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Hochstamm-Obstbau im Laufe der letzten 100 Jahre

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SCHWEIZ. Z. OBST-WEINBAU Nr. 18/06

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MARCHUBER, EIDGENÖSSISCHEALKOHOLVERWALTUNGEAV, BERN marc.huber@eav.admin.ch

E

nde des 19. Jahrhunderts befand sich die europäi- sche Landwirtschaft in einer fundamentalen Um- stellung: Mit der Rationalisierung der Produktion und der Nutzung der neuen logistischen Möglichkeiten, insbesondere des Massentransports durch die Eisen- bahn, wurde auf die Bedingungen der Industrialisie- rung reagiert. Der Getreideanbau in der Schweiz hat- te erstmals mit billigen Importen zu kämpfen. Als al- ternative Einnahmequelle bot sich den heimischen Bauern nun die Intensivierung des Obstbaus an. Um die Jahrhundertwende hatte sich dieser Produktions- zweig etabliert, auch der Obstexport hatte seine Be- deutung. Die Vermehrung der Hochstamm-Obstbäu- me war also eine agrarwirtschaftliche Massnahme, bei der späteren Reduktion kam das gesundheitspoli- tische Denken hinzu.

Die ersten grösseren staatlichen Eingriffe in den Schweizer Obstbau gehen auf die Zwischenkriegszeit zurück. Es zeichnete sich in den 1920er Jahren ab, dass die schweizerische Alkoholgesetzgebung ein ge- wichtiges Defizit aufwies: Spirituosen aus Obst un-

terlagen noch nicht der Alkoholsteuer. Aber gerade darauf konzentrierte sich die Brenntätigkeit vieler kleiner Schnapshersteller, nachdem der Boom beim Kartoffelbrand mit dem ersten Alkoholgesetz hatte gebrochen werden können.

Ausdehnung der Alkoholgesetzgebung

1933 wurden der Obstbrand der Alkoholsteuer und der Obstbau der Alkoholverwaltung unterstellt. Die so genannte brennlose Verwertung der Früchte, also die Vermeidung der Spirituosenproduktion, erfuhr staatliche Förderung. Eines der Hauptziele bei der Umstellung des Obstbaus war die nachhaltige Ver- schiebung vom Mostobst hin zu qualitativ hoch ste- hendem Tafelobst. Die EAV wurde vom Bundesrat be- auftragt, entsprechende Massnahmen zu ergreifen.

Der erste Beschluss des Bundesrats in dieser Sache datiert vom 18. Januar 1935. Noch im gleichen Win- ter sind von der EAV erstmals Beiträge an einzelne Kantone für Fällaktionen (Birnbäume) gesprochen worden. Die Rodungsaktionen waren jedoch nur ei- ne unter vielen Massnahmen, um einerseits die land- wirtschaftlichen Produktionsbedingungen zu rationa- lisieren und andererseits das gesundheitspolitische Ziel zu erreichen. Die Alkoholverwaltung hatte dafür zu sorgen, dass:

neue Obstsorten geprüft wurden,

durch eine «fortgesetzte Baumpflege» mehr und besseres Obst produziert wurde,

von «minderwertigen» Mostobstbäumen auf Tafel- obstbäume umgestellt wurde,

«Säuberungsaktionen» zugunsten von baumlosem Ackerland durchgeführt wurden,

der Obstbau wenn möglich in geschlossenen Baumgruppen zusammengefasst wurde.

Harziger Start der Rodungsaktionen

Der Bundesrat war von den eingeleiteten Restruktu- rierungsmassnahmen überzeugt und beschloss am 30. Juni 1939 eine achtjährige Versuchsperiode zur Züchtung und Prüfung neuer Kernobstsorten. Die autonome Landesversorgung während des Zweiten Weltkriegs sprach zudem für eine weitere Intensi- OBSTBAU

Hochstamm-Obstbau im Laufe der letzten 100 Jahre

Der Obstbau in der Schweiz war in den letzten 100 Jahren starken Schwankungen unterworfen.

Auf die Ausdehnung der Anbaufläche folgten nicht selten Absatzprobleme. Weil es aus agrar- wirtschaftlicher und gesundheitspolitischer Sicht lange Zeit eine Überproduktion gab, waren ins- besondere Hochstammbäume auch von planmässigen Rodungsaktionen betroffen.

Mostbirnenernte in Roggwil (TG) Anfang der 1950er Jahre.

(Archiv EAV)

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SCHWEIZ. Z. OBST-WEINBAU Nr. 18/06 7 vierung des Tafelobst-Anbaus. In den Rechen-

schaftsberichten der EAV ist allerdings nachzulesen, dass die Umstellung nicht wie gewünscht verlief.

Rodungen während des Zweiten Weltkriegs konn- ten nicht zuletzt wegen des fehlenden Personals nur in sehr geringem Ausmass durchgeführt werden.

Auch zeigten sich die Landbesitzer trotz der Ent- schädigungszahlungen in vielen Regionen noch un- kooperativ.

Am 11. Februar 1947 bewilligt der Bundesrat die Fortführung der eingeleiteten Obstbaupolitik für eine weitere Periode von zehn Jahren. Die Massnahmen – in diesem Zusammenhang waren vor allem die Züch- tung und Prüfung neuer Obstsorten gemeint – hätten noch nicht zum gewünschten Ziel geführt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stockte zunächst das Exportgeschäft, später kamen die billigeren Apfelim- porte erschwerend hinzu. Der Obstexport musste subventioniert, Überschüsse zu Saftkonzentrat verar- beitet werden. Wiederum schien für die Bauern auch das Brennen der Früchte eine Lösung zu sein. Die Al- koholverwaltung hatte per Gesetz den Auftrag, den Konsum von Spirituosen zu vermindern und war da- zu verpflichtet, all ihr angebotenen Kernobstbrannt- wein aufzukaufen. Die Umwandlung in Industriesprit war mit hohen finanziellen Verlusten verbunden. Das Übel wortwörtlich an der Wurzel zu packen erschien damals als nahe liegende Lösung.

Plantagen statt Streuobstwiesen

Den Startschuss zur grossflächigen Anpassung in der Obstproduktion bildete der Bundesratsbeschluss vom 19. September 1955. Während in früheren Jah- ren noch der Gedanke an die autonome Landesver- sorgung eine Rolle gespielt hatte, war jetzt der Fort- schrittsglaube der 1950er Jahre mitprägend. Der An- bau sollte radikal an die Marktverhältnisse und an die modernen Bedürfnisse der Landwirtschaft angepasst werden.

Grosse Rodungsaktionen fanden in der ersten Hälf- te der 1960er Jahre statt. Einfacher zu bearbeitende Niederstamm-Monokulturen, wie man sie beispiels- weise bereits aus den USA kannte, wurden zum Vor- bild für die schweizerische Entwicklungsrichtung.

Ökologisches Umdenken

Doch die Ansichten änderten sich Anfang der 1970er Jahre. Mostereien wiesen darauf hin, dass die alten Obstsorten für ihre Produktion unverzichtbar seien und dass dieser Rohstoff nun knapp werden könnte.

Der Umweltschutz gewann an Bedeutung. Die staat- lich geförderten Rodungen wurden zum umstritte- nen Thema im Nationalrat. Auch die EAV überarbei- tete ihre Weisungen: Natur- und Heimatschutz sollten nun stärker berücksichtigt werden.

Der Aufwand für die Rodungen blieb in diesen Jah- ren bereits deutlich hinter den von der EAV budge- tierten Mitteln zurück. 1975 wurden sie schliesslich eingestellt. Der Betrag unter dem Budgetposten «Um- stellung des Obstbaus» wurde in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre vor allem für die Unterstützung der

kantonalen Obstbaustellen und der Schweizerischen Zentrale für Obstbau verwendet. Im Geschäftsbericht 1987/88 ist dieser Posten dann nicht mehr aufge- führt.

Andere Ursachen, gleiche Wirkung

Während die Feldobstbäume zwischen 1950 und 1970 um die Hälfte dezimiert wurden, nahmen die In- tensivanlagen zu. Anfänglich gute Abnahmepreise verleiteten die Produzenten dazu, diese Anbaume- thode zu forcieren. In den 1980er Jahren hatten sich die Marktverhältnisse dann aber auch in diesem Be- reich verschlechtert. Der Schweizerische Obstver- band sah sich deshalb zum Handeln gezwungen: Aus einem Selbsthilfefonds wurden Rodungsaktionen fi- nanziert, die nun vor allem die Anbaufläche der Ta- feläpfel redimensionieren sollten.

OBSTBAU

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1951 1961 1971 1981 1991

Halb- und Hoch- stammbäume in Mil- lionen. (Quelle: Bun- desamt für Statistik) Hochstammbaum in voller Blüte.

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Mitentscheidend für die Erhaltung eines umfang- reicheren Bestands an Hochstamm-Obstbäumen wird die Wahl der Konsumentinnen und Konsumenten sein. Seit einigen Jahren stehen der Landwirtschaft, den verarbeitenden Betrieben und dem Handel spe- zielle Labels als Marketingpartner zur Seite. Es darf ge- hofft werden, dass dieser Effort Früchte trägt und der Geschmack der Hochstamm-Obstprodukte für sich spricht.

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Der ökologische und landschaftliche Wert der Hochstamm-Obstbäume ist heute längst erkannt.

Trotzdem konnte sich der Baumbestand auch nach Einstellung der planmässigen Dezimierung nicht sta- bilisieren. In den letzten Jahren litt er aus anderen Gründen: Siedlungsdruck, Regeln des Grosshandels, veränderte Konsumgewohnheiten, Vernachlässigung der Baumpflege. Auch in den 1990er Jahren war ein jährlicher Abgang von rund 100 000 hochstämmigen Obstbäumen zu verzeichnen. Nun wollte der Bund Gegensteuer geben: Seit 1993 wird deshalb die Erhal- tung ökologischer Ausgleichsflächen – darunter die Hochstamm-Obstbäume – mit Direktzahlungen abge- golten.

OBSTBAU

Feuerbrand

Im Vergleich zum letzten Jahr mit rund 8500 befallenen Birnen-Hoch- stammbäumen sind im Jahr 2006 bisher rund 1400 Bäume befallen. Die Sorte Gelbmöstler ist besonders stark betroffen; ein Rückschnitt wird nicht empfohlen. Deswegen wird ein grosser Teil der 1400 Bäume vernichtet. Es ist eine Tatsache, dass der Feuerbrand regional das Landschaftsbild verän- dert hat respektive noch weiter verändern wird. Aus nebenstehendem Artikel ist ersichtlich, dass in der Periode von 1951 bis 1991 die Halb- und Hoch- stammbäume um rund 10 Millionen abgenommen haben Dieser enorme Rückgang kann jedoch nicht dem Feuerbrand angelastet werden, weil in der Schweiz der erste Fall bei Kernobst erst 1991 aufgetreten ist (Mammern, TG).

Durch die Bautätigkeit wurden und werden feuerbrandfreie Hochstamm- bäume in grossem Masse gerodet (Abbildungen). Erst seit Mitte der Neun- zigerjahre trägt auch der Feuerbrand zum Rückgang der Hochstammbäu- me bei.

Gemäss der Bekämpfungsstrategie des Bundes werden in Befallszonen (Gemeinden, die auf Grund starken und wiederholten Befalls vom Bundes- amt für Landwirtschaft BLW ausgeschieden wurden) die Intensität der Über- wachung und die Art der Bekämpfung durch den Kanton bestimmt. Die vie- lerorts enge Verzahnung von Obstbanlagen mit nicht gepflegten Hoch- stammbäumen erschwert die Feuerbrandkontrolle und -bekämpfung zu- sätzlich.

Aus Sicht des produzierenden Obstbaus weisen ungepflegte Hochstamm- bäume, die teilweise am Absterben sind, keinen Nutzen auf. Wenn Hoch- stammbäume gepflanzt werden, müssen sie auch gepflegt werden (Pflan- zenschutz, Schnitt, Mäuse, Trittschäden bei der Beweidung). Ansonsten werden aus gut gemeinten Baumpflanzaktionen nie gesunde Hochstamm- bäume hervorgehen.

EDUARDHOLLIGER, ACW

Evolution de l’arboriculture fruitière des hautes tiges au fil des derniers 100 ans

L’évolution de l’arboriculture fruitière des hautes tiges reflète en même temps 100 ans d’histoire agricole et, depuis les an- nées 30, aussi toute l’exécution de la législation sur l’alcool. Pour éviter la distillation de fruits, on avait surtout mis l’ac- cent, à une certaine époque, sur une réduction du rendement et la recherche de variétés répondant aux attentes du mar- ché. En conséquence de quoi, on assista à un déclin rapide des arbres fruitiers à haute tige. Entre-temps, on connaît l’im- portant rôle écologique qu’ils ont à jouer, mais la stabilisation, voire même le rajeunissement de leur peuplement se heurte à de nouveaux problèmes.

R

ÉSUMÉ

Gesunde Hochstammbäume auf Bauland. Derselbe Standort nach Baubeginn.

Referenzen

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