Uber das Vorexanthem bei Masern.
V o n
Dr. Herbert Koch.
(Aus dem O~ho S.A. Sprague Memorial Institute Labor~tory of the Childrens Memorial Hospital, Chicago.)
(Eingegangen am 26. J u l i 1913.)
v. P i r q u e t 1) m a c h t in seiner jiingst ver6ffentlichten Monographie fiber das Masernexanthem darauf aufmerksam, dab die Angaben der f r f h e r e n Autoren fiber die Lokalisation des beginnenden Masern- exanthems sowohl versehieden yon den eigenen Beobachtungen sind, wie auch untereinander nicht vollst~ndig fibereinstimmen, v. P i r q u e t glaubt, dab der Grund daffir einerseits in einer ungenauen Beobachtung liege, andererseits a b e t auch bedingt sei durch das Auftreten eines Vorexanthems. Bezfiglich des Vorexanthems zitiert dieser A u t o r J f i r g e n s e n 2 ) , welcher sagt, dai~ in frfiherer Zeit, ja sogar sehon v o r dem Auftreten des E x a n t h e m s m a n c h m a l an diesem oder jenem Orte kleinste punktf6rmige R6tungen erscheinen, die von kurzer Dauer sind. v. P i r q u e t konnte solche Vorexantheme einerseits anamnestisoh erheben, andererseits teilt er einen selbst beobaehteten Fall m i t : ,,Fall 12. Am 16. I. sind auf den Wangen und um den Mund kleinere und gr61~ere Papeln verzeichnet, die ausdriicklich m i t einem Frage- zeichen und dem Vermerk u n d e u t l i c h versehen sind. Erst einen T a g sparer finder sieh der Anfang des wirkliehen, definitiven E x a n t h e m s . "
Das Gemeinsame dieser V o r e x a n t h e m e ist naeh v. P i r q u e t n u r der Mangel an Deutlichkeit und seine Fliichtigkeit.
Infolge einer ziemlich gro~en Masernepidemie in Childrens Memo- rial Hospital war mir Gelegenheit geboten, diese E r k r a n k u n g y o n d e m ersten Beginn an zu verfolgen. Es wurden yon mir 21 F~lle b e o b a c h t e t und genau auf den Beginn und die Ausbreitung geachtet. U n d t a t - s~chlich konnte ich in 5 von den 21 F~llen Vorexanthem konstatieren.
1) v. P i r q u e t , Das Bild der Masern auf der ~uBeren Haut.
Kinderheilk. 6, 1. 1913.
u) J i i r g e n s e n - P i r q u e t , Masern. HSlder, Wien 1911.
Zeitschrift flit Kinderheilkunde. O. IX.
Zei~schr. f.
2 tt. Koch:
])as Charakteristische an diesen Efflorescenzen ist, dal3 sie nicht wie die beginnenden Masernefflorescenzen ganz distinkt, sondern mehr undeutlich und verwasehen sind. Diese Undeutlichkeit der Efflores- eenzen des Vorexanthems ist einerseits bedingt durch die Farbe. Die eigentlichen frischen Masernefflorescenzen sind heUrot, in der Mehr- zahl yon einem ganz charakteristischen weiBen, an~mischen Hofe umgeben. Die Efflorescenzen des Vorexanthems sind mehr braunrot, es fehlt auch die bei den frischen Masernefflorescenzen immer deut- lich sichtbare scharfe Abgrenzung gegen die normalen Hautpartien.
Andererseits zeigen die Efflorescenzen des Vorexanthems immer einen makul(isen Charakter im Gegensatz zu den frischen Masernefflores- cenzen, die mehr oder minder deutlich einen papulSsen Charakter auf- weisen. Die versehwommene braunrote Farbe, die nicht deutliche Abgrenzung der einzelnen Efflorescenzen yon den normalen H a u t - partien und der makulSse Charakter bringen eine eigentiimliche Fleckung hervor, welche sich sehr gut von einem wirkliehen frischen Masern- exanthem unterscheiden l~l~t.
Dieses Vorexanthem ist in meinen F~llen immer im Gesieht zu sehen gewesen, und zwar waren die Wangen und in einem Fall aueh das Kinn von einem solchen E x a n t h e m befallen.
Die GrSi~e dieser Effloreseenzen war meistens bis linsengrol~, n u r in einem Fall sind bis kronenstiiekgrol~e Effloreseenzen notiert. Dieses Vorexanthem konnte in 2 F~llen 2 Tage vor dem eigentliehen Exan- them beobachtet werden, in einem Fall war es naeh der Anamnese ebenfalls 2 Tage vor dem eigentliehen E x a n t h e m aufgetreten, in 2 F~llen ging das Vorexanthem dem wirkliehen um einen Tag voraus. Im Ver- gleiche mit dem Auftreten der K o p l i k s e h e n Flecken ersehien das Vorexanthem in 3 F~llen gleiehzeitig mit diesen, in einem Fall waren die K o p l i k s c h e n Flecken um einen Tag friiher zu sehen.
Dieses Vorexanthem welter zu verfolgen war nicht mtiglich. Das Auftreten des wirklichen Exanthems verdeckt das Vorexanthem voll- st~ndig oder aber dieses verschwindet ohne irgendwelehe Residuen wie Pigmentation zuriiekzulassen. Die Wichtigkeit dieses Vorexanthems fiir die Friihdiagnose der Masern kann ich nieht hoch einsch~tzen, da ~dr in den K o p l i k s c h e n Fleeken ein viel zu konstantes und leicht erkennbares S y m p t o m besitzen, mit welchem das Vorexanthem in- folge seines inkonstanten Auftretens, seiner Undeutlichkeit und Fliich- tigkeit nieht konkurrieren kann.
Was die theoretische Erkl~rung dieses Vorexanthems anbelangt, so
Uber das Vorexanthem bei Masern. 3 diirfte dieses e b e n s o als d a s Produkt, eines allergischen Prozesses auf- zufassen sein, als welches wir n a c h d e r A u f f a s s u n g v. P i r q u e t s a u c h die K o p l i k s c h e n F l e c k e n u n d das eigentliche M a s e r n e x a n t h e m auf- zufassen h a b e n . N u r s c h e i n t der A n t i k S r p e r b e s t a n d n o c h n i c h t d i e HOhe erreicht zu h a b e n , d a b e i n regelrechtes E x a n t h e m sich e n t - wickeln k o n n t e .
S c h l u B s a t z : I n 5 v o n 21 y o n d e m f r S h e s t e n B e g i n n a n v e f f o l g t e n Masernf/~llen k o n n t e ein V o r e x a n t h e m , wie schon J i i r g e n s e n u n d v. P i r q u e t beschrieben, b e o b a c h t e t werden. D i e s e s b e s t e h t a u s b r a u n r o t e n , m a k u l O s e n , n i c h t s c h a r f b e g r e n z t e n u n d f l i i c h - t i g e n E f f l o r e s c e n z e n , w e l c h e h a u p t s ~ c h t i c h i m G e s i c h t s i c h t - b a r s i n d . Sie t r e t e n gleichzeitig oder a u c h n a c h d e n K o p t i k s e h e n F l e c k e n auf.
Im folgenden seien die Krankengeschichten, insoweit sic sich auf die Masern°
erkrankung beziehen, angefiihrt.
(Die Zahlen, welche neben der Lokalisation stehen, bedeuten wie in der P i r - quetschen Monographie die Dichtigkeit, die Buchstaben die Farbe (a frisch, b leicht verblaBt, c stark verbla[~t, d ganz verblaBt.))
1. N i c k ~q. 1 Jahr alt. Tetanie.
17. IV. ~ieber, Conjunctivitis. Auf der Wangenschleimhaut undentliche Flecken. (Koplik ?)
18. IV. Koplik. Conjunctivitis, die Augen geschwollen. Gesicht sieht etwas gefleek~ aus.
9 Uhr an. Kein Exanthem.
2 Uhr p. m. Vereinzelte typische Masernflecken am Halse.
G e s i c h t g e f l e c k t . Die E f f l o r e n s c e n z e n a m H a l s e s i n d v e r s c h i e - d e n y o n d e n e n i m G e s i c h t . Sie s i n d m e h r f r i s c h r o t , sehi~rfer g e g e n d i e U m g e b u n g a b g e g r e n z t , z e i g e n e i n e n e t w a s p a p u l ~ s e n C h a r a k t e r .
Bei einer Anzahl yon diesen kann man den weii]en Hof um das Exanthem
~ehr deutlich sehen. Sonst kein Exanthem.
19. IV. entlassen, ohne es gesehen zu haben.
2. E l i s e B. 4 Jahre alt. R a y n a u d s c h e Krankheit? Erythema multiforme?
4. IV.--13. IV. Leiehte Temperatursteigerungen ohne nachweisbaren Grund, 4. IV. Auftreten eines Ausschlages, der ungef~thr wie ein SchweiBausschlag aussieht. Hauptsi~chtiche Ausbreitung am Stature, doch teilweise auch undeut- iieh an der Innenseite der Oberarme sichtbar.
7. IV. Dieser Ausschlag ist nicht mehr zu sehen.
12. IV. Koplik sehr reichlich. ])as Gesicht sieht gefleckt aus, jedoch keine typisehen $~[asernefflorescenzen zu sehen.
13. IV. Koplik. Im Gesichte heute schon kleine papulSse Efflorescenzen.
Daneben die Fleckung noch sichtbar.
14. IV. Typischer Masernausschlag im Gesicht, hinter den Ohren und am Halse.
1"
4 H. Koch:
15. IV. Das Exanthem breitet sieh heute fiber den Stature weiter aus. Extre.
mit~ten frei.
16. IV. Das Exan~hem ira Gesicht, am Halse, auf l~ficken und Brust heute konfluierend, so zwar, dal~ nur wenige weil3e Hautinseln siehtbar sind. Das Exan- them ist bis zur Mitre des Oberarmes und Mitre des Obersehenkels vorgeschritten.
Doeh sieht man sehon vereinzelte Efflorescenzen auf Unt~rarm, H~nden, Unter- schenkeln und Ffil3en.
GesieM, Rficken, Brust 4a, Oberarm 3a, Unterarm l a, Unterschenkel l a.
17. IV. Das Exanthem ist heute vollstandig konfluierend und bildet eine ein- zige dunkelrote Fl~ehe. Keine normalen Hautinseln metn'. D i e t s konfluierende Exanthem reieM his zur Mitt.e des Oberarmes und Oberschenkels. Von hier gehen vereinzelte Effloreseenzen l~ngs der Innenseite der Extremit~ten naeh abw~rts, jedoch seit gestern keine auffallende Vermehrung derselben.
Das Exanthem ist heute nicht mehr so sattrot wie gestern, sondern mehr braunrot. Allgemeh~zustand stark beeintr~chtigt, schl~ft viel, Lunge 0.
t8. IV. Das Exanthem fiber Gesieht und Stature ganz abgeblaSt (braun aus- sehend). Auf den Untersehenkeln friseh konftuierendes Exanthem, fiber den Ffit~en 1 a. Die H~nde bleiben ohne Exanthem, ebenso der Unterarm dorsal.
19. IV. Weitere Abblassung. Keine neuen Effloreseenzen. Starke Sehuppung aiD- S~al~me.
3. J o h n C. 4 5ahre al~. Epilepsie.
10. IV. Temperatur 37,5.
11. IV. Raehen gerStet, typischer Masernhus~n.
12. IV. Rachen gerStet, Koplik. Das Gesieht ist fleckig, besonders faltt die Pattie fiber den Wangen auf. Die einzeinen Efflorescenzen sind bis linsengro$, makulSs. Deuttich auch auf dem Kinn, wo sie immer mehr dunkleren Farbenton zeigen. Sonst kein Exanthem.
13. IV. Koplik. ])as fieckige Aussehen des Gesiehtes ist heute deutlieher.
Conjunctivitis. Augenlider gerStet (brillenartig).
14. IV. Gesicht gedunsen. Die fleekige l~Stung des Gesichtes heute deutlieher.
Hinter den Ohren beginnt schon stellenweise ein typisehes Masernexanthem, Auf dem Stature vereinzelt rote Follikeln zu sehen, die mit einem an~mischen Hole umgeben sind.
15. IV. Typisches Masernexanthem fibe~ Gesicht, Hals, Stature. Nates und Extremitaten frei.
16. IV. Gesicht 3b, Brust 2a, Hals, Rfieken 3a, obere Extremitaten und tI~nde l a . Nares und untere Extremit~ten frei.
17. IV. Gesicht 4b, Brust 2b, oberen und unteren Extremit~ten 2b. H~nde and FiiBe undeutliches abgeblal3tes Exanthem. Nares frei.
18. IV. Das Exanthem ist heute schon ~o stark abgeblaBt, dal~ es nirgends mehr deutlieh sichtbar ist. Auch Pigmentationen fehlen mit Ausnahme des Ge- siehtes.
4. G l a d y s E. I0 Jahre. Malum Potti.
2. IV. Temperatur 37,5.
3. IV. 39, st~ndig Fieber.
6. IV. Koplik. Kein Exanthem.
~ b e r das V o r e x a n t h e m bei Masern. 5 7. IV. I m Gesiehte kronengroBe r o t e Fleeken. H i n t e r den Ohren kleinfleckiges M a s e r n e x a n t h e m .
8. IV. Gesicht 1 a, h i n t e r den Ohren 1 a. Ganz sp~rlich auf B r u s t u n d Rficken u n d Handteller.
9. IV. Gesicht 1 ~, h i n t e r den Oh1~n 1 a, B r u s t I a, R/icken 1 a, die groBen r o t e n Flecken im Gesicht sind verschwunden.
10. IV. Gesicht 3a, h i n t e r den Ohren 2a, B a u e h 2a, Riicken 2a, AuBenseite des Obersehenkels 3 a, Innenseit~ der O b e r a r m e u n d U n t e r a r m e 1 a, H a n d t e ] l e r i a.
1. IV. Das E x a n t h e m im Gesieht, B r u s t u n d Riicken vollst/~ndig abgeblaBt, auf den Extremiti~ten noch deutlicher sichtbar. Das E x a n t h e m war sehr spi~rlich, die einzelnen Efflorescenzen distinkt, o h n e ineinander /iberzugehen.
5. G e o r g e s H., 4 J a h r e att.
Die M u t t e r gibt an, dad das K i n d schon 3 Tage fiebert, hustet. Sie bemerkte, d a b das Gesieht sehon vor 2 Tagen gefleckt ausgesehen hat.
4. IV. Kopiik.
9 U h r a. m. Das Gesicht sieht etwas gefleekt aus. Man sieht besonders a n den W a n g e n u n d e u t l i c h begrenzte b r a u n r o t e Flecken, ebenso am Kinn, welche ziemlich d i c h t stehen. D a n e b e n sieht m a n a b e t aueh schon riehtige Masernefflores- cenzen, welche m e h r hellrot u n d papul6s sind uncl m i t einem an/~mischen Hole um- geben sind.
H i n t e r den Ohren 1 a, sonst kein E x a n t h e m .
8 U h r p. m. Das Gesicht ist y o n frischroten Effloreseenzen bedeckt. Die Efflo- reseenzen des V o r e x a n t h e m s sind d a d u r c h n i c h t m e h r zu erkennen.
Gesicht 3a, h i n t e r den Ohren 2a, Riieken 1 a.
5. IV. Gesieht 4a, h i n t e r den Ohren 2a, Riieken 3a, B r u s t l a , Oberarm u n d U n t e r a r m I a, Oberschenkel u n d U n t e r s e h e n k e l 0, Nates 0.
Das Gesieht ist h e u t e beinahe vollst~ndig yon f r i s c h r o ~ n Efflorescenzen bedeekt. V o r e x a n t h e m oder Reste d a v o n sind n i e h t m e h r zu sehen.
6. IV. Gesicht 3 b, h i n t e r den Ohren "2 b, B r u s t u n d Riieken 3 b, Oberarm u n d U n t e r a r m 2a, Ellbogen l a, N a t e s l a, Obersehenkei 2a, Unterschenkel l a.
7. V. Gesicht, B r u s t , Riieken 3c, O b e r a r m 2b, U n t e r a r m , H a n d 3a, Ober- schenkel, Unterschenkel, FuB 3 a (nicht m e h r so papulSs, sondern mehr fleckig).
8. V. S t a r k e Abblassung, keine frischen Efflorescenzen.
C h i c a g o , C h i l d r e n s M e m o r i a l H o s p i t a l .
