A32 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 1–2⏐⏐8. Januar 2007
B R I E F E
kennen, auf welcher Rechtsgrundla- ge die Vereinbarung mit der AOK er- folgt ist, verpflichtet das Wirtschaft- lichkeitsgebot nach SGB V die Kran- kenkassen doch ausdrücklich zum wirtschaftlichen Umgang mit den Mitteln der Versichertengemein- schaft. Auch für einen IV-Vertrag fehlt nach meinem Dafürhalten die Rechtsgrundlage, sind IV-Verträge ausdrücklich nur für etablierte Behandlungsverfahren, keinesfalls für experimentelle Verfahren zu- lässig . . .
Dr. med. Gerhard A. Horstmann,Lutherstraße 54, 47805 Krefeld
SEMMELWEIS – SCANZONI
Wissenschaftlicher Konflikt über das
„Leichengift“ als Ur- sache des Kindbett- fiebers (DÄ 42/2006:
„Herr Hofrath hatte 13 Jahre lang recht, weil ich 13 Jahre lang schwieg“ von Dr.
med. Antonia Djakovic, Prof. Dr. med. Jo- hannes Dietl).
Ergänzungen zur Krankengeschichte
Zunächst ist die Skepsis der Gynäko- logen gegenüber Semmelweis ver- ständlich. Durch andere Maßnahmen war die Müttersterblichkeit in der größten Gebärklinik Europas bereits von 15,8 Prozent (1842) auf 11,04 Prozent (1846) und 5,04 Prozent (1847) gefallen. Durch die zusätzli- chen von Semmelweis durchgesetz- ten Maßnahmen – Waschung der Hände 15 Minuten in wässriger Chlorkalklösung vor Berührung ei- ner Gebärenden – sank die Mütter- sterblichkeit von 5,04 Prozent (1847) auf 1,01 Prozent (1848) . . . Deshalb war es selbstverständlich, dass es ei- ner Diskussion bedurfte, welche der verschiedenen ergriffenen Maßnah- men dafür verantwortlich waren.
Semmelweis entzog sich einer sol- chen Diskussion, blieb selbst wohl- meinenden Kollegen Beweise schul- dig, erging sich in den erwähnten In- jurien und veröffentlichte erst 1861 eine Arbeit zum Thema „Kindbett- fieber“. Kein Wunder, dass die Fron- ten so verhärtet waren. Ins Reich der
Legende gehört aber die von den Au- toren erwähnte Geisteskrankheit von Semmelweis. Dem ungarischen Arzt und Historiker Silló-Seidl gelang es vor etwa 30 Jahren, neue Unterlagen zu dieser Frage aufzustöbern, darun- ter die „Krankengeschichte“ der Nie- derösterreichischen Landesirrenan- stalt. Semmelweis’ Gesundheit war durch den von ihm wesentlich mit verschuldeten polemischen Kampf physisch und psychisch schwer an- gegriffen. Seine Frau und angebliche ärztliche Freunde vermeinten in sei- nem Wesen bedenkliche Veränderun- gen festgestellt zu haben. Sie überre- deten Semmelweis zu einer Kur in einem österreichischen Sanatorium.
Auf der Durchreise in Wien führte man ihn jedoch unter dem Vorwand, ihm eine neue Klinik zeigen zu wol- len, in eine „geschlossene An- stalt“ . . . Als Semmelweis merkte, wohin er geraten war, versuchte er zu entkommen . . . Dass Semmelweis schrie und sich wehrte, galt nach be- währter Irrenhausweisheit gerade als Beweis für seine Geisteskrankheit.
Sie steckten den Aufsässigen in eine Zwangsjacke und schleppten ihn in eine Dunkelzelle. In den folgenden vierzehn Tagen erfuhr Semmelweis mehrfach eine sogenannte „Beruhi- gung“. Wie sie erfolgte, bleibt in der Krankengeschichte offen, auch ob er dabei eine Verletzung erlitt. Zum Schluss bemerkte man eine nach außen durchgebrochene Wunde des Brustraums und den „gangränösen“
rechten Mittelfinger. Mit Sicherheit ist Semmelweis an einer Sepsis ge- storben, der Krankheit, gegen die er sein Leben lang gekämpft hat . . .
Dr. med. Rolf Klimm,Bach 2, 83093 Bad Endorf
Ergänzungen zum beruflichen Werdegang
Mit viel Interesse und sehr großer Freude habe ich den Beitrag über Semmelweis und Scanzoni gelesen.
Trotz des gut recherchierten und inter- essant beschriebenen Verhältnisses zwischen Semmelweis und Scanzoni möchte ich ein paar Ergänzungen hin- zufügen. Prof. Dietl schreibt, „ . . . die semmelweisschen Thesen wurden ein- fach nicht mehr wahrgenommen. Zwi- schen den Jahren 1850 und 1861 er- schien keine einzige Publikation, die
Partei für Semmelweis ergriff.“ Dazu möchte ich anmerken, dass Semmel- weis nach langem aussichtslosem Kampf mit dem konservativen und ignoranten Prof. Klein in Wien im Ok- tober 1850 in seine Heimatstadt Buda- pest zurückgekehrt ist. Er übernahm 1850 die Leitung der gynäkologischen Abteilung des St.-Rochus(Rokus)- Krankenhauses in Budapest und an- schließend 1855 den Lehrstuhl an der Universität in Budapest, wo die Sterb- lichkeit durch das Wochenbettfieber dank der Arbeit von Semmelweis um ein Prozent lag. Die semmelweisschen Thesen wurden nur in Deutschland aus Ignoranz vonseiten Scanzonis, Virchows und anderer deutschspra- chiger Koryphäen nicht wahrgenom- men. Zitat von Semmelweis aus dem Brief von 1860 an die ungarische Aka- demie der Wissenschaften: „Nach der Rückkehr in meine Heimat teilte ich meine Erfahrungen und meine Theorie über das Wochenbettfieber den ungari- schen Kollegen in dem Ungarischen medizinischen Wochenblatt mit. Wäh- rend jedoch meine Lehre daheim nicht auf Gegner stieß, war sie in Deutsch- land Angriffen und Verzerrungen von mehreren Seiten ausgesetzt.“ . . .
Dr. Akos Varszegi,Hallerstraße 25, 20156 Hamburg
USA
Nur noch die Ärzte bewahren das Sys- tem vor dem Kollaps (DÄ 41/2006: „Not- fall ,Notfallmedizin‘“
von Dr. med. Ronald D. Gerste).
Unterhaltsame Produktion
Wer die amerikanische „Emergency Room“-Serie (ER) einige Male gese- hen hat, wird die im Artikel beschrie- benen Probleme alle schon gekannt haben. Ich möchte daher behaupten, auch Unterhaltung kann informativ sein, wenn gut recherchiert. Dass der Autor sich dazu herablassen konnte, der Serie Realitätsferne zu bescheini- gen, kann m. E. nur am zunehmen- den Zeitmangel liegen . . . Selber ge- sehen hat der Autor die unterhaltsa- me Produktion wohl kaum.
Dr. med. Michael Stiel,Herpenstraße 22, 53117 Bonn