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Einige Bemerkungen zu Stumme's Tunisischen Märchen.
Von Mark Lidzbarski.
Das Spracblicbe in seinen Tunisiseben Märchen hat Stumme
selbst in der Einleitung zum ersten Bande behandelt; inbetreff
ihres Inhaltes beschränkt er sich auf die Bemerkung (Bd. II, S. III f.) :
„Mancher deutsche Leser wii-d Hassan aus Bassra, eine der be¬
kanntesten Erzählungen aus 1001 Nacht, schon kennen und sich
bei den Geschichtchen (S. 136 ff.) „der Schatz", „die Häute", „das
Schicksalsbuch" und „das Seevieh' an die Erzählung „der grosse
Klaus und der kleine Klaus' erinnern, die sich in Andersens Märchen
findet.' Da aber fast alle Märchen der Stumme'schen Sammlung
sich anderweitig nachweisen lassen, erlaube ich mir, hier einige
bezügliche Notizen zu geben.
Nr. 1. „Mohammed, der Sohn der Wittwe' gehört zur weit¬
verbreiteten Märchengruppe von dem starken jungen Manne , der
in die weite Welt zieht, weil ihm die Heimath zu eng ist, unter¬
wegs mit zwei Riesen zusammenkommt, die auf seine Aufforderung
hin sich ihm ansehliessen , ihn jedoch nachher hintergehen , aber
schliesslich von ihm entlarvt werden. Den deutschen Lesern dürfte
aus dieser Gruppe am bekanntesten sein das Grimm'sche Märchen
„der starke Hans' (Kinder- und Hausmärchen Nr. 166). Zahl¬
reiche andere Parallelen geben Grimm a. a. 0. III (Göttingen 1856)
S. 245 und Reinh. Köhler im Jahrbuch für romanische und eng¬
lische Litteratur VII, S. 25 f, in Laura Gonzenbacb's Sicilianischen
Märchen II, S. 238 und in Schiefner's Awarischen Texten S. VIII f.
Der Name des einen Riesen „Bergroller' ist ganz passend,
und ähnliche Benennungen finden sich auch in den übrigen Ver¬
sionen des Märchens: „Felsenklipper', „Steinspieler' u. a. Der
Name des anderen „Strickdreher' passt jedoch weniger, da das
Strickdrehen keine besondere Stärke bekundet. In den anderen
Märchen heisst der zweite Riese „Tanndreher', „Baumdreher' u. a.,
weil er Bäume wie Stricke dreht. Passender als jLJl o'v.^^>
und Ai-!^ wäre also etwa das Namenpaar .L^V5>^t ljL=-.>
lÄdzbarshi, Einige Bemerkungen zu Stumme's lunisischen Märchen. 667
und jLsui^t liUs ; allerdings lag es für den Araber zu nahe , Jjii
mit i5U^ zu verbinden, und il^Ä ergab sich dann des Reimes wegen.
In dem Schlosse in der Einöde kommt im tunisischen Märchen
ein altes Weib zum Vorschein; in den meisten Parallelmärchen ist
es ein Zwerg, doch ist es auch im hierhergehörigen dänischen und
schwäbischen Märchen eine Hexe , vgl. Jahrb. für rom. imd engl.
Litt, vn, S. 26 oben.
Im tunisischen Märchen findet sich noch ein Zug, der eigentlich
in einen anderen Kreis hinein gehört : die drei von den Riesen nach
der Residenz des Sultans gebrachten Mädchen wollen nicht eher
heirathen , als bis sie Kleider bekommen haben , die keine Nadel
genäht. Solche Kleider werden voni Hofschneider verlangt , er
weiss aber nicht, vrie er sie beschaifen soll. Aber inzvrischen ist
der hintergangene 'Jüngling nach der Stadt gekommen , in der die
Mädchen sich befinden, hat sich zum betreffenden Schneider in die
Lehre begeben , und 'mit Hilfe der Wunschdinge , die er von dem
Mädchen bekommen , gelingt es ihm , die Kleider zu beschaffen,
üeber diesen Zug vgl. Gonzenb. a. a. 0. S. 240 und Prym u. Socin,
der neuaramäische Dialekt des Tür 'Abdin St. XXXIX.
Nr. 2. „Hassan aus Bassra' stammt, vrie Stumme selbst be¬
merkt, aus 1001 N. (Bresl. Ausg. V, S. 264 ff.), aber auch
Nr. 3, „Dschuder 1) Ben Omar' stammt daher: IX, S. 311 ff.
Nr. 4. „Prinz Ali' gehört seinen Hauptzügen nach zur Märchen¬
gruppe, die Köhler in den Bemerkungen zu Schiefner's Awarischen
Texten I skizzirt hat , nur dass im tunisischen Märchen Ali mit
dem Sohne des Vesiers auszieht, um sich ein Mädchen zu holen,
von dem er Kunde erhalten hat — ungef&hr wie in der Geschichte Seif-el-mulüks?
Zum Anfange — der Prinz vrird mit seiner Amme in einem
Gebäude von der Welt abgeschlossen , aber mit einem Knochen
macht er eine Oeffnung im Baue und nimmt so das Leben und
Treiben der Menschen wahr — vgl. Gonzenb. I, S. 158, 168, 178
und II, S. 222.
Die Alte sagt zu Ali (S. 59 unt.) „du hast wohl die Sineddur (d. h. Zein-ed-dur) heimgeholt, über sieben Meere auf Geierrücken ?'
Im Texte steht zwar seb'a bhür, aber dennoch sind wohl die sieben
Meere gemeint, die es nach der mohammedanischen Kosmologie
ebenso giebt, wie sieben Himmel und sieben Erden*), und die wie
diese von den Juden entlehnt sind *).
1) d. h. j^y>- < vgl. I, S. 29 not. 2.
p
2) Vgl. Zeitschr. für Assyriologie VIII, S. 285,8: ^^^^ jÜLwJi . 3) Vgl. Gittin Babyl. f. 56b unt. und 57 a ob.: VZ"^ TS.
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668 Lidzbarski, Einige Bemerlcungen zu Stumme's Tunisischen Märchen.
Ueber die Inschrift am Scheidewege vgl. Köhler bei Schiefiier
a. a. 0. Ueber die Begegnung mit dem Manne — hier wird merk¬
würdigerweise nicht gesagt, dass es ein Alter ist •— vgl. Prym u.
Socin a. a. 0. n, S. 397a; derselbe Zug findet sich auch in der
ersten Erzählung der neuaramäischen Handschrift Cod. Sachau 337.
Zu vergleichen ist femer 1001 N. Bresl. Uebers. X, S. 27, wo auch,
wie hier, Bahman dem Alten die Haare abscheert.
Der Menschenfresser giebt Ali sieben Haare aus seinem Barte
und spricht zu ihm: „Wenn du in eine schlimme Lage kommen
solltest, so räuchere mit einem solchen Haare" — ein sehr ver¬
breiteter Zug, nach Benfey Pantsehatantra I, S. 203 indischen
Ursprunges. Der Zug, dass Ali beim Werben um die Prinzessin
die Aufgabe bekommt , ein^ Menge Weizen , Gerste , Bohnen u. a.
auseinanderzulesen, und dies dann durch Ameisen geschieht, eiinnert
an die Geschichten von den dankbaren Thieren, z. B. an Grimm,
KM. Nr. 62, wo die Ameisen Perlen auflesen — vrie auch in Nr. 1
von Waldaus Böhmischem Märchenbuch (S. 18) — und an das Märchen
in, S. 110, wo sie ausgesäten Mohnsamen vrieder zusammenlesen.
Die Stelle „Er schlug den Bettvorhang zurück, guckte hinein
und sah drinnen etwas Schwarzes. Er trat näher heran , schlug
die Vorhänge ganz auseinander und hob jene schwarze Masse auf;
da sah er, dass es Haar von einem Mädchen war und dies Haar
war auch über ihr Gesicht gebreitet. Als er diesem Mädchen nun
das Gesicht aufdeckte , sah er , dass ihr Gesicht vrie ein Licht
leuchtete" (S. 67 unt.) ist sehr schön und würde ausserdem einen
Sagenforscher aus der alten Schule zu den weitgehendsten Com¬
binationen führen. — Dass der Held, um den ihn tragenden Vogel
zu sättigen, sich selbst ein Stück Pleisch ausschneidet, das dieser dann ausspeit und dem Helden vrieder anheftet, findet sich ebenfalls
sehr häufig, vgl. die Nachweise, bei Gonzenb. II, S. 239 f, und bei
Schiefner S. IX. Der Zug ist nach Benfey , , Pantsch. 1 , 389 ff.
indisch-buddhistischen Ursprunges. Ueber das Herablassen in den
Brunnen vgl. oben zu Nr. 1.
Nr. 5. „Die schlechte Prau und die gute Prau* kennzeichnet
sich schon durch die Ueberschrift als mit d,er Grappe der 7 (40)
Vesiere verwandt, und in der That finden sich beide Erzählungen
dieser Nummer in jenem Cyclus. Ueber die erste, die bekannte
milesiscbe Erzählung von der Matrone von Ephesus, vgl. Keller,
Li Romans des sept sages S. CLLXff., Dunlop-Liebrecht, Geschichte
der Prosadichtungen S. 41 und S. 464 b n. 88, und Orient und
Occident H, S. 373 f. Ueber die Geschichte von der guten Prau
vgl. 1001 N. (Bresl. Ausg.) XII, Vorrede S. 7 f. und Dunlop-
Liebrecht a. a. 0. SS. 246 und 490b n. 320. Eine sehr schöne
Ponn derselben findet sich auch in der Pelllhi-Handschrift Cod.
Sachau 146 f. 15 b ff. , die merkwürdigerweise der ursprünglichen indischen bei Somadeva (Broekhaus' Uebersetzung I, S. 23 ff.) näher steht, als die übrigen mir bekannten Versionen.
I, 6 *
Lidzbarghi, Einige Bemerhungen zu Stumme's Tunisischen Mär ehen. QQQ Nr. 6. »Der rechte König" ist auch sehr verbreitet und findet
sich in fast allen Märchensanunlungen. Aus Grimm gehört besonders
hierher Nr. 60 (die zwei Brüder), zum Theü auch Nr. 122 (der
Krautesel); vgl. auch Bd. HI, S. 105, 307, 327. Dem tunisischen
sehr ähnlich ist Nr. 36 der Contes populaires berbferes von Ren6
Basset (Paris 1887); S. 181 flf. behandelt der Herausgeber die Ver¬
breitung des Märchens. Auch im Cod. Sachau 146 f. 90 a flf. findet
sich eine zu dieser Gruppe gehörige Erzählung, in der, wie in der
tunisischen und berberischen, die Mutter des jungen Mannes (hier
ist es nur einer) von einem Juden überredet wird, ihren Sohn
zu schlachten, damit das Herz des Glücksvogels wieder heraus¬
genommen werden kann.
Zu der schönen Erzählung Nr. 7 ,0 du Fliehende, Gottes
Verordnung holt dich ein !" kenne ich keine Parallele. Zu dem
Mittel jedoch, ein Hammelherz auf das Herz einer schlafenden Frau
zu legen, um ihre Geheimnisse zu erfahren, vgl. 1001 N. VI, S. 333,
wo dem Herzen des Wiedehopfes dieselbe Wirkung zugeschrieben
vrird. Im Sefer Zekhira (Warschau 1875), heisst es S. 131 1. 15 flf.
„Wenn du etwas Wolfsmilch auf den Hals einer Frau thust, wenn
sie schläft, theilt sie dir Alles mit, was sie im Herzen birgt; oder
man nehme einen Fuchshoden (brno biB !iS'"3) und lege ihn auf
ihr Herz, dann vrird sie dir Mittheilungen machen."
Nr. 8. „Die Hündin' gehört abgesehen von der Einleitung —
zu dieser vgl. 1001 N. I, S. 146 flf. — zu einer Reihe von Er¬
zählungen, von der Pantsch. § 186 handelt.
Nr. 9. „Der gemeinsame Tod des Abü Nowas und seiner
Gemahlin" stammt aus 1001 N. (IV, S. 170 flf.); hier wird die Ge¬
schichte von einem Abü-l-^asan erzählt. Baba Srür ist natürlich
Masrür.
Zu Nr. 13 „Die drei Muhammed" vgl. 1001 N. (Bresl. Uebers.)
XI, p. 4 flf. und die Parallelen bei Dunlop-Liebrecht p. 212 und
p. 487 a nn. 281 und 282.
Nr. 14 enthält Streiche des Dschuba, jener im ganzen Orient
und auch im südlichen Europa so volksthümlichen Figur; vgl.
Prym und Socin a. a. 0. I, p. XXV, n. 1. Eine Sammlung dieser
Schwänke aus Algerien gab Mouliferas heraus (Les fourberies de
Si Djeh'a, Paris 1892), zu der Ren6 Basset eine sehr instruktive
Einleitung geschrieben hat. Einige der tunisischen Erzählungen finden
sich denn auch in dieser Sammlung: „Der Waschkessel' = XVI,
die Nachweise dazu auf p. 45, n. 3; „Der Wurstregen" = XXI,
Nachweise p. 18 f., n. 6; „Der Esel der Gold mistete" = XXXVI,
Nachweise p. 74 f. , n. 3 '). Doch hat eigentlich der tunisische
Dchuha einen ganz anderen Charakter als der algerische Djeh'a,
1) Zu „Der Esel, der Kadi wurde" vgl. p. 61, n. 1. „Onkel Jachja"
gebört eigentlich zu den Geschichten von den Meisterdieben; vgl. Grimm KM.
Nr. 192 nnd Prym und Socin Nr. XLII. Die hier erzählte Gescbichte findet sich schöner und vollstiindiger in Cod. Sachau 146 f. 77 afl.
Bd. XLVIII. 44
670 Lidzbarski, Einige Bemeriamgen zu Stumme's Tunisisciien Märchen.
der kein anderer als Nasr ed-dln ist, jener Narr, der ein so merk¬
würdiges Gemisch von grenzenloser Einfalt und Dummheit und von
Geist und Witz bildet '), während Dschuba mehr in die Rubrik
der listigen Bauem gehört. Als solcher ist er, wenn auch nicht
mit seinem Namen , früh in die deutsche Litteratur eingedmngen
und figurirt in alten Schwänken unter den Namen Unibos (Einochs)
und Einhirn. Die Streiche , die dieser verübt haben soll , haben
nicht bloss an sich , sondem auch in ihrer Reihenfolge eine grosse
Aelmlichkeit mit den tunisischen. Vgl. Germania I, p. 359 f.,
XVII, p. 322 ff. und XVIII, p. 152£f. Sie finden sich dann in fast
allen deutschen Märchensammlungen -) und auch in der Grimm'schen
werden sie vom ,Bürle' (Nr. 61) erzählt. Bemerken möchte ich
noch, dass sich auch in Cod. Sachau 146 f. 85 afi'. eine zusammen¬
hängende Dju^i-Geschichte findet. Die Streiche, die in ihr erzählt werden, stehen zwischen den tunisischen und deutschen.
1) Vgl. Orient tind Occident I, S. 433.
2) Vgl. Germ. I, p. 360 n. 1; XVIII, p. 152 f. und Grimm III. p. 107 ff.
Ein lateinisches Unibosgedicht soll schon aus dem 11. Jahrhundert stammen ; vgl. Grimm ibid. p. 109.
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Zum weisen Achikär.
Von Mark Lidzbarski.
Zu den Ausführungen Meissners über die Geschichte des
weisen Achikär dürfte es mir gestattet sein, einige Bemerkungen
zu machen.
Vor allem möchte ich auf Cod. Sachau 339 aufmerksam machen,
der die arabische Achikargeschichte mit neuaramäischer Ueber¬
setzimg im Dialekte von Qyllith im Tür-'abdin enthält. Der
arabische Text bietet nämlich eine viel ursprünglichere Recension
als der, den Salhäni in den Contes arabes herausgegeben hat. Das
zeigt sich schon in den Namen. Achikars Frau heisst ^^^XxÄXi]
= Syr. wwA.^aiA,/, der eine der beiden Knaben, die auf den Adlern
in die Höhe fliegen, heisst ^JL5>^ , Syr. ' ^..-ri-^i ') und der Scharf¬
richter heisst iii,Ay4My^, was dem syrischen . j>r>onr>-M graphisch viel näher steht als u5>.x**j^! . Dann lässt auch hier Achikär den
Pharao an Sancherib den Leihbrief schreiben und nicht umgekehrt.
Die Parabel vom Vüglein und dem Vogelstocke, die im Salhani'schen Texte fehlt , steht hier auch , wie in der syrischen und slavischen
Version. Ueberhaupt steht der ganze Text diesem näher als der
Beirüter. Nun aber ist in der ganzen Erzählung bis auf eine
einzige kurze Stelle Chikär die redende Person. An und für sich
schon ist die Behauptung Meissners unwahrscheinlich, dass die
Erzählung in der dritten Person gehalten und erst vom Schreiber
1) Der andere Knabe heisst Iiier ^t^l'^is , ähnlich wie im Beirüter Text ( ^»aJL,m> ,; . Diese Namenformen dürften durch den aus Calila wa-Dimna
bei den Arabern populär gewordenen ^L^O veranlasst worden sein. Um¬
gekehrt tritt uns in der im Jahre 1778 in Leipzig erschienen deutschen Ueber¬
setzung der Calila wa-Dimna aus dem Griechischen „Abuschalem und sein Hofphilosoph oder die Weisheit Indiens in einer Reihe von Fabeln" Dabsalim als Abuschalem entgegen, in dem der Uebersetzer Lehnus oder vielleicht schon sein Vorgänger gewiss etwas wie Dibffl vermuthete.
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