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Eine fremdartige Schrift.
Von Friedrich Preisigke.
Das Urkundenfragment, das die Abbildung auf der nächsten
Seite zeigt, gehört der „Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straß -
bürg'. Es gelangte in den Besitz der Gesellschaft zusammen mit
einer größeren AnzabI von Papyrusfragmenten, die im Sommer
1907 durch Vermittelung des Papyruskartells vom Händler Stamati 5
Skopelitis in Cairo gekauft worden sind. Die Papyrus, welche in
einem Blechkästchen — wie das allgemein üblich ist — nach
Straßburg kamen, wurden mir zum Aufrollen übergeben. Nachdem
ich die größeren Fragmente aufgerollt und geglättet hatte , fand
ich, mitten zwischen winzigen Papyrusfetzen, die zahlreich den Boden 10
des Blechkästchens bedeckten, das hier abgebildete Fragment. Das¬
selbe war parallel zur Zeilenrichtung zweimal zusammengefaltet;
in dieser Beschaffenheit maß es 2*/^ cm in der einen Richtung und
1 cm in der anderen (Palt-)Richtung. Auseinandergefaltet mißt
das Blatt 2^/3 zu 2 cm. Die Papyrus des Kästchens enthielten 15
griechische Urkunden, einige aus dem 2., die meisten aus dem
3. Jahrhundert n. Chr.
Der Beschreibstoff nnserer ürkunde ist kein Papyrus, denn die
Papyrus sind stets durch Aufeinanderlegen zweier senkrecht zu
einander stehenden Schichten von Papyrusstreifen hergestellt worden; 20
unsere Urkunde aber hat diese beiden Schichten nicht. Ich möchte
den Beschreibstoff für den Teil eines gewachsenen Blattes halten,
etwa für ein Stück Schilf- oder Palmblatt. Dafür , daß wir kein
Kunsterzeugnis, sondern ein natürlich gewachsenes Blatt vor uns
haben , spricht vor allem der Umstand , daß die Faserrichtung auf 25
beiden Blattseiten die nämliche ist. Die Fasern sind außerordent¬
lich zart, so daß man sie mit bloßen Augen kaum wahrnehmen
kann ; der Beschreibstoff erscheint auf beiden Blattseiten dem Auge
gleichmäßig glatt und eben, wie das bei den Papyrus niemals auch
nur annähernd der Fall ist. Zwei in der Faserrichtung deutlich so
hervortretende Streifen rühren von den Faltungen her. Betrachtet
man die Fasern durch die Lupe, so sieht man auf der einen
(Schrift-)Seite zahlreiche, streng parallel zu einander verlaufende.
112 Preisigke, Eine fremdartige Sekrift.
bei ricMsgier Beleuchtung schärfer sich abhebende Rippchen , auf
der anderam (unbeschriebenen) Seite in derselben Richtung ver¬
laufende, wariger scbarf sich abhebende, mehr fleischig aussehende
Fasern. fi&ntJiche Rippen und Fasern haben dieselbe Struktur,
5 es finden sich nirgends stärker hervortretende Rippen oder Ab¬
zweigungen. Das alles spricht für Schilf- oder Palmblatt. Was
die Sehiilfit betrifiFt, so ist eine Fälschung nicht anzunehmen. Ein
Fälscher faäte den zahlreich in Ägypten zur Verfügung stebenden
Papyms m Hilfe genommen , der ihm geläufig und dem Käufer
10 bekannt ist, nicht einen Beschreibstoff, wie er uns vorliegt. Der
Schreiber bemitzte keinen Pinsel, sondem eine gespaltene Feder
ans Bohr oder dergleichen , denn mehrere Gmndstriche zeigen
deutlich, daß die Tinte den Grandstrich nicht
/T^w-OQ——.(^^ -voll füllte, sondem nur rechts und links die
15^ vi»" y*%^ aufdrückende Peder begleitete, die Mitte des
m. Spaltes aber ziemlich leer ließ. Das Fragment
ti/^X^mtA enthält zwei Zeilenreste, die Rückseite ist
• L ^ Jf unbeschrieben. Die geradlinige Kante der
einen Seite des Blattes (in der Abbildung
20 die linke Seite) und der Abstand beider Zeilen
v<Hi dieser Kante machen es wahrscheinlich, daß dieses der ursprüng¬
liche freie Band des Schriftstückes ist und daß die hier stehenden
Schrifizeiehen die Zeilenaniänge oder Zeilenenden sind. Die Ab-
bOdong bembt a«f einer von mir gefertigten Abzeichnung (Pause),
25 die anf Gmnd einer mit der Lupe vorgenommenen Prüfung den
Federzng de« Schreibenden deutlicher hervortreten lassen soll. Dio
YerSffeml&bnng geschieht in der Hofifnung, daß unter den Gelehrten
jemand sidi finden wird, der die Schriftzüge , deren Zuweisung an
eine der bekannten Schriftarten bisher nicht gelungen ist, deuten
30 kann.
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Von Pänini zu Phaedrus.
Von Johannes Hertel.
Die Griechen selbst erklären die Tierfabel, die bei ihnen eine so freundliche Aufnahme gefunden hat, schon dadurch als ein asiatisches
Produkt, daß sie dem Äsop asiatische Abkunft zuschreiben. Sicher
ist, daß ein großer Teil der besten griechischen Fabeln aus Indien
stammt. Häufig sieht man die Herkunft solcher Erzählungen schon .i
den in ihnen verwendeten Tieren an.
Eines der bekanntesten Tiere , die schon das Altertum aus
Indien bezog, ist der Pfau. Er spielt die Hauptrolle in den Fabeln
Babr. 65 (Tawg xcxi yiQuvog , vgl. Halm 397. 397 b); Halm 398
(Taag «ci Kolowg); Phaedrus III, 18 (Pavo ad lunonem de voce lo
sua). Die bekannteste Fabel ist die von der Krähe , die sich mit
Pfauenfedern schmückt, Phaedrus I, 3, Babrius 72; vgl. die weiteren
Nachweise bei Crusius , welche zeigen , wie weit diese Erzählung
verbreitet war.
Für keine von diesen Fabeln , die bei der Bekanntschaft der 15
Alten mit dem Pfau in Europa oder in Indien entstanden sein
können, ist bis jetzt meines Wissens eine indische Parallele nach¬
gewiesen. Verf. glaubt zum mindesten wahrscheinlich machen zu
können , daß die zuletzt genannte in Indien schon in alter Zeit
bekannt war. 20
1. Phaedrus erzählt , eine Krähe habe sicb aus Eitelkeit die
ausgefallenen Federn eines Pfauen angesteckt und sich stolz von
den Ihrigen abgesondert, um sich unter die Pfauen zu mischen.
Diese rissen ihr die Pfauenfedera aus und jagten sie fort; aber als
sie zu den Ihrigen zurückkam, wurde sie auch von ihnen abgewiesen. 25
Wie gewöhnlich ist der entsprechende Bericht bei Babrius viel
hübscher, aber inhaltlich weniger ursprünglich, als der des — für
ims glücklicherweise! — poetisch wenig beanlagten und daber
seinen Quellen treuer folgenden Phaedrus. 2. Nach Babrius näm¬
lich laden die Götter durch Iris alle Vögel zu einer Schönheits- 30
konkurrenz. Die Vögel waschen und putzen sich an einem Bergquell,
und die Federn, die ihnen dabei ausfallen, steckt sich ein Rabe —
Kolotbg . . . ycQiov , xoQwvrjg vtog — an. So erscheint er vor den
Zeitschrift der D. M. G. Bd. LXII. 6
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