Humane Arbeitsgestaltung und Zeit- und
Leistungsdruck – Neue Hinweise zu „alten“
Bewertungskriterien von Arbeit?
Fachtagung „Immer schneller – immer mehr,
Zeit- und Leistungsdruck bei Wissens- und Dienstleistungsarbeit“
Berlin, 03.07.2015
Dr. Anika Schulz-Dadaczynski
Agenda
1. Ausgangspunkt 2. Stichprobe
3. Methode und Instrumente 4. Ergebnisse
5. Fazit und Ausblick
1. Ausgangspunkt
Qualifizierte Dienstleistungstätigkeiten als heutige „moderne“
Tätigkeiten mit einer Vielzahl positiver Anforderungen bzw.
Ressourcen
(z. B. Grönlund, 2007)Andererseits Zeit- und Leistungsdruck als weit verbreiteter Stressor, der von vielen Beschäftigten als belastend
empfunden wird
(Eurofound, 2012; Lohmann-Haislah, 2012)Forschungsfragen:
1.Wie ist das Zusammenspiel (Auftreten) von Zeitdruck und (ausgewählten) positiven Anforderungen?
2.Sind anforderungsreiche Tätigkeiten besonders von Zeitdruck
betroffen und wenn ja, warum?
2. Stichprobe
Qualifizierte Dienstleistungstätigkeiten: Personal-
Ausbildungs-Gesellschaft (PAG, 10) und Software- und IT- Dienstleister (SID, 11)
14 Frauen, 7 Männer mit einem Jobalter von 6 Monaten bis 25 Jahren
18 Beschäftigte ohne Führungsfunktion, 3 untere
Führungskräfte bei der PAG (Führungsspanne maximal 3
Mitarbeiter/innen)
3. Methode und Instrument
Arbeitspsychologischer Blick durch insgesamt 21 überwiegend ganztägige theoriegestützte Beobachtungsinterviews (BI) (M = 5.98, SD = 1.67) unter Nutzung
a) eines etablierten bedingungsbezogenen
Arbeitsanalyseinstrumentes („Kontrastive Aufgabenanalyse“, KABA, Dunckel et al., 1993)
b) Leitfragen zu Zeit- und Leistungsdruck und
c) eines kurzen Fragebogens (Irritation, Mohr et al., 2005;
Kommunikations- und Emotionsarbeit, Schwefeß, Schweer & Genz, 2002)
3. Humankriterien nach KABA
Theoretische Grundlage: Handlungsregulationstheorie (HRT, Volpert,
1994), Konzept Anforderung-Belastung (Oesterreich, 1999)
Grundmerkmale menschlichen Handelns Humankriterien
Prozesshaftig- keit
Zielgerichtetheit
Entscheidungsspielraum Zeitspielraum: Zeitliche
Planungserfordernisse und Zeitbindung Strukturierbarkeit: Durchschaubarkeit und Gestaltbarkeit
Freiheit von Regulationsbehinderungen:
Regulationshindernisse und
Regulationsüberforderungen (Zeitdruck)
Gegenständlichkeit Variabilität von Aufgaben und Aufträgen
Soziabilität Kommunikationserfordernisse mit internen und externen Personen
4. Ergebnisse: Ausprägung der Humankriterien
Sind überwiegend mittel bis hoch oder sogar sehr hoch und damit gut ausgeprägt
Dies gilt insbesondere für die Hauptdimensionen der Bewertung (Entscheidungsspielraum und Kommunikationserfordernisse)
Zu niedrige und damit gestaltungsbedürftige Ausprägungen finden sich lediglich beim Zeitspielraum, der Gestaltbarkeit sowie der
Aufgabenvariabilität an einigen Arbeitsplätzen
Die untersuchten Arbeitsplätze des SID schneiden durchgängig schlechter ab als die untersuchten Arbeitsplätze der PAG
Insgesamt sind die Arbeitsbedingungen in der Stichprobe jedoch als gut zu beurteilen, es besteht wenig Gestaltungsbedarf
4. Ergebnisse: Psychische Belastung durch Zeitdruck
Software- und IT-
Dienstleister
Personal-
Ausbildungs- Gesellschaft
Gesamt
Eher niedriger Zeitdruck
4 2 6
Mittlerer
Zeitdruck
4 5 9
Eher hoher
Zeitdruck
3 3 6
Gesamt
11 10 21
4. Ergebnisse: Humankriterien und Zeitdruck
ES =
Entscheidungsspielraum KIN =
Kommunikationserforder- nisse intern
KEX =
Kommunikationserforder- nisse extern
AGV = Aufgabenvariabilität ATV = Auftragsvariabilität ZPE = Zeitliche
Planungserfordernisse ZB = Zeitbindung
DS = Durchschaubarkeit GS = Gestaltbarkeit
4. Ergebnisse: Gestaltbarkeit und Aufgabenvariabilität
Eine hohe Gestaltbarkeit als grundlegendes
Unterscheidungsmerkmal bei der Personal-Ausbildungs- Gesellschaft:
Ausschließlich die drei untersuchten unteren Führungskräfte haben eine vergleichsweise hohe Gestaltbarkeit ihrer Arbeitsaufgaben
Eine hohe Aufgabenvariabilität als grundlegendes Unterscheidungsmerkmal bei dem Software- und IT- Dienstleister:
Beschäftigte mit Sonderaufgaben und Projektarbeit neben ihrer Hauptaufgabe
4. Ergebnisse: Gestaltbarkeit und Zeitdruck
Mit der Höhe der Gestaltbarkeit steigen die Verantwortung und der Druck, (richtige) Entscheidungen zu treffen
Entscheidungsdruck, schwierige Entscheidungen und
Verantwortung als Begleiterscheinung von Gestaltbarkeit?
Gestaltbarkeit steigert die Verausgabungsbereitschaft, da eine hohe Gestaltbarkeit als Vertrauensvorschuss des Arbeitgebers gesehen wird, den man nicht enttäuschen möchte
Wichtige Moderatoren sind: Erfahrung/Routine sowie soziale Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte
4. Ergebnisse: Variabilität und Zeitdruck
Mit der Höhe der Variabilität steigen die Erfordernisse zum
Multitasking, parallelen Arbeiten und zur (zeitlichen) Koordination Mit der Variabilität geht die Anforderung einher, immer wieder
zwischen verschiedenen Aufträgen bzw. Aufgaben und Personen bzw. Kunden zu „switchen“
Somit braucht Variabilität Zeit, jedoch werden die „Rüstkosten“
einer hohen Variabilität offensichtlich nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt
4. Ergebnisse: Personenmerkmale und Zeitdruck
Darüber hinaus spezifische Einstellungen und
Verhaltensweisen der sechs Arbeitsplatzinhaber/innen:
hohe Verausgabungsbereitschaft durch hohe Identifikation mit dem Job/Job Commitment
eher arbeitgeberfreundliche Einstellung
Anforderungen des Privatlebens werden als zusätzliche Belastung thematisiert
Die Arbeit hat generell einen hohen Stellenwert im Leben, die Abgrenzung von der Arbeit gelingt vergleichsweise schlecht
Bei der Entstehung von Zeit- und Leistungsdruck spielen
sowohl die Arbeitssituation als auch die Person eine Rolle
5. Fazit und Ausblick
Positive Anforderungen und Zeitdruck sind bei den untersuchten qualifizierten Dienstleistungstätigkeiten nicht unabhängig
voneinander: anforderungsreiche Tätigkeiten sind besonders von Zeitdruck betroffen
„Nebenwirkungen“ anforderungsreicher Tätigkeiten sind zu berücksichtigen (z. B. Zeitdruck)
Die Gründe negativer Begleiterscheinungen sollten zukünftig differenzierter untersucht und für die Arbeitsgestaltung
berücksichtigt werden
Publikationen zur Eigenforschung
Schulz-Dadaczynski, A. (05/2015). Do demanding tasks necessarily imply time pressure? Task-related demands and time pressure within
professional service work. Vortrag auf dem 17th congress of the European Association of Work and Organizational Psychology Oslo, Norway.
Schulz-Dadaczynski, A. (05/2015). Time and Performance Pressure in Professional Service Work - Causes, Consequences and Coping.
Posterpräsentation auf dem 17th congress of the European Association of Work and Organizational Psychology (EAWOP 2015), Oslo, Norway.
Schulz-Dadaczynski, A. & Junghanns, G. (2014). Gefordert unter Druck? - Anforderungen und Zeitdruck bei qualifizierter Dienstleistungsarbeit.
Psychologie des Alltagshandelns, 7 (2), 20-36.