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Archiv "Auxiologie und Anatomie bei Goethe: Größer als die Zeitgenossen" (24.08.1998)

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ereits in seiner Straßburger Zeit hat der 21jährige Goethe als Student der Rechte medizi- nische Vorlesungen bei den Straßburger Universitätsleh- rern Johann Friedrich Lob- stein, Jakob Reinhold Spiel- mann, Johann Friedrich Ehr- mann und Johann Christian Ehrmann gehört (4) und so erstmals Kontakt zur damali- gen akademischen Medizin gehabt.

Nachdem er, 26jährig, 1775 nach Weimar umgesie- delt und in den Staatsdienst des Herzogtums Sachsen- Weimar eingetreten war, wo

er als Mitglied des Geheimen Consiliums, ab dem 11. Juni 1776 als Geheimer Legations- rat tätig war, wurden ihm drei Jahre später, im Januar 1779, als eigene Ressorts die Kriegskommission und die Direktion des Wegebaus übertragen. Zu den damit verbundenen Aufgaben ge- hörte auch die Aushebung von Rekruten.

Die Messung von Rekruten

Die Musterungsuntersu- chung war bereits zu Goethes Zeiten mit einer objektiven Messung der Körperhöhe verbunden, deren Ergebnis auch Einfluß auf die Muste- rungsentscheidung hatte. In einer Handskizze hat Goethe über die Musterungsuntersu- chung und die Messung von Rekruten, die er zwischen dem 28. Februar bis 12. März

1779 in Apolda durchführen ließ, informiert. Hervorzuhe- ben ist Goethes genaue Be- obachtung des Meßvorgan- ges. Die Rekruten müssen sich zunächst die Schuhe aus- ziehen. Der zu messende Re- krut wird von dem messen- den Soldaten so fest an die Meßlatte gedrängt, daß die Fersen und der Rücken an dem vertikalen Teil der Meßlatte anliegen. Der Un- terkiefer wird etwas angeho- ben, so daß die gewünschte Kopfhaltung in Augen-Ohr- Linie eingehalten wird.

Der „Kriegsminister“

Goethe erwies sich bei einem Rekruten, dem Supplikanten

Johann Andreas Frisch, der heiraten und deshalb nicht Soldat werden wollte, bei einer „Auslesung“ (Muste- rung) in Dorndorf bei Jena als sehr tolerant. Er fand ihn bei der Auslesung „. . . zu klein und zu hiesigen Militairdiensten unbrauch- bar . . .“, wie er in einem Be- richt dem Geheimen Consili- um mitteilte (11).

Das Interesse von Goethe an der Proportionierung und dem Aufbau des menschli- chen Körpers nahm zu, als er im Herbst des Jahres 1781 Kontakt zu dem bekannten Jenenser Mediziner und Ana- tomen Justus Christian Loder (1753 bis 1832) aufnahm und eine Woche lang Sektionen beiwohnte. Seinem Landes- herrn Herzog Carl August teilte er unter anderem mit:

„Zwey Unglückliche waren uns eben zum Glück gestor- ben die wir denn auch ziem-

lich abgeschält und ihnen von dem sündigen Fleisch gehol- fen haben . . .“ (WA IV, 5 [98], 211). Goethe macht sein neu erworbenes Wissen gleich un- mittelbar für einen größeren Kreis von Menschen nutzbar, indem er Anatomieunterricht an der Weimarer Zeichen- akademie erteilt. In einem Brief an Carl August schreibt er: „Auf dem Mittwoch fang ich auf der Akademie Abends an das Skelet den jungen Leuten zu erklären, und sie zur Kenntniß des menschlichen Körpers anzu- führen.“ (WA IV, 5 [98], 211)

Goethe führt seine Studi- en in Jena fort. 1784 gelang

ihm durch vergleichende ana- tomische Studien ein sensa- tioneller Fund. Er entdeckt am Schädel des Menschen das Os intermaxilliare, das nach damaliger theologischer Ansicht beim Affen, aber nicht beim Menschen vor- kommen und den Menschen vom Affen abgrenzen sollte.

An Herder schreibt er am 27.

März 1784: „. . . Ich habe ge- funden weder Gold noch Sil- ber, aber was mir eine unsäg- liche Freude macht – das Os intermaxilliare am Men- schen. Ich verglich mit Lo- dern Menschen- und Tier- schädel, kam auf die Spur und siehe, da ist es. (. . .) Es soll Dich auch recht herzlich freu- en, denn es ist wie der Schluß-

stein zum Menschen . . .“

(WA IV, 6 [99], 258). Goethes Entdeckung wurde jedoch von „Fachpäpsten“ abge- lehnt. Seine Arbeit wurde zwar als Manuskript fertigge- stellt, aber erst 1820 gedruckt.

Loder jedoch nahm bereits 1788 Goethes Erkenntnis in sein „Anatomisches Hand- buch“ auf (2).

Während seiner italieni- schen Reise in den Jahren 1786 bis 1788 widmete sich Goethe vor allem auch dem anatomischen Zeichnen. Die- se Bemühungen dienten in erster Linie dazu, eine Ein- schätzung der Proportionen der klassischen Statuen vor-

nehmen zu können und sein Zeichentalent weiterzuent- wickeln. Goethe beschäftigte sich dabei gezielt auch mit den verschiedenen Zahlen- formeln für die Proportionen der menschlichen Gestalt (Corpus der Goethezeich- nungen III, Nr. 121 f., S. 198 und S. 54 f.).

Im Oktober 1786 fing er in Rom an, die menschliche Ge- stalt zu zeichnen. Er begann mit Studien des Kopfes, nach- folgend widmete er sich be- sonders Muskelstudien und Darstellungen von Fuß und Hand. Goethe bildete sich nicht nur in diesen Jahren, sondern auch in den nachfol- genden auf dem Gebiet der Anatomie fort. So hörte er in A-2038 (50) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 34–35, 24. August 1998

V A R I A FEUILLETON

Der adipöse Goethe. Scherenschnitt von Luise Duttenhöfer nach 1806

Auxiologie und Anatomie bei Goethe

Größer als die Zeitgenossen

Den morphologischen Interessen des Dichters ist es zu verdanken, daß er Vermessungen seines eigenen Körpers vornehmen ließ.

Abbildung: entnommen aus Volker Hesse, Vermessene Größen, Hain-Verlag, 1997

(2)

Rom anatomische Vorträge bei dem Sohn des Anatomen Petrus Camper, Gilles Adrian Camper. Nach seiner Rück- kehr aus Italien nahm er an Vorlesungen über die Anato- mie der Muskeln, die Prof.

Loder in Jena im Zeitraum vom 9. bis 21. November 1788 hielt, teil.

Aus naturwissenschaftli- cher Sicht, aber auch aus der Sicht des Künstlers, dem das Bild eines idealen Menschen vorschwebt, befaßte er sich auch weiterhin mit den männ- lichen und weiblichen Pro- portionen.

Eine Lebendmaske Als Goethe von dem Kas- seler Arzt und Naturforscher S. T. von Sömmering (1755 bis 1830) dessen Buch über den menschlichen Körper er- hält, schreibt er ihm am 31.

Mai 1791 erfreut: „Sie haben mir durch Ihr Werk über den Bau des menschlichen Kör- pers ein sehr angenehmes Geschenk gemacht“ und fährt fort, nachdem er Söm- mering glücklich gepriesen hat, daß dieser sich ganz „der Untersuchung des thieri- schen Gebäudes widmen kann“: „So oft ich mich von anderen Gegenständen los- mache und diesen näher und genauer betrachte, so ent- steht immer in mir der lebhaf- teste Wunsch, mich aus- schließlich damit beschäfti- gen zu können.“ (. . .) (WA IV, 9 [102], 265). Die Schrif- ten Goethes zur Morphologie des Tieres (und des Men- schen) füllen einen ganzen Band der berühmten Weima- rer Ausgabe von Goethes Werken.

Das Interesse Goethes an der Schädellehre blieb beste- hen. Bei einem Besuch in Lauchstädt und Halle im Jahr 1805 hörte Goethe Vorlesun- gen des Phrenologen Franz Josef Gall (1758 bis 1828) über dessen Schädellehre.

Gall war der Ansicht, daß man von der äußeren Schä- delform eines Menschen auf dessen physische Konsti- tution schließen könne.

Während diese Gallsche Vor-

stellung heute vergessen ist, wurde seine Lokalisations- lehre, die aussagte, daß be- stimmte Fähigkeiten des Ge- hirns definierten Hirnregio- nen zuzuordnen sind, in der Folge bedeutsam.

Noch im September 1805 kommt Gall nach Weimar, ein weiterer Besuch

folgt im Septem- ber 1807. Es ist Gall gelungen, daß sich Goethe vom Hofbildhau- er, Karl Gottlob Weißer, eine Le- bendmaske für ihn abnehmen ließ. Gall hatte schon am 23.

September 1807 von Basel in ei- nem Brief an Bertuch nach Weimar geschrie- ben: „Wenn Goethe da ist, so beschwören Sie ihn doch, daß er mir seinen präch- tigen, herrlichen Kopf abdrucken läßt. Alle Welt lacht mich aus, daß ich ihn nicht habe . . .“ (10).

Den zweiten Besuch Galls do- kumentiert Goe- the in seinen Ta- gebucheintragun- gen vom 16. Ok- tober 1807. Hier heißt es: „Dr.

Gall kam nach Tisch wieder, bis

wir über seine Lehre bis ge- gen Abend sprachen; da ich mich für ihn abgießen ließ.“

Die Gesichtsmaske Goethes von Weißer ist ein kostbares Persönlichkeitsdokument.

Auffallend war eine Ge- sichtsskoliose Goethes mit einer rechtskonkaven Aus- prägung. Auf der linken Ge- sichtsseite waren Nasenflü- gel und Mundwinkel etwas tiefer. Die Maße der Weißer- schen Gesichtsmaske des 58jährigen Goethe wurden von dem Anatomen P. J. Mö- bius 1898 vermessen und so ermittelt (7). Nicht vergönnt war es dagegen dem Berliner

Bildhauer J. G. Schadow (1764 bis 1850), Goethes Kopfmaße zu erhalten. Scha- dow hatte Goethe am 22.

September 1802 in Weimar besucht und ihn unmittelbar nach der Begrüßung gefragt, ob er Goethes Kopf ausmes- sen dürfe, um die Maße für ei- ne Büste verwen- den zu können.

Goethe lehnte ab und sagte später hierzu: „Er habe ihn wie der Oberon des Sul- tan gleich um ein paar Backenzäh- ne und Haare aus seinem Bart ge- beten . . .“ (5).

Während die Weißersche Bü- ste recht bekannt ist, war es schwer, Daten zur „Auxiologie“

Goethes selbst, das heißt objekti- ve Angaben zu dessen Körper- maßen, heute noch nachzuwei- sen (Abbildung 2). Ausgehend von einer Klein- skulptur von Christian Daniel Rauch und von einem Hinweis von F. und R. Eg- ger (1878), daß C.

D. Rauch bei sei- nem Besuch in Weimar im Jahre 1824 von Goethe Maße genommen habe, konnte der Autor ent- sprechende Belege im Nach- laß von C. D. Rauch in Berlin auffinden (6). Die Meßskizze, die C. D. Rauch am 27. Juni 1824 anfertigte, weist eine Körperhöhe von sechs Fuß eineindrittel Zoll Weimari- sches Fußmaß auf, das heißt, der fast 75jährige Goethe war noch 172,4 Zentimeter groß.

Bei einer zweiten, vier Jahre später am 24. September 1828 vorgenommenen Messung war Goethe 171,5 Zentimeter groß (6). Nicht ganz einfach ist eine Berechnung der Kör- perhöhe des jungen Goethe.

Die Körperhöhe des Men-

schen vermindert sich ab etwa dem 45. Lebensjahr (12), wo- bei vorwiegend die Sitzhöhe betroffen ist. Bis heute exi- stieren nur wenige Längs- schnittstudien, die einen Ver- gleich 75jähriger mit 20- bis 30jährigen erlauben. Sowohl bei einer Annahme einer Körperreduktion von 1,8 Pro- zent vom 47. bis 55. Lebens- jahr (1) zum höheren Alter (über 75 Jahre) als auch unter Berücksichtigung der Längs- schnittuntersuchungen für Männer (8, 12) kann man für den jungen Goethe eine Kör- perhöhe von etwa 176 Zenti- metern errechnen. Goethe war damit deutlich größer als seine Zeitgenossen, deren Durchschnittsgröße etwa 168 Zentimeter betrug.

Ein würdevoller Greis

Nachdem Goethe, der jahrelang sehr schlank war und durch eine übergerade Haltung auffiel, sich eine auch das Essen und Trinken liebende Lebensgefährtin (Christiane Vulpius) zugelegt hatte, war er in dem Jahr- zehnt, in dem er mit Schiller verkehrte (1794 bis 1805 und nachfolgend), das heißt zwi- schen seinem 45. und 58. Le- bensjahr, auffallend adipös (Abbildung 1). Danach redu- zierte sich sein Körperge- wicht wieder etwas, und er wurde zum würdevollen Greis. Körperlich war Goethe kleiner als der be- freundete Friedrich Schiller, der als der größte Mann Wei- mars galt (V. Hesse, Hain- Verlag 1997).

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Volker Hesse Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Lindenhof des Krankenhauses Lichtenberg

Akademisches Lehrkranken- haus der Humboldt-

Universität (Charité) Gotlindestraße 2–20 10365 Berlin

A-2039 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 34–35, 24. August 1998 (51)

V A R I A FEUILLETON

Goethestatuette von Christian Daniel Rauch aus dem Jahr 1828, die auf Messungen von Goethes Gestalt beruht.

Goethe war als 75jähriger etwa 172,4 Zentimeter groß.

Foto: Archiv Volker Hesse

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