DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
BRIEFE AN DIE REDAKTION
GLAUBE
Zu dem Leserbrief von Dr.
med. E. Kehler („Richtige Ent- scheidung") in Heft 44/1983, der sich auf den Beitrag von Prof. Dr. phil. Max Thürkauf
„Verwechselte Nobelpreise"
(Heft 38/1983) bezog:
„Springende Gene''
Eigentlich hätte für die Ausführungen des Kolle- gen Kehler die Überschrift des nächsten Beitrages besser gepaßt: „Kraftvoller Rundumschlag." Lehnt er doch nicht nur einen über- natürlichen Schöpfer ab, sondern stellt auch das Christentum in Frage. Und dies alles nur, weil die Bo- tanikerin McClintock die
„springenden Gene" ent- deckt hat und dafür einen Nobelpräis erhalten hat.
Herrn Kollegen Kehler ist es anscheinend entgan- gen, daß Naturwissen- schaftler und Theologen sich seit geraumer Zeit ge- einigt haben und sich nicht mehr wie in den vergange- nen zwei Jahrhunderten in den Haaren liegen. Sie wis- sen jetzt, daß ihre Weltbil- der, das materielle und das geistige auf zwei verschie-
SPRACHLICHES
Zu den Leserbriefen „Nütz- liche Denkanstöße" von Dr.
med. Magdalene Thomas und
„Freudsch'e Fehlhandlung?"
von Dr. med. Christoph Bier- mann (Heft 4/1984), die sich auf einen Beitrag von Dr. Axel Bauer („Was ist Compli- ance?") in Heft 39/1983 bezo- gen:
Compliance
.. Den englischen Begriff
„Compliance" immer noch sprachlich ableiten zu wol-
len, ist absurd, weil er im Deutschen längst als „Be- lastbarkeit", „Dehnbar- keit", „Einverständnis"
„Willfährigkeit" definiert ist — alles Begriffe, die den gleichen ursprünglichen
denen Ebenen liegen, die sich gegenseitig nicht aus- schließen. Als Gewährs- männer nenne ich die Pro- fessoren Max Planck, Prof.
Heisenberg, Prof. C. Fr. v.
Weizsäcker und Professor Portmann (Schweiz). Auch Professor Hoimar von Dit- furth, der noch in einem früheren Buch die Ansicht vertreten hat, der Geist fiel nicht vom Himmel und ist eine Funktion des Cere- brums — diese Theorie der sogenannten Aufklärungs- zeit wurde inzwischen vom Nobelpreisträger Prof. Ec- cles widerlegt—, hat sich in- zwischen in seinem neuen Buch: „Wir sind nicht nur von dieser Welt", zur Transzendenzoffenheit der Wissenschaft ausgespro- chen. Auch Kollege Kehler wird zugeben müssen, daß sich auch „Springende Ge- ne" nicht selbst erschaffen haben können und einen Anfang bzw. Ursprung ge- habt haben müssen. Und dieses über der Natur ste- hende Wesen nennen wir Gläubige eben unseren Schöpfer ...
Dr. med. A. Edelmann Eichendorffring 33 8580 Bayreuth
Wortsinn haben. „Com- pliance" mit dem latei- nischen „com-plicare" in Verbindung zu bringen, wie es Frau Thomas getan hat, und dann aus der
„Komplikation" ein „schö- nes Bild für das gemeinsa- me Bestreben des Arztes zu heilen und des Kranken, geheilt zu werden" zu kon- struieren, grenzt schon an
sprachwissenschaftliche Perversion. „Compliance"
und „com-plicare" haben nichts miteinander zu tun.
Auch die Ausführungen von Kollege Biermann sind zwar sehr interessant, aber der „Compliance"-Sache wenig dienlich. Biermann akzeptiert die „Complian- ce" als Parameter des the- rapieorientierten Patien-
tenverhaltens, knüpft da- ran aber psychologische Überlegungen an, die mit der Frage „Was ist ,Com- pliance — nichts mehr zu tun haben, weil sie sich mit dem Problem „Auswirkun- gen der (Non-)Complian- ce" beschäftigen. Seine Anmerkung, daß die deut- sche Interpretation der
„Compliance" möglicher- weise einer „Freud'schen Fehlhandlung" unterliegt, gereicht Biermann nicht zur Ehre. Siegmund Freud wird — horribile dictu — mittlerweile ja schon bei jedem alltäglichen Sprach- fehler (und Versprecher) als tiefenpsychologischer Erklärer mißbraucht.
„Compliance" als Spezial- begriff tauchte zuerst vor etwa 50 Jahren in der eng- lischen Plattenspielerin- dustrie auf und bezeichne- te die Nachgiebigkeit des bewegten Tonabnehmers
„gegenüber den durch die Tonschrift in der Schall- platte erzwungenen Aus- lenkungen." Medizinisch bezog sich die „Compli- ance" zunächst nur auf die
Lungendehnbarkeitsver- hältnisse („pulmonale Compliance"). Der experi- mentelle Psychologe Dr. L.
Sackett („Compliance Handbuch" von Haynes, Taylor, Sackett 1982) kre- ierte dann die „Patienten- compliance" bzw. „— non- compliance" als Begriff der Willigkeit bzw. Unwil- ligkeit eines Patienten, die ihm verordnete Arzneimit- tel-Therapie, wie vom be- handelnden Arzt vorge- schrieben, durchzuführen.
... Ob dieser Terminus sprachlich richtig ist, mag linguistisch (oder philoso- phisch) interessant sein.
Wir Mediziner aber sollten uns darauf beschränken, solche Termini zu akzep- tieren. Ein „Streit um Kai- sers Bart" nützt nieman- dem!
Dr. med. et. phil.
Horst Johannesmeier Carl-Spitzweg-Straße 5 6909 Walldorf
TIBET
Zu dem Aufsatz „Der blaue Lapislazuli-Spiegel", von Dr.
Hugo Bergemann in Heft 49/1983. Dort wurde über die historische Entwicklung der ti- betischen Medizin berichtet.
Eine Randbemerkung des Au- tors stößt auf Kritik:
Keine Lobby für Tibeter
Die Freude über die Lektü- re dieses Aufsatzes wurde mir — und zwar kräftig — ge- trübt durch den letzten Satz: „Aber die Heimfüh- rung Tibets in das rotchi- nesische Reich führte zu einer Störung der seit Jahrhunderten bestehen- den Struktur des Priester- staates..."
Viele Tibeter habe ich auf meinen Reisen durch La- dakh und Nepal kennen und lieben gelernt. Was dieses friedliche, freund- liche Volk durch die chine- sische Okkupation erlitten und erduldet hat, sei es an seiner nationalen, sei es an seiner kulturellen und reli- giösen Substanz, sei es in zahllosen Einzelschicksa- len, ist mit einer „Störung der Struktur des Priester- staates" keinesfalls und das, was diesem Volk durch die Chinesen wider- fuhr noch weniger, als
„Heimführung Tibets in das rotchinesische Reich"
zu umschreiben!
Die Tibeter haben bei uns keine lautstarke und ag- gressive Lobby, das würde auch dem Wesen dieses liebenswerten, durch die Chinesen geschundenen Volkes nicht entsprechen.
Um so mehr aber sollten die, die um seine Not wis- sen, sich Formulierungen wie der im letzten Satz des zitierten Aufsatzes wider- setzen. Das eben liegt mir am Herzen!
Dr. med.
Günther Bartels Hanssenstraße 7 3400 Göttingen
964 (8) Heft 13 vom 30. März 1984 81. Jahrgang Ausgabe A