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Archiv "Transplantationsskandal an der Universität Göttingen: Erschütterndes Maß an Manipulation" (06.08.2012)

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A 1534 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 31–32

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6. August 2012

TRANSPLANTATIONSSKANDAL AN DER UNIVERSITÄT GÖTTINGEN

Erschütterndes Maß an Manipulation

Am Universitätsklinikum Göttingen wurden offenbar systematisch Akten gefälscht, um eigene Patienten bei der Vergabe von Lebern auf der Warteliste zu bevorzugen.

Nun wird diskutiert, ob die vorhandenen Strukturen zur Kontrolle ausreichen.

E

s war das erste Wochenende im Juli 2011. Auf den Anruf- beantworter der Deutschen Stif- tung Organtransplantation (DSO) spricht eine Frau, anonym: An der Universitätsklinik Göttingen gebe es kriminelle Machenschaf- ten, ob man sich dort Organe kau- fen könne?

Am darauffolgenden Montag gibt der Medizinische Vorstand der DSO, Prof. Dr. med. Günter Kirste, die Nachricht an die Ständige Kommis- sion (StäKo) Organtransplantation bei der Bundesärztekammer (BÄK) weiter. Die dort angesiedelten Prü- fungs- und Überwachungskommis- sionen kontrollieren, ob Allokations- richtlinien eingehalten werden und DSO und Eurotransplantat (ET) ihre

Aufgaben dem Recht, den Richtlini- en und ihren Verträgen entsprechend erfüllen. Auch Auffälligkeiten in Transplantationszentren wird nach- gegangen.

Offenbar wurden Laborwerte gefälscht, Dialysen erfunden

Bei der Durchsicht der Unterlagen von Patienten, die im Jahr 2011 am Universitätsklinikum Göttingen le- bertransplantiert worden sind, tau- chen Ungereimtheiten auf: Nach bisherigem Erkenntnisstand sind La- borwerte manipuliert worden, um Patienten einen höheren MELD- Score zuordnen zu können. Der MELD-Score (Model for end-stage liver disease), errechnet aus Kreati- nin, Serumbilirubin und Prothrom-

binzeit, ist ein Parameter für die Dringlichkeit und wichtiges Allo- kationskriterium für Lebern. Durch die Manipulation rückten Patienten auf der Warteliste vor.

Und bei zwei Patienten mit Wohnsitz außerhalb des Einzugsbe- reiches von Eurotransplant gibt es Hinweise darauf, dass illegal Geld geflossen sein könnte. Der leitende Oberarzt der Abteilung Transplanta- tionschirurgie wird mit den Erkennt- nissen der Kommission konfrontiert.

„Er hat gemauert“, erinnert sich Hans Lilie, Professor für Straf-, Strafprozess- und Medizinrecht an der Universität Halle und Vorsitzen- der der StäKo. Die Klinik beurlaubt den Arzt im November 2011, man schließt einen Auflösungsvertrag.

Erst im Oktober 2008 war der Chir - urg von der Universitätsklinik Re- gensburg nach Göttingen gekom- men, um ein Lebertransplantations- programm aufzubauen.

„Der Göttinger Komplex könnte das schwerwiegendste Fehlverhal- ten im Bereich der Organtransplan- tation sein, das mir bekannt ist“, sagte Lilie zum Deutschen Ärzte- blatt. Zwar gebe es jährlich ver - einzelt kleinere Verstöße gegen Richtlinien der BÄK, oft mangels Information. Das Geschehen in Göttingen aber habe ein „erschüt- terndes Ausmaß“. So gab es nach Angaben der Uniklinik Göttingen bei 26 von 91 Patienten, die unter Federführung des Chirurgen zwi- schen 2010 und 2011 eine neue Le- ber erhalten hatten, Auffälligkeiten.

„Meist geht es um falsche Angaben zu Krankheitszustand und Labor- werten, um den MELD-Score zu er- höhen und damit die Chance, rasch ein postmortales Organ zu erhal- ten“, sagt Lilie. Teilweise seien Dialysetherapien erfunden worden.

Seit Ende 2011 ermittelt die Staats- Wie war Ihre Reaktion, als

Sie von den Vorwürfen des Fehlverhaltens an der Unikli- nik Göttingen hörten?

Bahr: Der Vorwurf, dass in Deutschland die hohen ethi- schen Regeln der Transplantati- onsmedizin missachtet worden sein sollen, wiegt schwer. Gera- de angesichts des Organman- gels lebt die Transplantations- medizin davon, dass Ärzte die strengen Regeln akzeptieren und das Vertrauen der Bevölke- rung nicht missbraucht wird.

Die Vorwürfe müssen daher so schnell wie möglich aufgeklärt werden. Wenn sie sich bestäti- gen, müssen harte Konsequen- zen gezogen werden – nicht nur für die verantwortlichen

Mediziner, sondern auch in Be- zug auf die Verfahrensregeln.

Die Vorwürfe kommen zu ei- ner Zeit, in der sich die Poli- tik massiv um eine Erhöhung der Organspendebereitschaft in der Bevölkerung bemüht.

Bahr: Das ist mir eine Herzens- angelegenheit, ich bin schon lange in einer Organisation ak- tiv, in der sich auch viele trans- plantierte Menschen engagie- ren. . . . Die Warteliste ist lang, und auf der anderen Seite gibt es nur geringe Spenderzahlen.

Der mögliche Vertrauensverlust könnte die Mangelsituation ver- schärfen. Deswegen dürfen wir gerade jetzt nicht nachlassen, für Organspende zu werben.

Wie sehen Sie die Rolle der Bundesärztekammer?

Bahr: Ich begrüße ausdrück- lich, dass eine Diskussion in der Ärzteschaft über bessere Verfahrensregeln geführt wird.

Ich wünsche mir, dass die ärztliche Selbstverwaltung Konsequenzen aus den Vor- würfen zieht und entsprechen- de Veränderungen in ihren Richtlinien vornimmt. Daher erwarte ich entsprechende Verbesserungsvorschläge von der Bundesärztekammer. An- dernfalls wäre die Politik ge- fordert. Aber ich bin zuver - sichtlich, dass die Bundesärz- tekammer sinnvolle Maßnah- men ergreifen wird.

Fragen: Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

3 FRAGEN AN . . .

Daniel Bahr (FDP), Bundesgesundheitsminister

Foto: dpa

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A 1536 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 31–32

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6. August 2012 anwaltschaft Braunschweig, eine

Zentralstelle für Korruptionsstrafsa- chen. Inzwischen hat sie ihre Er- mittlungen auch auf den Leiter der Abteilung Gastroenterologie der Uniklinik Göttingen ausgedehnt (Stand: 30. Juli). Der Professor für Gastroenterologie war mit Vorun- tersuchungen von möglichen Kan- didaten für Lebertransplantationen befasst. Er ist nun freigestellt.

Als möglicher Straftatbestand kommt nach Angaben der Staatsan- waltschaft bei dem Chirurgen Be- stechlichkeit infrage und bei beiden Ärzten Körperverletzung mit und ohne Todesfolge, sofern sich ein ge- sundheitlicher Schaden festmachen lasse bei Kranken, die durch fal- sche Angaben zum MELD-Score bei Göttinger Patienten auf der War- teliste nach hinten rückten. Man prüfe Akten von 23 Patienten.

Wie fühlt sich ein Patient, bei dem Daten gefälscht wurden?

Es gab Hausdurchsuchungen bei dem Lebertransplantationschirur- gen, aber auch bei einer Vermitt- lungsfirma für medizinische Diens- te, so die Staatsanwaltschaft. Und es werde untersucht, ob sich beide ausländischen Patienten der Beste- chung schuldig gemacht hätten. In einem Fall wurde Anzeige wegen Organhandels gestellt.

„Das ist ein eklatanter Einzelfall, der aber fatale Folgen für die Glaubwürdigkeit der Transplantati- onsmedizin in Deutschland haben und die Organspendebereitschaft weiter verringern kann“, fürchtet Prof. Dr. med. Richard Viebahn, Direktor der Chirurgischen Univer- sitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, Vorsitzender der Ethik- kommission der Deutschen Trans- plantationsgesellschaft und Mitglied der Überwachungs- und der Prü- fungskommission bei der BÄK. Vie- bahn denkt auch daran, wie sich Patienten aus Göttingen fühlen, die fürchten müssen, an anderen Kran- ken auf der Warteliste vorbei eine Le- ber erhalten zu haben. „So etwas darf nie wieder vorkommen“, sagt Viebahn.

Und so steht derzeit die Frage im Raum, ob die gegenwärtigen Instru- mente ausreichen, um Regelverstö-

ße aufzudecken, zu sanktionieren und ihnen vorzubeugen. Im konkre- ten Fall, räumt ein Sprecher des Universitätsklinikums Göttingen ein, habe eine „Erfolgsbeteiligung des Arztes an den über eine be- stimmte Anzahl hinausgehenden Lebertransplantationen möglicher- weise Fehlverhalten begünstigt“.

Solch einen Vertrag werde man künftig nicht mehr abschließen. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lau- terbach, plädierte in der „Frank - furter Allgemeine Sonntagszeitung“

(29. Juli) für eine umsatzunabhän- gige Vergütung leitender Ärzte.

Transplantationsmediziner sehen sich, auch angesichts des großen Mangels an Organen, zunehmend unter Druck. Sie müssen sich Pa- tienten erklären, die fürchten, auf der Warteliste zu sterben. Normver- stöße, so ein Insider, hätten da in der Vergangenheit möglicherweise nicht immer die für eine effektive Prävention nötigen Folgen gehabt.

Bei dem jetzt verdächtigten Leber- chirurgen hatte die zuständige Kom- mission bei der BÄK schon 2005 ei- nen gravierenden Regelverstoß fest- gestellt. Eine im ET-Bereich entnom- mene Leber war für eine Retrans- plantation nach Jordanien geflogen worden für eine Patientin, die in Re- gensburg stationär gemeldet war.

„Die Kommission hat damals allen zuständigen Institutionen ihren Be- richt zugesandt: Uniklinikum, dem bayerischen Sozial- und dem Wis- senschaftsministerium, Landesärzte- kammer, Staatsanwaltschaft“, zählt Kommissionsmitglied Viebahn auf.

„Mit Ausnahme der Universität gab es keine erkennbare Aktivität.“

Die Kommissionen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen vertrauensfördernden Effekten, die eine Offenlegung der Kontrollarbeit haben können, und dem Risiko einer rufschädigenden Wirkung für Ärz- te*. Immerhin: Die „Suchschein- werfer“ der Kommission wurden mit der Novellierung des Transplan- tationsgesetzes verstärkt. Hieß es im früheren § 12 nur, dass Vermitt- lungsentscheidungen in regelmäßi- gen Abständen durch eine Prüfungs- kommission geprüft werden müss- ten, so werden im neuen § 12 „Ver-

mittlungsstelle und Transplantations- zentren verpflichtet, der Kommissi- on die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erfor- derlichen Auskünfte zu erteilen“. Re- gelverstöße sind den Behörden zu melden. „Wir müssen nicht mehr in jedem Einzelfall für Gespräche und Akteneinsicht das Einverständnis der Kliniken einholen“, sagt Lilie.

Positiver Effekt von mehr Transparenz erhofft

Während der Handel mit Organen schon früher unter Strafe verboten war, gibt es auch im novellierten Ge- setz keinen Straftatbestand, der Ver- stöße gegen Allokationsregeln um- fasst. Sie können unter Umständen als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bewehrt sein oder berufs- oder dienstrechtliche Konsequenzen haben. Mit Bußgeldstellen, Landes- ärztekammern und Krankenhausauf- sicht stünden eigentlich „potente Ahndungsinstanzen zur Verfügung, die freilich auch den Willen haben müssen, an einer effizienten Überwa- chung mitzuwirken“, meint der Bon- ner Jurist Prof. Dr. Torsten Verrel*.

Die BÄK schlägt nun ein „Vier-Au- gen-Prinzip“ vor: Ein in die Behand- lung des Patienten nicht involvierter Labormediziner sollte Laborwerte von Patienten noch einmal prüfen.

Außerdem sollten verdachtsunab- hängige Visitationen an Transplanta- tionszentren möglich sein. Schließ- lich werde erwogen, die Arbeit der Prüfungs- und Überwachungskom- mission ausführlicher darzustellen als in der bisher knappen Form im jährlichen Tätigkeitsbericht der BÄK, ohne Vorgänge einer konkre- ten Person oder einem bestimmten Zentrum zuzuordnen. Mehr Transpa- renz könne einen präventiven Effekt haben, meint Lilie. Die Forderung des Gesundheitsministers, die Vor- gänge in Göttingen aufzuklären, wer- de die Kommission den rechtlichen Kompetenzen entsprechend in vol- lem Umfang erfüllen. „Wir möchten einen Abschlussbericht vorlegen“, sagt Lilie, „wenn möglich, auch der

Öffentlichkeit.“

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

*in: Middel, C-D, Pühler, W, Lilie, H, Vilmar, K (Hrsg.):

Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts.

Deutscher Ärzte-Verlag; Köln 2010: 205.

P O L I T I K

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