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Keine Abrüstungseuphorie

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Oliver Schmidt ist Stipendiat in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik SWP-Aktuell 7

Januar 2013

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SWP -A ktue ll

Stiftung Wissenschaft und

Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Problemstellung

Keine Abrüstungseuphorie

Pragmatismus wird die US-Nuklearwaffenpolitik in Obamas zweiter Amtszeit prägen Oliver Schmidt

Die deutsche Bundesregierung erklärte unmittelbar nach der Wiederwahl Barack Obamas, sie hoffe auf weitere Initiativen der USA zur nuklearen Abrüstung. Deutsch- land sollte indes keine zu großen Erwartungen hegen, denn der politische Gestaltungs- spielraum der USA ist eng. Die USA wollen zwar die nukleare Abrüstung voranbringen, um das nukleare Nichtverbreitungsregime zu stärken. Gleichzeitig jedoch hat Präsident Obama Investitionen angekündigt, mit denen das US-Kernwaffenarsenal erhalten und die Trägersysteme modernisiert werden sollen. Außerdem soll die Entwicklung kon- ventioneller Waffensysteme fortgesetzt und so eine Alternative zur Abschreckung und Rückversicherung mit nuklearen Mitteln geschaffen werden. All dies erschwert weitere Abrüstungsschritte mit Russland.

Die USA haben einerseits erkannt, dass nukleare Abschreckung versagen kann, andererseits sehen sie in der Weitergabe von Nuklearwaffen an staatliche und nicht- staatliche Akteure gegenwärtig die größte Herausforderung für ihre nationale Sicher- heit. Die Obama-Administration zog daraus zwei Konsequenzen: Erstens sucht sie nach militärischen Alternativen zu Kernwaffen und zweitens will sie die Instrumente zur nuklearen Nichtverbreitung stärken. Beide Vorhaben sind allerdings zuweilen schwer miteinander zu vereinbaren.

US-Kernwaffenpolitik unter Obama

Zwei Dokumente bestimmen maßgeblich die Ausrichtung der US-Kernwaffenpolitik unter Barack Obama: der New-START-Abrüs-

tungsvertrag und der Bericht zur Über- prüfung der US-Nuklearwaffenpolitik (Nuclear Posture Review Report – NPR).

Am 8. April 2010 legten die USA und Russland mit dem New-START-Vertrag neue Obergrenzen für ihre strategischen Kern- waffen fest. Bis zum Jahr 2018 sollen beide Seiten demnach ihre entsprechenden Arse- nale auf 1550 aktive nukleare Gefechts- köpfe und 700 Trägersysteme reduzieren.

Weitere 100 Trägersysteme können in Reserve gehalten werden. Der Vertrag ist am 5. Februar 2011 in Kraft getreten. Die Ratifikation hatte sich aufgrund der harten Opposition republikanischer Abgeordneter im US-Senat verzögert, die sich um die dauerhafte Einsatzfähigkeit und Sicherheit der US-Kernwaffen sorgten. Präsident Obama trug dieser Sorge Rechnung und

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gewann ihre Zustimmung, indem er an- kündigte, er würde in den kommenden zehn Jahren rund 80 Milliarden US-Dollar in die Sicherung und Modernisierung des bestehenden US-Kernwaffenarsenals inves- tieren. Weitere 100 Milliarden US-Dollar sollten für die Sicherung und Neuentwick- lung der Waffenplattformen und Träger- systeme für Nuklearwaffen aufgewandt werden.

Mit den geplanten Investitionen sichern die USA ihre nuklearen Fähigkeiten bis über das Jahr 2050 hinaus. Die Investitio- nen sollen alle Bereiche der Triade aus land-, luft- und seegestützten strategischen Kernwaffen und deren nukleare Gefechts- köpfe betreffen sowie die industrielle Infra- struktur zum Bau dieser Waffen. Auch für die Modernisierung der landgestützten Interkontinentalraketen sind Ausgaben geplant, Untersuchungen im Hinblick auf ein mögliches Nachfolgesystem laufen.

Der Schwerpunkt der Ausgaben liegt jedoch auf der Entwicklung und Beschaffung eines neuen Langstreckenbombers (LRPB) und einer neuen U-Boot-Generation als Platt- form für seegestützte Interkontinental- raketen (SSBN-X).

Planungen für die Kernwaffen und den Haushalt der USA

Aufgrund der aktuellen Haushaltslage ist noch nicht absehbar, in welchem Umfang und Zeitrahmen die Investitionen tatsäch- lich getätigt werden. Exemplarisch dafür ist die Debatte über die neue Generation von U-Booten (SSBN-X). Das US-Verteidigungs- ministerium hat den Beschaffungstermin zunächst um zwei Jahre verschoben, von 2029 auf 2031. Außerdem prüfen Regie- rung und Kongress, ob die aus zwölf akti- ven Systemen bestehende U-Boot-Flotte auf zehn Boote oder noch weniger verringert werden kann, ohne die Zweitschlagsfähig- keit der USA zu gefährden. Der ehemalige Oberbefehlshaber der strategischen US- Streitkräfte, General James Cartwright, schlägt außerdem vor, das Budget für Kern- waffen deutlich zu kürzen. Im Widerspruch

zu den Maßgaben der NPR stellt er sogar in Frage, ob eine nukleare Triade notwendig sei, um das strategische Gleichgewicht mit Russland und China aufrechtzuerhalten. Er plädiert stattdessen dafür, mittelfristig die landgestützte Komponente aufzugeben.

Militärische Alternativen zu Kernwaffen

Im Bericht zur Überprüfung der US-Kern- waffenpolitik (NPR) aus dem Jahr 2010 werden fünf Ziele benannt: die Verhinde- rung der Weitergabe von Kernwaffen und der Ausbreitung des Nuklear-Terrorismus, eine Verringerung der Rolle von Kern- waffen für die US-Sicherheitspolitik, die Aufrechterhaltung der strategischen Abschreckung und Stabilität mit einer reduzierten Zahl von Nuklearwaffen, eine Stärkung regionaler Abschreckung und Rückversicherung der Verbündeten und, schließlich, ein sicheres und effektives Kernwaffenarsenal.

Laut NPR sollen konventionelle Waffen- systeme eine größere Rolle bei der Ab- schreckung spielen. Ziel ist es, einen poten- tiellen Gegner durch die Androhung von Vergeltung in seinem Verhalten zu be- einflussen (Deterrence by Punishment) oder eine abschreckende Wirkung zu erzielen, indem ihm glaubhaft signalisiert wird, dass er seine (Kriegs-) Ziele nicht erreichen kann (Deterrence by Denial). Neben den fortbeste- henden nuklearen Optionen für Abschre- ckung durch Vergeltung und Verwehrung (Denial) geht es konkret darum, die Rake- tenabwehr auszubauen und schnell ein- setzbare, offensive konventionelle Waffen- systeme großer Reichweite zu entwickeln (Conventional Prompt Global Strike – CPGS).

Hindernisse für Abrüstungs-

verhandlungen mit Russland

Die geschilderten Rahmenbedingungen sind nicht günstig für erfolgreiche Abrüs- tungsverhandlungen mit Russland. Beide Seiten hängen noch immer dem Gleich-

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3 gewichtsdenken an und sind auf eine

gesicherte Zweitschlagsfähigkeit aus. Russ- land sieht die strategische Stabilität im Verhältnis zu den USA gefährdet, und dies spätestens wenn die US-Raketenabwehr im Rahmen des »European Phase Adaptive Approach« (Phase-4, ab ca. 2020) ihre volle Einsatzbereitschaft erreicht haben wird und offensive konventionelle Waffensyste- me großer Reichweite (CPGS) entwickelt wurden. Wenn die USA mittels konventio- neller Fähigkeiten ihre Schadensbegren- zungsoptionen ausbauen können, stellt dies eine Herausforderung für die gesicher- te Zweitschlagsfähigkeit eines Gegners dar.

Theoretisch steigt damit die Gefahr, dass eine mögliche Krise eskaliert, die man sich aktuell nur schwer vorstellen kann. Diese Kriseninstabilität ist umso ausgeprägter, je kleiner das nukleare Arsenal eines poten- tiellen Gegners der USA ist.

Dieser Zusammenhang ist womöglich nicht nur Anlass für russische Abrüstungs- bedenken, sondern auch für Berichte über den quantitativen Ausbau und die quali- tative Verbesserung des chinesischen Kern- waffenarsenals (vgl. SWP-Aktuell 74/2012)

Aus Sicht des Kreml haben die Nato- Streitkräfte in Europa außerdem eine kon- ventionelle Überlegenheit erlangt. Das erschwert es Russland, auf seine substrate- gischen Kernwaffen zu verzichten. Hinzu kommt die Proliferation ballistischer Trä- gersysteme und Massenvernichtungswaffen an seiner südlichen Grenze. Da Russland im INF-Vertrag auf nukleare Mittelstrecken- raketen verzichtet hat, kann es darauf nur mit der Verlegung substrategischer Kern- waffen reagieren. Die Obama-Administra- tion hat gegenüber dem US-Senat und

mit Rücksicht auf die mittel- und osteuro- päischen Nato-Staaten klargestellt, dass sie in künftigen Abrüstungsgesprächen mit Russland die substrategischen Kernwaffen einbeziehen wollen, um die Arsenale der beiden Länder numerisch anzunähern.

. Die USA, die konventionelle Waffensysteme aufwerten und für Abschreckung und Rück- versicherung nutzen wollen, weigern sich bislang, Beschränkungen bei der Entwick- lung und Stationierung dieser Systeme zu akzeptieren. Eine wie immer geartete Betei- ligung Russlands an der territorialen Rake- tenabwehr in Europa, die russische Beden- ken ausräumen könnte, zeichnet sich gegenwärtig nicht ab.

Abrüstungshindernis US-Senat

Die innenpolitischen Hürden für nukleare Abrüstung bleiben auch nach den Senats- wahlen vom 6. November 2012 bestehen.

Ein internationaler Vertrag muss dort mit einer Zweidrittelmehrheit gebilligt werden.

Da die Demokraten diese Mehrheit nicht haben, sind sie weiterhin auf die Zusam- menarbeit mit den republikanischen Ab- geordneten angewiesen. Angesichts der Blockadehaltung, die von der republika- nischen Partei angekündigt wurde, ist mit einem zähen Ringen um jede Entscheidung für einen Abrüstungsvertrag zu rechnen.

Unerwartet heftig sperrten sich einige repu- blikanische Senatoren bereits im Jahr 2010 gegen den New-START-Vertrag. Die Obama- Administration verzichtete daraufhin in ih- rer ersten Amtszeit auf den zunächst erwar- teten zweiten Versuch, eine Billigung des umfassenden nuklearen Teststoppvertrags (CTBT) zu erreichen. Die Verabschiedung des CTBT scheiterte unter Präsident Bill Clinton im Jahr 1999 schon einmal an man- gelnder Unterstützung im US-Senat.

Abrüstung und Nichtverbreitung

US-Präsident Obama stellte in seiner Prager Rede im April 2009 die Vision einer kern- waffenfreien Welt vor. Der sicherste Weg zur nuklearen Nichtverbreitung sei die Abrüstung aller Nuklearwaffen. Diesem Ziel könne man sich nähern, indem man Kern- waffen in der Verteidigungsplanung eine geringere Rolle zuschreibe und im Sinne von Artikel 6 des nuklearen Nichtverbrei- tungsvertrags abrüste.

Nukleare Abrüstungsbemühungen der offiziellen Kernwaffenstaaten, allen voran der USA und Russlands, haben allerdings keinen direkten Einfluss auf die Motivation

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eines Staates, sich Kernwaffen zu beschaf- fen. Der Anreiz zur Beschaffung kann von regionalen Sicherheitsdynamiken ausgehen oder von dem Streben, größeres politisches Gewicht und mehr Anerkennung zu er- langen. Es erscheint gegenwärtig unwahr- scheinlich, dass sich Staaten mit Nuklear- potential militärisch an den USA orientie- ren und auf ein stabiles nukleares Gleich- gewicht abzielen. Das gilt etwa für nuklear bewaffnete Regionalmächte wie Nordkorea, Indien und Pakistan oder Staaten, die sich auf dem Weg zur militärischen Nukleari- sierung befinden, wie beispielsweise Iran.

Allerdings setzen die Abrüstungsbemühun- gen der USA und Russlands sowohl die an- deren offiziellen Kernwaffenstaaten China, Großbritannien und Frankreich als auch die internationale Staatengemeinschaft insgesamt unter größeren politischen Handlungsdruck: Sie sehen sich dadurch gedrängt, intensiver am Prozess teil- zunehmen und die Abrüstungs- und Nicht- verbreitungsnorm des nuklearen Nichtver- breitungsvertrags (NVV) zu stärken.

Gedämpfte Erwartungen

Trotz der schwierigen Ausgangslage stehen den USA Möglichkeiten offen, bei der nu- klearen Abrüstung und Nichtverbreitung weitere Akzente zu setzen. So könnten sie etwa die Umsetzung von Phase 4, in der die vollständige Einsatzfähigkeit der territoria- len Raketenabwehr in Europa hergestellt werden soll, verzögern und damit Beden- ken der russischen Seite Rechnung tragen.

Außerdem könnten sie anbieten, substrate- gische Kernwaffen und nukleare Reserve- sprengköpfe für strategische Waffensyste- me in einem kommenden Abrüstungs- vertrag zusammen zu verhandeln. Dabei könnte man jede Vertragspartei selbst ent- scheiden lassen, wie die Zusammensetzung ihres nuklearen Arsenals aussehen soll.

Noch unklar ist, ob die US-Haushaltslage Anreiz zu weiteren Abrüstungsschritten geben wird. Womöglich könnte der Spar- zwang zu einem der stärksten Impulse für nukleare Abrüstung werden. Im Zuge dessen könnten sich auch die US-Senatoren veranlasst sehen, über Parteigrenzen hin- weg Abrüstung zu befürworten und die Ausgaben für Neuentwicklungen und Be- schaffung zu kürzen.

Eine weitere denkbare Initiative wäre, den umfassenden nuklearen Teststoppvertrag (CTBT) erneut dem US-Senat zur Billigung vorzulegen. Schließlich hätten die USA die Möglichkeit, sich für eine Stärkung ver-

trauensbildender Maßnahmen einzusetzen.

Denkbar wären ein intensivierter Infor- mationsaustausch mit der russischen Seite und gemeinsame Studien zu Fragen der Abrüstung, Nichtverbreitung und Verifi- kation.

Begrenzter Spielraum für Deutschland

Deutschland hat traditionell ein großes Interesse an nuklearer Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung. Als nicht- nuklear bewaffneter Alliierter der USA in Europa kann es den Abrüstungsprozess jedoch nur unterstützend begleiten. Immer- hin hat Deutschland die Möglichkeit, etwa durch einen Beitrag zum Aufbau der ge- meinsamen Nato-Raketenabwehr darauf hinzuwirken, dass Kernwaffen für Abschre- ckung und Rückversicherung eine gerin- gere Rolle spielen. Solange die Nato bei der territorialen Raketenabwehr aber keine geeignete Form der Kooperation mit Russ- land gefunden hat, sind negative Aus- wirkungen auf Rüstungskontroll- und Ab- rüstungsgespräche zu erwarten. Um eine Reduktion der in Europa stationierten russischen und US-Kernwaffen zu erleich- tern, sollte die konventionelle Rüstungs- kontrolle wiederbelebt werden. Hier besteht auch für Nicht-Kernwaffenstaaten wie Deutschland politischer Handlungs- spielraum. Deutschland kann in diesem Politikfeld mehr als nur Unterstützung leisten, und das hat es auch bereits bewie- sen, indem es sich für die Überwindung der Krise in der konventionellen Rüstungs- kontrolle in Europa engagiert hat. Dieses Engagement sollte fortgesetzt werden.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2013

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