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Governance und Regelungsstrukturen

Best.-Nr. P 2005-201

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

Mai 2005

Beim Präsidenten

Forschungsprofessur/Querschnittsgruppe

“Neue Formen von Governance“

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Governance und Regelungsstrukturen Claudio Franzius

A. Einführung

B. Was ist und wozu Governance?

1. Transdisziplinarität

2. Reaktionen auf den Wandel von Staatlichkeit a) Innen und Außen

b) Verschiebungen der Grenzen c) Grenzen der Perspektiven C. Regelungsstrukturen

1. Verbundbegriff

a) Pluralität der Akteure

b) Ausdifferenzierung rechtlicher Steuerungsformen c) Strukturierungsfunktion von Recht

2. Überwindung des Steuerungsparadigmas?

a) Kognitive Probleme

b) Theoretische Angriffsflächen c) Wende von Akteuren zu Strukturen 3. Rechtswissenschaftliche Antworten

a) Parallele Entwicklungen

b) Bereitstellung von Regelungsstrukturen c) Governance als Hinwendung zum Recht D. Woher kommen und wohin führen Regelungsstrukturen?

1. Recht ohne Staat

2. Einschränkungen und Konsequenzen a) Europäischer Regelungsverbund

b) Entwicklung von Legitimationsbausteinen c) Chancen des Gesetzesvorbehalts

E. Zusammenfassung Literatur

* Der Beitrag ist die erweiterte und um Fußnoten ergänzte Fassung eines Vortrags, den ich am 9.3.2005 im Rah­

men der Querschnittsgruppe Governance unter der Leitung von Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert am Wissen­

schaftszentrum für Sozialforschung Berlin gehalten habe. Den Teilnehmern sei für Anregungen und weiterfüh­

rende Hinweise gedankt.

** Ulrich K. Preuß zum Wechsel an die Hertie School of Governance, Berlin.

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Governance und Regelungsstrukturen

A. Einführung

Der Begriff Governance übt seit einigen Jahren eine nahezu magische Anziehungskraft aus. Obgleich niemand so genau zu wissen scheint, was sich dahinter verbirgt, ist Go­

vernance in aller Munde. Vielleicht machen gerade die begriffliche Unschärfe und die dadurch Nahrung erhaltene Vermutung, daß es sich um ein zukunftsträchtiges Leitbild handeln könnte, seine wachsende Popularität aus. Jedenfalls können die Diskurse im Bemühen um die Konturierung des neuen Schlüsselbegriffs bereits als eine Form von Meta-Govemance verstanden werden. Ja, vielleicht stehen wir am Anfang einer „neuen Erzählung“ vom Regieren in vernetzten Regelsystemen, wenngleich bei nüchterner Be­

trachtung der Begriff trotz aller Diffusität, die ihm anhaftet, auf nichts Ungewöhnliches hinweist und mit den „neuen Modi des Regierens“ vermutlich auch nicht nur eine ver­

gängliche Mode beschreibt.1 Denn es geht um nichts anderes als den Ordnungsbedarf2 in einer unübersichtlich gewordenen Welt, die, wie vielenorts spürbar wird, durch eine Erosion bestehender Ordnungsmuster gekennzeichnet ist. Mit der Bezugnahme auf Re­

gelungsstrukturen eröffnet sich eine Blickrichtung, welche die Ordnungsprobleme nicht löst, sich aber in besonderer Weise als Forschungsperspektive anbietet. Das gilt auch und insbesondere für die Rechtswissenschaft.

Vorliegend soll es um „Governance in und durch Regelungsstrukturen“3 gehen. Es wird davon ausgegangen, daß Governance in Regelungsstrukturen stattfindet und Regelungs­

strukturen schafft. Wir haben es mit einem Prozeß des institution making zu tun, wobei der Kontext rechtsgeprägt ist und auf Rechtsprägung in Regelungsstrukturen ausgelegt ist. Damit ist bereits die Perspektive angegeben, wie sie hier auf die von „unsichtbarer Hand“ 4 geschaffenen Govemance-Strukturen gelegt werden soll. Nicht der Staat, son­

dern das von ihm teilweise abgekoppelte Recht füllt die Lücke, die sich mit der Ablö­

sung des Regierens von einer zentralen Instanz und dem darauf zugeschnittenen Ver­

antwortungsregime auftut. Dabei ist zunächst zu rekapitulieren, worauf Governance eigentlich reagiert und deshalb zu thematisieren sucht (B.). Anschließend soll auf das Konzept der Regelungsstruktur eingegangen werden, dessen Kern darin gesehen werden kann, das vielfach zu enge Steuerungsparadigma zu überwinden (C.). Das wirft die Fra­

ge auf, woher die Regelungsstrukturen kommen und wohin sie mit welchen Fragestel­

1 Offener Wolfgang Hojfmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat. Vom Nutzen der Govemance- Perspektive für die Rechtswissenschaft, in: Gunnar Folke Schuppert (Hg.), Govemance-Forschung: Vergewis­

serung über Stand und Entwicklungslinien, 2005, zit. nach Manuskript, S. 2 f.

2 Instruktiv Andreas Anter, Die Macht der Ordnung, 2004.

3 Übernommen wird dabei eine Fomulierung von Gunnar Folke Schuppert, Governance im Spiegel der Wissen­

schaftsdisziplinen, in: ders. (Hg.), Govemance-Forschung (FN 1), zit. nach Manuskript, S. 10; s. auch Hans- Heinrich Trute/Wolf gang Denkhaus/Doris Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 ff. (468).

4 James N. Rosenau, Governance in the Twenty-First century, Global Governance 1 (1995), S. 13 ff. (18); s. auch Matthias Rujfert, Die Globalisierung als Herausforderung an das Öffentliche Recht, 2004, S. 30.

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lungen für die Rechtswissenschaft führen (D.). Abschließend sollen drei Thesen zu­

sammengefaßt werden (E.).

B. Was ist und wozu Governance?

1. Transdisziplinarität

Was also ist und worauf reagiert Governance? Ihre begrifflichen Wurzeln werden der Ökonomik zugeschrieben, wo Governance auf die Erfassung der strukturellen Rahmen­

bedingungen wirtschaftlicher Selbstorganisation zielt.5 Spätestens mit der Erkenntnis, daß es angesichts der unhintergehbaren Begrenztheit von Informationen kostenlose Transaktionen nicht geben kann, wird das Problem ökonomischer Effizienz als ein Problem der Handlungskoordination durch verschiedene Regelungsformen, sei es durch Vertrag, Hierarchie, Organisation oder Netzwerk, beschrieben. Insoweit erweist sich vor allem die Institutionenökonomik in der Beobachtung der institutioneilen Arrangements in den sie prägenden Zusammenhängen und Wechselwirkungen als anschlußfähig für die Rechtswissenschaft. Mit dem corporate governance codex hat der Begriff jüngst auch Eingang in die Rechtssprache gefunden.

Politikwissenschaftlich umschreibt der Govemance-Begriff einen veränderten Zugang zur Wirklichkeit, die sich durch Vernetzungen von Akteurskonstellationen namentlich in Mehrebenensystemen auszeichnet, wo die Regierungsfimktionen nicht länger im Begriff des Government gebündelt werden können. Vor allem in den Internationalen Beziehungen ist der Begriff inzwischen stark verbreitet und bezeichnet hier die unter­

schiedlichen Formen eines governance by government, with government oder eben without government.6 7 Auch die Rechtswissenschaft beginnt, insbesondere zur Bewälti­

gung der Herausforderungen durch Transnationalisierung und Globalisierung, den zum Teil überaus heterogenen Konzepten von Governance aufgeschlossen zu begegnen. 7 Irritationen bleiben hier, zumal in den normativen Varianten von good governance, frei­

lich nicht aus.

Vieles spricht dafür, daß wir es mit einem Prozeß des wechselseitigen Lernens zu tun haben. Dieser vollzieht sich auf der Grundlage der jeweiligen Fachdisziplin in verschie­

5 Grundlegend Oliver E. Williamson, Transaction-Cost Economics: The Governance of Contractual Relations, Journal of Law and Economics 22 (1979), S. 233 ff.; ders., The Mechanisms of Governance, 1996; zur aktuel­

len Debatte Birger P. Priddat, Economic Governance, in: Schuppert (Hg.), Govemance-Forschung (FN 1); die Entwicklung des sozialwissenschaftlichen Govemance-Konzepts wird nachgezeichnet von Tru- te/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 452 ff.

6 Michael Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates, 1998, S. 166 ff; inzwischen sind die Definitionen und typologischen Angebote, die Govemance-Strukturen zerlegen, kaum noch zu überschauen, was eine gewisse Engfuhrung zur Spezifizierung dessen, was im Kern die „neuen Modi von Governance“ ausmachen soll, wün­

schenswert erscheinen läßt.

7 Siehe nur Ruffert, Globalisierung (FN 4), S. 24 ff.

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denen Akzentsetzungen.8 Governance ist keine „große“ Theorie, zu disparat sind die disziplinären Ansätze, wenngleich sie in der Thematisierung von Governance auf Öff­

nungen für Erkenntnisse aus den Nachbardisziplinen angelegt sind und eine Grundüber­

zeugung von dem, was Governance ausmacht, erkennen lassen. Diese zeichnet sich m.E. durch drei fundamentale Einsichten aus:

Erstens-, Unabhängig davon, ob das Funktionieren von Märkten, die Ergebnisse von politischer Steuerung oder die Prozesse der Rechtsverwirklichung in Frage stehen: Es handelt sich um voraussetzungsvolle Vorgänge, wobei das Handeln der Akteure nicht als „strukturfrei“ gedacht werden kann. Nun ist es keineswegs so, daß alle Bauformen, die bisher die „institutionelle Seite“ ausmachten, nichts mehr taugen würden. Mit Go­

vernance ändert sich aber die Perspektive auf die Prämissen, die der bisher dominanten Idee von Steuerung zugrundeliegen.

Zweitens-, Als gemeinsames Charakteristikum der Govemance-Konzepte schält sich ein Negatives heraus: Es ist das Fehlen eines objektiven Beobachters, der als umfassend informiert angenommen werden kann und damit auch das Fehlen eines in Hierarchien hinreichend beschreibbaren Subjekts. Anders formuliert: Es ist das Fehlen eines souve­

ränen Zentrums als einer Instanz, auf die Herrschaft in seiner freiheitsbegrenzenden und freiheitsermöglichenden Funktion projiziert werden kann. Diese „Beobachtungen“ blei­

ben nicht ohne Konsequenzen, ist die Antwort doch in der Relativierung handlungstheo­

retischer Ansätze zugunsten der Erfassung von Strukturen zu sehen, über die eine Koor­

dination der Handlungen „verschiedener mehr oder , weniger autonomer Akteure“ ver­

mittelt wird.9

Drittens-, Fragt man nach den positiven Merkmalen von Governance, so können diese in der Auffächerung und variablen Verknüpfüng der Bauformen gesehen werden. So we­

nig es einen idealen Beobachter gibt, kann es länger einen Idealtypus von Governance - etwa in Gestalt der Hierarchie - geben. Es kommt vielmehr auf den passenden Zu­

schnitt, die Erfassung der wechselseitigen Interaktionen und die Verzahnung von Hie­

rarchie, Wettbewerb, Verhandlungssystemen und Netzwerken an, die nicht mehr länger als „feste“ Institutionen untersucht, sondern als „institutioneile Regelungsmechanismen in varibalen Kombinationen“ analysiert werden. Zu diesem Zweck ist der Begriff der Regelungsstruktur in die Debatte eingeführt worden.10 Über ihn verspricht man sich, das

8 Zu Governance als Brückenbegriff Kees van Kersbergen/Frans van Waarden, „Governance“ as a bridge bet­

ween disciplines: Cross-Disciplinary inspriration regarding shifts in governance and problems of govemability, accountability and legitimacy, European Journal of Political Research 43 (2004), S, 143 fif; Schuppert, Gover­

nance (FN 3), S. 2; zum Problem disziplinären Austauschs Roland Czada, Disziplinäre Identität als Vorausset­

zung von Interdiziplinarität?, in: Kilian Bizer/Martin Führ/Christoph Hüttig (Hg.), Responsive Regulierung, 2002, S. 23 ff.

9 Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 454.

10 Bezeichnenderweise in dem Werk, das zur Rezeption des akteursbetonten Steuerungsansatzes in der Rechtswis­

senschaft diente, nämlich von Renate Mayntz/Fritz Scharpf, Steuerung und Selbstorganisation in staatsnahen Sektoren, in: dies. (Hg.), Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, 1995, S. 9 (16 ff.); zur Rezeption statt vieler Martin Eifert, Innovationen in und durch Netzwerkorganisationen: Relevanz, Regulierung und staatliche Einbindung, in: ders./Wolfgang Hoffmann-Riem (Hg.), Innovation und rechtliche Regulierung,

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komplexe Zusammenwirken von Staat und Markt, von hoheitlicher Regulierung und gesellschaftlicher Selbstregulierung in der Verknüpfung von Zielen, Verfahren und Or­

ganisation besser analysieren zu können. Governance baut nicht nur an, sondern baut aw/Regelungsstrukturen, nimmt also nicht länger die Akteure in den Blick, sondern die ihr Handeln koordinierenden Strukturen.

2. Reaktionen auf den Wandel von Staatlichkeit

Damit ist angesprochen, worauf Governance - verstanden als die Koordinierung der Interaktionen und Handlungsspielräume von Akteuren nach Maßgabe ebenenübergrei- fender Regelungsstrukturen - reagiert. Es dürften insbesondere die Herausforderungen eines tiefgreifenden Wandels von Staatlichkeit sein, der sich nach innen und außen ma­

nifestiert (a) und damit traditionelle Grenzen überspielt (b).

a) Innen und Außen

Der Staat hat seine Impermeabilität unwiederbringlich verloren. Private Akteure treten auf den Plan, häufig durch europäisches Recht mobilisiert und drängen in Bereiche vor, die einst zu den klassischen Domänen von Staatlichkeit gehörten. Was heute noch Sa­

che des Staates ist, läßt sich kaum verläßlich umschreiben. Der Staat hat viel von seiner Bedeutung ^ls zentraler Beschreibungskategorie des Politischen eingebüßt.11 Dennoch

„verschwindet“ er nicht einfach, bleibt - wenn auch nicht als Patriarch12 - für die Ge­

meinwohlsicherung verantwortlich und muß daher - sei es als kooperativer Staat13 oder als „Gewährleistungsstaat“14 - die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure in die Aufga- benerfullung zu strukturieren suchen. Es sind diese Veränderungen von Staatlichkeit mit dem Verlust einer übergeordneten und gleichsam allwissenden Spitze, die bereits das Steuerungsparadigma angreifbar machten, die Entwicklung übergreifender Regulie­

2002, S. 88 (101 ff.). Demgegenüber ist der bereits frühzeitig von Hans-Heinrich Trute für die Rechtswissen­

schaft fruchtbar gemachte Be-griff der Regelungsstruktur - s. Trute, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwi­

schen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVB1. 1996, 950 (951 ff.); jüngst ders./Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 457 ff. - weniger stark verbreitet, s. für die rechtswissenschaft­

liche Perspektive aber Schuppert, Governance (FN 3), S. 10 ff.; Claudio Franzius, Der Gewährleistungsstaat - ein neues Leitbild für den Wandel von Staatlichkeit?, Der Staat 42 (2003), S. 493 ff (514).

11 Nachdrücklich Thomas Vesting, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Intemationalisierung, W D StRL 63 (2004), S. 41 (47 ff.); ders., Das Ende der Für­

sorglichkeit. Abschiedsliteratur zum Staat, Diskussionspapiere des Europäischen Zentrums für Staatswissen­

schaften und Staatspraxis 29/2001, S. 24 ff; s. im Ausgangspunkt auch Ulrich K Preuß, Europa als politische Gemeinschaft, in: Gunnar Folke Schuppert/Ingolf Pemice/Ulrich Haltern (Hg.), Europawissenschaft, 2005, zit.

nach Manuskript, S. 6 („Entstaatlichung des Politischen“).

12 Vgl. Arno Scherzberg, Wozu und wie überhaupt noch öffentliches Recht?, 2003, S. 19,43 f.

13 Grundlegend E'rnst-T/aji'o Ritter, Der kooperative Staat, AöR 104 (1979), S. 389 ff.

14 Begriffsprägend Martin Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, S. 139 ff; aufgegriffen insbesondere von Wolfgang Hoffmann-Riem, etwa in: Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, S. 15 ff; zur Entfaltung in einzelnen Referenzgebieten Reinhard Rüge, Die Gewährleistungs­

verantwortung und der Regulatory State, 2004, S. 133 ff. (Strom); Hendrik Lackner, Gewährleistungsverwal­

tung und Verkehrsverwaltung, 2004, S. 179 ff; Matthias Knauff Der Gewährleistungsstaat: Reform der Da­

seinsvorsorge, 2004, S. 293 ff. (ÖPNV); bilanzierend Gunnar Folke Schuppert, Der Gewährleistungsstaat. Mo­

disches Label oder Leitbild sich wandelnder Staatlichkeit?, in: ders. (Hg.), Der Gewährleistungsstaat - ein Leit­

bild auf dem Prüfstand, 2005.

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rungsstrategien dem Vorwurf eines Steuerungsoptimismus aussetzen und stärker die Rückkoppelungseffekte von Regelungen in Strukturen akzentuieren. Daran kann Go­

vernance nunmehr anschließen.

Alles das ist bekannt, aber in den Folgerungen umstritten und nur die eine Seite. Die eigentliche Stoßrichtung hat die Govemance-Perspektive vermutlich erst mit der „Ent­

staatlichung nach außen“ erfahren. Das beginnt schon innerhalb der Europäischen Uni­

on, die sich in staatlichen Kategorien nicht hinreichend beschreiben läßt. Neben die ubi­

quitäre Konstitutionalisierungsdebatte ist eine von der Europäischen Kommission nicht ganz so glücklich begleitete Govemance-Debatte getreten. Hier ist es dem Govemance- Ansatz gelungen, die unfruchtbare Lagerbildung in den Integrationstheorien erfolgreich zu überwinden.15 Er bildet mehr und mehr den maßgeblichen Rahmen für neue Perspek­

tiven auf die Union, die sich ungleich stärker als die ideologisch aufgeladenen und letzt­

lich auf der Folie des Staates entwickelten Theorien auf die präzendenzlose Struktur der Union16 17 beziehen. Zurückhaltener spricht die Europäische Kommission im Weißbuch Governance von den Regeln, Verfahren und Verhaltensweisen, welche die Art und Weise, wie auf europäischer Ebene Befugnisse ausgeübt werden, kennzeichnen. Seine normative, auf good governance gerichtete Zielsetzung erhält das Konzept hier mit der Bezugnahme auf die hervorgehobenen Grundsätze der Offenheit, Partizipation, Verant­

wortlichkeit, Wirksamkeit und Kohärenz.18 19 20

Von „Entstaatlichung“ zu sprechen, ist nicht unproblematisch, soll der irreführende Eindruck eines Wegfalls des Staates vermieden werden. Erfaßt wird zunächst die Debat­

te als solche, die nicht mehr um den Staat und die auf ihn zentrierten Kategorien kreist. Schon der Europäischen Union kann der Staat in seiner überkommenen Gestalt weder als Ziel noch als Grenze dienen. Zwar bleiben die Staaten (Mit-)Träger des eu­

ropäischen Integrationsprozesses, doch haben sie ihre exklusive Stellung verloren21 und müssen sich die Regierungsfunktionen mit anderen Akteuren teilen. Noch deutlicher wird die Entstaatlichung im transnationalen und globalen Kontext. Hier läßt sich der Ordnungsbedarf kaum noch in der Perspektive auf das Staateninteresse angemessen thematisieren. Nicht etwa, daß die Staaten als konstituierende Subjekte der Internationa­

ls Vgl. Markus Jachtenfuchs, The Governance Approach to European Integration, JCMS 39 (2001), S. 245 ff.;

ders./Beate Kohler-Koch, Regieren und Institutionenbildung, in: dies. (Hg.), Europäische Integration, 2. Aufl., 2002, S. 11 (14 ff.).

16 Frühzeitig Peter Badura, Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstruk­

tur in den internationalen Gemeinschaften, VVDStRL 23 (1966), S. 34 (93 ff.); zur „Strukturverschiedenheit“

auch Rainer Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, in: ders., Verfassungsstaat, Europäisierung, In- temationalisierung, 2003, S. 53 (60 £).

17 KOM (2001), 438 v. 25.7.2001, AB1.EG 2001 Nr. C 287; dazu Christian Joerges/Yves Meny/Joseph H. Weiler (Hg.), Mountain or Molehill? A Critical Appraisal of the Commission White Paper on Governance, 2002; Tho­

mas Bruha/Carsten Nowak (Hg.), Die Europäische Union nach Nizza: Wie Europa regiert werden soll, 2003.

18 KOM (2001), 438 v. 25.7.2001, AB1.EG 2001 Nr. C 287, S. 7 f.

19 Vgl. Christian Tietje, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Euro­

päisierung und Intemationalisierung, DVB1. 2003, 1081 (1084 f.); krit. Udo Di Fabio, Die Staatsrechtslehre und der Staat, 2003, S. 63 („staatskritische Attitüde der Berliner Republik“).

20 Franzius, Gewährleistungsstaat (FN 10), S. 516.

21 Siehe nur Ingolf Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 148 (163 ff.).

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len Organisationen verschwinden würden. Sie bleiben als „offene Staaten“ erhalten.22 23 Jedoch zeigen grenzüberschreitende Verwaltungsorganisationen und die Zunahme hyb­

rider Verwaltungsformen, daß sich die Staaten und die von ihnen getragenen Organisa­

tionen aus der Verwaltung wichtiger Gemeinschaftsinteressen teilweise verabschie- den. Die Grenze von „öffentlich“ und „privat“ zerfließt.

b) Verschiebungen der Grenzen

Daraus sollte keine neue Verfallsgeschichte des Staates geschrieben werden.24 25 Notwen- dig sind vielmehr Analysen der Staatlichkeit im Wandel mit Blick auf die Verschie­

bung der Grenzen, die damit einhergehen. Diese können als Bedeutungsverlust der Grenze zwischen „Innen“ und „Außen“ beschrieben werden. Schon die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpolitik ist brüchig geworden. Innenpolitik ist mehr denn je auch Außenpolitik wie umgekehrt Außenpolitik in besonderem Maße auch Innenpolitik ist, mag das vielleicht auch nicht immer richtig begriffen werden.26 27 28 29 Zu erheblichen Grenzverschiebungen kommt es auch in der Welt des Rechts, namentlich mit Blick auf die Sinnhaftigkeit einer Trennung zwischen Innenrecht und Außenrecht. Das Innen­

recht, wozu die vielfältigen Organisationsnormen zählen, läßt sich durch das bisher ein­

deutig im Vordergrund stehende Außenrecht nicht mehr überzeugend ausblenden, zu­

mal dem Recht gerade im Binnenbereich von Organisationen seit längerer Zeit wichtige Ordnungsleistungen zugesprochen werden. Governance beobachtet und thematisiert die Verschiebung von Grenzen, nimmt verschiedene Regelungsebenen in den Blick, fragt nach funktionalen Äquivalenten und nach solchen Ordnungsleistungen, die in ei- ner fragmentierten, gleichermaßen durch Entgrenzung wie Vernetzung der politischen Räume gekennzeichneten Welt erbracht werden können. Verzichtet wird aber auf jene

22 Grundlegend Klaus Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammen­

arbeit, 1964; zur Idee offener Staatlichkeit Christian Tomuschat, Die Entscheidung für die internationale Offen­

heit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 1992, § 172; weiterführend Ste­

phan Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 409 ff.; zum Dis­

kussionsbedarf über die Konturen einer „offenen Republik“ aber auch Jost Delbrück, Das Staatsvolk und die

„Offene Republik“, FS Rudolf Bernhardt, 1995, S. 777 ff.

23 Ruffert, Globalisierung (FN 4), S. 37.

24 Diese können durchaus erhellend sein, statt vieler Martin van Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, 1999; s. aber auch Klaus Roth, Genealogie des Staates, 2003, S. 73 ff.; eine der besten Analysen zum Staat nach wie vor bei Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, 1976; dazu Stefan Kuhlmann, Evolution von Staat­

lichkeit, PVS 41 (2000), S. 623 ff; s. auch Reiner Schmitt, Der Verfassungsstaat im Wandel, FS Winfried Brohm, 2002, S. 535 ff.

25 Dazu das Profil des Sonderforschungsbereichs „Staatlichkeit im Wandel“ an der Universität Bremen, www.sfli597.uni-bremen.de', zum gegenwärtigen Diskussionsstand Stephan Leibfried/Michael Zürn (Hg.), Transformations of the State?, 2005.

26 Beispielhaft sei auf die sog. „Visa-Affäre“ hingewiesen, deren Bedeutung unter erheblichen Popularitätseinbu­

ßen des Außenministers in Regierungskreisen unterschätzt wurde und die Frage aufwirft, ob die Visapolitik in die Zuständigkeit des Innenministers zu überführen ist.

27 Vgl. Klaus Lange, Innenrecht und Außenrecht, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt- Aßmann/Gunnar Folke Schuppert (Hg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 307 ff.; Eber­

hard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl., 2004, 5. Kap. Rn. 4; s.

auch Tietje, Staatsrechtslehre (FN 19), S. 1091.

28 Die jüngere Diskussion stark beeinflussend: Eberhard Schmidt-Aßmann/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hg.), Ver­

waltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997; s. ferner Matthias Schmidt-Preuß, Steuerung durch Organisation, DÖV 2001,45 ff.

29 Zu den Facetten anschaulich Wolfgang Hoffmann-Riem, Gesetz und Gesetzesvorbehalt im Umbruch, AöR 130 (2005), zit. nach Manuskript, S. 7 ff.

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Prämissen, die staatlichen Ordnungsentwürfen mit der tradierten Erzählung zumeist überzeichneter Einheitsvorstellungen30 in einer zentralen Regierung bis heute zugrunde­

liegt.

c) Grenzen der Perspektiven

Die Govemance-Perspektive scheint erst durch das beigefugte Attribut einigermaßen klar zu umreißen, was überhaupt betrachtet wird. Relativ bekannt sind solche Konnota- tionen, die schwerpunktmäßig Govemance-Formen jenseits des Staates untersuchen.

Hier dürfte der Ertrag von Governance hoch sein, obgleich es auch als ein Konzept ver­

standen werden kann, das in Konkurrenz zur institutionellen Bündelung im Government tritt. Zumindest in der traditionellen rechtswissenschaftlichen Perspektive, welche „die Regierung“31 im Auge hat, sind dafür aber einige Grenzen zu überwinden.

Es können auch andere Unterscheidungen getroffen werden, die auf das Problem der Grenzen hinweisen, die mit der Wahl der Perspektive verbunden sind. Zu unterscheiden sind zunächst die normative und die analytische Perspektive. Man sollte sich nicht allen Forderungen nach Good Governance verschließen, zumal die angelsächsisch inspirierte

„gute Verwaltung“ im Europarecht ein gebräuchlicher Topos ist, der auf Richtigkeits­

maßstäbe verweist, die über die Einhaltung des Rechts hinausreichen. Dennoch spricht angesichts der Unsicherheiten über den normativen Gehalt von Governance vieles da­

für, die analytische Perspektive in den Vordergrund zu stellen.

Unterschieden werden ferner prozeß- und stärker strukturorientierte Zugänge, wobei unterschiedliche Dimensionen von Governance zum Ausdruck kommen.32 Daß es um Prozesse der vertikalen und horizontalen Handlungskoordination geht, in denen ein wechselseitiges Lernen ermöglicht werden soll, läßt sich kaum bestreiten, dürfte aber nicht die Spezifika ausmachen, die für Governance kennzeichnend sind. Die Einsicht in die Wirkungen gesellschaftlicher Strukturen auf individuelles Verhalten ist zwar alles andere als neu.33 Bisweilen erscheint der Strukturbegriff verdächtig, sich über rechtlich gebotene Unterscheidungen hinwegzusetzen oder gesellschaftliche Steuerungsverhält­

nisse zu thematisieren, die zumindest mit den überlieferten Vorstellungen von Herr­

schaft nicht mehr viel gemein haben.34 Wenn hier gleichwohl die Strukturvariante her­

30 Statt vieler Alexander Hanebeck, Die Einheit der Rechtsordnung als Anforderung an den Gesetzgeber?, Der Staat 42 (2002), S. 429 ff., zum Topos der Einheit Dagmar Felix, Einheit der Rechtsordnung: zur verfassungs­

rechtlichen Relevanz einer juristischen Argumentationsfigur, 1998; Ulrich Haltern, Integration als Mythos, JöR 45 (1997), S. 31 (36 ff., 64 ff); s. auch Thomas Vesting, Kein Anfang und kein Ende. Die Systemtheorie des Rechts als Herausforderung für Rechtswissenschaft und Rechtsdogmatik, JURA 2001, 299 (302 f.).

31 Vgl. Art. 62 GG; s. auch Ulrich K. Preuß, Regieren ohne Demos: Die Regierungsdebatte aus rechts­

wissenschaftlicher Sicht, in: Bruha/Nowak (Hg.), Die Europäische Union nach Nizza (FN 17), S. 49 (50 ff.).

32 Vgl. Jon Pierre/B. Guy Peters, Governance, Politics and the State, 2000, S. 22 ff.; s. auch Tanja Börzel, Euro­

pean Governance, in: Schuppen (Hg.), Govemance-Forschung (FN 1), zit. nach Manuskript, S. 6 ff.

33 Siehe auch Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 454 mit Hinweis auf Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1918 und Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 1964.

34 Für die Analyse akephaler Gesellschaften Alfred R. Radcliffe-Brovm, Structure and function in primitive socie­

ty, 1952; Simon Roberts, Order and Dispute. An Introduction to Legal Anthropology, 1979; s. auch Christian Sigrist, Regulierte Anarchie, 1979, S. 96 ff.

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vorgehoben werden soll, wird damit nicht die Dynamik von Governance im Prozeß der wechselseitigen Verbindung von bestimmten Bauformen in Abrede gestellt. Die Per­

spektive auf „Govemance-Strukturen“ legt den Fokus aber stärker auf die Verzahnung der Modi und fragt nach deren Zuschnitt, um Strategien der Problemlösung von eindi­

mensionalen Steuerungsvorstellungen zu befreien.

Um das am Beispiel der Europäischen Union zu verdeutlichen: Natürlich läßt sich die Union in der Realisierung des unionsrechtlich verfaßten Gemeinwohls angemessen nur als Prozeß beschreiben. Diesem wird dann aber zumeist unausgesprochen eine über­

schießende Vorstellung der Finalität zugrundegelegt oder umgekehrt in der Negation

' is

auf die Fortschreibung der Offenheit des Prozesses, gesetzt. Demgegenüber erlaubt es der Blick auf die Strukturen, die Modifikationen politischer Herrschaft „im Hier und Jetzt“ zu thematisieren, also auf einer mittleren Abstraktionsebene nachzuvollziehen, daß es sich um mehr als nur eine would-be polity handelt, ohne regulative Leitideen aus dem Kontext des Staatlichen übernehmen zu müssen, die sich als unangemessen für die Beschreibung von Governance in der Union erwiesen haben.

Gefragt werden kann schließlich nach den Akteuren oder nach RegelungsStrukturen.

Auch hier sind Zusammenhänge unübersehbar, zumal dann, wenn von einer Perspektive Abstand genommen wird, die Institutionen aus einer akteurszentrierten Sicht betrachtet, also den in der Politikwissenschaft verbreiteten Steuerungsansatz des „akteurszen­

trierten Institutionalismus“35 36 gleichsam seiner Akteurszentriertheit entkleidet, um den Blick auf die vielfältigen Arrangements freizulegen, in denen unterschiedliche Steu­

erungsfaktoren zum Einsatz gelangen. Umgekehrt - darauf hat Renate Mayntz mit Recht hingewiesen37 - interessieren Regelungsstrukturen „nicht per se, sondern auf-grund ih­

rer ermöglichenden und restringierenden Wirkung auf das Handeln von Akteuren“.

Wenn auch in diesem Beitrag auf Regelungsstrukturen zur Qualifizierung von Gover­

nance abgestellt wird, ist damit nicht gesagt, daß andere Perspektiven nicht ebenfalls unter Governance-Aspekten thematisiert werden könnten.38 Es ist ferner damit nicht gesagt, daß eine bestimmte Disziplin diese Perspektive erfordert. Insbesondere die Rechtswissenschaft läßt sich kaum gegen eine akteursbetonte Perspektive ins Feld fuh­

ren, mag sie auch besondere Anschlußmöglichkeiten zur Verarbeitung einer strukturori­

entierten Perspektive bieten.

Wird nach den Spezifika der auf Regelungsstrukturen abstellenden Govemance- Perspektive gefragt, lassen sich zwei Aspekte besonders hervorheben. Es sind zum ei­

35 Zur Zukunftsoffenheit als Verfassungsmaßstab Andreas Fisahn, Die Europäische Verfassung - ein zukunftsof­

fener Entwurf?, KJ 2004, 381 (384 £).

36 Renate Mayntz/Fritz Scharpf, Der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus, in: dies. (Hg.), Gesellschaft­

liche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995, S. 39 ff.

37 Mayntz, Governance-Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie?, in: Schuppert (Hg.), Go-vemance- Forschung (FN 1), zit. nach MPIfG Working Paper 04/01, 2004, S. 7.

38 Siehe etwa Sigrid Quack, Zum Werden und Vergehen von Institutionen. Vorschläge für eine dynamische Go- vemanceanalyse, in: Schuppert (Hg.), Govemance-Forschung (FN 1).

(11)

nen die Selektivität des wissenschaftlichen Zugangs39 auf bestimmte - als konstruiert gedachte40 - Aspekte der Wirklichkeit und zum anderen die Überwindung als zu eng erkannter Steuerungsvorstellungen. Diese basieren auf Unterscheidungen, deren Trag­

fähigkeit zweifelhaft geworden ist. Darauf wird zurückzukommen sein. Festzuhalten ist an dieser Stelle, daß eine strukturbezogene Betrachtung von Governance einen heuristi­

schen Analyse-Rahmen zur Verarbeitung komplexer Wirkungszusammenhänge bietet, die als Vorbedingung für die normative Formulierung relativ richtiger Antworten ver­

standen werden kann. In der rechtswissenschaftlichen Perspektive öffnen sich Rege­

lungsstrukturen unterschiedlichen Handlungsrationalitäten41 der Akteure, zielen auf die Bezugnahme nachbarwissenschaftlicher Erkenntnisse42 und erlauben die „zusammen­

hängende Analyse des anwendbaren Rechts über Rechtsgebietsgrenzen und Regelungs­

ebenen“ hinweg.43

C. Regelungsstrukturen

1. Verbundbegriff

Beim analytischen Konzept der Regelungsstruktur handelt es sich gegenüber dem „Brü­

ckenbegriff4 von Governance um einen dichteren Begriff, also um einen Verbundbe­

griff. In gewisser Weise teilt der Begriff seine Wurzeln mit dem Govemance-Begriff, wurde er doch zur Beschreibung solcher Steuerungsphänomene eingefiihrt, die zunächst als Folie für den Gestaltwandel von Staat und Recht in den liberalisierten, jedoch als

„staatsnah“ bezeichneten Sektoren dienten. Wo sich die wohlfahrtstaatlichen Leistungs­

strukturen nicht mehr in die Dichtotomie von Staat und Gesellschaft pressen ließen, half der Blick auf Regelungsstrukturen die Institutionen und Akteurskonstellationen zu be­

zeichnen, in denen die Leistungsstrukturen eines bestimmten Sektors absichtsvoll ges­

taltet werden.

In der Rechtswissenschaft wurde der Begriff vor allem von Hans-Heinrich Trute aufge­

griffen, um „auf die staatliche und private Akteure umgreifenden Aufgabenerledigungs-

39 Mayntz, Governance-Theory (FN 37), S. 8.

40 Vgl. Wolfgang Hoffmann-Riem, Methode einer anwendungsorientierten Verwaltungsrechtswissen-schaft, in:

Eberhard Schmidt-Aßmann/ders. (Hg.), Methoden der Verwaltungsrcchtswissenschaft, 2004, S. 9 (30 f.); ders., Governance (FN 1), S, 18 f.

41 Zur Vielgestaltigkeit des Rationalitätsbegriffs Arno Scherzberg, Rationalität - staatswissenschaftlich betrachtet, Liber Amicorum Hans-Uwe Erichsen, 2004, S. 177 ff.; s. auch Hellmuth Schulze-Fielitz, Rationalität als recht­

staatliches Prinzip für den Organisationsgesetzgeber, FS Klaus Vogel, 2001, S. 311 (314 ff.); Martin Führ, Ei­

gen-Verantwortung im Rechtsstaat, 2003, S. 219 ff.

42 Zum Erfordernis einer methodischen Reflexion Christian Bumke, Die Entwicklung der verwaltungs­

rechtswissenschaftlichen Methodik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft (FN 40), S. 73 (109 ff.).

43 Hans-Heinrich Trute, Innovationsfördemde Regelungsstrukturen im deutschen Universitätssystem, Projektskiz­

ze im Rahmen der ortsverteilten Forschergruppe Internationale Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsfähigkeit von Universitäten und Forschungsorganisationen - Neue Govemanceformen, http://www.rrz.uni-hamburg.de/

lstrute/forschung/P4 %2 0Antrag%2 0Trute.pdf

(12)

Zusammenhänge“ reagieren zu können.44 Die Regelungsstruktur mache auf die Friktio­

nen aufmerksam, die dadurch entstehen, daß sich mit Hilfe der auf den Staat bezogenen Kategorien des öffentlichen Rechts die Einbeziehung privater Akteure in die Aufgaben­

erledigung nicht mehr angemessen erfassen lasse.45 Eine Reihe von Konzepten, die in der Folgezeit entwickelt wurden, um das Zusammenspiel der Akteure unter dem Ge­

sichtspunkt übergreifender Wirkungsperspektiven „sichtbar“ zu machen, relativierten Vorstellungen einer zentralen Steuerung, blieben aber auf den Staat als zentralen Ge­

meinwohlakteur bezogen. Anders als das Konzept der auf staatliche Funktionen fixier­

ten Verantwortungsstufung46 oder die perspektivisch auf die Sicherstellung staatlicher Gemeinwohlverantwortung gerichtete Idee „hoheitlich regulierter Selbstregulierung“47 handelt es sich bei dem Konzept der Regelungsstruktur um eine neutrale Kategorie, die auf Regelungs- und Kommunikationszusammenhänge innerhalb eines Sachbereichs verweist.

a) Pluralität der Akteure

Am wichtigsten dürfte wohl sein, daß es Regelungsstrukturen erlauben, die Pluralität der maßgebenden Akteure in den Blick zu nehmen. Staatliche und private Akteure tei­

len sich den Platz in Regelungsstrukturen. Steuerung und gesellschaftliche Selbstregu­

lierung sind aufeinander bezogen, sie ergänzen sich wechselseitig und erzielen insge­

samt bestimmte Steuerungswirkungen. Das macht es schwer, die Steuerungsergebnisse dem Staat zuzurechnen. Regelungsstrukturen sind das Ergebnis einer Fragmentierung und Differenzierung des politischen Systems und verändern den Blick auf die für rele­

vant gehaltene Wirklichkeit, indem sie die Bedingungen, Maßstäbe und Fonnen für das Zusammenwirken der Akteure in ihrer Gesamtheit thematisieren. Dabei spielt die Hie­

rarchie keine geringe Rolle, wird aber durch andere Bauformen ergänzt, die in Rege­

lungsstrukturen einbezogen sind, sei es, daß sie im viel zitierten Schatten der Hierarchie anzusiedeln sind oder als komplexe Strukturbedingungen sichtbar werden, die auf die

44 Jüngst wieder Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 458.

45 Vgl, Hans-Heinrich Trute, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, in: Gunnar Folke Schuppert (Hg.), Jenseits von Privatisierung und

„schlankem“ Staat, 1999, S. 13 ff.; ders., Gemeinwohlsicherung im Gewährleistungsstaat, in: Gunnar Folke Schuppert/Friedhelm Neidhardt (Hg.), Gemeinwohl - Auf der Suche nach Substanz, 2002, S. 329 (330 ff.);

ders./Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 458.

46 Die Diskussion anstoßend Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts - Re­

formbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/ders./Schuppert (Hg ), Reform des Allgemeinen Verwal­

tungsrechts (FN 27), S. 11 (43 f.); s. auch Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 444 ff.

(„Denken in Verantwortungstufen“).

47 Grundlegend Wolfgang Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnun­

gen - Systematisierung.und Entwicklungsperspektiven, in: ders./Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Pri­

vatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (300 ff.); s. auch die Beiträge in: Die Verwaltung, Beiheft 4 (2001) sowie aus jüngerer Zeit Martin Eifert, Übergreifende Regulierungsstrategien, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/An-dreas Voßkuhle (Hg.), Handbuch der Verwaltungsrechtswis­

senschaft, Bd. 1,2005, Manuskript, § 20 C.; zu Referenzgebieten Andreas Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1997; Winfried Wegmann, Regulierte Marktöffnung in der Telekommunikation, 2001; Jo­

hannes Junker, Gewährleistungsaufsicht über Wertpapierdienstleistungsuntemehmen, 2003.

(13)

Herstellung oder Darstellung einer Entscheidung Einfluß nehmen und deshalb in ihrer 40 legitimierenden und limitierenden Bedeutung als solche herauszuarbeiten sind.

b) Ausdifferenzierung rechtlicher Steuerungsformen

Die sozialwissenschaftliche Govemance-Perspektive ist durch eine Hinwendung zu In­

stitutionen und das Handeln in Institutionen gekennzeichnet. Sie beobachtet das Neben­

einander unterschiedlicher Modi der Handlungskoordinierung in Regelungsstrukturen und versucht diese in ihren übergreifenden Wirkungen zu analysieren. Es wäre aller­

dings ein Mißverständnis, wenn Recht mit Hierarchie gleichgesetzt würde, so bedeut­

sam der Hierarchiemodus für die rechtliche Prägung von Regelungsstrukturen im Ein­

zelfall auch sein mag. Die Rechtswissenschaft hat zwar eine begrenzte Sicht auf Rege­

lungsstrukturen, die prinzipiell in ihrer normativen Ausrichtung interessieren. Jedoch ist diese Perspektive nicht so eng, wie zum Teil angenommen wird.48 49 Die Rechtsordnung stellt nicht nur Handlungsformen, sondern auch Strukturen, insbesondere Organisations­

formen und Verfahrensarten, bereit, welche die Entscheidung nicht determinieren, son­

dern Möglichkeitsspielräume gestalten und Handlungskorridore eröffnen. Recht ist mehr als der einzelne Rechtsakt im Sinne einer kontrafaktische Stabilisierung von Steu­

erungserwartungen. Auf die gewachsenen Gewißheitsverluste, denen das Recht ange­

sichts der Begrenztheit zentral verfügbaren Steuerungswissens50 ausgesetzt ist, hat es längst mit einer Ausdifferenzierung rechtlicher Steuerungsformen reagiert. Es lenkt den Blick vermehrt auf die strukturellen Handlungsprämissen und verlagert das Interesse auf die strukturelle Ebene, wo seine Funktion nicht mehr allein in der Begrenzung, sondern auch in der Ermöglichung der Entscheidungsvoraussetzungen unter Einbeziehung un­

terschiedlicher Handlungsrationalitäten gesehen werden muß. Damit geht eine Blicker­

weiterung auf nicht-rechtliche Steuerungsfaktoren einher, deren Einsatz ihrerseits durch Recht dirigiert und „umhegt“51 wird.

Recht „denkt“52 in Regelungsstrukturen, innerhalb derer zentrale Fragen der Zurech­

nung, des Zusammenspiels von Regulierung und Selbstregulierung, der Vernetzung von Zielen, Verfahren und Organisation bis hin zur Entwicklung normativer Legitimations­

bausteine aufgegriffen und differenziert verarbeitet werden. Es handelt sich um eine mehrdimensionale Matrix, die die Modi der Handlungskoordination in der unterschied-

48 Für die Einbeziehung des Herstellungszusammenhangs Hoffmann-Riem, Methode (FN 40), S. 20 ff.; vorsichti­

ger Hans-Heinrich Trute, Methodik der Herstellung und Darstellung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hg.), Methoden (FN 42), S. 293 (308 ff.); Claudio Franzius, Wir­

kungsweisen und Modalitäten der Steuerung durch Recht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hg.), HVwR (FN 45), Manuskript, § 4 D.II.

49 So auch Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 459, 471 f.

50 Instruktiv Arno Scherzberg, Wissen, Nichtwissen und Ungewißheit im Recht, in: Christoph En-gel/Jost Half- mann/Martin Schulte (Hg.), Wissen - Nichtwissen - Unsicheres Wissen, 2002, S. 114 ff; s. auch dens., Risiko­

steuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen?, W D StRL 63 (2004), S. 214 ff.

51 Zur gewährleistungsrechtlichen Formulierung „normativer Umhegung“ Andreas Voßkuhle, Die Beteiligung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, W D StR L 62 (2003), S. 266 ff.

(285).

52 Schuppert, Governance (FN 3), S. 16.

(14)

lichen Dichte ihrer normativen Einbettung sieht, sich aber zugleich wirkungsorientierten Forschungsfragen öffnet. So ist jüngst darauf hingewiesen worden, daß die Rechtswis­

senschaft auf die normativen Zusammenhänge fokussiere, diese „aber Teil der Instituti­

onen sind, innerhalb derer sich dann bestimmte Kommunikations- und Handlungszu- sammenhänge und schließlich Entscheidungen“ ausbilden. In zentralen Fragen wie dem hinreichenden Legitimationsniveau oder dem grundrechtlich geforderten Schutzni­

veau verweist das Recht selbst auf Wirkungsurteile. Recht ist auch mit Blick auf Wirk­

lichkeitsprognosen mehr als der kontrollorientierte Entscheidungsnachvollzug und ver­

koppelt in der Handlungsperspektive rechtliche und nicht-rechtliche Koordinationsfor­

men, weshalb es naheliegt, diese als integralen Bestandteil der Regelungsstrukturen53 54 zu betrachten, unter deren Regie ein rechtswissenschaftliches Konzept von Governance zu entfalten wäre.

c) Strukturierungsfunktion von Recht

Die „mehr oder weniger fragmentierte oder integrierte, nach unterschiedlichen Prinzi­

pien gestaltete Regelungsstruktur“ kann - so formuliert es Renate Mayntz55 - „als der institutionelle Rahmen verstanden werden, der das Handeln der Akteure lenkt“. Schärfer betrachtet geht es um das „Zusammenwirken von öffentlicher und privater Handlungs­

kompetenz“.56 Eine Beliebigkeit im „Durcheinander-Würfeln“ der Koordinationsmodi braucht die Rechtswissenschaft nicht zu übernehmen. Sie steht aber vor der Herausfor­

derung, das Kooperationsspektrum nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Wertent­

scheidungen zu strukturieren. Regelungsstrukturen lassen sich als der analytische Rah­

men verstehen, der es erlaubt, die relativ großen Bereiche zu erfassen, die sich zwischen den Polen von Staat und Markt, zwischen staatlicher Erfullungsverantwortung und blo­

ßer Rahmenverantwortung57 oder zwischen hoheitlicher Regulierung und gesellschaftli­

cher Selbstregelung auftun. Ihre Verbreitung geht einher mit der Ausweitung des Blicks von der Einzelnorm auf das Normprogramm, das ihrerseits in normative Kontexte ein­

gebunden ist.58 Regelungsstrukturen lassen Differenzierungen in der Erfassung von Dreiecksverhältnissen zu59 und überlagern das konturenschwache Kooperationspara­

digma, das je nach Lesart in eine rechtliche Struktur gebracht60 oder unter der Gover­

nance-? erspektive mit der Bereitstellung von Regelungsstrukturen61 überwunden wird.

53 Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 470.

54 Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 472.

55 So Mayntz, Governance-Theory (FN 37), S. 4.

56 So Scherzberg, Wozu und wie überhaupt noch öffentliches Recht? (FN 12), S. 34 ff.

57 Demgegenüber für den Gegenpol einer „Auffangverantwortung“ Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (FN 27), 2/110; nochmals anders Wolfgang Weiß, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, DVB1. 2002, 1167 (1175).

58 Zur „Ausweitung des Blicks“ auf das Normprogramm Hoffmann-Riem, Gesetz und Gesetzesvorbehalt (FN 29), S. 23 f. („von der Steuerungskraft des Gesetzes zur Steuerungskraft des Normprogramms“).

59 Vgl. Trute, Verwaltung und Verwaltungsrecht (FN 10), S. 952 ff.; zum Differenzierungsbedarf auch Eifert, Regulierungsstrategien (FN 47), § 20 C. 1.

60 Zur Entfaltung eines Verwaltungskooperationsrechts Gunnar Folke Schuppert, Grundzüge eines zu entwickeln­

den Verwaltungskooperationsrechts, Rechts- und verwaltungswissenschaftliches Gutachten im Auftrag des BMI, 2001, www.staat-modern.de/projekte/beschreib/pbl221b.htnr, zum „Grund-modus“ kooperativer Aufga­

benwahmehmung Hellmuth Schulze-Fielitz, Grundmodi der Aufgabenwahmehmung, in: Hoffmann-

(15)

Damit ist der Eigenstand des Governance-Ansatzes angesprochen. Regelungsstrukturen bilden den Kern der rechtswissenschaftlichen Perspektive auf die Verzahnungen recht­

lich zumindest mitgeprägter Handlungskoordination. Nimmt man die Parallelen in den Blick, die zum Leitbild des Gewährleistungsstaates bestehen61 62 63 und betrachtet das ge- meinsame Anliegen, die „Struktursteuerung“ als maßgeblichem Koordinationsmodus hervorzuheben, bleibt für kooperative Arrangements durchaus Raum, zumal der Fokus auf Regelungsstrukturen den „kooperativen“ Steuerungsansatz fortzuentwickeln scheint.

Ob sich ein rechtswissenschaftliches Govemance-Konzept aber auf den Prämissen gründen läßt, die mit der Verkoppelung der Handlungsarenen brüchig geworden sind, läßt sich bezweifeln. Es ist fraglich, ob die Verantwortungszuschreibungen noch über­

zeugend gelingen, wenn von der Vorstellung einer zentralen Instanz und einer Vorab­

steuerung der Handlungsfelder durch allgemeine Regelungen nicht mehr ausgegangen werden kann. Trotz aller Kritik an den überlieferten Fiktionen, mit denen das Recht zu arbeiten gewohnt ist, scheint mit der pauschalen Annahme einer Reserve- und Auffang­

verantwortung des Staates, mag sie als politische Forderung auch Sinn machen, im rechtlichen Kontext einer neuen Fiktion Vorschub geleistet zu werden. Auf die im Kon­

zept des Gewährleistungsstaates angelegte Widersprüchlichkeit ist oft hingewiesen worden.64 Sie sollte im Recht nicht fortgeschrieben werden. Dies umso mehr, als auf die Zweifel einer hinreichend stabilen Verknüpfung von Wissen und Handeln das Konzept der Regelungsstruktur ja gerade reagiert, damit aber weder an die liberale Vorstellung einer hierarchischen Grenze anknüpfen noch den Ausweg in der mit Kooperation um­

mantelten Bedeutungslosigkeit klassischer Grenzziehungen finden kann.

Einen eigenen Wert dürfte dem Govemance-Konzept der Regelungsstruktur ungeachtet der Destruktionseffekte „liebgewordener Selbstbeschreibungen“65 m.E. nur haben, wenn es einen Weg aufzuzeigen vermag, der ihre „horizontal wie vertikal pluralisierte Archi­

tektur“ nicht mehr auf ein Zentrum ausrichtet.66 Eben dies legt der Mehrebenenansatz nahe und läßt den Topos der ausdifferenzierungsfähigen Regelungsstruktur als geeigne­

ten Kandidaten erscheinen, den entdifferenzierenden Wirkungen von Netzwerken67 zu

Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hg.), HVwR (FN 47), Manuskript, § 12 C.; s. auch Veith Mehde, Koopera­

tives Regierungshandeln, AöR 127 (2002), S. 655 ff.

61 In dieser Richtung Andreas Voßkuhle, Gesetzgeberische Regelungsstrategien der Verantwortungsteilung zwi­

schen öffentlichem und privatem Sektor, in: Schuppert (Hg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem“ Staat (FN 45), S. 68 ff.; s. auch dens., Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (FN 51), S.

277, 283 f.; krit. zum Kooperationsprinzip auch Helge Rossen, Vollzug und Verhandlung, 1999, S. 285 ff.

62 Vgl. Hoffmann-Riem, Governance (FN 1), S. 4; ders., Das Recht des Gewährleistungsstaates, in: Schuppert (Hg.), Der Gewährleistungsstaat (FN 14).

63 So Gunnar Folke Schuppert, Koordination durch Struktursteuerung als Funktionsmodus des Gewährleistungs­

staates, FS Klaus König, 2004, S. 287 (288 ff.).

64 Träte, Gemeinwohlsicherung im Gewährleistungsstaat (FN 45), S. 329 ff.; Claudio Franzius, Vom Gewährleis­

tungsstaat zum Gewährleistungsrecht, in: Schuppert (Hg.), Der Gewährleistungsstaat (FN 14); abgeschwächter Gunnar Folke Schuppert, Staatswissenschaft, 2003, S. 332.

65 Peer Zumbansen, Lex mercatoria: Zum Geltungsanspruch transnationalen Rechts, RabelsZ 67 (2003), S. 637 ff.

(659).

66 Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 464.

67 Vgl. Eifert, Innovationen in und durch Netzwerkorganisationen (FN 10), S. 130 f.; Christoph Möllers, Netzwerk als Kategorie des Organisationsrechts. Zur juristischen Beschreibung dezentraler Steuerung, in: Jan-Bernd Oeb-

(16)

begegnen. So geht der Begriff der Regelungsstruktur über den juristisch irritierenden Begriff des Netzwerkes hinaus ohne dabei auf den juristisch vertrauten Systembegriff mit der Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen zurückzugreifen. Erforderlich werden Meta-Regeln, die vom Staat als Fluchtpunkt materieller Einheitsbildung abstra­

hieren und die ebenenübergreifenden Wirkungen der Teilrechtsordnungen in den Blick zu nehmen imstande sind.

2. Überwindung des Steuerungsparadigmas?

Das wirft die Frage auf, ob das auf Regelungsstrukturen bezogene Konzept von Gover­

nance das Steuerungsparadigma - wie jüngst von Renate Mayntz proklamiert68 69 — über­

windet.70 71 Steuerung modifizierte den Gedanken der rationalen Planung und hatte es nicht schwer, in der Rechtswissenschaft allmählich Fuß zu fassen, wenngleich sich die Dogmatik in vielen Bereichen davon reichlich unbeeindruckt zeigte und bis heute zeigt.

Der steuerungswissenschaftliche Ansatz hat jedoch viele Einsichten in Wirkungsweisen und Modalitäten der Steuerung durch Recht zu Tage gefordert und dürfte die Öffnung der Rechtswissenschaft zu einer regelungsorientierten Entscheidungswissenschaft be­

flügeln.72 Die nunmehr apostrophierte Wende von Steuerung zu Governance läßt sich nicht allein mit kognitiven Problemen erklären (a). Hinzu tritt der Wegfall theoretischer Angriffsflächen (b), infolge dessen die Akteurszentrierung der Steuerung zugunsten der Strukturorientierung von Governance zurücktritt (c). Die Rechtswissenschaft muß dar­

auf eigene Antworten finden (3.).

becke (Hg.), Dezentrale nichtnormative Steuerung (i.E,); s. aber auch Gunter Teubner, Das Recht hybrider Netzwerke, ZHR 165 (2001), S. 550 ff.; allgemein zur Kategorie des Netzwerks Walter W. Powell, Weder Markt noch Hierarchie: Netzwerkartige Organisationsformen, in: Patrick Kenis/Volker Schneider (Hg.), Orga­

nisation und Netzwerk, 1996, S. 213 ff.; s. auch Jörg Sydow/Arnold Windeier, Steuerung von und in Netzwer­

ken - Perspektiven, Konzepte, vor allem aber offene Fragen, in: dies. (Hg.), Steuerung von Netzwerken, 1999, S. 1 ff.

68 Das gleiche gilt für den Markt, wo als „zweite Governance-Structure“ die Kommunikation über die Relevanz von Märkten tritt: Birger P. Priddat, Kommunikative Entscheider: Sprache und Ökonomie, in: Arno Scherzberg u.a. (Hg.), Kluges Entscheiden (i.E.).

69 Mayntz, Governance-Theory (FN 37), S. 2 („eigener Satz von Fragen”); anders - im Sinne einer Brauchbarkeit von Govemance-Konzepten für den Steuerungsdiskurs - aber etwa Sebastian Botzem, Governance-Ansätze in der Steuerungsdiskussion, WZB discussiön-paper, 2002, S. 6 ff.

70 Die Etappen der Verabschiedung sind im Werk von Renate Mayntz selbst angelegt, zunächst im propagierten Bedarf nach einer „institutionalistischen Wende“ und dessen Verarbeitung in Rege-lungsstrukturen, vgl.

Mayntz, Politische Steuerung: Aufstieg, Niedergang und Transformation einer Theorie, PVS-Sonderheft 26/1995, S. 148 (154 f.); dann in der Kritik am steuerungstheoretischen Problemlösungsbias, vgl. Mayntz, Steu­

erungstheoretische Metatheorie, in: Hans-Peter Burth/Axel Görlitz (Hg.), Politische Steuerung in Theorie und Praxis, 2001, S. 17 ff. und jüngst in der Thematisierung von Governance an Stelle von Steuerung im Staat, vgl.

Mayntz, Governance im modernen Staat, in: Arthur Benz (Hg.), Governance - Regieren in komplexen Regel­

systemen, 2004, S. 65 ff.

71 Näher Franzius, Steuerung durch Recht (FN 48), § 4; zur Rekonstruktion des Steuerungsansatzes als normativer Zurechnungszusammenhang Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 249 ff.

72 Zu dieser Schwerpunktverlagerung Andreas Voßkuhle, Methode und Pragmatik im Öffentlichen Recht, in:

Hartmut Bauer u.a. (Hg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 171 (179 ff); s. jetzt auch ders., Neue Ver­

waltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ders. (Hg.), HVwR (FN 45), Manuskript, § 1 C.IIL; zust. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (FN 27), 1/46.

(17)

a) Kognitive Probleme

Der Steuerungsansatz fand in den Sozialwissenschaften zunehmende Verbreitung, als es darum ging, die Probleme interventionistischer Lenkung in den Griff zu bekommen.

Von Anfang war das Thema die steuerungstheoretische Bewältigung von Problemlö­

sungen. Hierfür wurden konstruktive Unterscheidungen eingeftihrt, auf deren Folie die voraussetzungsvollen Bedingungen politischer Steuerung deutlich wurden, aber auch neue Modi in das Blickfeld gerieten, die das Arsenal der Steuerungsmöglichkeiten we­

sentlich breiter erscheinen ließ, als es zunächst angenommen worden war.73 Ausgehend von der Trennung zwischen Steuerungssubjekt und Steuerungsobjekt wurden beispiels­

weise Steuerungshandeln und Steuerungserfolg unterschieden. Dies machte es möglich, die Probleme zu lokalisieren, sei es in der Steuerungsfähigkeit der Akteure, zumeist des Staates, oder in der Steuerbarkeit der Adressaten, thematisiert vor allem als Vollzugsde­

fizit, wie es im Umweltrecht „entdeckt“ worden war.74 75 76

Bei allen Modifikationen, die in der Zwischenzeit die Steuerungstheorie „erlebte“ und von zu optimistischen Grundannahmen politischer Planung befreite, blieb die Unter­

scheidung zwischen Subjekt und Objekt der Steuerung erhalten. Obgleich Vorstellungen eines umfassenden Gestaltungsanspruchs des Staates gegenüber der Gesellschaft „zu­

rückgenommen“ wurden, die private Mitwirkungsbedürftigkeit zur Gemeinwohlver­

wirklichung in mehr oder weniger komplexen institutionellen Arrangements zu Tage trat und Steuerung auf (das Potential zur) Selbststeuerung bezogen wurde, bleibt die Steuerungsidee der Vorstellung verhaftet, das notwendige Steuerungswissen in einer als Einheit gedachten Instanz wenn nicht bündeln, so doch darauf lenken zu können. Steue­

rung geht somit an die Grenze zur Kommunikation, ohne diese als solche zu thematisie­

ren. Sie hält an Prämissen fest, die in der kontinental-europäischen Staatsvorstellung wurzeln und in der wohlfahrtstaatlichen Überhöhung des Staates das Veschwimmen der Unterscheidbarkeit von Steuerungssubjekt und -objekt nicht nachzuvollziehen bereit

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war. Es sind diese kognitiven Prämissen, die mit der Wende zu Governance entfallen und die Perspektive auf die Verzahnung der Regelungsformen lenken.

Die wachsende Einbindung privater Akteure in die Aufgabenerfüllung macht es zuneh­

mend schwerer, die Frage zu beantworten, wer denn eigentlich wen steuert. Private Ak­

teure rücken in staatliche Steuerungszusammenhänge ein, ohne daß deren Zurechnung zum Staat als möglich oder wünschenswert angesehen wird. Dort, wo der Staat steuern sollte, sind es längst Private, die Steuerungsfunktionen übernommen haben. Und dort,

73 Vgl. Gunnar Fölke Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, in: Hoff-mann- Riem/Schmidt-Aßmann/ders. (Hg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts (FN 27), S. 65 (95 ff.) unter Bezugnahme auf Ernst-Hasso Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat, in: Dieter Grimm (Hg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 69 (85 ff),

74 Wegweisend für die Mitte der 80er Jahre einsetzende Diskussion Renate Mayntz u.a., Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978.

75 Mayntz, Governance-Theory (FN 37), S. 3, 7; zust. Schuppert, Governance (FN 3), S. 8 f.; s. auch Tru- te/Denkhaus/Kühlers, Governance (FN 3), S. 458.

76 Siehe bereits Franzius, Gewährleistungsstaat (FN 10), S. 503 f., 512 ff.

(18)

wo privaten Akteuren die Selbststeuerung überlassen ist, wird dem Staat die Aufgabe zugetraut oder zugemutet, seiner Verantwortung zur Steuerung des „Gesamtzusammen­

hangs“ nachzukommen. Mag insoweit das Wissensproblem auch erkannt worden sein, bleibt dessen Bewältigung doch auf einen steuerungsfähigen Akteur bezogen, der als allwissender Beobachter als Fiktion entlarvt, jedoch als Konstruktion „weiterlebt“ und die Zuschreibung regulativ angestoßener Prozesse dezentraler Wissensgenerierung theo­

retisch wie praktisch möglich erscheinen läßt. Demgegenüber fragt die Govemance- Perspektive nicht mehr danach, wie es dem Staat gelingen könne, das Wissen zu erwer­

ben, das er für eine zielgerichtete Steuerung gesellschaftlicher Prozesse benötigt, son­

dern danach, wie die Arrangements unterschiedlicher Regelungsformen aussehen, in­

nerhalb derer mit unsicheren Wissensbeständen umgegangen wird, hn Fokus auf Go­

vernance vollzieht sich damit die Einsicht in die Begrenztheit der Wissensgenerierung, die sich als komplexer Vorgang nicht mehr in den epistemologischen Grenzen von Sub­

jekt und Objekt unter dem Steuerungsparadigma hinreichend verarbeiten läßt.

b) Theoretische Angriffsflächen

Die empirische Beobachtung, daß es den Staat noch gibt, daß er Entzauberungsdiagno­

sen überlebt hat und in der Realität als durchaus steuerungsmächtiger Akteur in Er­

scheinung tritt, macht die Frage nicht entbehrlich, ob an Konzeptionen festzuhalten ist, die als belief-structure den Staat in seinem gewandelten Antlitz zum Ausgangspunkt der Einschätzung machen, das Steuerungsparadigma in modifizierter Form zu erhalten.

Nicht der Staat ist ins Gerede gekommen, wohl aber die Fortschreibung etatistischer Grundüberzeugungen, die allen Pluralisierungen zum Trotz an der Vorstellung einer diese übergreifenden Einheit festhalten, damit aber die hierauf bezogenen Steuerungs­

vorstellungen einer Belastungsprobe aussetzen, die sie nicht bestehen können. Ob heute auf der Grundlage des territorialen Nationalstaates noch sinnvoll eine Staatstheorie zu schreiben ist und ob danach überhaupt ein Bedarf besteht, kann mit guten Gründen be­

zweifelt werden.77

Auch Theorieentwürfe sind eine Spiegelung des Zeitkontextes, in dem sie entstanden sind. Die funktionelle Ausdifferenzierung der Gesellschaft hatte in den 70er Jahren die Frage aufgeworfen, ob ein handlungs- oder systemtheoretischer Steuerungsbegriff dem Verständnis von politisch-rechtlicher Steuerung zugrundezulegen sei. Damals ist der akteurszentrierte Institutionalismus mit einer relativ klaren Stoßrichtung gegen die au- topoietische Systemtheorie formuliert worden. Heute hat der Streit „zwischen Köln und Bielefeld“78 an Schärfe verloren, zumal Annäherungsbewegungen nach beiden Seiten stattgefunden haben und der Vorwurf an die Systemtheorie, sie begünstige eine Statik, angesichts ihrer Fortschreibung um die Möglichkeit zur „Ko-Evolution“ nicht mehr trägt. Mit Blick auf die Bedeutung von Kommunikation können systemtheoretisch ge­

77 So für das Verfassungsrecht Oliver Lepsius, Braucht das Verfassungsrecht eine Theorie des Staates, EuGRZ 2004, 370 ff; zu den Facetten des Staatsbegriffs Christoph Möllers, Staat als Argument, 2000, S. 129 ff.

78 Vgl. Stefan Lange/Dietmar Braun, Politische Steuerung zwischen System und Akteur, 2000, S. 18 ff., 99 ff.

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