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Archiv "Demografischer Wandel: Altern ist keine Katastrophe" (21.09.2012)

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DEMGRAFISCHER WANDEL

Altern ist keine Katastrophe

Die Gesellschaft wird älter, die Zahl der chronisch Kranken und Pflegebedürftigen steigt.

Das wird die Sozialsysteme über kurz oder lang kollabieren lassen. Dieser gängigen Prognose widersprechen Experten. Sie fordern mehr Optimismus bei der Suche nach Lösungen.

Bärbel Kurth, Leiterin der Abtei- lung Epidemiologie und Gesund- heitsberichterstattung des Robert- Koch-Instituts, klar. Sie gehe unter anderem auf eine erfolgreiche Prä- vention und ein gutes Gesundheits- system zurück. Beides habe in Deutschland zu einem Rückgang der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einem leichten Rückgang der Krebserkrankungen beigetragen.

Wann beginnt das Alter?

„Trotzdem gibt es Horrorszenarien, die davon ausgehen, dass mit der Zahl älterer Menschen automatisch auch der medizinische Versor- gungsbedarf steigt“, sagte Kurth.

„Dabei werden Zahlen von morgen mit der Morbiditätsentwicklung von heute verknüpft.“ Doch die Entwicklung der Krankheitslast sei schwierig vorherzusagen, zumal man auch therapeutische und medi- zinisch-technische Fortschritte be- rücksichtigen müsse, die sich nicht nur positiv auf die Lebensqualität, sondern auch kostensenkend aus- wirken könnten. Beispiel Knieen- doprothesen: „Man weiß heute nicht, wie sich deren Qualität ver- bessert, so dass weniger Folgeope- rationen notwendig werden“, mein- te Kurth. Zugleich gab die Mathe- matikerin zu bedenken, dass sich Umfragen zufolge die Selbstein- schätzung der Gesundheit in den letzten Jahren verbessert hat. „Die Menschen werden ja nicht ohne Grund älter, sondern vielleicht auch, weil sie gesünder sind.“

„Man kann heutige Ältere mit denen von früher nicht mehr ver- gleichen“, sagte Prof. Dr. phil. An- dreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg. Wenn schwere Erkran- kungen ausblieben, erscheine das Altern als konstanter Prozess, in Diesen Zahlen den Schrecken zu

nehmen, hatte sich die Konrad- Adenauer-Stiftung vorgenommen und vom 6. bis 9. September circa 50 Experten aus Wissenschaft, Poli- tik und Verbänden an den Comer See geladen, um über Lösungsan- sätze und Perspektiven zu diskutie- ren. „Wir müssen raus aus dem Fatalismus“, sagte Prof. Dr. med.

Volker Schumpelick zum Ziel der Tagung. Der ehemalige Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik der Rheinisch-Westfälischen Tech- nischen Hochschule Aachen ist Lei- ter und Mitbegründer der „Cade - nabbia Gespräche Medizin – Ethik – Recht“, die sich nach 2004 zum zweiten Mal mit dem demografi- schen Wandel auseinandersetzten.

Mehr Optimismus bei der Suche nach Lösungen ist nach Ansicht der Organisatoren notwendig; denn dass die Menschen immer älter werden, sind auch die Folgen zuneh- menden Wohlstands und einer bes- seren medizinischen Versorgung.

„Eine steigende Lebenserwar- tung ist nichts Negatives, sondern ein wichtiges Gut einer Gesell- schaft“, stellte Prof. Dr. rer. nat.

S

inkende Geburtenraten, im- mer mehr ältere, chronisch Kranke, immer mehr Demente und niemand, der sie pflegt oder medi- zinisch betreut, weil auch Pflege- kräfte und Ärzte immer älter wer- den und der Nachwuchs ausbleibt – ganz zu schweigen von der Frage, wer das alles bezahlen soll, wenn immer weniger junge Menschen immer mehr Alte durchfüttern müs- sen. Das ist das gängige Szenario, wenn vom demografischen Wandel die Rede ist. In der Tat gehen Pro - gnosen davon aus, dass im Jahr 2050 statt bislang rund 82 Millio- nen nur noch 71 Millionen Men- schen in Deutschland leben werden, deren Durchschnittsalter von 42,4 Jahren auf 51,4 Jahre gestiegen sein wird. Der Anteil der über 80-Jähri- gen könnte dann bei 13,2 Prozent liegen und die Zahl der Demenz- kranken bei 2,5 Millionen.

Deutsches Ärzteblatt

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21. September 2012 A 1861 dem man keinen Punkt definieren

könne, „an dem Alter beginnt“. Mit körperlichem und kognitivem Trai- ning, mit Aktivität könne man den Alterungsprozess positiv beeinflus- sen. Die Alternden müssten aber auch mit Strategien ausgestattet werden, die es ihnen erleichterten, mit den Verletzlichkeiten des Alters umzugehen.

„Wir können früh in die Biomor- phose eingreifen, zum Beispiel durch Bildung. Das ist ein politisch hochrelevanter Befund“, betonte der Heidelberger Psychologe. Denn die Rahmenbedingungen für ein ge- sundes Älterwerden würden bereits im frühen Kindesalter geschaffen.

Doch auch die Arbeitswelt und das Rentenalter bergen Förderpotenzi- al. So hat sich Kruse zufolge die Kooperation von Jung und Alt am Arbeitsplatz als „ungeheuere Stär- ke“ erwiesen. Und im Rentenalter eröffne zivilgesellschaftliches En- gagement die Möglichkeit, sich nach wie vor als Teil eines sozialen

Netzwerks zu begreifen und aktiv zu bleiben. Im Zentrum aller Über- legungen müsse das mitverantwort- liche Leben stehen, auch für Hoch- betagte.

Da der Alterungsprozess bei jedem unterschiedlich verläuft, for- derte Kruse flexiblere Altersstruk- turen beispielsweise beim Renten- eintritt: „Diejenigen, die weiter arbeiten wollen und können, sollen das tun.“ Die starren Altersgrenzen gehörten auf den Prüfstand, denn sie seien bedeutsam für das eigene Altersbild und das der Gesellschaft.

„Diese Altersbilder müssen wir ver- ändern“, erklärte der Gerontologe.

Sein Rezept gegen die Krise: „Prä- vention, integriert mit einer Bil- dungsoffensive, wäre die Antwort auf den demografischen Wandel.“

Für die ehemalige Bundesfamili- enministerin und Gerontologin Prof.

Dr. phil. Ursula Lehr gehören Prä- vention, Sekundär- und Tertiär - prophylaxe sowie Rehabilitation zu- sammen. „Auch der kranke Mensch

Was tut die Bundesregierung, um mögliche Folgen des de- mografischen Wandels zu mildern, der ja auch vor Ärz- ten und Pflegepersonal nicht haltmacht?

Widmann-Mauz: Eines der wichtigsten Projekte ist das Ver- sorgungsstrukturgesetz. Es schafft unter anderem Anreize für Ärzte, sich in unterversorg- ten Regionen niederzulassen.

Mit dem Gesetz geben wir re- gional differenzierte Antworten auf eine unterschiedliche de- mografische Entwicklung in un- serem Land, zum Beispiel bei der Bedarfsplanung. Außerdem fördern wir mit der spezialfach- ärztlichen Versorgung die Über- windung der Grenzen zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Denn multimorbide Pa- tienten brauchen eine integrier- te Versorgung.

Was können Sie tun, um die Potenziale älterer Menschen zu fördern?

Widmann-Mauz: Die Koalition bringt im Herbst eine Strategie zur Verbesserung der Präventi- on auf den Weg. Es gibt bereits sinnvolle Ansätze – denken Sie an die HIV/Aids-Prävention oder die Kampagnen zur Bekämp- fung des Alkoholismus oder des Rauchens. Aber wir haben zwi- schen den Akteuren zu wenig abgestimmte, koordinierte Stra- tegien. Unser Ziel ist es, insbe- sondere die betriebliche Ge- sundheitsförderung zu stärken sowie die Früherkennung und das Impfen zu fördern, das ja auch im fortgeschrittenen Alter Sinn macht.

Bei Pflegebedürftigen spielt dar über hinaus die Rehabilitati- on eine wichtige Rolle. Deren Potenziale werden zu häufig

nicht genutzt. Deshalb haben wir im Rahmen der Pflegere- form die Pflegekassen ver- pflichtet, bei der Erstellung des Pflegegutachtens den Rehabili- tationsbedarf zu beschreiben.

Das erleichtert den Versicherten die Durchsetzung von Reha- maßnahmen.

Was nehmen Sie denn als Politikerin vom interdiszipli- nären Forum in Cadenabbia mit nach Hause?

Widmann-Mauz: Die Interdis- ziplinarität schafft Raum für neue Erkenntnisse. Die eigenen Vorstellungen werden im Aus- tausch mit Experten reflektiert.

Ich profitiere immer sehr von diesen Gesprächen, weil sie Kenntnisse erweitern und ver- tiefen, Zusammenhänge anders beleuchten und neue Ideen, An- regungen entstehen.

3 FRAGEN AN . . .

Annette Widmann-Mauz (CDU), parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit

Fotos: dpa

hat noch Bereiche von Gesundheit, die gefördert werden müssen.“ Der Grundsatz Reha vor Pflege werde jedoch in Pflegeheimen völlig ver- nachlässigt. Das führt Lehr zum ei- nen auf ein negatives Altersbild zu- rück: „Die Pflegebedürftigen geben sich auf.“ Zum anderen kritisiert sie, dass das Gesundheitssystem falsche Anreize setze. „Ist der Rehaerfolg zu groß, muss man mit finanziellen Einbußen rechnen, weil die Pflege- stufe entfällt.“

Autonomie wiederherstellen Bei alten und zudem multimorbi- den Patienten das Potenzial für Ver- besserungen finden – so definierte Prof. Dr. med. Ralf-Joachim Schulz das Ziel der Geriatrie. Schulz hat den Lehrstuhl für das Fach an der Universität zu Köln inne und leitet die geriatrische Abteilung am Köl- ner St.-Marien-Hospital. Er sieht sich als „Allrounder“, dessen Auf- gabe darin besteht, die verschiede- nen Erkrankungen seiner Patienten zu gewichten und zu priorisieren sowie die Grenzen des Machbaren zu erkennen und zu vermitteln.

Den umfassenden Ansatz in der Geriatrie, der insbesondere darauf abzielt, Autonomie und Kompeten- zen wiederherzustellen, hält Schulz für ein Erfolgsmodell: „80 Prozent meiner Patienten kehren in ihr häusliches Umfeld zurück. Sie sind wieder in der Lage zu kommunizie- ren. Sie wollen wieder etwas.“

Und was kostet der demografi- sche Wandel? Jedenfalls im Ge- sundheitswesen deutlich weniger als bislang angenommen, sagte Dr.

med. Christoph Straub von der Bar- mer-GEK. Berechnungen der Kran- kenkasse hätten ergeben, dass nur 18 Prozent der jährlichen Ausga- bensteigerungen auf reine Alters- struktureffekte entfielen. Von 2007 bis 2010 seien die jährlichen Kos- ten um durchschnittlich 88 Euro pro Kopf gestiegen, davon waren jeweils nur 16 Euro demografie - bedingt. „Mehr ältere Patienten bedeuten nicht zwangsläufig mehr Behandlungsbedarf.“

Heike Korzilius

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Volker Schumpelick über die Cadenabbia-Gespräche unter www.aerzteblatt.de/186012

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