• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Das Epigenom: Der Dompteur der Gene" (18.05.2012)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Das Epigenom: Der Dompteur der Gene" (18.05.2012)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 20

|

18. Mai 2012 A 1027

F

ast jede Körperzelle trägt in ihrem Zellkern die vollständi- ge Kopie der gesamten Erbinforma- tion eines Individuums. Damit sich aus der uniformen Vorlage der DNA-Sequenz ein komplexer Orga- nismus aus etwa 250 verschiedenen Zelltypen entwickelt, werden aber nur bestimmte Gene zu bestimmten Zeiten abgelesen. Gene, die nicht für die Differenzierung, zum Bei- spiel zu einer Muskelzelle oder Leberzelle, benötigt werden, blei- ben abgeschaltet. Die Abfolge der DNA-Basen ist somit nicht allein verantwortlich für die Entwicklung des Menschen, vielmehr werden die Gene selbst durch molekulare, so- genannte epigenetische Mechanis- men gesteuert.

„Die primäre Information, die ei- nen Menschen ausmacht, ist zwar die Gensequenz, sonst wären ein - DAS EPIGENOM

Der Dompteur der Gene

Die epigenetische Forschung erlaubt Rückschlüsse darauf, wie Adipositas, Diabetes mellitus oder auch Krebs entstehen. Darin liegen Ansätze für neue Therapien.

eiige Zwillinge nicht genetisch ident und sich äußerlich so ähnlich.

Doch epigenetische Veränderungen sorgen dafür, dass beispielsweise nur ein Zwilling anfälliger für Dia- betes wird“, sagt Prof. Dr. Thomas Jenuwein vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg.

Epigenetische Veränderungen können durch chemische oder phy- sikalische Umweltfaktoren, einge- leitet werden. Aber auch biologi- sche, psychische und soziale Fakto- ren sind in der Lage, das Epigenom zu modulieren – zum Beispiel als Reaktion auf erlebte Emotionen oder eine Veränderung der Ernäh- rung. Durch welche Mechanismen die Aktivität der Gene auf zellulärer Ebene gesteuert wird, ist Gegen- stand der Forschung. Der bekann- teste ist die Methylierung bestimm-

ter Nukleotide der DNS: Wenn Me- thylgruppen an Cytosinbasen ando- cken, denen direkt darauf die Base Guanin folgt, kann die nachfol - gende Gensequenz nicht abgelesen werden. Methylierte Cytosine agie- ren somit als „Ausschalter“. Ein weiterer epigenetischer Mechanis- mus ist die Histon-Acetylierung.

Dadurch wird der zwei Meter lan- ge, dicht in den Zellkern gepackte und um Histone gespulte DNS- Strang an bestimmten Stellen „ge- lockert“, was das Binden von Tran- skriptionsfaktoren erlaubt; die Ge- ne werden dort „ablesbar“.

Eine weitere Steuerung der Gene erfolgt über kleine Mikro-Ribonu- kleinsäuren, kurz microRNAs. Sie blockieren die Boten-RNA, die die Information von der DNA zur Ei- weiß-Produktionsstätte transportie- ren sollte, und verhindern so, dass

Epigenetische Modifikationen wie DNA-Methylierung und Histon-Modifika- tionen, gelten als eine

zentrale Schnittstelle zwischen Umwelt, ge- netischer Prädisposi- tion und Phänotyp.

Sie können durch das soziale Umfeld, die Ernährung und ver-

schiedene andere Faktoren beeinflusst und teilweise reversi- bel verändert werden.

Abbildung: Thomas Hentrich/Medical Genetics/Universität Tübingen

M E D I Z I N R E P O R T

(2)

A 1028 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 20

|

18. Mai 2012 das betreffende Protein gebildet

wird. Aktuell sind etwa 1 000 unter- schiedliche microRNAs bekannt, die in verschiedenen Organen hoch- spezifisch die Genexpression regu- lieren.

Epigenetische Prozesse sind al- lerdings nicht immer von Vorteil für den Menschen: Viele Krebsarten entstehen beispielsweise dadurch, dass die Gene für Reparaturenzyme oder Schutzmechanismen ausge- schaltet werden. „Das Zusammen- spiel zwischen Umwelt, Genetik und Epigenetik ist bisher nur rudi- mentär verstanden, aber faszinie- rend, denn es betrifft die Arbeit je- des Arztes“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Prof. Dr. med.

Joachim Mössner aus Leipzig, beim Jahreskongress in Wiesbaden.

Und das Forschungsgebiet bietet therapeutische Chancen: Da alle epigenetischen Mutationen reversi- bel sind, eignen sie sich als poten- zielle Zielstrukturen für entsprechen - de Medikamente an (Kasten). „Die ersten Substanzen werden derzeit vor allem bei Krebspatienten ange- wendet“, ergänzte Prof. Dr. med.

Ulrich R. Fölsch, Generalsekretär der DGIM. In Zukunft seien epi - genetische Wirkstoffe auch zur Therapie von Diabetes mellitus, Alzheimer sowie Herz-Kreislauf- Erkrankungen zu erwarten.

Epigenetische Analysen werden bei Krebs zur Routine

In nahezu jedem menschlichen Tu- mor lassen sich charakteristisch re- gionale Vermehrungen der DNA- Methylierung nachweisen. „Da Me- thylcytosin sehr sensitiv und kosten- günstig nachgewiesen werden kann, eignen sich tumorassoziierte Me - thylierungsveränderungen hervorra- gend als diagnostische Marker“, sagte Priv.-Doz. Dr. med. Heinz Lin- hart vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen, Heidelberg.

Der Forscher hat mit seinem Team in der Erbsubstanz circa 1 500 Positionen identifiziert, in de- nen tumorassoziierte Methylie- rungsveränderungen gehäuft auf- treten. So könne zum Beispiel Darmkrebsgewebe mit einer Sensi- tivität und Spezifität von mehr als

95 Prozent nachgewiesen werden, sagte Linhart. Seinen Angaben nach werden DNA-Methylierungsanaly- sen schon in naher Zukunft zur Einschätzung des Krebsrisikos und zur Tumorfrüherkennung einge- setzt. Entscheidende Erkenntnisse hierfür erhoffen sich die Forscher von den Daten des „International Humane Epigenome Consortium“, das weltweit alle krankheitsrele- vanten epigenetischen DNA-Verän- derungen erfasst. Hierfür wird Ge- webe von gesunden und an Krebs erkrankten Menschen verglichen.

Die Epigenetik eröffnet zudem neue Erklärungen für die Genregu-

lation des Stoffwechsels und ihren Störungen. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass die embryo- nale und frühe postnatale Phase besonders empfindlich für epigene- tische Veränderungen sind, wie epi- demiologische Untersuchungen of- fenbaren. Trotz Zeiten der Mangel- ernährung wiesen Personen, die im Zweiten Weltkrieg geboren worden waren, im späteren Leben ein deut- lich erhöhtes Risiko für Diabe- tes mellitus Typ 2, Adipositas und kardiovaskuläre Erkrankungen auf, berichtete. Prof. Dr. med. Andreas F. H. Pfeiffer, Endokrinologe an der Charité – Universitätsmedizin Ber- lin, Campus Benjamin Franklin:

Zwillingsstudien zeigten zudem, dass schon wenige Wochen Diät ausreichen, um Veränderungen in der Ausprägung bestimmter Gene zu bewirken. Hierfür erhielten 45 gesunde Zwillingspaare zunächst für sechs Wochen eine isokalori- sche kohlenhydratreiche und fett - arme Kost, in den folgenden sechs Wochen eine kohlenhydratarme und fettreiche Diät. „Dies bedingte schon innerhalb von sechs Tagen eine erheblich Umprogrammierung der zentralen Zeitgebergene. Ver- bunden damit waren Veränderun- gen des Fettstoffwechsels und der Inflammation“, sagte Pfeiffer.

Viele Komponenten werden gleichzeitig verändert

Doch lassen sich epigenetische

„Fehler“ durch Arzneimittel rück- gängig machen? Dies ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn bei epigeneti- schen Eingriffen werden immer vie- le Gene gleichzeitig erfasst. Entwi- ckelt man eine auf das epigeneti- sche Netzwerk abzielende Therapie, beispielsweise um ein großes Schal- termolekül zu entfernen, „dann wird man auch sehr unspezifische Akti- vierungen oder Stilllegungen von Genen auslösen. Und niemand ver- steht so richtig, was dann die Kon- sequenzen sind. Gleichwohl ist die- ses neue Forschungsgebiet interes- sant“, erklärt der deutsche Spitzen- forscher Thomas Tuschl, Professor an der Rockefeller University in

New York.

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn DNA-Methylierung: Als erstes epigenetisches Arznei-

mittel in Deutschland wurde Azacitidin (Vidaza®) 2009 zur Therapie der akuten myeloischen Leukämie und des mye- lodysplastischen Syndroms zugelassen. Die Substanz wird bei der Neusynthese der DNA anstelle von Cytosinbasen eingebaut und hemmt dann DNA-Methyltransferasen. Da- mit nimmt der Methylierungsgrad der DNA ab. Azacitidin kann die Überlebenszeit von Patienten signifikant verlän- gern, hat allerdings auch weitere zytotoxische Effekte.

Histon-Modifikation: Durch Acetylierung und Deacety- lierung von Histonen kann die Aktivität von Genen reguliert werden. Histon-Acetylierungen werden erzeugt durch His- ton-Acetyltransferasen (HAT) und wieder entfernt durch His- ton-Deacetylasen (HDAC). So kann HDAC-Hemmung Tumor- zellen in den programmierten Zelltod treiben. Aus der Grup- pe der Arzneimittel, die die Modifikation von Histonen beein- flussen, ist die Entwicklung des Histon-Deacetylase-Inhibi- tors Vorinostat am weitesten fortgeschritten. Vorinostat wur- de in den USA bereits zur Therapie von T-Zell-Lymphomen der Haut zugelassen. Weitere HDAC-Inhibitoren werden bei soliden Tumoren (Prostata-, Darm-, Nierenkrebs) sowie für andere chronische Erkrankungen untersucht.

microRNAs: microRNAs haben die Möglichkeit, die Expression von Genen auf Ebene der Boten-RNA zu inhi- bieren. Viele Krebserkrankungen werden mit einer verän- derten Konzentration an microRNA-Molekülen in Verbin- dung gebracht. Eine Deregulation (Unter- oder Oberregu- lation) beobachtet man aber auch bei kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes oder Asthma. Derzeit sucht man nach microRNAs, die das Potenzial als therapeutische Zielstrukturen haben. Die ersten klinischen Studien mit modifizierten microRNAs sowie micro-RNA-Antagonisten (Antagomire) haben begonnen.

Wissenschaftlern aus dem Deutschen Krebsforschungs - zentrum ist es gelungen, Brustkrebszellen, die resistent gegenüber Tamoxifen sind, mit einem microRNA-Mole - kül wieder empfindlich für das Medikament zu machen.

(Oncogene 2012, doi: 10.1038/onc.2012.128)

EPIGENETISCHE THERAPIEN

M E D I Z I N R E P O R T

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der Hirntod muss in der Tat die sicherste Diagnose sein, und diesem Schlusssatz ist unbedingt zuzustimmen, dafür müssten aber die Kriterien für die Feststellung des Hirn-

Aber welche Krankheiten sind denn nun erblich, wie werden sie vererbt und wie kann man feststellen, ob man die Veran- lagung für eine solche Krankheit in sich

No- vember 1998, Peter Lang Europäi- scher Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/Main, Berlin, Brüssel, 1999, 309 Seiten, kartoniert, 58 DM Gesetzliche

Dazu gehören populati- onsspezifische Gene Drives, 11 Gene Drives, die nur während einer begrenzten Zeit funktionieren, 14 die sich nur verbreiten, wenn eine ausreichend

Organisms with synthetic gene drives are GMOs and therefore fall under GMO legislation, both nationally (e.g., Gene Technology Act, Containment Ordinance and Release Ordinance)

Die dominierende Position, die der Arzt durch die Funktion als Berater und fachliche Autorität innehabe, dürfe nicht dazu führen, daß die ratsuchen- de Person durch

Gilli, als Ärztin setzen Sie sich in der Praxis und im Nationalrat für die Kom- plementärmedizin ein.. Welche Art von Komplementärmedizin setzen Sie als

Der Pharma-Bundesverband, dessen Mitgliedsfirmen mehr als 95 Prozent des Arzneimit- telumsatzes repräsentieren, will das von Blüm so sehr ge- wünschte — um nicht zu sa-