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Bei all den gesellschaftlichen Entwicklungen beschleicht

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Ärzteblatt Sachsen 12|2018 Dr . med . Stefan Windau

Editorial

Ich, alles und sofort

Bei all den gesellschaftlichen Entwicklungen beschleicht mich das Gefühl, vieles geht zu schnell, manches ist nicht zu Ende gedacht, oft mehr Strohfeuer als Glut . Irgendwie ängs- tigt mich das . Und bei allem auch Sinnvollem, das geschieht, erscheint mir die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hin- terfragenswürdig und teils fragwürdig . Die immer größere Geschwindigkeit der Prozesse, die kaum noch kalkulierbar und fast nur noch nachvollziehbar sind, ist das eine, das andere ist der unreflektierte Glaube, gar Hype, dass alles, was Fortschritt heißt, auch wirklich Fortschritt und sinnvoll ist . Dabei gerät Wesentliches aus dem Blickfeld . Dies sehe ich für das Große und Ganze, aber auch für das Gesundheits- system in Deutschland .

Die große Politik verspricht und gewährt Leistungen auf vie- len Ebenen in immer stärkerem Maße, aber jeder Zeitge- nosse, der die Grundrechenarten beherrscht, weiß, dass allein die innereuropäischen und auch die Verbindlichkeiten unseres Staates niemals zurückgezahlt werden können . Aber das wird geradezu verdrängt, tabuisiert . Schuldner und Gläubiger werden die Verlierer sein . Auch im Gesundheits- system suggeriert die Politik – da gibt es nur Nuancen an Unterschieden – ein quasi unbegrenztes Leistungsverspre- chen .

Ludwig Erhard, der Vater des Nachkriegswirtschaftswun- ders, wusste, worum es ging: „Maß halten“ – und wurde dafür belächelt . Dieses Maß, zumindest mir erscheint es so, ist gesamtgesellschaftlich in Gefahr, teils schon verloren gegangen . Wen wundert es, dass es im Gesundheitssystem

nicht anders ist . Ich erlebe Patienten, die richtig sauer sind, wenn sie nicht am Praxistresen gleich von der MFA die Über- weisung zum MRT erhalten und dafür noch zum Arzt ins Sprechzimmer sollen . Natürlich ist das noch eine Minderheit, aber die Tendenz geht schon klar in die Richtung „Ich, alles und sofort“ . Statt Ansprüche zu begrenzen, sagt die Politik:

„Darf es noch etwas mehr sein?“

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht . Zunehmend vermeide ich bei überzogenen Ansprüchen kraftraubende Auseinander- setzungen, auch schwebt im Hinterkopf anstehender Ärger und ein unfreundlicher Eintrag in einem Bewertungsportal . Das ist wie eine Schere im Kopf, die zu einer allmählichen, aber wirksamen Verschiebung führt .

Ich glaube, dass es vielen Kolleginnen und Kollegen so geht wie mir .

„Ich, alles und sofort“ heißt auch, jeder kann sich in einem Bewertungsportal äußern . Dagegen ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden, aber dass das anonym geschehen darf, unabhängig vom Wahrheitsgehalt, und dass sich niemand für das, was er äußert, gegebenenfalls verantworten muss, auch das ist eine Schieflage, die Anspruchsdenken und Ego- ismus stärken . Wo bleiben Grenzen und Gleichgewicht?

Aber auch das passt wieder in den gesamtgesellschaftlichen Kontext . Die Balance von Rechten und Pflichten, von Leis- tung und Gegenleistung, von Geben und Nehmen, von Eigen- verantwortung und gesellschaftlicher Fürsorge droht zu kippen, ist teils schon gekippt . Die gesellschaftliche Balance wird eben nicht nur durch innen- und außenpolitische Fak- toren gefährdet . Das Verhältnis von Individuum und seinen Rechten zur Gesellschaft ist verschoben zu Lasten gesell- schaftlicher Pflichten und Anspruchserhöhung – ein im semantischen Sinne mehrfach ungedeckter Scheck .

Doch wo wird das thematisiert?

Natürlich ist es für mich leicht, zu kritisieren . Kritisieren ist immer einfacher als zu regieren . Auch muss ich keine Tages- politik auf dem Boden des Mainstreams machen und auch keine Wahlen gewinnen . Bei allem Verständnis für die Nöte der Politik, es ist unverzeihlich, wenn sich die Politik nicht auch dem Thema Eigenverantwortung, Rechte und Pflichten, Grenzen des Individuellen et cetera widmet . Da steht das Gesundheitssystem nur Pars pro Toto .

Der ehemalige Präsident der Bundesärztekammer, Prof . Hoppe, forderte: „Mehr Nachdenken als Vordenken“ . Wie Recht er hatte .

Dr . med . Stefan Windau Vorstandsmitglied

© SLÄK

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