Vendidad 19.6: Rief Zarathustras Mutter nach Ahriman 273
4.3. Da die Verwendung zweier Würfel gerade für das pers. nard-Spiel
charakteristisch ist, läßt sich wahrscheinhch machen, daß die Wurfbezeich¬
nungen zusammen mit diesem Spiel entlehnt wurden"".
VENDIDAD 19.6:
RIEF ZARATHUSTRAS MUTTER NACH AHRIMAN?
Von Gerd Gropp, Hamburg
Das Avesta ist nicht sehr reich an Berichten über das Leben des Propheten Zarathustra', daher sind diese wenigen Texte im Laufe der letzten zwei Jahr¬
hunderte immer wieder itüt größter Genauigkeit untersucht worden. Dazu
gehört auch die im Titel genannte Textstelle im Vendidad, die bekannt ist als
„Versuchung Zarathustras diuch Ahriman", über die wieder in letzter Zeit meh¬
rere Aufsätze erschienen sind. Es kann mir daher in diesem kurzen Referat nicht darum gehen, etwas neues aussagen zu wollen, vielmehr möchte ich abwägen,
ob wir auf Grund der langen Diskussion zu einem Abschluß und einer
Ausdeutung gelangen können.
Im Verlauf der Versuchung des Propheten ergreift in Abschnitt 6 der Widersacher Ar^ra mainyu selbst das Wort:
mä mg däma marsnEafiuha aSäum zaraöuStra tüm ahi poiuuSaspahe pa-dn barsi^riiäl haSa zäuuiSi apaslauuaT]uha varjuhlm daSn^m mäzdaiiasnim vindäl yänsm yaöa vindal vadayanö dair|hupaiüi§
„Vernichte mir nicht meine Geschöpfe, gerechter Zarathustra!
Du bist der Sohn des PouruSaspa ...
Schwöre ab der guten mazdayasnischen Religion,
um eine Gunst zu erhalten, wie sie erhieh der Landesherr Vadagan".
Der Inhalt dieser Worte ist in Kürze folgender: Zunächst warnt Ahriman den
Zarathustra, nichts gegen seine Geschöpfe zu unternehmen. Vielleicht ist dies 49 Daß die Enüehnung tatsächlich die heute übliche Nonnalform mit zwei Würfeln voraus¬
setzt, zeigt sich nicht nur an den besprochenen Zahlenkombinaüonen, sondem auch daran, daß hinter dem georg. kamateli „Würfel" letzüich die Dualform hfbatayn steckt (vgl. o.A.
16); die Zwischenstufe kabateni ist z.B. noch in den älteren Handschriften des Visramiani (s.o. A. 36) und des Vepxistqaosani bezeugt {kamateli dürfte an die Verbalwurzel kamai-
„streiten" angeglichen sein).
1 Marijan Mol6, Culte, Mythe et Cosmologie dans l'Iran ancien, Paris 1963, p. 271-283.
274 Gerd Gropp
nur eine Bitte, doch es wird der Imperativ benutzt. Dann sagt er etwas über die Herkunft Zarathustras und nennt den Namen seines Vaters- den Rest der Zeile habe ich vorerst unübersetzt gelassen. In der dritten Zeile folgt wieder ein Imperativ: Zarathustra soll abschwören, und als viertes verspricht Ahriman dem Zarathustra eine Gunst, wie sie ein Fürst erhielt.
Es wechseln also zwei Aufforderungen mit zwei Aussagen ab, mit der Aus¬
sage über die Abstanunung Zarathustras und über die Gabe an den Landes-
herm. Vielleicht wh-d uns dieser Zusammenhang zum Verständnis der rest¬
lichen Wörter der zweiten Zeile verhelfen: baröriiäl haca zäuui^i.
In den letzten Jahren sind mehrere Aufsätze ^ erschienen, die sich darin einig sind, Bartholomaes' Deutung der Stelle abzulehnen: Bartholomae hattezäuuisi als Verbalform gedeutet, wie vor ihm bereits Justi und Darmesteter, und zwar als Medium eines is-Aoristes der Wurzel zav- , jufen", - „Von deiner Mutter
ward ich angerufen" - demnach war Zarathustras Mutter eine Teufels¬
anbeterin!
Wie Emmerick, Klima, Humbach und Kuiper gezeigt haben, muß man das
Vorhandensein eines is-Aorists im Avesta bezweifeln, da alle anderen von Bar¬
tholomae herangezogenen Formen inzwischen besser gedeutet werden konn¬
ten und die Vertretung des Schwa bzw. Laryngals durch i im Avesta abgelehnt
werden kann. Mit Recht hat aber Emmerick außerdem daraufhingewiesen, daß
die Konstruktion des Agens im Passiv mit haca und Ablativ sehr merkwürdig
sei, im Avesta erwartet man unbedingt einen Instrumental (anders als im
Altpersischen).
Es bleibt daher keine andere Möglichkeit, als daß zäuuiSi ein Nomen ist, das
von Emmerick, Klingenschmitt und Mayrhofer von einem Appellativum
*z3uui§- „Kraft" abgeleitet wird, vergleichbar tauui?- und tauui^i-. Während Emmerick das Wort als Lokativ von „Kraft" auffaßt, halten es Klingenschmitt,
Mayrhofer und vorher bereits Klima fih einen Personennamen, und zwar das
Patronymikon, bzw. den Sippennamen der Familie von Zarathustras Mutter.
Dies wu-d gestützt durch die - anerkanntermaßen nicht ganz eindeutige -
Pahlaviübersetzung des Textes, dort steht zwS'n. In der ausführlichen Zara- thustralegende" des Dinkard Buch Vn wird an zwei Stellen, in Kap. 2 und 3,
2 R. E. Emmerick, Some Reinierpretaüons in die Avesta. Transacüons of the Philological Society 1966, p. 7-23: zäviSi.
Helmut Humbach, Gast und Gabe bei Zaraüiustra. MSS 2^ 1957 p. 14. 0. Klima, Iranische Miszellen III, Arch. Orientahii 30,1932,487-490.
G. Klingenschmitt, Frahang i oim. Erlangen 1968 p. 18-19 (in der mir zugänglichen Ausgabe nicht enthalten).
F.B J. Kuiper, Old East Iranian Dialects. IU 18,1976, p. 249. Manfred Mayrhofer, Irani¬
sches Personennamenbuch I, Wien 1979, 1 106 = Nr. 418.
3 Bartholomae, Altir. Wb. Sp. 1667 unter zav-.
4 M. Mold, Lä legende de ZoioasCre, Paris 1967 p. 158,15, 33.
Vendidat 19.6: Rief Zarathustras Mutter nach Ahriman? 275
Zarathustras Mutter als zöi^-Angehörige und als zw^'n bezeichnet. Da dieser
Dinkard-Text auf der Pahlavi-Version eines verlorenen Avestabuches, des
Spand, basiert, muß man ihm einigen Wert beimessen, besonders da der Name
an zwei getrennten Stehen in unterschiedlicher Orthographie erscheint.
Trotz allem bereitet die grammatische Konstruktion der drei Wörter
Schwierigkeiten. Setzen wir mit Mayrhofer ein Feminin zäuu^T- voraus,
erwartet man den Namen im Ablativ:
„Du bist der Sohn des Pourusaspa, von der Mutter Z. her" Ein Nominativ f.
ist nicht konstruierbar. Außerdem hieß die Mutter nicht ZäuuiSi-, sondem
DuySöuuä-, genannt wird ihr Familienname. Es bleibt daher die Möglichkeit, das Wort maskulin aufzufassen und auf Zarathustra selbst zu beziehen:
„Du bist der Sohn des PoumSaspa, von der Mutter her ein Z". Der No¬
minativ der maskulinen -i-Stänmie lautet allerdings auf -i§, und ein Stamm auf -in-, dessen Nominativ m. auf -i enden würde, ist wegen der Vriddhiemng sehr
unwahrscheinlich. (Debmnner, Nominalsuffixe § 212 1: „Vriddhiemng
unklassisch und selten". Dagegen finden sich in Bartholomaes Umkehrindex Sp. 1946 unter 11 Wörtem auf -in- drei mit Guna: aojin-, sraoSin- saoCahin-). Da
der Text Vendidad 19 durchaus nicht sehr gut überiiefert ist und mehrere
grammatische Ungereimtheiten enthält, muß man wohl wirkhch zäuu^T als
unkorrekte Form hinnehmen, wobei mir die Rekonstmktion als Nom. m. am
meisten Wahrscheinlichkeit zu haben scheint.
Wenn wir diese Übersetzung anerkennen und den Text als Ganzes
betrachten wie anfangs, was bedeutet diese Aussage des Ahriman, was will er
damit sagen?
Ich glaube nicht an Dhallas' Deutung: „Angra Mainyu teils Zarathustra that he was a mere man, bom of human parents, and could not therefore withstand his onslaughts. Moreover, if he renounced the Mazdayasnian religion, he would
award him untold riches". Ich glaube eher, daß Ahriman den Stolz des
Zarathustra auf seine Abstammung von zwei Familien, den Spitama und den
ZäuuiSi, anstacheln will, daß er also sagt: Du hast derart berühmte Vorfahren, Dir steht die gleiche Ehmng zu wie einem Landesfürsten.
Das Vorrecht, sich in die viergliedrige Rangordnung nmäna - vis - zantu - dahyu „Haus - Familie - Stamm - Volk"' einordnen zu dürfen und dies durch Nennung eines zusätzlichen Namens hervorzuheben, scheint in altiranischer
Zeit der Klasse der Krieger und Fürsten vorbehalten gewesen zu sein. Zara¬
thustra stammte demnach nicht aus einer Priesterfamilie', sondem gehörte zum Kriegeradel. Daraus erklärt sich auch, daß er seine Tochter an emen Fürsten am Hofe des ViStaspa verheiraten konnte (Y. 53) und daß er sich in Y. 28.7.-8
zusammen mit den Fürsten nennt:
5 M. N. Dhalla, History of Zoroastrianism. Bombay 1938/1963 p. 141.
6 R.N. Frye, The Heritage of Persia, New York 1966 p. 74 ff.
7 anders M. Boyce, Zoroastrians, London 1979 p. 18.
276 Ahmad Mahrad
„Gib ... dem ViStaspa Kraft und mir!"
„Um das Beste bitte ich ... für den Herrn Frasaostra und für mich"'.
Zarathustra gehört väterlicherseits zum Haus (nmäna) des PouruSaspa und
HaeCataspa und zur Familie (vis) Spitama. Ähnlich nennt sich Dareios einen
Perser (dahyu) aus dem Haus (nmäna) des ViStäspa und der Familie (vis) der
HaxämaniSiya, oder der Perser Gaubaruva beißt nach der Familie (vis)
PätiSuvari, oder Yoista nach dem vis Friiäna und dem zantu Tura. Die Nennung
der mütterlichen Abstammung ist mir sonst erst aus hellenistischer Zeit
bekannt, besonders bei Antiochos von Kommagene, der sich seiner mütter¬
lichen seleukidischen und väterlichen orontidischen Ahnen gleichermaßen rühmt.
Interessant ist die Beobachtung, daß zu Zarathustras Zeit exogam ge¬
heiratet wurde: Zarathustras Mutter DuTdöuuä gehörte einem anderen vis an als sein Vater. Ebenso heiratet Zarathustras Tochter PouruöiStä in ein fremdes vis, das der Huuoguua, ein. Die Ehe unter Engverwandten, später so bezeichnend für die Zarathustrier, gab es zu dieser Zeit noch nicht'.
Zuguterletzt befreit uns diese Erklärung der Stelle von dem religions¬
geschichtlichen Problem, daß Zarathustras Mutter, die von rehgiöser Kraft -
dem xvaranah - strahlte wie eine Lampe, eine Teufelsanbeterin gewesen sein
soll. Jackson" verstand immerhin soviel von dieser Rehgion, daß er Bar¬
tholomaes Übersetzung mit einem Fragezeichen versah und kommentarlos
zitierte. Wir können nun auch Wikanders" gewagte Konstruktion verwerfen, diese Stelle sei ein ,ßeleg dafür, daß Ar^ra Mainyu mit Vayu identisch ist".
DIE GUTACHTERLICHE EINFLUSSNAHME
NATIONALSOZL\LISTISCHER DEUTSCHER
WISSENSCHAFTLER AUF DIE VERFOLGUNG
JÜDISCHER IRANER IN EUROPA
Von Ahmad Mahrad, Hannover
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden deutsche Politiker, Großindustrielle
und das Militär als Urheber der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ge-
8 Übersetzung nach Humbach, Die Gaüias 1959 p. 77-78.
9 Boyce, Zoroastrians p. 53 ff.
10 A.V.W. Jackson, Zoroaster, die prophet of Ancient Iran, New York 1898/1965 p. 52.
11 S. Wikander, Vayu. Upsala 1941 p. 207-8.