DIE 3 STUFEN DES MONASTISCHEN LEBENS
Von P. Paul Harb, Kaslik-Libanon
Unter dem Namen des Philoxenos, des Bischofs von Mabbug, ist uns ein
Brief erhalten, der für die Geschichte der syrischen Spiritualität einen be¬
sonderen Wert hat. Er ist uns handschriftlich in 2 verschiedenen Text¬
formen überliefert:
die eine, die ich den ,, ausführlichen Text" nennen möchte, findet sich
in erster Linie in der Handschrift Br. M. Add 14728; und die andere,
die kmze Form, wird dmch die übrigen Handschriften bezeugt*.
G. Olinder hat 1950 den ,, kmzen Text" veröffenthcht* und F. Graffin
1961 und 1962 den ,, ausführlichen Text" ins Französische übersetzt*. Graf¬
fin plante eine kritische Ausgabe unter Heranziehung aller Handschriften.
Da aber A. de Halleux an der Echtheit unseres Briefes Zweifel hegte*,
verzichtete Graffin darauf, diesen Text kritisch zu edieren.
Eine kritische Edition aber hätte das Verfasserproblem lösen können !
Durch die Bearbeitung meiner These : Das geistige Leben nach Philoxenos
von Mabbug, die der Kath. theologischen Fakultät Strassbomg vorgelegen
hat und in Kürze veröffentlicht werden soll, bin ich in der Lage zu beweisen,
daß dieser Brief nicht von Philoxenos stammt, imd aus dieser Erkenntnis
weitere Folgerungen zu ziehen.
Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich leider
nicht alle Gründe gegen die Verfasserschaft des Philoxenos anführen. Ich
* In seiner These : Philoxlne de Mabbog, aa vie, sea icrüa, aa thiologie, Leuven
1963, S. 269-270, hat A. de Halleux ein Verzeichnis dieser Handschriften
veröffentlicht.
* G. Olindeb, a Letter of Philoxenua of Mabbug Sent to a Friend, in Acta
Universitatis Gotoburgensis (Göteborgs Högskolas Arsskrift) LVI, 1950:1.
Diese Ausgabe benutzt die Handschriften des British Museum Add. 17. 262,
Berlui 199 (= Sachau 111) und Berlin 22 (= Sachau 802). In unserem Artikel
ist diese Ausgabe als Grundtext anzusehen. Zwecks Vervollständigung in Be¬
zug auf den ,, langen Text" haben wir die französische Übersetzung von F. Gbaf- riN in L'Orient Syrien verwendet. (Siehe unten, N° 3).
3 Diese Ubersetzung ist in L'Orient Syrien erschienen, 6 (1961), S. 330-352, 455-486 und 7 (1962), S. 77-102.
* Philox&ne de Mabbog, aa vie, aea icrita, aa thiologie, S. 272-274.
muß mich darauf beschränken, einige wichtige vorzutragen, um dann in
einem 2. Teil nachzuweisen, wer der wirkliche Verfasser unseres Briefes ist.
Dem kritischen Leser unseres Briefes fällt sofort auf, daß seine Gedanken
und Worte nicht mit den anderen asketischen Schriften des Philoxenos
übereinstimmen, und daß außerdem zwischen dem Schreiber des Briefes
und seinem Empfänger ein herzliches Verhältnis bestanden haben muß, ja,
daß beide eine gewisse Zeit zusammen in einem Kloster gelebt haben müs¬
sen*.
Wir wissen, daß Philoxenos nie Mönch gewesen ist', und daß er offen
bekennt, in asketischen Fragen ein Anfänger zu sein, der von anderen gelernt
hat. Bei dieser Sachlage ist schwer zu erklären, inwiefern ein Brief, in dem
so ausführlich über die tägliche Beschäftigung des Mönches gesprochen wird',
von einem Bischof stammen soll, der nie als Mönch gelebt hat. Es ist doch
seltsam, daß ein solcher Bischof einen Klostervorsteher über die Aufgabe
der Askese und des Klosterlebens belehren will. Ja, mehr noch! Der Brief¬
schreiber benutzt Ausdrücke der inneren Erfahrung, wie Erkenntnis, Offen¬
barung, Geheimnis, Vision und Wunder, die Philoxenos ablehnt und be¬
kämpft*.
In imserem Brief wird das monastische Leben nach einem bestimmten
Schema beschrieben, das wir bei dem Einsiedler Johannes von Apamea
vorfinden: nämlich die Entwicklung in den 3 Stufen des Körperlichen,
Seelischen und Pneumatischen. Philoxenos erwähnt zwar auch in seinen
asketischen Abhandlungen diese Dreistufigkeit, unter dem Einfluß der
paulinischen Terminologie. Aber er übernimmt diese Begriffe, ohne sie zu
entwickeln und anzuwenden. Aus den angeführten Gründen kann der Brief
nicht von Philoxenos stammen. Er muß von einem anderen Autor geschrie¬
ben sein. Ich behaupte, daß dieser Autor Joseph Hazzäyä ist, und möchte
meine Behauptung folgendermaßen beweisen :
Im Prolog unseres Briefes lesen wir in der ,, ausführhchen Textform":
„Wie ich denke, haben wir nichts vernachlässigt, was wir nicht in den
ersten 2 Abschnitten und im Kommentar zu den Centurion des seligen
Mar Euagrius behandelt hätten"'.
* Siehe L'Orient Syrien, 6 (1961), S. 336 § 20, S. 337 § 22, S. 462 § 72, S. 464
§ 74, S. 467-468, S. 471 und 7 (1962), S. 81 § 129 usw.
• A. DE Halleux, Op. cit. S. 23 fF.
' L'Orient Syrien, 6 (1961), S. 463 fif.
8 Brief an Patricius, ed. R. Lavenant, in Patrologia Orientalis B. XXX, (1963) S. 83 fif. Über das Problem der Ideenentwicklung auf diesem Gebiete bei Philo- nus, siehe Paul Harb, La Vie Spirituelle selon Philox&ne de Mabbug, Strasbourg,
1968, S. 326-327 (Dissertation, maschmensehrifthch).
» Der Ausdruek lautet : Pussäqä rdax.C\^, Graffin erwähnt ihn auf Seite 325,
B. 6 (1961).
Mit Euagrius haben sich die syrischen Theologen aller Jahrhunderte
immer wieder beschäftigt; wir wissen, daß zum mindesten Babai der Große
im 7. Jahrhundert, Joseph Hazzäyä im 8. Jahrhundert, Dionysios bar
Salibi im 12. und Barhebräiis im 13. Jahrhundert Euagrius gelesen und kom¬
mentiert haben.
Von diesen 4 scheiden die beiden letzten aus, weil sie einem zu späten
Jahrhundert angehören, ebenso Babai wegen seiner dyophysitischen Chri¬
stologie. Es bleibt also nur Joseph Hazzäyä übrig; er war eine geistige
Autorität im syrischen Mönchtum, wie Euagrius im griechischen.
Er stand in so hohem Ansehen, daß er ,, Mönch der Mönche", ,,der
Seher" und ,, der Wissende" (der Gnostiker) genannt wurde. Seine Schriften
wurden so hoch bewertet, daß man sie der heiligen Schrift zur Seite stellte.
Ich möchte nur das Ende des ersten Abschnitts seiner gnostischen Kapitel
übersetzen, die er unter dem Namen des 'Abdisö' veröffentlicht hat: ,,Zu
Ende ist der erste Abschnitt des heiligen 'Abdisö', der mit Gott verbundener
Mönch, geistiger Seher, Kenner der Wahrheit, der Größte der Wissenden
(= Gnostiker) gewesen ist; ein Abschnitt voll mystischen Lebens, in dem
die geistige Kraft hoher und erhabener Theorie verborgen ist. Es enthält
alles, was die Sprache von den dmch den heiligen Geist inspirierten Vätern
der Kirche enthüllen kann".
Außerdem wissen wir von Joseph, daß er Jünger und Schüler um sich
gesammelt hat.
In dem ausführlichen Text unseres Briefes lesen wir weiterhin folgenden
Satz: ,, . . . Zugegeben, wir haben diese Themen nicht in ihren Einzelheiten
behandelt, sondern nur allgemein und neben anderem in den gnostischen
Kapiteln des ersten Buches**. Wir haben folgende Punkte einer längeren
Untersuchung unterzogen: das Schweigen, den Aufenthalt in der Zelle,
die Versuchungen des Mönchs auf dem Wege der Tugend und die Gnade,
die ihnen durch Schweigen zuteil wird. Die Stufen und Kräfte der Seele
haben wir ausführlich in dem erwähnten Buch der Centmien behandelt.
Die Regungen im Denken : vom Körperlichen zum Seelischen und vom See¬
lischen zum Pneumatischen haben wir, wie es uns der heilige Geist inspiriert hat, im zweiten Abschnitt des ersten Buches genügend beschrieben"**.
Der Verfasser unseres Briefes hat also eine Schrift in 2 Abschnitten unter
dem Titel ,, Gnostische Kapitel" geschrieben. Von Joseph Hazzäyä ist uns
tatsächlich eine solche Schrift überliefert und zwar im Codex Seert 78, den
uns Addai Scher beschrieben hat**. Nach seiner Beschreibung zerfällt er
*" Wir maehen unsere Leser aufmerksam auf die Übersetzungsfehler, die sich
in diesem Abschnitt bei P. Graffin eingeschlichen haben. Siehe ihre Richtig¬
stellung in L'Orient Syrien 7 (1962) S. 77, N» 1.
** Übersetzung F. Graffin in L'Orient Syrien, Passus 3.
** Rivista degli Studi Orientali, 3 (1910), S. 50 ff.
in 2 Kapitel und behandelt das mystische Leben nach der Methode tmd den
Begriffen des Euagrius Pontikus. Und während Philoxenos, wie wir gesehen
haben, Visionen, Offenbarungen imd Wunder im Leben des Asketen ver¬
wirft, hat Joseph für sie eine besondere VorHebe. So sehr ist er zu Visionen
geneigt, daß er ohne Zögern schreibt : ,,Ich sage und wiederhole : wenn unsere
derzeitigen Erkenntnisse über unseren Herrn Jesus Christus und seine
glorreiche Erscheinung nm darauf ausginge, das Stadium des materieUen
Ebenbildes zu erreichen, so wäre Christus vergebhch gestorben; sein Er¬
scheinen auf dieser Welt hätte uns gar keinen Vorteü gebracht, ja: sein
Leiden und sein Todesopfer für uns, wären umsonst gewesen."
Gehen wir nun zu der Textvergleicbung über, die unseres Eraohtens das
Hauptargument unserer Forschung nach dem Autor unseres Briefes ist.
Einer der Abschnitte dieses Briefes sagt uns: Beginnen einmal, während
des Gebets, die Geistesempfindungen bei einem Mönch, der bereits den
Grad der Serenität erreicht hat, sich fühlbar zu machen, so soll er das Psalmo¬
dieren und jeghche körperliche Arbeit einstellen und seinen Empfindungen
freien Lauf lassen. Es findet sich nun, daß dieser Standpunkt deuthch, und
mit denselben Ausdrücken, in einem Briefe erscheint, den Joseph Hazzäyä
an einen seiner Freunde gerichtet hat. Dieser hatte ihn um Rat gebeten
über einen Seelenzustand, in dem er sich während seiner Visionen befand,
ein Zustand, in dem sein Geist, jedweden Gedankens unfähig, in absoluter
Ruhe verweilte und jeder Neigung für das Psalmodieren beraubt war. Diese
beiden Texte lauten :
Brief des Joseph Hazzäyä :
Solange Du in diesem Zustande
verharrest, enthalte Dich des
Lesens und des Psalmodierens,
aber bewahre die Reinheit des
Geistes, das heißt : verlasse
rücht die Einsamkeit und,
wenn möglich, begegne niemandem.
An den Tagen, wo Dein Geist
in diesem Zustande ist, höre
wo mögHch nicht die Stimme
eines Vogels, begib Dich in
Deine Zelle, schheße alle
Türen imd halte fest an dem,
was in Dir vorgeht**.
Brief betreffend die 3 Stufen : Und solange Dein Herzensgrund sie (= diese Geistesempfindungen) verspürt, gib ihnen die Gelegenheit sich zu verwirkhchen. Verschheße
alle Türen Deiner Zelle, bleibe im
Innern und nimm unter Stillschwei¬
gen Platz im Dunkeln, dort, wo Du
nicht einmal die Stimme eines Vo¬
gels hörst; und falls die Stunde eines Offiziums schlägt, siehe zu, daß Du ja nicht aufstehst"**.
*» A. MrNGAifA, Woodbrooke Studies, 7, S. 277, Spalte 1,1.2-9 (Text), S. 169- 170 (Übers.).
** Brief über die 3 Stufen, ed. G. Oltndeb, A Letter of Philoxenus of Mabbug, 28 Or.-Tg.
Die Ansicht, daß man Psahnodieren und jede körperhche Betätigung
unterbrechen soh, wenn das Gebet seinen Höhepmikt erreicht, ist Philo¬
xenos völhg fremd. Sie wird aber von Isaak von Ninive vertreten, und Joseph
Hazzäyä hat sie übernommen**.
Die Kürze der Zeit hat mich gehindert, alle Gründe für meine These dar¬
zulegen. Ich hoffe aber, gezeigt zu haben, daß Philoxenos rdcht mehr als
Verfasser des Briefes über die 3 Stufen in Frage kommen kann, sondern daß
dieser Brief den Schriften des Joseph Hazzäyä zugerechnet werden muß**.
Sent to a Friend, in Acta Universitatis Gotoburgensis (Göteborgs Högskolas
Arsskrift) LVI (1950) S. 38 Spalte 1, 1.5-15 (Text), S. 28 (Übers.).
** Joseph wurde von Isaa,c beeinflußt. Nicbt nur, daß er ihn kennt, er ist für
ihn voller Bewunderung und zitiert ihn namentlich, indem er üm. Mar Isaac,
als den berühmtesten der Heiligen ansieht. ( p*«cvi-re^ r^cl'.Aars aij^A).
Siehe Woodbrooke Studies, B. 7, S. 268, Spalte 2, 1.13. Joseph schreibt hier
imter dem Namen seines Bruders 'Abdisö*.
*' Inzwischen ist noch erschienen: P. Habb, Faut-il restituer ä Joseph Hazzäyä la lettre swr les trois degris de la vie monastique attribuie ä Philoxene de Mabbug?,
in Mdto, Recherches Orientales 4 (Kashk-Liban 1968) Nr. 2, S. 13-36.
NACH THOMAS UND PHILIPPUS
Von Jacques E. M^;nabd, Strassbukg
Das Lesen des koptischen Textes des Evangeliums nach Thomas heß schon
vermuten, daß seine Unterlage griechisch bzw. syrisch sein könnte. Dadmch
wmde die Frage nach dem Ursprung gewisser Schriften von Nag-Hammadi
gestellt. Das Evangelium nach Philippus deutet darauf hin, daß seine Ge¬
dankenwelt syrisch ist oder mindestens, daß es sich mn ein zweisprachiges
Milieu handelt, dessen griechische Sprache semitische Einflüsse wider¬
spiegelt*.
E. Sbgelberg* hat darauf hingewiesen, daß das Evangelium nach Philip¬
pus den Sinn des Messias oder Christi auf das Syrische zmückführt. Spruch
19 und 53 betonen diesen s3Tischen Einfluß nachdrückhch genug. Spruch 19
heißt (Sp. 104,3-13 Pahor Labib):
„Jesus"
ist ein geheimer Name, „Christus" ist ein offenkundiger Name.
Deshalb (Sta toüto) gibt es ,, Jesus" ([i£v) nicht
in irgendeiner Sprache, sondern (dcXXa) sein Name ist „Jesus", so wie er genannt wird. „Christus"
hingegen ßi), sein Name ist auf syrisch (- crüpoi;) „Mes¬
sias", auf griechisch aber ist er „Christos". Tatsäclüich (ttocvtci)?) haben ihn alle anderen
entsprechend (xaTa) der Sprache eines jeden von ihnen.
„Der Nazarener" ist der offenkimdige (Name) des geheimen.
Spruch 53 lautet (Sp. 111,21-24 Pahor Labib):
Die Eucharistie (eüxaptCTrfa) ist Jesus. Man nennt ihn ja (yap) auf syrisch (- trüpoi;) Pha- risatha, was „der Ausgebreitete" heißt.
Denn (yap) Jesus kam, die Welt (xÖ(T|xo?) zu kreuzigen (aTaupoüv).
* Vgl. E. Segelbebg, The Antiochene Background of the Oospel of Philip
(Extrait du Bulletin de la Sociöte d'Archeologie copte XVIII), Kairo 1966, S.
206-223.
" Vgl. ebd. S. 205 f.