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Nachruf auf Walther Hinz (1906-1992)
Von Hans Robert Roemer, Freiburg,
und Heidemarie Koch, Marburg
Am Palmsonntag, den 12. April 1992, ist Walther Hinz in Göt¬
tingen, wo er seit fünfundfünfzig Jahren lebte, gestorben. Der
Verfasser dieser Zeilen beklagt nicht nur das Ende seines alten
Lehrers, sondern auch den Verlust eines vertrauten Freundes.
Sein Hinscheiden ruft mir unser erstes Zusammentreffen im
Sommersemester 1936 an der Berliner Universität in Erinnerung.
Bei Gelegenheit einer seiner neupersischen Übungen, an der ich
teilnahm, lud er mich zum anguman ein, einer Arbeitsgemein¬
schaft, die sich die deutsche Übersetzung des ersten Buches der
Amoenitates exoticae des deutschen Arztes Engelbert Kaempfer
aus Lemgo zur Aufgabe gemacht hatte. Das Buch ist in glänzen¬
dem Latein ciceronischen Stils geschrieben und verlangte von den
Beteiligten viel Arbeit und Scharfsinn. Immerhin, der wissen¬
schafthche Ertrag, eine vollständige deutsche Übersetzung, die
Hinz 1940 unter dem Titel Engelbert Kaempfer am Hof des persi¬
schen Großkönigs herausgab, fand in der Fachwelt eine freundli¬
che Aufnahme.
Erst später erkannte ich, was ich dieser Veranstaltung, die
Hinz mit großem Engagement leitete, zu danken hatte. Die kul¬
turgeschichtliche Diskussion von Begriffen und Einrichtungen
Persiens, zu der es dabei kam, eröffnete mir den Weg in die
islamische Geschichtsforschung. Wenn Kaempfer auch Zustände
zur Zeit seines Besuches, also des 17. Jahrhunderts, beschreibt,
so fehlt es nicht an Bemerkungen zu früheren Zeiten bis hin zu
den Achämeniden. Die Erörterung der daraus sich ergebenden
Probleme - beteiligt waren daran u. a. hernach so berühmte Ira¬
nisten wie Wilhelm Eilers, Wolfgang Lentz und Bertold Spu¬
ler - war für den Anfänger eine faszinierende Einführung in
die orientalische Geistes- und Kulturgeschichte, sowohl in sach¬
licher als auch in methodischer Hinsicht, und ein fruchtbarer
242 Hans Robert Roemer und Heidemarie Koch
Nährboden für den späteren Entschluß, selbst Orientalist zu
werden.
Es wäre aber ein Trugschluß, wollte man annehmen, HiNzens
Beliebtheit bei den Studierenden sei nur seiner Gelehrsamkeit
und seinem pädagogischen Geschick zuzuschreiben. Es gehörte
dazu auch seine Lauterkeit, seine Güte und Hilfsbereitschaft.
Walther Hinz wurde am 19. November 1906 in Stuttgart als
Sohn eines Kaufmanns geboren. Früh verwaist, hatte er das
Glück, in jungen Jahren in die Studienstiftung des Deutschen
Volkes aufgenommen zu werden, wodurch er auch die Möglich¬
keit zu einem geisteswissenschaftlichen Studium erlangte. Dieses
führte ihn von Leipzig über München nach Paris, wo Henri Mas¬
se zu seinen Lehrern gehörte. Damals war sein Hauptfach aller¬
dings noch nicht Orientalistik, doch scheint die Pariser Zeit An¬
stöße zu späteren Entwicklungen gegeben zu haben. Nach tasten¬
den Versuchen in der Geschichte des älteren französischen
Pressewesens kam er zunächst zur osteuropäischen Geschichte,
aus der das Thema für seine Dissertation, einer Studie zur Kul¬
turgeschichte Rußlands unter Peter dem Großen, gewählt wurde.
Erst nach der 1930 in Leipzig vollzogenen Promotion wandte er
sich, wohl ermutigt durch Hans Heinrich Schaeder, einem The¬
ma der Vergangenheit des islamischen Orients zu. Es war eine
nach den Quellen erarbeitete Untersuchung über Schah Ismä'il II.
Damit hat Hinz einen wichtigen Schritt zu der ihn jahrelang be¬
schäftigenden Safawiden-Forschung getan.
Neben seinem Brotberuf als Berliner Regierungsrat fand er die
Zeit, sich mit den Anfängen der Safawiden in einem Derwisch-
Orden des 14. Jahrhunderts zu befassen. Die im Wintersemester
1934/35 in Berlin vollzogene Habilitation führte ihn endgültig auf
das Gebiet der Geschichte Irans. In der Habilitationsschrift wer¬
den Leben und Tätigkeit des Ardabiler Scheichs Safi (st. 1334)
und seiner Nachkommen untersucht, ferner das Verhältnis des
Ordens zur Politik unter einem turkmenischen Herrscherhaus und
mongolischen Fürsten. Der Autor zeigt, wie der Orden sich in
politische Aktivitäten verstrickte, letzten Endes aber doch die
weltliche Plattform schuf, auf der später der safawidische Gottes¬
staat errichtet wurde. Es eröffnen sich neue Einblicke in die Sym¬
biose iranischer und türkischer bzw. turkmenischer Elemente, die
bei der späteren Staatsbildung Persiens und ihrer nachmaligen
Krise zu größter Bedeutung kamen.
Hinz knüpfte dabei an gelehrte Vorbilder wie den in Paris und
Nachruf auf Walther Hinz 1906-1992 243
später in Cambridge lehrenden Vladimir Minorsky (st. 1966) an,
sowie an Wilhelm Barthold (st. 1930), von dem er mehrere Ar¬
beiten ins Deutsche übersetzte. Beide Autoren ebneten ihm den
Weg zur Institutionen- sowie zur Wirtschafts- und Sozialgesehich¬
te. Mit ihren religionshistorischen Aspekten führten sie ihn zu den
Problemen der persischen Schia, die ja mit der Zwölferschia, wie
oft vermutet wurde, keineswegs übereinstimmt.
Die Geschichte der Institutionen läßt sich nicht erarbeiten ohne
islamische Urkundenforschung, die damals, wenigstens was Iran
betrifft, noch in den Kinderschuhen steckte. Mit der Frage nach
der Provenienz der Urkunden fand Hinz Zugang zur islamischen
Staatskanzlei, deren theoretischer Hintergrund ihn lange Zeit be¬
schäftigte. Beinahe zwangsläufig kulminierte diese Arbeit in der
Untersuchung des Schrifttums der Sekretär-Literatur, also Urkun¬
den-Sammelbüchern (insä), Leitfäden des staatlichen Rech¬
nungswesens und Richtlinien für den Kanzleischreiber.
Im Krieg, der Hinz nach kurzem Fronteinsatz in den Dienst
verschiedener militärischer Stäbe verschlug, eröffnete ihm ein
Kommando nach Istanbul die Möglichkeit, während seiner Frei¬
zeit in den Schätzen der dortigen Bibliotheken nach Material
für dieses Thema zu suchen. Er beschaffte sich Kopien zahlrei¬
cher nur handschriftlich erhaltener Werke. Diese bildeten lange
Zeit den Ausgangspunkt für zahlreiche Einzelstudien, die er
selbst anstellte oder seinen Schülern zur Bearbeitung übertrug.
Einen Höhepunkt erreichten diese Arbeiten mit der kritischen
Ausgabe der Risälä-yi Falakiye von 'Abdallah al-Mäzandaräni,
eines persischen Leitfadens des staatlichen Rechnungswesens
aus der Zeit um 1363. Die Schrift gibt einen Überblick über die
Finanzverwaltung sowie das staatliche Steuer- und Rechnungs¬
wesen Persiens zur Zeit der Mongolenherrschaft. Hinz hat seinen
Inhalt in einer magistralen, wenn auch knappen Einleitung so¬
wie in mehreren Aufsätzen ( WdO 1949, Der Islam 1949, Belle¬
ten 1949, ZDMG 1950) wiedergegeben, da eine deutsche Über¬
setzung des Buches nach seiner Auffassung so gut wie unmöglich
gewesen wäre. Ihm gelang die Entzifferung der in der Risäla
verwendeten Kanzlei-Geheimschrift siyäq, ohne deren Verständ¬
nis nicht nur dieses Werk, sondern auch andere Schriften der
gleichen Gattung unverständlich blieben. Die Verdienste, die der
Herausgeber um die islamische Kulturgeschichte des Hochmit¬
telalters durch diese Publikation erworben hat, bilden den Ge¬
genstand einer enthusiastischen Rezension von Jan Rypka {OLZ
244 Hans Robert Roemer und Heidemarie Koch
49/1954). Die Arbeit ist, wie Rypka mit Recht vermutet, die
Frucht jahrelanger mühseliger, doch mit nie erlahmender Aus¬
dauer betriebener Detailstudien. Diesen war die Wartezeit nach
dem Abbruch der türkisch-deutschen Beziehungen (September
1944 bis April 1945) und auch die siebzehn Monate dauernde
britische Internierung in Neumünster (von Mitte Juni 1945 an)
zugute gekommen.
Bei der Heimkehr im Herbst 1946 begannen für Hinz besonders
schwere Zeiten. Die Göttinger Fakultät, deren Dekan er 1938/39
gewesen war, hatte nach Kriegsende über seinen Lehrstuhl ander¬
weitig verfügt. Der Heimkehrer erwarb die Subsistenzmittel für
sich und seine Familie zunächst als Übersetzer und dann, 1950
bis 1957, als Redakteur beim Göttinger Tageblatt, wobei er auf
die zeitungswissenschaftlichen Studien von ehedem als Aktivlegi¬
timation zurückgreifen konnte. Erst als 1957 der Lehrstuhl für
Iranistik vakant wurde, konnte er auf die Wiedererlangung der
alten Stellung und damit volle Freiheit zu wissenschaftlicher Ar¬
beit hoffen. Zwar hatte er, und das dürfte bei seiner Neuberufung
von Bedeutung gewesen sein, in der mehr als ein Jahrzehnt wäh¬
renden anderweitigen Tätigkeit die wissenschaftliche Arbeit nie¬
mals aufgegeben. Davon legen zahlreiche Aufsätze Zeugnis ab.
Allerdings war ihm neben der Erwerbstätigkeit dafür nicht allzu¬
viel Zeit geblieben.
Schon seit der Übernahme des Göttinger Lehrstuhls 1937 hat¬
ten die altiranischen Studien in Hmzens wissenschaftlichen Ver¬
öffentlichungen einen immer breiteren Raum eingenommen.
Nicht, daß er seinen alten wissenschaftlichen Präferenzen untreu
geworden wäre, auch sie kamen zu ihrem Recht. Ein bemerkens¬
wertes Zeugnis dafür bildet sein Beitrag zum Handbuch der Orien¬
talistik unter dem Titel Islamische Maße und Gewichte umgerech¬
net ins metrische System. Das Buch fand weite Verbreitung und
erschien auch wiederholt in fremdsprachlichen Bearbeitungen.
Zu einem ebenso beliebten Nachschlagewerk könnte sich das von
Hinz als Gegenstück zu der Metrologie gedachte letzte Werk ent¬
wickeln, dessen Erscheinen er noch vor seinem Hinscheiden er¬
lebte: Islamische Währungen des 11. bis 19. Jahrhunderts umge¬
rechnet in Gold.
Walther Hinz hat bei der Erforschung der islamischen Welt
neue Wege eingeschlagen. Als begeisterndem Lehrer hat es ihm
an Studenten, die ihm dabei folgten, nicht gefehlt. Sie nahmen
seine Ideen in ihre wissenschaftliche Arbeit auf. Die Zahl der
Nachruf auf Walther Hinz 1906-1992 245
Dissertationen, die er anregte und betreute, ist beachtlich, darun¬
ter manche aus der Feder orientalischer Studenten, so daß sich
seine wissenschaftlichen Vorstellungen auch in der islamischen
Welt verbreitet haben.
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Nicht nur auf dem Gebiet der Islamwissenschaft, sondern auf
dem gesamten Feld der altorientalischen Geschichte ist es Walt¬
her Hinz immer wieder gelungen, in wissenschaftliches Neuland
vorzudringen. Sein Bestreben war es stets, eine Kultur in ihrer
Gesamtheit zu erfassen und zu verstehen. Dazu ist das Studium
der Sprachen eine unabdingbare Voraussetzung. Doch hier gab es
in der altiranischen Kulturgeschichte noch sehr viel aufzuarbei¬
ten, ehe man sich dem Studium der Texte widmen konnte. Walt¬
her Hinz hat diese Arbeiten systematisch in Angriff genommen.
Bereits 1942 erschien sein Altpersischer Wortschatz in Leipzig, der
dann 1966 neu gedruckt und 1973 in völlig neuem Gewände unter
dem Titel Neue Wege im Altpersischen publiziert wurde. Bis heute
ist es die einzige Hilfe, zu der ein Student des Altpersischen grei¬
fen kann.
Neben einer Fülle von Aufsätzen, die die Geschichte des alten
Persiens immer klarer vor unseren Augen erstehen lassen, ist vor
allem der schöne Bildband Altiranische Funde und Forschungen
(1969) hervorzuheben.
Ein besonderes Anliegen von Walther Hinz ist es immer ge¬
wesen, Geschichte für alle Interessierten - nicht nur die wenigen
spezialisierten Fachleute - mit Leben zu erfüllen und verständlich
zu machen. Als gelungene Beispiele sind in dieser Hinsicht die
beiden im Holle-Verlag erschienenen Bände Darius und die Perser I
(1976) und // (1979) zu nennen, die mit ihrer lebendigen und
flüssigen Sprache das Achämenidenreich vor unseren Augen er¬
stehen lassen, so daß man sie immer wieder gern zur Hand
nimmt.
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurden in Persepolis Tau¬
sende von Tontäfelchen aus dem Verwaltungsarchiv des Großkö¬
nigs Dareios (522-486 v. Chr.) gefunden. Dieser aufsehenerregen¬
de Fund, der ganz neue Erkenntnisse über viele Fragen der achä¬
menidischen Geschichte versprach, insbesondere natürlich die
246 Hans Robert Roemer und Heidemarie Koch
über Verwaltung und Wirtschaft dieses ersten Großreiches der
Geschichte, hat aber den Nachteil, daß er in einer äußerst schwie¬
rigen und wenig bekannten Sprache abgefaßt ist, dem Elami¬
schen. Die Perser hatten, als sie in ihrem späteren Heimatland,
der Persis, Fuß faßten, noch keine eigene Schrift - sie wurde erst
auf Geheiß des Königs Dareios eingeführt - und ließen daher ihre
gesamte Verwaltung von den ortsansässigen Elamern besorgen,
die über jahrhundertelange Erfahrung auf diesem Gebiet verfüg¬
ten. Um Zugang zu diesem vielversprechenden Quellenmaterial
zu erhalten, mußte man zunächst einmal versuchen, die elamische
Sprache an sich zu klären. Für Walther Hinz wurde es zu einem
faszinierenden Unternehmen, das ihn über Jahrzehnte hin nicht
mehr losließ. Das zähe Ringen um diese Sprache, die offenbar
keinerlei Beziehungen zu einer anderen uns bekannten Sprache
hat, ist an einer Fülle von Publikationen abzulesen. Ein besonde¬
rer Höhepunkt war, als es ihm im Jahre 1961 gelang, die proto-
elamische Strichschrift, eine nur aus Strichen bestehende redu¬
zierte Bilderschrift des späteren 3. Jts. v.Chr., in wesentlichen Tei¬
len zu entziffern.
Wir verdanken Hinz grundlegende Arbeiten zur Geschichte
Elams, die in ausführlichen Beiträgen, wie zum Beispiel in der
Cambridge Ancient History (3rd edition, Vol. 1.2, 1971 und
Vol. 2.1, 1973) niedergelegt und in bewundernswerter Weise in
dem Bändchen Das Reich Elam (1964) zusammengefaßt worden
sind. Die zahlreichen elamischen Studien gipfeln in dem Elami¬
schen Wörterbuch {AMI Ergbd. 17), das 1987 erscheinen konnte
- das erste und einzige seiner Art. In zwei Bänden, auf etwa 1.400
Druckseiten, sind an die 16.000 Stichwörter mit all ihren Beleg¬
stellen und einer Fülle von neuen Deutungen erfaßt. Dieses Werk,
das von Keilschriftforschern, Historikern und Iranisten seit Jahr¬
zehnten gefordert worden war, ist Grundlage für alle weiteren
Forschungen zur Geschichte des Vorderen Orients. Die Verfasse¬
rin dieser Zeilen betrachtet es als eine Auszeichnung, daß sie an
diesem Werk mitarbeiten durfte.
In ganz besonderer Weise hat HiNzens Interesse immer der
Religion gegolten. Einen deutlichen Niederschlag findet dieser
Schwerpunkt in dem Band Zarathustra (1961), der die schwieri¬
gen und viel umstrittenen Gesänge des iranischen Propheten
allgemeinverständlich wiederzugeben versucht. Die altiranische
Philologie brachte Hinz in die Nähe der Bibel, und es ist ihm
beispielsweise gelungen, die genauen Lebensdaten Jesu heraus-
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zuarbeiten {ZDMG 139, 1989, 301-309; 142, 1992, 53-56), zwei
entscheidende Zeichen der altsemitischen Inschriften vom Sinai
zu deuten {ZDMG 141, 1991, 16-32; 142, 1992, 262-74) oder die
Lebensdaten von Abraham genauer festzulegen {Museion 2000,
3, 1991). In diesen Veröffentlichungen zeigt Hinz noch einmal die
ganze Überzeugungskraft seiner historisch-kritischen Methode.
In einer größeren Anzahl von Buch- und Zeitschriftenbeiträgen
hat sich Hinz mit seinen persönlichen Glaubensvorstellungen, die
auf einer festen christlichen Grundlage beruhten, auseinanderge¬
setzt. Da diese Publikationen nicht zu seinem hier betrachteten
wissenschaftlichen Lebenswerk gehören, verbietet sich ein Einge¬
hen darauf an dieser Stelle.
Walther Hinz war ordentlicher Universitätsprofessor für
orientalische Philologie und Direktor des Göttinger Seminars für
Iranistik. Mit seiner Emeritierung im Jahr 1975 begann für ihn
ein ganz der Forschung gewidmeter Lebensabschnitt.
Er gehörte zu dem hierzulande engen Kreis derjenigen Irani¬
sten, die mit gleicher Zuständigkeit sowohl Sprachen und Kul¬
turen des Alten Orients als auch Neupersisch sowie die Kultur¬
geschichte des mittelalterlichen Irans und der Moderne be¬
herrschten. Seine Iranische Reise (1938) und sein 1971 in fünfter
Auflage erschienener Leitfaden der neupersischen Umgangsspra¬
che Persisch I sind Zeugnisse seiner Begeisterung für die Gegen¬
wartsverhältnisse Persiens.
All diejenigen, die das Glück hatten, ihn persönlich kennenler¬
nen oder sogar mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen, werden ihn
nicht nur als großen Gelehrten, sondern auch als einen gütigen
Menschen in Erinnerung behalten, in dessen Nähe man sich
wohlfühlte.
Nachruf auf Günther-Dietz Sontheimer
Von JÜRGEN LÜTT, Heidelberg
Am 2. Juni 1992 starb 58jährig in seiner Wohnung in Dossen¬
heim bei Heidelberg plötzlich und völlig unerwartet an Herzver¬
sagen Professor Dr. Günther-Dietz Sontheimer. Sein Tod be¬
deutet einen unersetzlichen Verlust für seine Freunde und Kolle¬
gen und für die Wissenschaft. Vertrat er doch eine neue und
originelle Richtung in der Indologie, die vor allem in Deutschland
gegenüber der traditionellen klassischen Indologie geradezu als
revolutionär zu gelten hat: Seine Kenntnis der klassischen Rechts¬
schriften {dharmasästra) verband er nämlich mit empirischer Re¬
ligionsforschung, Archäologie und Kunstgeschichte. Er erforschte
den Hinduismus als einen Traditionszusammenhang von klassi¬
scher Hochkultur und Volkskultur. Voraussetzung dafür war ne¬
ben der Kenntnis des Sanskrit seine Vertrautheit mit den moder¬
nen Volkssprachen und den gesprochenen Dialekten, als Methode
diente ihm die empirische Beobachtung bei seinen regelmäßigen
und häufigen „Feldaufenthalten" in Indien. Anschauung Indiens
vor Ort und Gegenwartsbezogenheit - damit verkörperte Sonthei¬
mer in persona das Programm, mit dem das Südasien-Institut
1962 gegründet worden war und einen neuen Weg in der deut¬
schen und internationalen Indienforschung einschlagen sollte.
Herkunft und Schulzeit
Günther-Dietz Sontheimer wurde am 21. April 1934 in Ulm
an der Donau geboren, wohin sein Vater, Oberstudiendirektor
Dr. Waither Sontheimer, als Leiter des dortigen humanistischen
Gymnasiums im Jahre 1932 von Stuttgart versetzt worden war.
Seine Mutter Herma Sontheimer, geborene Dietz, stammte aus
Bromberg, Hauptstadt der preußischen Provinz Posen bis zum
Jahre 1919. Günther Sontheimer war also nach Herkunft halb
Süd- und halb Ostdeutscher. Der Familienname seiner Mutter
wurde seinem Vornamen angehängt, aber unter seinen Freunden