• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Balsam des Lebens" (28.01.1983)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Balsam des Lebens" (28.01.1983)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

„Gesundheit" ist kein fest- stehender Begriff. Der Be- griffsinhalt wechselt, wie der Verfasser, ein ausgewiese- ner, der Medizin und dem Gesundheitswesen seit lan- gem verbundener Rundfunk- journalist, belegt, durch die Jahrhunderte. Heute gilt es wieder, ihn mit neuem Inhalt zu füllen. Der Beitrag geht auf ein Referat im Rahmen des Interdisziplinären Kollo- quiums „Gesundheitspolitik

— historische und zeitkriti- sche Analysen", im Institut für Geschichte der Medizin der Universität Heidelberg zurück. Er wurde für das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT bearbeitet.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 4 vom 28. Januar 1983

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Balsam des Lebens

Beeinflussung der Vorstellung von Gesundheit durch Mode und Medien

Johannes Schlemmer

Die Vorstellung, was Gesundheit sei und welche Konsequenzen für das eigene Verhalten aus dieser Vorstellung abzuleiten seien, ist — wenn diese Vorstellung von der Mehrheit unserer Bevölkerung ge- teilt wird — ein Kriterium, das über die Zukunft unseres Gesundheits- wesens entscheidet. Nun mag es radikale Denker im Lager der Ärzte geben, die das für irrelevant hal- ten, weil erstens der Arzt vom Selbstverständnis und Auftrag her der Helfer der Kranken sei und nicht der Gesunden, und weil zweitens die Gesundheit seit eh und je — und erst recht heute — ein Thema von Deklamationen, Pro- klamationen und Reklame sei.

Und sonst nichts. Für diese Ableh- nung der Gesundheit als ernsthaf- tes Thema spricht einiges, wie einige Belege ausweisen, die nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sind.

In einem Reklameflugblatt aus dem Jahr 1680 heißt es: „zu wis- sen und kund sey / daß allhier wie- der ankommen / der bekannte/

wohlerfahrne / und kunstreich — weit — berühmte Zahnkünstler / welcher bei vielen Fürsten / Gra- fen/und Reichs-Städten jederzeit wegen seiner Kunst sehr beliebet/

und wohl gelitten / auch von hoch- gerühmten Facultäten und Medi- cis über solche Zahn-Kunst-Cur / und andere dergleichen Wissen- schaften ordentlich examiniert worden/wovon er auch eine Men- ge der schönsten Testimonien auf- zuweisen hat." Und dann preist der Doktor seine köstlichen

„Zahn-Latwergelein", sein Haupt- pulver zum Schnupfen und ein köstlich Pflaster „vor die Hüner- Augen" an.

300 Jahre später treten telekonsi- larisch begabte Doktoren in Illu- strierten in Erscheinung — mit Bild versteht sich — wo sie auf eine 10- Zeilen-Anfrage eine Art Ferndia- gnose bieten, deren Unverbind- lichkeit oft in Idealkonkurrenz zu den umseitigen Horoskopen steht.

Oder im Fernsehen tauchen — um bei den Zahndoktoren zu bleiben — weiß bekittelte Dressmen auf — beileibe keine richtigen Mediziner, denn mit ihnen zu werben, ist nicht erlaubt — die als Zahnberater oder Zahnheilpraktiker das Heil für die Zähne versprechen, indem sie ständig die erste Silbe des ver- botenen Ganzen im Munde füh- ren: med, von blendamed und dentamed zu medigel und med- laxan. Von der Zahnlatwerge der 300 Jahre älteren Medizinwerbung unterscheidet sie nur die Elek- tronik.

Heute wie damals wird und wurde mit Hilfe der Medien ja nicht nur für Mittel zur Wiederherstellung der Gesundheit geworben, son- dern auch für deren Erhaltung. In dem von einem Arzt herausgege- benen Periodikum „Der Volksleh- rer" heißt es 1781 „Was meint ihr wohl, wo das herkommt, daß wir nicht mehr so groß und stark sind, wie unsere Alten? Ihr mögts nun glauben oder nicht, es kommt von Thee und Kaffee und vom Wein Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 4 vom 28. Januar 1983 59

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Mode, Medien, Gesundheit

her, da wußten die Alten alle nichts von."

Das war natürlich noch Aberglau- be. Nur 200 Jahre später erscheint des Wunderheiler Köhnlechners medizinisches Weinbrevier, wo er die in seinem Institut für Erfah- rungsmedizin gefundene Einsicht belegt, daß wer immer auf die Ge- sundheit anderer trinkt, auch et- was für die eigene tut. Wer noch dazu sein neues Geriatricum schluckt, tut einen weiteren Schritt, wenn auch nicht in Rich- tung Unsterblichkeit so doch zu einer bewahrten Vitalität.

Zauberwort „Vitalität"

Ganz gewiß ist Vitalität ein Zauber- wort in einer Zeit der Halbwüchsi- gen-Idole, da Kinder zu hochbe- zahlten Fotomodellen avancieren.

Die elfjährige Tamara Jones hat eine Tagesgage von mehr als 2000 Mark. Die Sehnsucht nach Ge- sundheit wird über ihr Sinnbild Ju- gend vermarktet, wo immer es geht. Und es geht fast immer, nicht nur beim vorpubertären Sex- appeal der abgelichteten Baby- vamps, sondern auch bei Kindern, die als Spitzensportler zu Idolen nicht nur der Gesundheit, sondern auch der nationalen Geltung ge- macht werden. Und nicht nur bei den Eisläuferinnen und Schwim- merinnen gehört, wer 20 ist, zum alten Eisen. Was Wunder, daß mit exogenen Regulationen versucht wird, Jugend und Leistung in der Spitzenposition zu halten.

Und wenn alles nichts mehr hilft, wenigstens mit Anabolika und Do- ping die Leistungsfähigkeit noch ein wenig über ihre eigenen Gren- zen hinwegzuschmuggeln. Und so kommt es, daß unter dem Zwang der auf sie gerichteten Kameras einer nach Superlativen gierenden Öffentlichkeit und unter der Ver- lockung des großen Geschäfts mit den modischen accesoires spor- tifs die Manager den Leistungs- sport zu einer Fehlleistung degra- dieren. Die Gesundheit hört auf, wo Spitzensport anfängt.

Je nach Geschmack: Benn, Hemingway oder Proust

„Die Gesundheit ist der Balsam des Lebens", hieß es in den „Ge- meinnützigen Blättern" von 1796.

Heute ist man prosaischer: He- mingway hielt die Gesundheit ne- ben einem schlechten Gedächtnis für die Voraussetzung von Glück.

Und Gottfried Benn reduzierte gar die Prämissen des Glücks auf

„dumm sein und Arbeit haben", von Gesundheit ist nicht mehr die Rede. Nun war Benn Facharzt für 1-lut- und Geschlechtskrankhei- ten, und auch sonst ein Pessimist, also quasi ex officio in Verlegen- heit bei der Definition dessen, was Gesundheit sei. Genauer war da schon ein anderer assoziativer Wortkünstler: Proust bedauerte die Menschen, die ihm unheilbar gesund erschienen. Und so wie sie Beardsleys Zeichenstift verkörper- te, ist auch die Seinsweise der be- dufteten und künstlich beleuchte- ten Dekadence eine Facette von Gesundheit, deren Definitionen schillern, wie vieles, von dem wir Vorstellungen haben, die wie die Moden wechseln. Nun ist der Wechsel ein Kriterium des Fort- schritts, und so gesehen wäre die Mode einer seiner Garanten. Was wäre aber, wenn Proust recht hät- te und die unheilbare Gesundheit die eingebildete wäre, würde er dann nicht mit der modernen Me- dizin und ihren 40 000 beschriebe- nen Krankheitsbildern überein- stimmen, nach der Gesundheit ei- ne Fiktion ist und ihr Träger nichts als ein unzureichend untersuchter Kranker?

Vielleicht kehren wir doch lieber zu Aristoteles zurück, der lieber gesund sein wollte als erkennen, was Gesundheit sei. Oder wir ma- chen's den Psychologen nach und formulieren analog deren Intelli- genzdefinition „Intelligenz ist, was der Test mißt", Gesundheit ist, was der Arzt nicht behandeln muß.

Aber er muß, denn nach unserem System ist daran die Existenzfrage geknüpft. Wie lange wohl noch?

Das ist eine volkswirtschaftliche Preisfrage. Jährlich erhalten 6000

Ärzte mehr die Approbation als ausscheiden. Und wenn auch hier die Nachfrage dem Angebot folgt, ist das Ende aller Gesundheit, auch der eingebildeten, in Sicht.

Zwar gibt der Markt noch einiges her, so wie man einen größeren Wagen fahren kann oder einen Zweitwagen, kann man sich einen höher qualifizierten Arzt halten, ei- nen Privatdozenten oder Profes- sor, entsprechend einem Merce- des 300 etwa, oder man hat neben dem Allgemeinarzt noch einen einschlägigen Spezialisten. Oder neben dem Schulmediziner einen Außenseiter, etwa einen Auricu- loakupunkteur. Soll gerade „in"

sein. Oder man genehmigt sich ei- ne angenehme Folge von thera- peutischen Bemühungen, der durch das Fernsehen bundesweit bekannten schönen Ärztin vom Tegernsee, in deren Vitalstudio, angesiedelt in den Räumen eines First-class-Hotels, auch die Proustsche Unheilbarkeit behan- delt wird.

• • • oder die

Weltgesundheitsorganisation?

In der Tat, es ist ein vordergründig probates, letzten Endes aber selbstmörderisches Mittel, durch Verschiebung der Normen, die die Behandlungsbedürftigkeit be- zeichnen, diese auszudehnen in Bereiche, die man vordem als Grenzbereiche gelten ließ, oder gar der fiktiven Gesundheit zu- rechnete. Wie die Weltgesund- heitsorganisation, um ihrer eige- nen Parole zu folgen, diesen Trend bis zum Jahr 2000 umkeh- ren will, um dann Gesundheit für alle zu schaffen, bleibt ihr bisher streng gehütetes Geheimnis. Es sei denn, sie habe etwa vor, nicht mehr die Beschreibung neuer Krankheitsbilder mit Anerken- nung, die sich dann in Ziffern nie- derschlagen, zu honorieren, son- dern deren Abschaffung. Also et- wa aus der Legasthenie unter der Beweislast der Tatsache, daß bei uns im Land 1 Prozent der Schul- kinder daran leiden, in Hamburg aber 20 Prozent, eine passagere 60 Heft 4 vom 28. Januar 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

(3)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Mode, Medien, Gesundheit

Sehstörung der Diagnostiker zu machen, und sie von der Liste der Hirnkrankheiten zu streichen und solche Erwägungen mit dem Ma- lus der Lächerlichkeit zu ahnden.

Oder der Zellulitis, womit eine das kritische Männerauge störende Neigung zur Oberschenkelfeistig- keit gemeint ist — in Verletzung medizinischer Sprachkonvention wohlgemerkt — dieser Zellulitis die Behandlungsbedürftigkeit zu ent- ziehen, besonders die mit kosme- tischen Cremes und Salben. Wenn aber die Behandlungswürdigkeit eine Stufenleiter bleibt, die be- quem zu jenen Höhen führt, auf denen als Lohn ein Schwerbe- schädigtenausweis winkt, dann ist in Umkehrung der WHO-Parole das Ende aller Gesundheit in Sicht. Und bisweilen hat man wirk- lich den Eindruck, als sei jener Ausweis im Bereich unseres Medi- zinalsystems zum Handlungsziel geworden, während Gesundheit ein bloßes Deklamationsziel sei, oder gar zu einem Werbespot ver- komme, gerade noch geeignet mit schlanken Beinen und blanken Busen und dem jeweiligen Objekt, dessen Verkäuflichkeit erhöht werden soll, angepriesen zu wer- den. Ein Wortidol, das eine schöne Empfindung assoziiert, aber mit der Wirklichkeit wenig mehr zu tun hat. Sind wir wirklich so weit, daß Gesundheit nur noch eine elektronisch verbreitete Fama von einer nostalgisch ersehnten Ur- sprünglichkeit ist, die in der Wer- bung fortlebt und dort mit angebo- renen auslösenden Mechanismen bildlich verkoppelt auch „in"

bleibt? Beine und Busen nutzen sich als Werbeträger nicht ab.

Zweifellos ist Gesundheit „in", zweifelhaft die Idealkonkurrenz:

„0, du lieber Augustin

— variiert Hans Weigel — Alles ist in.

Geld ist in, Sex ist in, Marx ist in, in ist in, 0, du lieber Augustin, alles ist in."

Besonders „in" sind und bleiben wohl auch die Schlüsselwörter un- serer Wunschvorstellungen und

Sehnsüchte: Jugend, Schönheit und Gesundheit. Sie sind so etwas wie der Generalbaß, über dem Me- dien und Moden, meist in enger technischer Verknüpfung, ihre auf Abwechslung bedachten Melo- dien spielen.

Daß die Gesundheit für Medien und Mode ein allzu ernstes Thema sei, kann wirklich niemand be- haupten. Aber es ist offensichtlich auch nicht so, daß dieses Thema nur als Werbegag vermarktet wür- de. Die bewegenden, auch das Verhalten beeinflussenden Kräfte, die durch geweckte Wunschvor- stellungen mobilisiert werden, sind — wenn sie auf vernunftbe- ständige Ziele hingelenkt werden

— Motoren eines möglichen Fort- schritts. Mode und Medien sind vorhanden und in ihrem Einfluß abschätzbar. Es wäre wünschens- wert, wenn die richtigen Leute sie zur Erreichung vernünftiger Ziele einsetzen würden.

Ein Thema für Ärzte

Etwa für die Bewahrung und Ver- mehrung der Gesundheit. Wäre dies nicht ein vernünftiges Ziel?

Und wären nicht die Ärzte die rich- tigen Leute? Aber viele Ärzte — und ganz besonders die um Exakt- heit ihrer Wissenschaft bemühten

— halten die Gesundheit für kein Thema. Und zwar nicht nur, weil sie als Ärzte ja — wie schon zuvor gesagt — allein dem Kranken ver- pflichtet seien und dem Bemühen, seine Krankheit zu besiegen, son- dern auch, weil niemand wisse, was Gesundheit eigentlich sei.

Und in der Tat, die Bemühungen zu beschreiben, was Gesundheit ist, sind so alt wie die Medizin als Wissenschaft, die auch über sich selbst und ihr Tun nachdenkt. Und je nach Zeiten und geistigen Strö- mungen in ihnen und je nach Men- schen und ihren Einstellungen zum Leben fielen die Definitionen unterschiedlich, ja gegensätzlich aus. Auch der heutzutage mit Hilfe von „check up" und automati- schen Analysegeräten immer noch

gemachte Versuch, aus so erhobe- nen Daten und ihrem Vergleich mit einer künstlich gemittelten Norm auf Anomalien in der Funk- tion des Organismus zu schließen und dies als fehlende Gesundheit zu interpretieren, auch dieser Ver- such ist ebenso fragwürdig wie et- wa die Formel, deren Aktualität niemand bestreiten kann: „Ge- sundheit ist Arbeit und Arbeit ist Gesundheit."

Aber ist nicht die Vorstellung hilf- reicher, es gebe gar nicht die Ge- sundheit, sondern nur Gesundhei- ten, von denen der Mensch im Laufe seines Lebens viele durch- mache. Nietzsche hat das wohl ge- meint, aber auch bei Schopenhau- er taucht die Pars-pro-toto-Proble- matik auf, in seinem berühmten Paradox „Gesundheit ist nicht al- les, aber alles ist nichts ohne Ge- sundheit." Was ja wohl heißt: Ge- sundheit ist nicht letzter Lebens- zweck, wohl aber eine Vorausset- zung dafür, den Sinn des Lebens ganz zu erfüllen, den man dann wieder beschreiben kann als Selbstverwirklichung im Dienste an den Mitmenschen, denen man sich zugehörig fühlt. Oder um eine grade in ihrer Einfachheit über- zeugende Beschreibung von Karl Barth zu wiederholen, der die Ge- sundheit als Kraft zum Mensch- sein gekennzeichnet hat.

Wie überzeugend und hilfreich ist diese Formel, gemessen etwa an der den Selbstzweck suggerieren- den Deutung der Weltgesund- heitsorganisation, nach der Ge- sundheit . . . „ein Zustand voll- kommenen körperlichen, geisti- gen und sozialen Wohlbefindens"

ist. Abgesehen davon, daß hier zur Definition eines Begriffs undefi- nierte Begriffe wie etwa Wohlbe- finden verwendet werden, bewirkt diese Übertragung des Vagen ins Unbestimmte eine Verschärfung der Situation unseres Gesund- heitswesens, die gekennzeichnet ist, durch selbstbezogenes An- spruchsdenken aller daran Betei- ligten und durch den Aberglauben an die Restaurierbarkeit der Ge- sundheit. Gesundheit ist zwar fast Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 4 vom 28. Januar 1983 63

(4)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Mode, Medien, Gesundheit

immer zu bewahren, aber nur sel- ten wiederherzustellen. Der Jam- mer ist, daß die Ärzte sich (noch) allzusehr als Restaurateure be- trachten und die Patienten sie in diesem Irrtum bestätigen. Einem Irrtum, der durch die von den Me- dien verbreiteten und durch Mo- den bestärkten Neuigkeitswahn zwar nicht begründet wohl aber teilweise erklärt wird. Wann ist Krankheit denn wirklich ein Schicksal, das über uns herein- bricht, und wann werden Krank- heiten dank der von Nummer zu Nummer der Illustrierten bejubel- ten neuen Therapien wirklich ge- heilt? Die Krankheiten unserer Zeit — die, die auf den Morbiditäts- listen obenanstehen, sind wesent- lich von uns selbst herbeigeführt.

Keine Schicksalsschläge, wie ge- sagt — auch wenn sie uns dann so erscheinen — schon eher die klei- nen Sünden wider die Natur, von denen Hippokrates schon redete.

Wir wissen von dem, was notwen- dig wäre, so viel, warum tun wir so wenig davon? Es geht gar nicht um große spektakuläre Eingriffe in unser Leben, keine Kasteiungen, keine Selbstbespitzelungen, es geht nicht darum, Gesundheit zum Fetisch zu machen. Es hat in der Geschichte viele überzeugende Beispiele gegeben, und es gibt sie auch heute noch, daß Gebrechen und Minderleistungen des Körpers einhergehen mit geistigen und moralischen Mehrleistungen der gleichen Person, Leistungen, die ein überzeugenderer Ausdruck von Gesundheit im Barthschen Sinne waren, als es Kurven und Diagramme jemals sein könnten.

Gesundheit ist also keineswegs nur Wohlbefinden und Fitness, wenn auch die körperliche Lei- stungsfähigkeit ein erstrebens- wertes Ziel ist, das zu erreichen mit Klugheit und Beständigkeit leichter fällt als mit Anstrengung und Entsagung, etwa im Lebens- genuß. Die besten Küchen etwa sind dort entstanden, wo die Leute arm waren, wo sie das wenige, das ihnen zur Verfügung stand, zur optimalen Wirkung brachten, auch im Hinblick auf die Freude,

die der Genuß bereitet. In der lan- gen Geschichte menschlicher Kul- tur war die Gesundheit stets mehr gebunden und begründet in Ver- haltensregeln, die die Mitglieder dieser Kulturgemeinde einhielten, als in den wiederherstellenden Be- mühungen und Fähigkeiten von Ärzten.

Die Freiheit,

sich zugrunde zu richten

Das ist keine Absage an die Größe und Bedeutung der kurativen Me- dizin. Kranke wird es immer ge- ben, und hoffentlich wird nie eine Obrigkeit soviel Gewalt über den einzelnen gewinnen, daß diesem die Freiheit genommen würde, sie zu mißbrauchen und sich in Saus und Braus zugrunde zu richten.

Aber unser Gesundheitswesen ist ein System kollektiver Hilfelei- stung, das nur so lange funktionie- ren kann, wie die, die Hilfe wirklich brauchen, eine Minderheit sind.

Und daß sie's bleiben, dafür müs- sen neue Anreize geschaffen wer- den, neue Systeme der Begünsti- gung des vernunftgelenkten Han- delns müssen etabliert werden.

Das ist eine große, schwierige Auf- gabe, die eine langfristige Strate- gie erfordert. Gesundheitserzie- hung sollte das große medizini- sche Thema der nahen Zukunft sein. Denn wir werden das, was sich heute als Fortschritt der Me- dizin anbietet, morgen nicht mehr bezahlen können, wenn unser Ge- sundheitswesen ein soziales Sy- stem bleiben soll, d. h. wenn nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch im Krankenbett alle gleich sein sollen. Die neuesten Therapien werden — weil verbunden mit der Anwendung modernster Naturwis- senschaft und Technik — fast im- mer die teuersten sein. Nur wenn eine kleine Minderheit ihrer be- darf, wird der Standard moderner Medizin zu wahren sein. Der Mehr- heit aber muß es gelingen, ihre Gesundheit zu bewahren.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. h. c. Johannes Schlemmer Ladenburgerstraße 70

6900 Heidelberg

KURZBERICHTE

Künftig auch

Rückruf-System der Reformhäuser

Die Reformhäuser wollen künftig ein „Arzneimittelsicherheits-Sy- stern" praktizieren. Damit soll der Anspruch der Reformhäuser, zu- verlässige Partner auf dem Markt freiverkäuflicher Arznei- und Heil- mittel, insbesondere auch Natur- heilmittel, zu sein, abgesichert werden.

Der Bundesfachverband Deut- scher Reformhäuser e. V. hat ei- nen detaillierten Ablaufplan aus- gearbeitet, der einsetzen soll, wenn Arzneimittel vom Bundesge- sundheitsamt zurückgenommen oder widerrufen werden.

Der Plan basiert auf dem Schnee- ballsystem: Der Reformhaus-Ver- band benachrichtigt telefonisch und schriftlich 40 Arzneimittel- Vertrauensleute, diese wiederum 205 Arzneimittel-Beauftragte. Die insgesamt 245 Kontaktleute sind zuständig jeweils für etwa 10 Re- formhäuser.

Bei einem Rückruf überzeugen sie sich persönlich in „ihren" Reform- häusern, daß die Arzneimittel — wie es Verbandsgeschäftsführer Hans-Jürgen Schläper vor der Presse ausdrückte — „aus den Re- galen verschwinden". Die Reform- häuser bestätigen auf einer Kartei- karte, daß sie die inkriminierten Mittel an die Hersteller zurückge- sandt haben. Die Bestätigungskar- ten laufen an den Bundesfachver- band zurück, der dann dem Bun- desgesundheitsamt Vollzugsmel- dung erstattet. Neben dem Schneeballsystem läuft auch noch eine direkte schriftliche Unterrich- tung der Reformhäuser nach Art der „Roten-Hand-Briefe".

Der Reformhäuser-Verband gibt sich überzeugt davon, daß das Sy- stem funktionieren wird. Ge- schäftsführer Hans-Jürgen Schlä- per: „Wir sind eine streng organi- sierte Branche und haben unsere Mitglieder voll im Griff." NJ 64 Heft 4 vom 28. Januar 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

[r]

[r]

[r]

Anwendungsgebiete: Bei akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen (akute, unkomplizierte Rhinosi- nusitis). Sinupret extract wird angewendet bei Erwachsenen

Kann man den Ausbruch jetzt noch verhindern oder ist schon nichts mehr zu retten. Kann man jetzt noch

Für viele ist ein neuer Job immer verbunden mit einem Mehr an Geld und es ist häufig auch die Motivation für den Wechsel.. Dabei

Ist kein quadratisches Papier zur Hand, kann man es auch selbst herstellen aus einem DIN A4 Blatt:.. Papier schräg falten und an der großen

Ist kein quadratisches Papier zur Hand, kann man es auch selbst herstellen aus einem DIN A4 Blatt:.. Papier schräg falten und an der großen