 darauf hingewiesen, daß die Frage nach dem deutschen Widerstand trotz heftiger fachwissenschaftlicher Auseinandersetzungen in der Gesellschaft der Bundes- republik anfangs nur mäßiges Interesse gefunden hat. Dies mag damit zusammenhän- gen, daß die Aufnahmebereitschaft der historisch-politisch Interessierten mehrfach

»überfordert« war, als es darum ging, die anfangs im Vordergrund stehende Diskus- sion über »Verräter oder Patrioten?« oder die danach vorgenommene »Heroisierung und moralische Überhöhung des Widerstands« nachzuvollziehen und zu akzeptieren.

Demnach kommt den ersten kritischen Untersuchungen eine wichtige Funktion für die mittlerweile zu registrierende Breitenwirkung in der Öffentlichkeit zu. Kosthorst anerkennt diese Leistung kritischer Beiträge. Zugleich fordert er aber, »neben dem Negativen (zugleich mit ihm) auch das Positive wieder stärker herauszuheben, [um]

den geschichtlichen Boden zu sichern, auf dem wir stehen können« (S. 64). Es geht ihm nicht um ein »restauratives Plädoyer«, sondern um »die sorgfältige Differenzie- rung« (S. 64) — beispielsweise zwischen dem Großmachtdenken von General Beck als Repräsentanten des Widerstandes einerseits und der Wilhelminischen Großmachtpo- litik oder gar dem »Programm« Hitlers andererseits. Kosthorst plädiert wie Hilde- brand für eine zeitgerechte Bewertung der nationalen und machtpolitischen Denkwei- sen und Ziele des Widerstandes, die »mit den ihnen gemäßen und zu ihrer Zeit akzep- tierten Maßstäben« zu messen seien (S. 66). Grundsätzlich sollte man auch bei den in- nenpolitischen Zielvorstellungen »die politische Lern- und Wandlungsfähigkeit« der Hitler-Gegner nicht unterschätzen (S. 63). Die »tatsächlich vorhandene Bereitschaft zu politischem und sozialem Wandel« werde bislang zu gering bewertet (S. 67). Die neuesten Forschungsergebnisse über den deutschen Widerstand können nach Ansicht Kosthorsts letztlich nur dann einen wichtigen Platz für die Fachdidaktik bei deren Be- mühungen um Aufhellung der Vergangenheit erhalten, wenn »das Denken und Handeln des Widerstands unter dem Horizont seiner Zeit und der ihr zugehörigen Bedingungen und Möglichkeiten« erfaßt und beurteilt werden (S. 68).

Die sich bei der Erforschung des militärisch-konservativen Widerstandes ergebenden besonderen Schwierigkeiten in bezug auf die Beurteilung der politischen Vorstellun- gen werden in Klaus-Jürgen Müllers Ausführungen zum Verhältnis von Armee und NS-System deutlich, der schon mit seiner Arbeit über »Das Heer und Hitler« ein Standardwerk zu diesem Thema vorgelegt hat9. Sein Buch über »Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland 1933—1945«10 umfaßt außer dem auf dem Historikertag 1978 gehaltenen Vortrag zur »Interpretation und Analyse der deutschen Militäroppo- sition gegen Hitler« auch zwei Beiträge zum Verhältnis von Armee und Drittem Reich und über Generaloberst Beck. Der Autor stellt in allen drei Studien die Rolle der bewaffneten Macht im Dritten Reich und die Formen des späteren militärischen Widerstandes in einen übergreifenden historischen Zusammenhang. Überzeugend legt er dar, daß das Verhalten des Militärs als traditionelle Machtelite in der sich wandelnden politisch-sozialen Umwelt geprägt war durch die nach dem Ersten Welt- krieg entstandene doppelte existentielle Herausforderung. Tiefgreifende sozio-politi- sche Veränderungen der Umwelt einerseits und der spezielle Wandel des Krieges im Sinne einer Totalisierung und Technisierung andererseits führten zur Integrations- 143 Problematik und Identitätskrise des preußisch-deutschen Offizierkorps. Trotz der

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technologisch-industriellen Umwälzungen hielt die Militärelite jedoch an ihrem Dop- pelanspruch fest, »sowohl militärisch-professionelle als auch zugleich politisch-soziale Führungselite« zu sein (S. 22). Im Rahmen einer »Entente« mit der NS-Führung sah die Reichswehrführung die Chance, sich die erforderliche Massenbasis zuzuführen und damit ihre Schlüsselrolle im Staat zu behalten.

Uber dieses Grundmuster eines »Bündnisses«11 mit Hitler gab es in der militärischen Führungsschicht keine Meinungsverschiedenheiten. Erst Fragen nach der Taktik, Me- thode und konkreten Ausgestaltung dieser »Koalition« führten zu Differenzen inner- halb des militärischen Führungskaders. Als von der NS-Führung die bisherige Kon- zeption in Frage gestellt wurde, kam es zur oppositionellen Haltung, wobei die Offi- ziere nur allmählich erkannten, daß es Hitler war, der mit seinem »Programm« die Verwirklichung der von ihnen angestrebten Großmachtvorstellung im nationalstaatli- chen Rahmen gefährdete. Trotz übereinstimmender grundsätzlicher Kriegsbereit- schaft lehnte man Hitlers »Raumdenken« ab. Nach dem Rücktritt General Becks fun- gierte die Wehrmachtführung nur noch als funktionale Elite. Müller konstatiert, daß sie damit bereits den politischen Eliteanspruch aufgab und sich der politischen Mög- lichkeiten einer wirksamen Opposition begab. Die Blomberg- und Fritschkrise von 1938 bezeichnet er als Zäsur für die Ausbildung des späteren militärischen Widerstan- des. Dabei war jedoch weniger das »Unmoralische, ethisch Anstößige«, sondern viel- mehr »der machtpolitische Aspekt der jeweiligen Affäre« das bewegende Moment für eine Abwendung von Hitler (S. 114). Müllers beeindruckende Ergebnisse sind Zeug- nisse und Resultate einer differenzierten und unheroischen Betrachtungsweise des mi- litärischen Widerstandes; sie stellen Bewertung und Beurteilung des oppositionellen Wirkens der Militärs in den übergeordneten Rahmen der eigenen Machtvorstellungen dieser Elite und des individuellen Handelns in bestimmten im NS-Staat übernomme- nen Funktionen. Ohne diesen Ansatz wird man kaum zu konkreten Ergebnissen und Bewertungen kommen können.

II

Die von Kosthorst auf dem Historikertag betonten Schwierigkeiten, den Widerstand als Vermächtnis und Verpflichtung der deutschen Geschichte in den Unterricht und in die politische Bildung einzubringen, wenn in der Widerstandsforschung in erster Linie kritische Aspekte — wie ζ. B. die antiparlamentarischen oder konservativen Vor- stellungen der Frauen und Männer vom 20. Juli 1944 — behandelt werden, stehen in neueren Veröffentlichungen der Fachdidaktik nicht so sehr im Mittelpunkt der Un- tersuchungen wie eigentlich zu erwarten wäre. Statt dessen wird beispielsweise von Alfred Krink in seinem Resümee über »Nationalsozialismus und Widerstand als er- fahrbare Geschichte«12 der Vorwurf erhoben, die Geschichtsdidaktik habe Schule und politische Bildungsträger bei der Vermittlung des Widerstandes und bei der Ver- deutlichung der oppositionellen Verhaltensweisen im Dritten Reich erheblich im Stich gelassen, da insbesondere noch didaktisch gut aufbereitete Materialien und Darstel- lungen über nachempfindbare Alltagssituationen im NS-Staat fehlten.

Zwei Bestandsaufnahmen über die Berücksichtigung des deutschen Widerstandes in Schulbüchern und Lehrplänen der Bundesrepublik von Otto-Ernst Schüddekopf13 und Torsten-Dietrich Schramm14 haben aber nunmehr den Nachweis erbracht, daß nicht so sehr die Fachdidaktik als vielmehr die meisten geltenden Unterrichtsrichtlinien und Schulbücher für die knappe Behandlung des Widerstandes verantwortlich sind. Im Vorwort zur Untersuchung von Schüddekopf hat der frühere Bundespräsident Walter Scheel den Anspruch formuliert, der Widerstand gegen Hitler müsse »in unserem Ge- 144 schichtsbewußtsein den Platz [erhalten], der ihm nach seiner Bedeutung für die Ent-

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wicklung unseres Staates gebührt«. Schüddekopfs Studie zeigt anhand der 49 ausge- werteten Lehrbücher sowie 33 ministeriellen Richtlinien und Lehrplänen für Ge- schichte und Politik, daß diese Bedeutung darin nur schwerlich vermittelt wird, da wesentliche Bereiche des Widerstandes — wie der Widerstand aus Arbeiterkreisen — oft unzureichend oder gar nicht behandelt werden, vielmehr die Darstellung der mili- tärisch-konservativen und kirchlichen Widerstandsgruppen überwiegt. Die zum 20. Juli führende Form des zivilen und militärischen Widerstandes organisierter Grup- pen werde dabei zu sehr als »Befreiungstat gegen die NS-Willkürherrschaft« heraus- gestellt, so daß eine umfassende Behandlung des alltäglichen Widerstandes unter Ein- beziehung der »Roten Kapelle«, des Nationalkomitees »Freies Deutschland«, des Wirkens aus der Emigration und der Kommunisten sowie des Widerstandes aus Ge- werkschaftskreisen anhand der untersuchten Lehr- und Quellenbücher kaum möglich sei.

Der Aufforderung, eine schon lange fällige Korrektur und Ergänzung der Wider- standsdarstellung im Geschichtsunterricht vorzunehmen, wurde von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder 1978 nur zum Teil durch den Hinweis ent- sprochen, Widerstand und Nationalsozialismus im Unterricht künftig »mit besonde- rer Intensität« zu behandeln15. Erst mit den neuen Empfehlungen vom 4. Dezember

1980 »zur Behandlung des Widerstandes in der NS-Zeit«16 wurden von den Kultus- ministern auch Formen und Möglichkeiten eines »weit verbreiteten Widerstands im Volk, der sich in Formen der Nichtanpassung, der Verweigerung im Einzelfall, oft der passiven Resistenz geäußert hat«, als Ausdruck der vielfältigen, »nicht auf einen einzigen Nenner« zu bringenden Opposition gegen Hitler in die Handreichungen und Richtlinien aufgenommen. Es wurde betont, der Widerstand dürfe nicht nur »von einer einzigen Stelle betrachtet oder gar vereinnahmt werden«. Als pädagogisches Ziel einer derart breitgefächerten Darstellung des Widerstandes in Schule und politischer Bildung wird weniger die Bedeutung für die politische Entwicklung der Bundesrepu- blik als vielmehr die Vermittlung erinnerungswürdiger geschichtlicher Grundkennt- nisse und die Schärfung des politischen Urteils angesprochen, um dadurch demokrati- sche Werthaltungen und Verhaltensweisen zu entwickeln.

Im Gegensatz zur reinen Analyse der Schulbücher und Richtlinien bei Schüddekopf beschäftigt sich Torsten-Dietrich Schramm in seiner gelungenen Bestandsaufnahme auch mit der Frage nach der Rezeption des Widerstandes und dessen Bedeutung für die Bundesrepublik. Ausgehend von einem Überblick über die Leistung der politi- schen Bildungsarbeit in verschiedenen politisch-institutionellen Bereichen — wie ζ. B.

in Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und in der Bundeswehr17 —, beschreibt der Au- tor die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen infolge der gesellschaftspolitischen Veränderungen und im Zusammenhang mit den Akzentverschiebungen in der wissen- schaftlichen Forschung. Schramm stellt fest, daß es von Beginn der Bundesrepublik an nicht zu einer einheitlichen Identifikation mit dem Widerstand kam; statt dessen wur- den verschiedene Teilaspekte der Widerstandsproblematik von einzelnen politischen Institutionen und Gruppen in Anspruch genommen und in ihrer Bedeutung gegen- über anderen Widerstandsformen singulär herausgehoben, wie es mit dem 20. Juli 1944 jahrelang praktiziert wurde. Der Autor führt dann auch das bis Ende der sechzi- ger Jahre fehlende Interesse der Forschung und Fachdidaktik am Arbeiterwiderstand auf die Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West und die erst allmählich einset- zende Beschäftigung mit dieser Thematik auf die Entspannungspolitik zurück. Es sei symptomatisch und auffallend, daß in den Schulbüchern das Schwergewicht immer noch bei den Ereignissen vom 20. Juli, bei der militärischen Opposition und dem Goerdeler-Beck-Kreis liege. Der militärische Widerstand erhalte dadurch eine her- 145 ausragende, »zentrale Bedeutung« (S. 116). Nach dem Urteil S ehr amms werden nur

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selten führende Gewerkschafter und Sozialdemokraten im Kontext eines konsequen- ten Kampfes der gesamten Arbeiterbewegung einschließlich der Kommunisten gegen Hitler behandelt; die Aktivitäten aus der Emigration fehlten fast gänzlich. Dem- entsprechend erfahre man nur wenig über den Widerstand einzelner Menschen.

Die Fachdidaktik interessiert sich verständlicherweise für die Möglichkeit, den Wi- derstand gegen Hitler und das Attentat vom 20. Juli als historische Ereignisse für die bildungspolitische Aufgabe und die Fundierung zentraler historisch-politischer Werte heranzuziehen. Als Ergebnis seiner Schulbuchanalyse konstatiert Schramm jedoch eine Unsicherheit in der qualitativen Beurteilung des Widerstandes in den Schulbü- chern; sie korrespondiere mit andauernden Kontroversen in der Widerstandsfor- schung. Der Verfasser fordert dazu auf, nicht allein die Gegnerschaft zum National- sozialismus, sondern vielmehr den »Einsatz für die Freiheit« als Inhalt des Widerstan- des positiv zu werten. Mit Hilfe des Widerstandes könne positiv und beispielhaft die ethische und moralische Handlungsdimension in der Politik verdeutlicht werden.

Insofern erschweren kritische Reflexionen und Analysen in der neueren Widerstands- forschung zweifellos die Identifizierung mit dem politischen Verhalten der Hitlergeg- ner. Andererseits dokumentiert sich im Widerstand die individuelle Handlung für eine die Menschenwürde und das Recht respektierende Grundordnung1 8. Diese individu- elle Position kann sowohl durch neue biographische Skizzen als auch durch umfas- sender angelegte Untersuchungen über den alltäglichen Widerstand des einzelnen im NS-Staat verdeutlicht werden. Beide historiographischen Darstellungsformen sind in der neueren Literatur zum Widerstand verschiedener Bereiche denn auch überaus stark vertreten.

III

Der 35. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Jahre 1979 bot Gelegenheit, sowohl überarbei- tete als auch in Form von handlichen Taschenbüchern knapp zusammengefaßte Über- blicksdarstellungen zum Widerstand gegen Hitler herauszubringen. Für die Vorge- schichte des Staatsstreichplanes und den Verlauf des Attentats am 20. Juli 1944 bildet die sorgfältige Beschreibung der Ereignisse durch Peter Hoffmann in seinem nun in dritter Auflage erschienenen Werk über »Widerstand — Staatsstreich — Attentat«

nach wie vor die umfassendste Darstellung19. Die erweiterte Neuausgabe ist durch mehrere Anmerkungen und zusätzliche Erläuterungen zu den Vorgängen des Atten- tatsversuches vom 15. Juli 1944, als Graf Stauffenberg die Bombe bereits zum dritten Mal zu einer »Führerbesprechung« mitbrachte, und zu einzelnen Auslandskontakten der Verschwörer ergänzt. Neu behandelt werden die innenpolitischen Vorstellungen der »Sozialisten« für die Neuordnung nach Hitler sowie die Bemühungen von Hans B. Gisevius, der als Vizekonsul in Zürich 1943/44 Kontakt zu dem dortigen Residen- ten des amerikanischen Geheimdienstes, Allan W. Dulles, aufnahm, um eine feste Verbindung zu den Westalliierten herzustellen. Hoffmann setzt sich zudem mit Ir- vings Thesen zu Rommel auseinander. Im Gegensatz zu dem britischen Publizisten ist Hoffmann der Ansicht, daß die Beweise für die Zugehörigkeit und Beteiligung Rom- mels und General Speidels am Widerstand gerade durch die von Irving neu herange- brachten Quellen »viel zahlreicher, dichter und schlüssiger sind, als bisher bekannt war« (S. 785 mit Anm. 140).

Darüber hinaus hat Hoffmann einen schmalen Band über allgemeine Probleme des Umsturzes »aus der Perspektive eines fünfunddreißigjährigen Abstands« vorgelegt20. Das Taschenbuch ist die erweiterte Fassung eines 1978 an der Universität Mainz ge- haltenen Vortrags, der im Anhang durch den Abdruck eines Rundfunkmanuskripts 146 über den Ablauf des Attentats ergänzt wird. Dieser Beitrag ist bereits in ähnlicher

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Form in dem von H. J. Schultz herausgegebenen Sammelband »Der zwanzigste Juli — Alternative zu Hitler?« gedruckt worden21. In dem Attentatsexkurs beschäftigt sich der Autor mit der strittigen Frage, ob Graf Stauffenberg am 20. Juli 1944 im »Führer- hauptquartier« ein zweites Paket Sprengstoff mitverwenden wollte und dies nur un- terließ, weil er bei der Vorbereitung des Zündungsmechanismus gestört wurde, oder ob er dem Fehler unterlag anzunehmen, es genüge für die Explosion in der leichtge- bauten Besprechungsbaracke ein einziges Sprengstoffpaket, so daß Hitler gleichsam aufgrund dieser »technischen Fehlkalkulation« überlebte. Hoffmann betont: »Der Fehler war, daß er [Stauffenberg] nicht die ganze mitgebrachte Sprengstoffmenge mit in die Lagerbaracke brachte, nicht, daß er von der Örtlichkeit überrascht worden wäre, und auch nicht, daß er sich wegbegab« (S. 80).

Der Verfasser konstatiert in seinen Überlegungen zu »Kategorien und Definitionen des Widerstandes«, daß in letzter Zeit heftige Vorwürfe gegen die deutsche Wider- standsbewegung nicht nur aus der bekannten rechten Ecke und durch Veröffentli- chungen aus dem Lager ehemaliger Anhänger des Nationalsozialismus zu registrieren seien, sondern daß auch mehrere Biographien über Hauptakteure und Beteiligte des Widerstandes mit ihren kritischen Urteilen und Vorwürfen kein Verständnis für den ethischen Kern dieser Persönlichkeiten erkennen ließen. Angesichts einer »wachsen- den Zahl von Fehleinschätzungen« — so auch bei den Arbeiten über Beck, Rommel, Speidel, Canaris und Stauffenberg — sei eine neue »Besinnung auf den Kern und das Wesen der Widerstandsbewegung nötig« (S. 12). Dabei müsse stärker der Zusammen- hang nationalsozialistischer Handlungen und Verbrechen mit dem daraus resultieren- den »Antrieb der Opposition aus Gewissensgründen« in den Mittelpunkt der Darstel- lungen und Forschungen gerückt und als »Kern des ganzen Geschehens« begriffen werden (S. 18). Hoffmanns Ansatz fordert gleichsam eine Rückkehr zur früheren Darstellung des Widerstandes als »Aufstand des Gewissens«, die als Leitmotiv insbe- sondere mehrere ältere Sammelbände und so auch den nunmehr neu aufgelegten bio- graphischen Bildband von Annedore Leber bestimmt22.

Bei der Beschreibung der verschiedenen Formen des Widerstandes greift Hoffmann die bisherigen Forschungsergebnisse auf und spannt einen weiten Bogen: vom einfa- chen Verweigern des Hitler-Grußes bis zur Zusammenarbeit der Organisation »Rote Kapelle« mit dem sowjetischen Geheimdienst. Als gemeinsames, unmittelbares Ziel al- ler Formen wertet er den Sturz der nationalsozialistischen Diktatur Hitlers; für die

Zeit nach dem Umsturz sind dagegen unterschiedliche Zielvorstellungen zu erkennen.

Bei aller, teilweise berechtigten Kritik an der fehlenden »demokratischen Zuverläs- sigkeit der Kräfte des Widerstandes« gibt der Autor jedoch zu bedenken, daß es eine spekulative Frage sei, welche politischen Vorstellungen sich denn schließlich durchzu- setzen vermocht hätten. Man müsse sich ferner davor hüten, »in der Beurteilung von heutigen, vorherrschenden Vorstellungen oder gar von heutigem Wunschdenken aus- zugehen« (S. 29). Eine entscheidende Rolle für die Unwägbarkeit der zukünftigen politischen Programme des Widerstandes spielt für den Verfasser auch die Tatsache, daß die breite Unterstützung im Volk fehlte. Das Fehlen der »Massenbasis« mag auch damit zusammenhängen, daß Widerstandsarbeit und Untergrundkampf von Gewerk- schaften, Sozialdemokraten und Kommunisten nach 1933 durch die Zerschlagung ih- rer Organisationen erheblich erschwert waren und erst allmählich an Boden gewan- nen, weshalb Wehrmacht und Offizierkorps lange Zeit als das entscheidende und

»nötige Machtmittel zum Umsturz« angesehen wurden (S. 33). Hoffmann macht zu- gleich deutlich, daß die militärische Unterstützung für den Kampf gegen das NS-Re- gime nicht vor 1938 einsetzte und erst angesichts des von Hitler geplanten Krieges zu konkreten Umsturzplänen führte. Insgesamt verteidigt er vehement die Arbeit der 147 Verschwörer vom 20. Juli 1944. Stauffenbergs und Tresckows Umsturzplan, mit den

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»Walküre«-Befehlen des Ersatzheeres den Staatsstreich durchzuführen, sei »folge- richtig, ja genial zu nennen« (S. 46); etwas zu banal erscheint die Erklärung, die Ver- schwörer seien jedoch »keine Attentäter balkanischen oder amerikanischen Typs« ge- wesen (S. 45). Die Darstellung Hoffmanns kann mit ihrem straffen Uberblick zweifel- los nicht jeder Anforderung und Erwartung nach Auskunft zu Fragen, Motiven und Einordnungen aller Widerstandsgruppen entsprechen. Für einen größeren, allgemein historisch interessierten Leserkreis ist sie jedoch ein guter Aufriß.

Auch Ger van Roons Uberblicksdarstellung23 wendet sich an ein breiteres Publikum, um die inzwischen erheblich detaillierteren Erkenntnisse und Forschungsergebnisse über den Widerstand einem größeren Leserkreis publik zu machen. Der Darstellung liegt eine schon 1968 in den Niederlanden veröffentlichte und nunmehr überarbeitete und übersetzte Studie zugrunde24. Roon bietet unter Einbeziehung von regionalen und lokalen Untersuchungen sowie neuer Quellen eine Zusammenfassung dessen,

»was heute über den deutschen Widerstand im großen und ganzen bekannt ist« (S.

10). Im Vorwort weist der Verfasser darauf hin, daß sich die Literatur über den Wi- derstand neuerdings wieder über Gebühr mit »dem Vorwurf des Landesverrats oder umgekehrt dem Vorwurf der Inaktivität« beschäftigen müsse (S. 10). Der Autor be- handelt einzelne Erscheinungsformen, Methoden und Entwicklungen des passiven und aktiven Widerstandes. Die dabei getroffenen Klassifizierungen werden nicht im- mer zufriedenstellen. In abgeschlossenen Abschnitten beschreibt Roon einzelne Kreise und Bereiche der deutschen Widerstandsbewegung: Vom Jugend- über Arbei- ter- und Kirchenwiderstand bis zur Aktion des 20. Juli 1944.

Die Schwierigkeiten und Probleme, in den jeweiligen Bereichen zu unmittelbarer konkreter Widerstandsform zu finden, verdeutlicht er am Beispiel der Untergrundar- beit des Arbeiterwiderstandes, der immer wieder durch Eingriffe und Verhaftungen der Gestapo erschwert wurde. Die deshalb aus verschiedenen Widerstandskreisen auf die Armee gesetzten Hoffnungen konnten nach dem Urteil des Verfassers nur zum geringen Teil befriedigt werden, da das »Denkklima« vieler höherer militärischer Führer durch »Mangel an politischer Einsicht«, »Festhalten an veralteten Traditio- nen« sowie nationalistische und antidemokratische Tendenzen, Strömungen und Kräfte seit dem Kaiserreich geprägt war25. Erst ab 1942 gelangten jüngere Offiziere in den Vordergrund der militärischen Opposition, die kompromißlos einen Anschlag gegen Hitler forderten, nachdem sie seit 1941 an der Ostfront mit dessen verbrecheri- schen Anordnungen für die Besatzungspolitik und Kriegführung konfrontiert worden waren. Daß sich auch Graf Moltke letztlich doch zur »Pflicht« der Tötung Hitlers be- kannte, kann Roon nunmehr als Ergänzung seiner älteren Studie über den »Kreisauer Kreis«26 aufgrund neuer Quellen bestätigen.

Dem Autor ist es gelungen, die ganze Breite der Gegnerschaft zum nationalsozialisti- schen System in knapper und leicht lesbarer Form systematisch vorzustellen. Als Re- sümee läßt sich nach seinen Worten aufgrund der bisher vorliegenden Forschungser- gebnisse festhalten, »daß der Widerstand in seinem vollen Umfang vom nonkonformi- stischen Protest bis zum aktiven Widerstand doch in breitere Schichten reicht, als bis- her angenommen wurde« (S. 9); dabei muß man sich jedoch der Tatsache bewußt sein, daß »der« Widerstand keine in sich festgefügte und geschlossene Organisation war. Nachdrücklich wendet sich Roon auch gegen eine »Entmythologisierung«, die nur Kritik an restaurativen Elementen zum Ziele habe und dabei die historische Situa- tion der Zeit vor 1945 unberücksichtigt lasse. Zumindest dürfe man eine Wandlungs- fähigkeit und -bereitschaft trotz Festlegung der politischen Zielvorstellungen und Pläne für die Zeit nach dem gelungenen Staatsstreich gegen Hitler nicht von vornher- ein ausschließen.

148 Ein von Christoph Kleßmann und Falk Pingel herausgegebener Sammelband versucht,

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einen allgemeinen Widerstandsbegriff aufgrund der Gemeinsamkeit aller »Gegner des Nationalsozialismus«27 zu entwickeln, der außer dem durch einzelne Beiträge vorge- stellten Widerstand der Arbeiterbewegung, des Militärs und der Kirchen auch die im Buch nicht direkt dargestellten vielfältigen Widerstandshandlungen in verschiedenen regionalen Bereichen sowie sonstigen organisierten und unorganisierten Gruppen ein- schließt. Der Band enthält Referate und Diskussionsbeiträge einer an der Universität Bielefeld durchgeführten Tagung, bei der sowohl Wissenschaftler als auch ehemalige Widerstandskämpfer das breite Spektrum der Opposition gegen den NS-Staat »sicht- bar« machten. Der Bereich des militärischen Widerstandes wird in den Beiträgen kaum berührt, im Referat leider nur aus der Sicht der DDR-Historiographie von Kurt Finker behandelt. Die Veranstalter und Herausgeber des Buches stellen selbstkritisch fest, daß die hochgesteckte Zielsetzung allein mit den gebotenen Beiträgen zum kirchlichen Widerstand (von Günther van Norden und Ludwig Volk), zum militäri- schen (von Kurt Finker) und zum Arbeiterwiderstand (von Hans-Josef Steinberg und Detlev Peukert), die zwar für sich betrachtet jeweils einen gelungenen Einstieg in neue Perspektiven bieten, nicht erreicht werden konnte. Einige Diskussionsbeiträge vermitteln den Eindruck, als seien die Widerstandskämpfer Zeugen einer umfassen- den »Volksopposition« gegen den Nationalsozialismus. Einzelne Bekenntnisse und Zeugnisse individuellen Resistenzverhaltens können jedoch nicht als Beweis eines im Gegensatz zur »Volksgemeinschaft« stehenden »Volkswiderstandes« gelten. Gleich- wohl macht der Sammelband deutlich, daß die Geschichte des alltäglichen Widerstan- des gegen das NS-Regime größere Aufmerksamkeit verdient. Gerade für diese »Op- positionshaltung von unten« und für die Erfassung der Schwierigkeiten bei ihrer Um- setzung in Widerstandsaktionen bietet der Tagungsband durch den Abdruck der zahlreichen aus unterschiedlichen Lebensbereichen stammenden Erfahrungs- und Er- lebnisberichte neue Perspektiven und Zugangsmöglichkeiten.

Als Überblicksdarstellung ist auch die von Kurt Zentner in einer Sonderausgabe neu vorgelegte »Illustrierte Geschichte des Widerstandes in Deutschland und Europa

1933—1945« anzusehen28. Einerseits bietet sie eine beeindruckende Fülle an Karten, Dokumenten und Skizzen sowie Bild- und sonstigem Quellenmaterial, andererseits verwirrt die undifferenzierte Beschreibung des Widerstandes als Kampf Europas ge- gen das gemeinsam erfahrene Leid unter der nationalsozialistischen Zwangs- und Fremdherrschaft. Text und Bilder sind vor allem dem Widerstand gewidmet, der sich in den vom Dritten Reich besetzten Gebieten entwickelte; er wird folglich in erster Li- nie als »patriotischer Kampf für die Befreiung des Vaterlandes und die Bewahrung der nationalen Eigenständigkeit« verstanden. Einprägsam sind die Materialien für den von Widerstandskreisen bekämpften Terror- und Herrschaftsapparat des nationalso- zialistischen Staates zusammengestellt, wie sie in den Abschnitten zum deutschen Wi- derstand vor und während des Krieges dargeboten werden. Die nunmehr vorliegende durchgesehene zweite Auflage berücksichtigt weder neue Literatur noch neuere For- schungsergebnisse, die seit Erscheinen der ersten Auflage 1966 veröffentlicht wurden.

Schon das Fehlen des Standardwerkes von Peter Hoffmann in der ausgewählten Bi- bliographie läßt beispielhaft den überholten Stand der für das Buch herangezogenen Literatur erkennen; insofern kann der Band keine neuen Ansätze für Verständnis und Interpretation insbesondere des deutschen Widerstandes vermitteln.

Die Schwierigkeit, einerseits durch zahlreiche Bilder, Dokumente und sonstige abge- druckte Quellen die Vielfalt der oppositionellen Handlungen breiter Bevölkerungs- kreise zu dokumentieren und andererseits bewußt zu machen, daß der größte Teil des deutschen Volkes bis Kriegsende auf der Seite der Regierung Hitlers stand, wird auch von Karl O. v. Aretin in seinem einleitenden Essay zu dem von Ulrich Cartarius neu 149 herausgegebenen »erzählenden Bildband über die Opposition gegen Hitler«28* deut-

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lieh hervorgehoben. Gleichwohl beeindruckt dieser in Verbindung mit der Auslands- ausstellung des Auswärtigen Amtes »Deutscher Widerstand 1933—1945« neu zusam- mengestellte, chronologisch aufgebaute Bild- und Dokumentenband durch seine ge- lungene Zusammenstellung und Aufmachung; einige Sachfehler sowohl in der Einlei- tung Aretins (z.B. S. 15 f., 18) als auch in den Begleittexten des Autors (S. 188) sollten jedoch verbessert werden, um den zu wünschenden Einsatz im Bereich der politischen Bildung nicht zu beeinträchtigen. Es fehlt in der Dokumentation eine das Bildmaterial ergänzende Darstellung zur Entwicklung der Betrachtungsweise in Öf- fentlichkeit und Geschichtswissenschaft über die Widerstandsaktionen seit dem Kriegsende bis in die heutige Zeit.

Dagegen verwirklicht der von der Friedrich-Ebert-Stiftung initiierte Sammelband über »Widerstand und Verweigerung in Deutschland von 1933 bis 1945«29 das ange- strebte Ziel, »dem nicht spezialisierten Leser einen Überblick über die Vielfalt der po- litischen Strömungen und praktischen Formen des Widerstandes« auf der Grundlage der bisher gewonnenen Forschungsergebnisse zu präsentieren. Den beiden Herausge- bern, Richard Löwenthal und Patrik von zur Mühlen, gelang es, durch 19 Einzelbei- träge die ganze Breite der Widerstandsgruppen und -formen abzudecken. Ein eigenes Kapitel ist zudem dem Wirken deutscher NS-Gegner in den Reihen der Widerstands- bewegungen besetzter Länder Europas gewidmet. Die einzelnen Beiträge sind gleich- sam die Belege für die Erweiterung und Ablösung des einheitlichen Widerstandsbe- griffes durch verschiedene Begriffe wie Nonkonformität, Resistenz, Verweigerung und Selbstbehauptung. Die Richtigkeit dieser Differenzierung dürfte aufgrund der immer detaillierter angesetzten und verfeinerten Untersuchungen unbestritten sein;

dennoch ist zu berücksichtigen, daß viele resistente Verhaltensformen aus dem Selbst- behauptungswillen der zuvor organisierten Arbeiterbewegung resultierten und inso- fern nicht in erster Linie dem nationalsozialistischen System durch gezielte Gegenak- tionen in den Arm fallen wollten. Im Gegensatz zu anderen Einordnungen30 lassen die Herausgeber die Tätigkeit und das Wirken der deutschen politischen Emigration bei der dem Band zugrunde gelegten Systematisierung unberücksichtigt, da sie deren Möglichkeiten und Handlungen nicht als Widerstand unter unmittelbarer Gefahr werten. Möglicherweise ergeben sich jedoch in Einzelfällen Berührungen mit den von Richard Löwenthal im einleitenden Beitrag überzeugend entwickelten drei Grundfor- men des antitotalitären Widerstandes, den er unterteilt nach politischer Opposition, gesellschaftlicher Verweigerung institutioneller und individueller Art sowie weltan- schaulicher Dissidenz der kulturell Schaffenden. Anschaulich werden in dem Sammel- band durch die Gegenüberstellung der wissenschaftlichen Beiträge mit Berichten von Akteuren und Augenzeugen vor allem Atmosphäre und persönliche Schwierigkeiten des »erlebten Widerstandes« dokumentiert. Es ist das Grundanliegen des Sammelban- des, jenen demokratischen Konsens, »der zur Grundlage der Schaffung der Bundesre- publik Deutschland wurde und ihre Entwicklung durch viele Jahre begleitet hat«, als

»die nachhaltigste und wertvollste Wirkung des deutschen Widerstandes« sowie als Vermächtnis und Mahnung den heutigen Lesern vorzustellen.

IV

Die in den Überblicksdarstellungen und Sammelbänden summarisch erwähnten Pro- bleme und Schwierigkeiten des Widerstandes aus Arbeiterkreisen gegen Hitler wer- den exemplarisch vorgeführt im ersten Band von Heinz Kuhns Erinnerungen für die Jahre 1928 bis 194531. Dieser Lebensbericht macht besonders deutlich, daß in vielen historischen Darstellungen Kirchenführer und hohe Offiziere allzusehr »als die Sym- 150 bole des Widerstandes« herausgehoben wurden, daß die Träger des Kampfes gegen

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Hitler jedoch »aus allen Schichten unseres Volkes« hervorgingen und »häufig sehr viel früher« auftraten als bisher angenommen wurde (S. III). Auf den größeren Um- fang und das beträchtliche Ausmaß des innerdeutschen Widerstandes gegen den Na- tionalsozialismus als einer »Opposition der Namenlosen«, als »Widerstand der Klei- nen«, hat Kühn im übrigen auch in der Begleitbroschüre der Fernsehserie »Es gab nicht nur den 20. Juli« besonders hingewiesen32.

Beeindruckend ist die Schilderung des früheren Vorsitzenden des »Sozialistischen Studentenbundes« an der Kölner Universität und späteren Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen über den vergeblichen Kampf von SPD und KPD gegen den Aufstieg Hitlers und der örtlichen NSDAP. Den Autor bewegt das Problem der Im- mobilität von SPD, KPD und Gewerkschaften. Wiederholt kommt er auf die Frage zurück, ob die SPD-Führung damals zum offenen Kampf gegen Hitlers Machtergrei- fung hätte aufrufen sollen und ob sie in diesem Falle einer mächtigen Gefolgschaft in dem zu erwartenden Bürgerkrieg hätte sicher sein können. Kühns resignierende Ant- wort auf diese Frage wird bereits in den Kapitelüberschriften »Weimar: unfähig zum Widerstand«, »Eine Republik ohne Republikaner stirbt« und »Die Wurzeln des Di- lemmas« erkennbar. Er selbst gab jedoch nicht auf. Nach dem Verbot der SPD am 22.

Juni 1933 beteiligte er sich am Aufbau illegaler Parteigruppen und ging nach vorüber- gehender Verhaftung in das Saargebiet, das damals noch unter Völkerbundsverwal- tung stand, in sein erstes Exil. Eingehend schildert Kühn die Praktiken des illegalen Zeitschriften-, Flugschriften- und Material-Schmuggels nach Deutschland aus den Grenzgebieten der Tschechoslowakei und aus Prag, wo der Autor nach seiner Aus- bürgerung unterkam und die Solidarität der sudetendeutschen Sozialdemokraten und Gewerkschafter erfuhr, bevor er ab Juni 1936 in Brüssel lebte.

Durch alle Stationen des Exils sind die Ideen, Hoffnungen und Ziele, aber auch Ir- rungen und Fehlschläge einer trotz vieler Schwierigkeiten im jeweiligen Gastland po- litisch aktiven sozialdemokratischen Exilbewegung zu verfolgen. Hart beurteilt Kühn die Hilfe der Gastländer: »Nie in der Geschichte ist eine politische Widerstandsbewe- gung im Ausland so sehr im Stich gelassen worden wie die deutsche Exilbewegung.«

(S. 173) Im Rückblick kommt er folglich zu dem Ergebnis: Hätten die demokrati- schen Verantwortlichen Europas den aus Deutschland kommenden Illegalen und Emigrierten seit 1933 alle diejenigen moralischen, finanziellen und technischen Mittel zur Verfügung gestellt, die sie Jahre später den Widerstandskämpfern der verbünde- ten Länder bereitgestellt haben, dann hätte die deutsche Emigration erheblich mehr leisten können, und vielleicht wäre der Krieg erspart geblieben (S. 319 f.). Dieses Fa- zit ist sehr gewagt, wenn man berücksichtigt, wie gut und technisch perfekt es das NS-Regime verstand, die totale politische Durchdringung der Gesellschaft zu errei- chen und die Bevölkerung durch Terror und andere Zwangsmaßnahmen auf seiner Linie zu halten. Insgesamt wird ein solches Ergebnis der Beeinflussungsmöglichkeiten und Erfolgschancen durch Widerstand aus dem Exil wohl kritischer zu beurteilen sein, als es Kühn skizziert.

Diese skeptischere Bewertung der Wirkungsmöglichkeiten des antifaschistischen Kampfes aus Exil und Emigration ergibt sich auch aufgrund der Resultate der Unter- suchung von Werner Röder über die Geschichte des politischen Exils von 1933 bis 194533 sowie anhand der Einzelbeiträge von Susanne Miller, Detlev Peukert und Man- fred Geis über Formen, Wirkungsmöglichkeiten und Rahmenbedingungen des politi- schen Wirkens aus dem Exil in dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausge- gebenen Sammelband »Widerstand und Exil der deutschen Arbeiterbewegung 1933—1945«34. Die sich ferner aus den neueren Untersuchungen über Probleme der Integration und des Kampfes gegen den Nationalsozialismus in einzelnen Exillän- dern35 sowie aus neu vorgelegten Erinnerungsschriften ehemaliger Emigranten — so

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ζ. Β. von Willy Brandt und Herbert Wehner36 — ergebende stärkere Differenzierung in der Darstellung und Bewertung der Wirkungsmöglichkeiten sollte jedoch nicht dazu verleiten, den Kampf gegen Hitler aus Exil und Emigration heraus aufgrund dieser Schwierigkeiten von vornherein als chancenlos abzutun. Selbst wenn man die Uneinheitlichkeit und Zerstrittenheit unter den Emigranten für das Nichtzustande- kommen einer deutschen Exilregierung verantwortlich macht, wie es Joachim Radkau betont37, und dabei von einer »exilpolitischen Abstinenz« spricht, läßt sich die Er- kenntnis nicht umgehen, daß die politischen Handlungsmöglichkeiten und Chancen der Exulanten und Emigranten in erster Linie von den Möglichkeiten des Widerstan- des im Reichsgebiet abhängig waren. Insofern waren Emigration und Exil dann auch in bezug auf die negativen Erfahrungen Teil des »Anderen Deutschland« — ζ. B. ent- zogen sich wie im Innern des Dritten Reiches bedeutende politische und kulturelle Persönlichkeiten der Aufgabe, die deutsche Emigration bzw. Opposition gegen Hitler als Repräsentanten anzuführen. Weder gelang es den Emigranten, maßgeblichen Ein- fluß auf die deutschlandpolitischen Entscheidungen der Gastregierungen auszuüben

— wie die von Alfons Söllner zusammengestellte Dokumentation zur politischen Ar- beit der deutschen Emigration für den Geheimdienst der USA von 1943 bis 1945 ein- drucksvoll zeigt38 —, noch kam es zu einem dauerhaften Kontakt oder intensiven Austausch mit innerdeutschen Widerstandsgruppen. In nicht unerheblichem Maße re- sultierte dieses politische Defizit aus der mangelnden Konsensfähigkeit der Emigran- ten, deren gemeinsame Gegnerschaft zu Hitler nicht zwingend zur Schaffung einer geschlossenen Exilfront führte. Statt dessen kam es auch bei Emigrantengruppen aus der Arbeiterbewegung zur Ausbildung zahlreicher kleinerer Organisationen, die kaum auf Gehör hoffen konnten. Viele Emigranten scheuten ganz offen die Zusam- menarbeit mit tatkräftigen kommunistischen Gruppen. Einen Versuch, die Uneinig- keit der vielen Gruppen zu überwinden, bildete dann die im Jahre 1941 in Großbri- tannien gegründete »Union deutscher sozialistischer Organisationen«, über die auch die beiden neuen Publikationen zum »Exil in Großbritannien« von Anthony Glees und Gerhard Hirschfeld im größeren Rahmen informieren39.

Vor dem Hintergrund dieses »Defizites der politischen Kultur« im Exil — wie es Rad- kau bezeichnete — sind deshalb auch nochmals Kühns Erfahrungen von besonderem Interesse, die aus dem Fortgang seines Kampfes gegen den Nationalsozialismus aus dem Exilland Belgien resultieren, wo er als Journalist bei der sozialdemokratischen Zeitung »Freies Deutschland« mitarbeitete, die als »antifaschistisches Kampforgan«

unerbittliche Gegnerin Hitlers war und als »Plattform für einen breiten republikani- schen Widerstand« diente (S. 204). Nach dem deutschen Einmarsch in das neutrale Belgien im Mai 1940 wirkte Kühn aus dem Untergrund gegen den Nationalsozialis- mus weiter. Neue belebende Kraft erhielt die Widerstandstätigkeit jedoch erst wieder nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941. Die deutsche Niederlage bei Stalingrad brachte schließlich als Symbol für die »Gewißheit der Niederlage Hitlers«

die »Wende des Bewußtseins« (S. 259); sie hat dem antifaschistischen Kampf ent- scheidende Impulse gegeben. Hunderte von »Freiheitsbriefe[n] an die deutsche Wehr- macht« wurden in den Monaten danach überwiegend an jüngere Offiziere der Be- satzungstruppen verteilt. Sie riefen dazu auf, Hitler zu stürzen und damit Deutsch- land zu retten. Kühn kommt jedoch zu dem Ergebnis, daß sich die Mehrheit der Offi- ziere auch nach Stalingrad und trotz Kenntnis der in den Freiheitsbriefen angepran- gerten Judenvernichtungsaktionen nicht aus ihrer »freigewählten Gefangenschaft lö- sen« konnte, mithin das Echo der Beeinflussungsversuche gering blieb (S. 280).

In abschließenden »Gedanken über den Sinn der Emigration« wertet Kühn das Exil nicht als auswärtigen Stützpunkt des inneren Widerstandes, sondern als »das auslän- 152 dische Refugium früherer Generalstäbe nun zerschlagener und verschwundener in-

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nerdeutscher Armeen« (S. 328 f.). Der Autor kehrt im Ansatz zur »Gewissensmotiva- tion« zurück; er beschreibt die Arbeit in Exil und Emigration als »die wiedererste- hende Stimme des ohnmächtigen Deutschlands«, als »die Stimme des Gewissens«, die gleichsam Ausdruck des »Anderen Deutschlands« war.

Schon in einem älteren Beitrag über »Sinn und Wirken der deutschen politischen Emigration« hat Kühn an der erst in der zweiten Kriegshälfte »langsam wachwerden- den Widerstands-Bereitschaft« Kritik geübt, da sie »meist nur eine Zusammenbruch- Erkenntnis war«40. Als später aktiv tätiger, gleichsam zur Aktion drängender Politiker kritisiert Kühn sehr heftig das Faktum, daß es politische Emigration und innerer Wi- derstand nicht zustande brachten, den Sturz des Diktators als »selbstbefreiende sou- veräne Entscheidung des deutschen Volkes« herbeizuführen.

Die von Kühn angesprochene Trennung des politischen Exils einerseits als Flucht vor Hitler und andererseits als Teil des antifaschistischen Kampfes gegen Hitler wird auch in der Erinnerungsschrift von Elsbeth Weichmann, der Frau des früheren Hamburger Bürgermeisters, über die Jahre ihres Exils in der Tschechoslowakei, in Frankreich und in den USA deutlich41. Nach ihrem Zeugnis waren es nicht nur die Zweifel — nach- dem man die »braven und linkischen Versuche der deutschen Demokraten, Wider- stand zu leisten, erlebt« hatte —, sondern auch die Anforderungen beim Aufbau einer neuen Existenz in unbekannter Umgebung, welche die Kräfte der politischen Flücht- linge absorbierten, die dann nur noch selten für Widerstandskontakte zur Verfügung standen.

Kühns Hinweise auf die Widerstandsaktionen aus seiner Exilstation im Saargebiet nach 1933 lassen sich durch die kurz zuvor erschienene Untersuchung von Patrik von zur Mühlen über Emigrations- und Widerstandstätigkeit im Saarland von 1933 bis 1945 42 in den größeren Rahmen der politischen Entwicklung des nach dem Versailler Vertrag abgetrennten deutschen Staatsgebietes einordnen. Von zur Mühlen be- schreibt nicht nur die innerpolitische Entwicklung des Landes bis zur Abstimmung im Januar 1935, sondern auch die Formierung der Emigrationsgruppen von SPD und K P D sowie deren politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus unter Ein- beziehung der christlichen Gruppierungen. Die dabei vom Sommer 1934 bis Januar

1935 zustande gebrachte Einheitsfront der Sozialdemokraten und Kommunisten ge- gen die Nationalsozialisten hatte besondere Bedeutung, da sie im Reich nie zustande gekommen war und in späteren Volksfrontdiskussionen der Emigranten immer wie- der als Beispiel eine Rolle spielte. Gleichwohl war sie nur eine »lose Parteienkoalition, keine feste Organisation« (S. 203). Zurückhaltend wertet von zur Mühlen das Ergeb- nis dieser demokratisch-antifaschistischen Einheitsfront gegen die Nazis, der es ange- sichts des überwältigenden Ergebnisses bei der Saarabstimmung am 13. Januar 1935 43

nicht gelungen war, die organisierten Arbeiter in eine Frontstellung gegen das natio- nalsozialistische Deutschland zu bringen, obwohl die Parteien im Saargebiet legal weiterarbeiten und sogar ihre Anhänger mit inzwischen im Reich verbotenen Schrif- ten versorgen konnten. Immerhin hat diese Legalität es den deutschen Emigranten er- möglicht, das Saargebiet als Ausgangspunkt von Widerstandsaktionen und als Basis einer ersten überparteilichen Front gegen Hitler zu nutzen. Leider spricht von zur Mühlen erst in seinem Epilog die grundsätzliche Frage an, wieso der Kampf gegen Hitler so erfolglos blieb. Terroraktionen der Nazis können die Arbeiter an der Saar noch nicht so bedrängt haben wie im Reich, daß deshalb der Widerstand dort nicht zur breiten Volksbewegung wurde. Letztlich erlebten die Emigranten beim Abstim- mungsergebnis, wonach sich über 90% für eine Vereinigung mit dem Dritten Reich aussprachen, gleichsam ihre zweite Niederlage.

Entsprechend entfaltete sich deshalb das Wirken der zumeist linksorientierten Emi- 153 granten größtenteils in ihrem politischen Engagement als Mitarbeiter von antifaschi-

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stischen Emigrationszeitungen des Saargebietes als letzter »freier deutscher Insel«

und weniger in unmittelbaren Gewalt- und Umsturzhandlungen gegen die NS- Machthaber im Reich, wie Albert H. V. Kraus in einem zusammenfassenden Beitrag44

aufgrund einer Dokumentation des Saarländischen Rundfunks hervorgehoben hat.

Die bei von zur Mühlen geschilderte stark eingeschränkte Widerstandstätigkeit nach der Angliederung an das Reich läßt sich wohl weniger auf die Repressionsmaßnah- men des NS-Regimes als auf den relativen Ausbau der materiellen Sicherheit und Versorgung der deutschen Arbeiterschaft zurückführen, mehr noch auf den von Diet- mar Petzina in einer neueren Analyse der sozialen Lage der deutschen Arbeiter beton- ten Abbau des Protest- und Widerstandspotentials45 durch Abdrängung in die Emi- gration, der im Innern Deutschlands »ein hohes Maß von Loyalität gegenüber dem Regime auch innerhalb der Arbeiterschaft« gewährleistete, was als zwangsläufige Folge des Exodus angesehen werden muß. Zu dieser Abwanderungsbewegung aus dem Saargebiet nach 1935 zählt auch der von Hans-Walter Herrmann beschriebene Auszug von 6- bis 7000 sozialdemokratischen, kommunistischen und jüdischen Emi- granten, die dem nach der Abstimmung und Eingliederung gültigen Minderheiten- schutz durch die Nazis nicht trauten und mit Unterstützung des Flüchtlingskommis- sars des Völkerbundes hauptsächlich nach Frankreich gingen46. Weitere Forschungen über den Widerstand der deutschen Arbeiterschaft könnten wohl noch Differenzie- rungen und Ergänzungen einer zu sehr an Terror- und Repressionsmaßnahmen ori- entierten Argumentation leisten.

Die wiederholt skizzierten Schwierigkeiten und ungünstigen Bedingungen des Wider- standskampfes von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Kommunisten in der Il- legalität werden auch in mehreren Katalogen und Begleitbroschüren einzelner Ausstel- lungen in verschiedenen Städten der Bundesrepublik beschrieben, die in den letzten Jahren regionale und kommunale Aspekte der deutschen Widerstandsbewegung do- kumentierten und somit ein allzulange vernachlässigtes Stück Stadtgeschichte aufar- beiteten47. Nach einer Untersuchung von Falk Pingel über die Vermittlungsmöglich- keit historischer Kenntnisse zum Widerstand durch die in der Bundesrepublik beste- henden Erinnerungs-, Gedenk- und Bildungsstätten48 können jedoch viele Ausstellun- ' gen ihre bildungspolitische Aufgabe nur unzureichend erfüllen, da deren Ausstattung

und Betreuung durch die staatlichen Stellen noch mangelhaft sind; zudem fehlt in der Bundesrepublik eine zentrale, alle Opfer und Gegner des Nationalsozialismus einbe- ziehende Gedenkstätte.

Bei der Dokumentation des Widerstandskampfes gegen die Nazis ergibt sich immer wieder, daß gerade die beiden Arbeiterparteien SPD und KPD neben den jüdischen Mitbürgern die Hauptzielgruppen der Verfolgung und des nationalsozialistischen Überwachungsapparates waren, die insofern zugleich als Meßlatte des antinationalso- zialistischen Kampfpotentials dienen können. Widerstandshaltung und -tätigkeit der KPD gegen den Faschismus sind denn auch besondere Schwerpunkte der DDR-Ge- schichtswissenschaft. Nicht zuletzt aus Legitimationsgründen wendet die kommuni- stische Historiographie ihr spezielles Augenmerk auf die Geschichte des illegalen Kampfes im Rahmen der Volks- und Einheitsfrontpolitik gegen die Nationalsoziali- sten, da sie die SED in der Tradition und Kontinuität dieser antifaschistischen Hal- tung sieht. Mehrere Beiträge der letzten Jahre betonen folglich die »führende Rolle«

der KPD im Widerstand der Arbeiterbewegung.

So beschreibt Margot Pikarski die frühzeitige »Umstellung der K P D auf die Illegali- tät« ab Mai 1932 als »reale Einschätzung des Geschehens« und als gelungene organi- satorische Vorbereitung für den Kampf gegen Hitler vom ersten Tag an49, um die vorausschauende Handlungsfähigkeit der KPD-Leitungsgremien zu dokumentieren, 154 die diese Aktion nach einem Reorganisationsplan von Thälmann seit Juni 1932 einge-

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leitet hatten. Bereits im Sommer 1934 war die Umstellung abgeschlossen, die illegale Organisation stabilisiert.

Im Rahmen der »politisch-organisatorischen Führungstätigkeit des Zentralkomitees der KPD« bemühte sich die kommunistische Partei nach dem Urteil von M. Pikarski dann ab August 1934, eine antifaschistische Einheitsfront aufzubauen50. Während dieses Zeitabschnittes erschwerten jedoch bereits zahlreiche Verhaftungen durch die Gestapo die Arbeit der im Reich verbliebenen Landesleitung der KPD. Bis Ende 1935 waren fast 60% der Führungsfunktionäre der KPD verhaftet oder ermordet und etwa 30% emigriert51.

Der singulären Herausstellung der KPD als »Spitze des Kampfes gegen die braune Terrorherrschaft« und der besonderen »Heroisierung« der antifaschistischen Kämpfer der K P D dienen auch mehrere Dokumentationen von Margot Pikarski und Elke War- ning über den Umfang der antifaschistischen Widerstandstätigkeit aufgrund der vor- handenen Gestapoakten von 1934 bis 193852 sowie von Gerhard Nitzsche und Günter

Uebel über die Tätigkeit der illegalen Landesleitung, die Korrespondenz mit der Aus- landsleitung in Paris und das von 1933 bis 1939 überlieferte Schriftgut der Abschnitts- leitungen 53, die im benachbarten Ausland aufgestellt wurden, um die Bezirksleitungen im Reich strukturell zu unterstützen. Im Vordergrund dieser Arbeiten stehen die or- ganisatorischen Maßnahmen und Bemühungen um die Bildung einer Einheitsfront gegen Hitler, die Zusendung von Instruktionen sowie das Sammeln von Nachrichten aus Deutschland, deren Kenntnis sich als unumgänglich für die Widerstandsarbeit er- wies, um eine realitätsnahe Einschätzung der Stimmung in der Arbeiterschaft zu er- möglichen.

Wie wichtig gerade die richtige Einschätzung der politischen Situation und Stimmung der Bevölkerung auch im Falle der Jugend sowie für die Probleme des Jugendwider- standes in Deutschland war, belegt die Untersuchung von Karl Heinz Jahnke über die Bedeutung der sogenannten »Berner Funktionärskonferenz des kommunistischen Ju- gendverbandes Deutschlands (KJVD)«54, die im Juli 1937 stattfand. Als Erkenntnis der Konferenzteilnehmer läßt sich nach Jahnke festhalten, »daß der Einfluß der fa- schistischen Ideologie und Politik auf die Jugend [seit 1933] weiter angewachsen war«, daß der KJVD unter der heranwachsenden Generation kaum Nachwuchs für die illegale Arbeit finden konnte. Dieses Ergebnis wird als Kritik auch gegenüber der eigenen Informationsarbeit des KJVD vom Autor deutlich hervorgehoben. Er konsta- tiert, daß die NS-Propaganda in Verbindung mit dem außenpolitischen Programm Hitlers eine positive Ausstrahlung bei der Jugend erzielen konnte und daß nur ganz vereinzelte Tendenzen zu Unzufriedenheit und Opposition erkennbar gewesen seien.

Daß sich selbst das oppositionell eingestellte Potential der in die Hitler-Jugend inte- grierten Jugendbewegung weitgehend um die Erhaltung apolitischer Formen und Traditionen der Jugendbünde bemühte, statt die sozialistische und kommunistische Jugendopposition zu verstärken, haben auch die Studien von Arno Klönne55 gezeigt, der vor allem in seiner umfassenden Monographie zur »Jugend im Dritten Reich« die Frage nach der Einordnung der »illegalen bündischen Umtriebe« in der Hitler-Jugend als jugendliche Opposition untersuchte.

Wie schnell und eilfertig andererseits die Reichsjugendführung und Gestapostellen insbesondere nach der im März 1939 durch Verordnungsbestimmungen zum HJ-Ge- setz festgelegten allgemeinen Hitler-Jugend-Dienstpflicht von der Gründung illegaler kommunistischer oder »bündischer« Jugendgruppen sprachen, obwohl es sich oft

»nur« um unpolitische, clubartige Zusammenschlüsse Jugendlicher — meist in Groß- städten — handelte, hat Lothar Gruchmann in seiner Abhandlung über »Jugend- 155 opposition und Justiz im Dritten Reich« am Beispiel von Leipziger Jugend-Zusam-

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menschliissen und deren Verfolgung durch Polizei und Gerichte nachgewiesen56. Ei- nen ergänzenden Uberblick zu den überaus scharfen Reaktionen und Kriminalisie- rungsmaßnahmen der NS-Organe gegenüber einzelnen »resistenten« Jugendlichen hat Heinrich Muth zusammengestellt57, der zugleich davor warnt, für alle widerstre- benden Jugendgruppen den Begriff »Widerstand« oder »Resistenz« zu verwenden.

Dagegen formuliert der DDR-Autor Jahnke als Fazit seiner Untersuchungen58, daß bei KJVD und K P D Resignation aufkam, da die Jugend »als vollkommen verloren für den antifaschistischen Kampf anzusehen« sei. Die KJVD-Funktionäre konzen- trierten sich deshalb auf die Kaderschulung ihrer alten Mitglieder und verzichteten auf Massenarbeit und Breitenwirkung, bis die Zeit einen Umschwung in der Stim- mung der Hitler-treuen Jugend bewirken werde. Inwiefern dann die im Zusammen- hang mit dem KJYD-Aufruf »Für eine freie deutsche Jugendbewegung und Einigung der sozialistischen, kommunistischen und antifaschistischen Jugend« vom Oktober 1937 angebotene Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den ehemaligen sozialisti- schen, bürgerlichen und katholischen Jugendverbänden als gleichsam notgedrungener

»Ersatzversuch« zur Verbreiterung der eigenen Basis oder als aufrichtiges Angebot für den vordringlichen gemeinsamen Kampf gegen Hitler zu werten ist, läßt jedoch Jahnkes Ergebnis nicht erkennen.

Bezeichnenderweise spielten politische Vorstellungen sozialistischer oder kommuni- stischer Prägung bei den vermehrt ab Kriegsbeginn in den größeren Städten spontan auftretenden Jugendprotestformen im Rahmen der »Cliquen«, »Meuten« und »Edel- weißpiraten« keine herausragende Rolle als Motivation. Wie die neueren, sorgfältig recherchierten und dokumentierten, mittlerweile bereits neu aufgelegten Arbeiten über die »Edelweißpiraten« im Kölner Raum von Detlev Peukert und Matthias v.

Hellfeld sowie die Autobiographie von Fritz Theilen belegen58a, bestand keine beson- dere Bindung dieses Jugendprotestes an eine politische Ideologie, statt dessen eine durch das Festhalten an früheren bündischen Lebensformen und jugendlichen Frei- räumen bedingte grundsätzliche Ablehnung der HJ-Pflichten, -Normierung und Zwangsregeln. Dieser Umstand hat lange Zeit dazu geführt, die Protestbewegung und Widerstandsaktivitäten der »Edelweißpiraten« — dazu zählt z.B. auch das Ver- stecken von Juden vor der Gestapo als »kriminelle Taten« abzustempeln. Die be- sonders hervorzuhebenden Untersuchungen von Peukert, Hellfeld und Klönne58b ha- ben inzwischen den Nachweis für die Unhaltbarkeit dieser »Kriminalitäts-These« er- bracht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das NS-Regime »kein noch so geringes non- konformes Verhalten duldete« (Hellfeld, S. 7), so daß auch unpolitische Protestfor- men und resistente Verhaltensweisen Jugendlicher im Dritten Reich zum »unfreiwilli- gen Widerstand« führten. Die Ablehnung des HJ-Drills durch die »Edelweißpiraten«

wurde denn auch von den Staats- und Parteiorganen als »Ablehnung jeder nationaler (!) Gesinnung« sowie als »oppositionelle Einstellung« zur Hitlerjugend und zum NS- Staat bewertet. »Edelweißpiraten«, »Cliquen«, »Swing«-Gruppen und »Meuten« wur- den dementsprechend als politische Gegner rücksichtslos von den NS-Partei- und Staatsstellen bis Kriegsende verfolgt, obwohl zweifellos nicht jeder Angehörige dieser Jugendgruppen ein bewußter Widerstandskämpfer gegen Hitler war; noch im N o - vember 1944 wurden mehrere jugendliche »Edelweißpiraten« auf Befehl Himmlers in Köln öffentlich hingerichtet.

In letzter Zeit wurden in der D D R in größerem Umfang auch Untersuchungen über die Probleme des illegalen Kampfes in verschiedenen Teilbereichen anhand detaillier- ter Erlebnisberichte vorgelegt, die ebenfalls die Schwierigkeiten und Rückschläge im Kampf gegen den Nationalsozialismus erkennen lassen. Die Probleme der »täglichen Praxis« im Exil wurden von der früheren kommunistischen Abgeordneten im preußi- 156 sehen Landtag Emmy Koenen in zwei Erfahrungsberichten über ihre Emigrationszeit

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in Großbritannien59 detailliert dargestellt. Von Interesse sind ihre Hinweise auf den doppelten politischen Abwehrkampf in der Zeit während des Hitler-Stalin-Paktes von 1939 bis 1941, als die kommunistischen Nazi-Gegner politischen Diffamierungen und Internierungsmaßnahmen der britischen Regierung ausgesetzt waren, so daß öffentli- che Proteste und andere Aktivitäten gegen das nationalsozialistische Deutschland erst wieder ab September 1941 zu registrieren sind, nachdem Hitlers Überfall auf die So- wjetunion am 22. Juni 1941 eine weitreichende Wende für die kommunistischen Emi- granten herbeigeführt hatte.

Mehrere Aufsätze in der DDR-Zeitschrift »Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbe- wegung« dokumentieren ferner die Probleme der illegalen Tätigkeit in Deutschland.

Als schwierig erweist sich ζ. B. die Erfolgskontrolle für die von Franz Peplinski und Margot Pikarski sowie Günter Uebel zusammengestellte Flugblatt-Tätigkeit der K P D im Untergrund60. Ein neu entziffertes und im Jahrgang 1979 der DDR-Zeitschrift von Heinz Kühnrich und Karlheinz Pech kommentiertes Dokument der illegalen ope- rativen Leitung der KPD vom Mai/Juni 1944 61 bezeugt die frühzeitigen programma- tischen Überlegungen zu Zukunftsfragen und Perspektiven im Nachkriegsdeutsch- land. Die KPD-Vorstellungen gehen bezeichnenderweise davon aus, daß das militäri- sche Ende des NS-Systems noch nicht die Machtergreifung der Arbeiterklasse bein- halte, daß dafür vielmehr erst die Voraussetzungen in Übereinstimmung mit der poli- tischen Generallinie der Parteiführung in Moskau geschaffen werden müsse. Offen wird erklärt, daß die politischen Freunde des Jahres 1944 bald die Feinde seien, da man unterschiedliche Vorstellungen über den demokratischen Aufbau Deutschlands nach dem Krieg habe; jede Rückkehr zur politischen Ordnung der Weimarer Repu- blik sei jedenfalls zu verhindern. Insofern gilt dieses Einzeldokument als Beleg und Vermächtnis jener Widerstandskämpfer und Kommunisten, die als »Wegbereiter und Mitgestalter der DDR« in deren Tradition einbezogen werden.

Der sich aufgrund der »operativen Erfolge« der NS-Überwachungs- und Terroror- gane gegenüber der illegalen K P D in nicht unerheblichem Maße ergebenden Verlage- rung eines Großteils der illegalen Aktivität in die westlichen Nachbarländer und der sich nach 1940 immer stärker herausbildenden antifaschistischen Zusammenarbeit in Frankreich als einem der wichtigsten Emigrationsländer während des Zweiten Welt- krieges sind zwei Studien von Karlheinz Pech über die KPD und die antifaschistische Volksfront in Frankreich gewidmet62. Auch für die Arbeit aus Frankreich heraus wird die KPD im Rahmen der etwa 35 000 dortigen Emigranten von Pech als die »bei wei- tem aktivste« antifaschistische Gruppe eingestuft, obwohl er konstatieren muß, daß es ihr nicht gelang, eine über längere Zeit beständige Zusammenarbeit mit den Sozialde- mokraten entsprechend der vom VII. Kongreß der Komintern 1935 geforderten Er- richtung einer Volksfront zu erreichen. Über die Bildung des »Vorbereitungsaus- schusses zur Schaffung einer deutschen Volksfront« zusammen mit SPD-Mitgliedern und mehreren Schriftstellern gelangte man jedoch nicht hinaus; trotz mehrerer Zu- sammenkünfte im Rahmen des Widerstandskreises »Hotel Lutetia« in Paris kam auch keine gemeinsame Plattform des antifaschistischen Kampfes zustande. Pech ver- schweigt nicht, daß der gemeinsame »Aktionsausschuß Deutscher Oppositioneller«, für dessen Arbeit Thomas und Heinrich Mann gewonnen worden waren, seine Tätig- keit einstellte, als sich die KPD-Vertreter im August 1939 nicht von dem gerade in Moskau abgeschlossenen Hitler-Stalin-Pakt distanzieren wollten. Er wertet jedoch die gescheiterten Anstrengungen zur Einigung des antifaschistischen Widerstandes als

»Wurzel für die spätere Solidarität« in den Internierungslagern nach Kriegsbeginn und für den von ihm in seinem zweiten Beitrag skizzierten gemeinsamen Kampf mit der französischen Resistance im Krieg ab Mai 1940.

157 Die verstärkte Aktivität des illegalen kommunistischen Widerstandes innerhalb des

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Reiches nach der Errichtung der »Westleitung« ab Mai 1942 für den Bereich Frank- reich, Belgien, Luxemburg und Niederlande steht nun auch im Mittelpunkt der west- lichen Veröffentlichung von Beatrix Herlemann63. Ansonsten hat sich jedoch die Ge- schichtswissenschaft der Bundesrepublik Deutschland bei der Erforschung der Tätig- keit deutscher Emigranten in letzter Zeit in stärkerem Maße der »Exil-Literatur«64 und weniger den unmittelbar politischen Handlungen zugewandt.

Untersuchungen über die Widerstandstätigkeit der KPD im Reich und deren »Um- feld« waren in der westdeutschen Historiographie lange Zeit relativ selten. Günter Plum hat nun in einem knappen Überblick die Wichtigkeit und Bedeutung des jeweili- gen »Geländes« gerade für die Widerstandshaltung aus der Arbeiterschaft als einen allzulange vernachlässigten Aspekt der Widerstandsforschung vor Augen geführt65. Bedingungen und Probleme des »Umfeldes« haben nicht nur in den Exilländern das Handeln der Gegner des Nationalsozialismus entscheidend beeinflußt, sondern als re- gionale und kommunale Faktoren auch den Rahmen des antifaschistischen Kampfes der Arbeiter im Reich bestimmt, der im Gegensatz zu den konservativ-militärischen Widerstandskreisen weniger am Beispiel herausragender Einzelpersonen festzuma- chen ist.

Plums Anregungen wurden inzwischen insoweit aufgegriffen, als in mehreren neue- ren Untersuchungen über den Arbeiterwiderstand spezielle Aspekte des kommunalen

»Geländes« einer Stadt oder Landschaft besonders berücksichtigt wurden. In den be- trächtlichen Umfang der kommunistischen Widerstandsaktivität nach Hitlers Macht- antritt bietet z.B. die Studie von Detlev Peukert über den Widerstand der K P D an Rhein und Ruhr einen trefflichen Einblick66. Peukert schildert in seiner überarbeite- ten Bochumer Dissertation von 1979 anhand einer Fülle von Akten, Archivalien, Be- fragungsunterlagen und Materialien aus der illegalen Arbeit die verschiedenen For- men des Arbeiterwiderstandes. Seine Arbeit macht exemplarisch deutlich, daß sich Untersuchungen über den Widerstand aus Arbeiterkreisen besonders dazu eignen,

»das weite, schillernde Feld der Verweigerung und Nonkonformität« aus dem Alltag des Dritten Reiches quasi als Ergänzung zum Widerstand der Elitegruppen genauer zu beleuchten, wie es der Autor in einem weiteren Beitrag zum Arbeiterwiderstand formuliert hat67. Der Verfasser versucht, sich bei der historischen Bewertung des KPD-Widerstandes »von den Frontstellungen der Nachkriegsauseinandersetzungen zwischen westlicher parlamentarischer Demokratie und kommunistischem Staatssy- stem« zu lösen (S. 14). Das westdeutsche Industriegebiet mit den drei KPD-Bezirken Niederrhein, Mittelrhein und Ruhr dient ihm in diesem Falle als »hinreichend reprä- sentativer regionaler Ausschnitt«, da für eine Gesamtbewertung die Archivalien der K P D / S E D aus dem Ostberliner Parteiarchiv bislang nicht vollständig zugänglich sind (S. 21). Peukert weist darauf hin, daß Ausgangspunkt für die Energie und Stärke des anfänglichen Widerstandes gegen die NS-Herrschaft nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler die Hoffnung auf einen schnellen Sturz des Diktators war. Von 1936 bis Kriegsbeginn gelang es jedoch dem NS-Regime, viele im Widerstand tätige Kommunisten zu verhaften und so die Aktivitäten der illegalen kommunistischen Par- tei entscheidend zu reduzieren. In der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes waren kaum KPD-Gruppen aktiv. Erst nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR 1941 kam es zu einer Reorganisation in neuen illegalen Gruppen und zur Aktivierung der kommu- nistischen Widerstandstätigkeit durch örtliche Funktionäre, aber auch durch die Aus- landsleitung, was Peukert für das Rhein-Ruhr-Gebiet besonders ab 1942 deutlich aus- machen kann. Schon Anfang 1943 wurden die neuen Organisationsformen durch die Gestapo freilich wieder zerschlagen.

Abwehrkampf und Widerstand der Arbeiterschaft erweisen sich insgesamt weniger als 158 Aktionen des alten Parteiapparates denn als bewußtes Eintreten jedes einzelnen für

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