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Unterm Baobab. Tagebuch meiner schwarzen Liebe. von Heidrun Cichon. 1. Auflage

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Academic year: 2022

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Unterm Baobab

Tagebuch meiner schwarzen Liebe von

Heidrun Cichon

1. Auflage

Unterm Baobab – Cichon

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Thematische Gliederung:

Expeditions- & Reiseliteratur

tredition 2014

Verlag C.H. Beck im Internet:

www.beck.de ISBN 978 3 8495 8709 3

Inhaltsverzeichnis: Unterm Baobab – Cichon

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Unterm Baobab

Tagebuch

meiner schwarzen Liebe

von

Heidrun Cichon

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© 2014 Heidrun Cichon

Verlag: tredition GmbH, Hamburg ISBN

Paperback 978-3-8495-8708-6 Hardcover 978-3-8495-8709-3 e-Book 978-3-8495-8710-9

Printed in Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver- wertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

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Meiner deutschen und afrikanischen Familie

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Inhaltsverzeichnis

Aufbruch 7

Anfang einer Liebe 10

Allein mit meinem Kind 20

Unsere Wege trennen sich 27

Erste Kontakte nach Afrika 31

Treffen von Vater und Sohn 35

Wiedersehen 41

Neue Wege, neues Leben 46

Zweites Wiedersehen 51

Tagebuch – Tanzania 2007 – Sansibar und Pemba 56

Wieder in Deutschland 137

Verzweiflung 142

Ich will nach Afrika 154

Tagebuch – Tanzania 2008 - Safari 157

In Nkinga 188

Zwiespalt … 293

… und Zweifel 305

Tagebuch – Tanzania 2013 – Mwanza und Nkinga 321

Abschluss 391

Nachwort 393

Kiswahili-Worte und Begriffe im Text 395

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Aufbruch

Dunkelheit liegt über der Großstadt, nur die Straßenlaternen erhellen die Wege.

Bunte Reklame leuchtet von der nahen Einkaufsmeile und vom Hochhaus an der tagsüber so belebten Straße herüber. In einigen Häusern sind schon etliche Fenster hell, Frühaufsteher wie ich. Im gegenüberliegenden Pflegeheim bleiben viele Fenster die ganze Nacht hell. Der Oktobertag versprach angenehm zu wer- den, denn es war noch mild an diesem frühen Morgen. Ich öffne die Balkontür weit, um die frische Luft herein zu lassen. Meist schlafe ich bei geöffnetem Klappfenster, das sich über der Balkontür befindet. Tief atme ich einige Züge der morgenfrischen Luft ein, während ich meine kleine Gymnastik absolviere, stre- cke und recke mich. Das muss heute Morgen schnell gehen, denn viel Zeit bleibt mir nicht. Gefrühstückt wird eine Tasse Tee und eine Scheibe Knäckebrot, mehr kann ich heute nicht zu mir nehmen vor Aufregung. Es ist auch nichts mehr im Kühlschrank und die restlichen Lebensmittel stelle ich auf die Küchenplatte.

Barbara, meine Freundin, wohnt im gleichen Haus eine Etage über mir. Sie wird das, wie verabredet, später abholen. Auch der Tiefkühlschrank ist leer und ein Lappen hindert die Tür, wie auch beim Kühlschrank, dass sie sich schließt.

Schließlich müssen beide drei Monate warten, ehe sie wieder gefüllt werden.

Ich blicke auf die Uhr, es ist Zeit, sich fertig zu machen. Das Taxi wird gleich kommen, das ich vor einigen Tagen bestellt habe und mich zum Flughafen brin- gen soll. Allein werde ich eine weite Reise ins Herz Afrikas, nach Tanzania, antre- ten. Mir ist nicht bange davor. Im Gegenteil, ich freue mich schon lange darauf.

Endlich werde ich diesen Kontinent wiedersehen, der schon in meinem Herzen tief verwurzelt ist. Ich schaue mich in meiner kleinen Einzimmerwohnung in einem Hochhaus mit altersgerechten Wohnungen noch einmal um. Habe ich alles bedacht, nichts vergessen, alle Aufgaben an die Familie und Freunde ver- teilt? Ich kontrolliere noch einmal meine Tasche mit den Papieren. Alles scheint o.k. zu sein.

Es klingelt! Das Taxi ist da! Ich nehme mein Gepäck, einen Koffer und eine große Reisetasche, beide mit Rollen. Beide musste ich mir noch kaufen, um alles an Kleidung und Geschenken unterzubringen. Die Papiere, Pass mit dem Visum für Tanzania, Geld in Euro und US-Dollar, die Visakarte, persönliche Dinge für diese Flugreise habe ich in einen Rucksack verstaut, der ebenfalls neu ist. Das Taxi ist pünktlich und als Zubringer für den Flughafen der Stadt preiswert. Es sitzen be- reits vier Leute, zwei Ehepaare im Kleinbus. Ich steige beim Fahrer vorn ein, der mein Gepäck verstaut. Nach wenigen Metern Fahrt fällt mir vor Aufregung und Erwartung ein, der Schlüssel zur Wohnung muss doch noch in den Briefkasten von Barbara. Der Fahrer kehrt verständnisvoll noch einmal um und schnell werfe ich das Bund in den Briefkasten. Nun kann es wirklich zum Flughafen gehen.

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Am Tag vorher habe ich meinen Check-in im Internet durchgeführt, dadurch ist die Gepäckabfertigung bei KLM trotz der langen Menschenschlange schnell und zügig. Das Gepäck bin ich also los. Von meiner Bank schaue ich auf die Anzeige- tafel, wo die Flüge angezeigt werden, die demnächst abgehen und warte auf den Aufruf meines Boarding. Warum muss man nur immer so früh auf dem Flugha- fen sein? Nach einer Stunde Warten werden die Passagiere der Maschine nach Amsterdam zum Zoll aufgerufen. Der arbeitet sehr langsam und gründlich. Fast alle Passagiere werden kontrolliert, die Frauen mit einem Stab gescannt. Ich habe Glück, ich darf so durch. Aber mit meinem Rucksack ist etwas nicht in Ord- nung. Ich muss ihn öffnen und die Tasche zeigen, in der ich alle Zubehörteile für den Fotoapparat verstaut habe. Hier findet der Zollbeamte das kleine Taschen- messer, das ich mir extra für unterwegs zugelegt habe. „Sie fliegen über Amster- dam?“, fragt der Beamte, „da wird es sowieso eingezogen.“ Das Taschenmesser wird konfisziert. Schade! Aber nicht zu ändern, wenn die Zollvorschriften so sind.

Warum hast du nicht daran gedacht, denke ich und bin ein wenig traurig um das neue Messer.

Auf dem Rollfeld steht eine große Fokker 100, die „Darjeling Railways“. Die Ma- schine füllt sich schnell. Ich habe einen Fensterplatz, was mich sehr freut. Als die Fokker in die Höhe steigt, kommen mir die Tränen. Ist es Freude oder Vorah- nung? Meine Erwartung an diese Reise ist riesengroß und erst in der Luft werde ich ruhiger. Aber mein Herz pocht weiterhin ungestüm. Unter mir das Land liegt noch im Dunkeln, nur die Orte schimmern als Lichtpunkte herauf, unvergleich- lich schön wie ein Sternenteppich sieht das aus. Von Osten her wird es langsam heller. Die Fokker erreicht Amsterdam und sinkt tiefer. Wie Perlenschnüre rei- hen sich die Lichterketten der Straßen.

Der Amsterdamer Flughafen Schiphol ist riesengroß und ich erkenne vieles wie- der, war ich doch im vergangenen Jahr schon von hier aus die gleiche Strecke geflogen, wie heute. Ich habe Zeit und schlendere die endlosen Gänge zu den Gates entlang, schaue in einige der zahlreichen Boutiquen und kaufe die „Bild- Zeitung“ und eine Tüte „Goldbären“. Die „Bild“ ist eigentlich nicht meine Lektü- re, so reißerisch sie erscheint, aber als Reiselektüre reicht sie allemal. Die Gänge des Airport sind lang und ich stelle mich auf ein Laufband, rolle damit bis zum Gate F4, dem Ziel und Ausgangspunkt meiner mit großen Erwartungen verbun- denen Reise nach Afrika. Das Warten auf das Boarding und die Zollkontrolle wird durch ein Gespräch mit einer dänischen Frauengruppe verkürzt, die das gleiche Ziel haben wie ich, den Kilimanjaro-Airport. Die Zollabfertigung geht hier schnell voran und die Passagiere nehmen ihre Plätze in der großen Boeing ein. Ich sitze an der Gangseite, wie ich es gewünscht habe, neben einem deutschen Ehepaar, das zum ersten Mal nach Tanzania reist. Sie wollen eine Safari machen und auf Sansibar einen Badeurlaub anschließen. Ich kann dem Mann neben mir Rat-

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schläge zu Geld, Wetter usw. geben. Er notiert sich alles eifrig. Auch ich beginne mein Tagebuch. Auf dem kleinen Monitor in der Rückenlehne meines Vorder- mannes sehe ich die Angaben zu unserem Flug. Die Boeing ist pünktlich gestartet und steigt schnell in die Höhe und ich lese die einzelnen Angaben und notiere sie mir: durchschnittlich 1067 m Flughöhe, Geschwindigkeit 880 km/h, Außen- temperatur – 52 °C. Am meisten interessiert mich die Entfernung bis zum Ziel, 6880 km bis zum Kilimanjaro-Airport in Tanzania. Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese Strecke fliege. Der Flug ist ruhig. Ich lege mir das kleine Kissen in den Rücken und versuche zu schlafen. Aber es kommen die Erinnerungen…

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Anfang einer Liebe

Die schwere, reich verzierte Tür der Deutschen Bücherei öffnet sich und entlässt einen Schwarm fröhlich schwatzender junger Frauen, Studentinnen der Fach- schule für wissenschaftliches Bibliothekswesen, die sich im Souterrain der Nati- onalbibliothek befindet. Es ist Freitag-Mittag, ein Wochenende steht bevor, das für die meisten der Heimfahrtstag ist zu den Eltern und Familien. Mit der Stra- ßenbahn geht es zum Hauptbahnhof im Herzen der Stadt, wo sich die Gruppe aufteilt, um in verschiedene Richtungen mit dem Zug zu fahren. Eine größere Gruppe steuert den Bahnsteig an, wo der Zug Richtung Halle bereit steht, um dort einzusteigen. Im Zug erzählt man sich gegenseitig wie das Wochenende geplant ist. Was will man alles unternehmen! Seit über einem Jahr studiere ich nun schon hier in dieser Stadt und jetzt im zweiten Jahr kennt man sich und neckt einander mit seinen Vorlieben und Eigenarten. Diesmal setze ich mich mit meinen beiden Freundinnen etwas abseits von den anderen. Wir hatten uns zusammengefunden auf Grund der gemeinsamen Richtung unserer Heimfahrt.

Jeden Monat trafen wir uns bei einer, um über alle möglichen Themen zu disku- tieren, wie es unter Freundinnen nun mal üblich ist. - Eine von ihnen, eine etwas füllige junge Frau, schüttelt ihren Kopf mit dem nackenlangen glatten Haar im- mer wieder verzweifelt: „Was soll ich nur machen?“ Margit, eine etwas stämmi- ge und ruhige junge Frau, versucht sie zu beruhigen: „Bärbel, das wird schon wieder.“ Als dritte in der Runde frage ich genauer: „Was ist denn los?“ – Bärbel beichtet ihren beiden Freundinnen den Kummer, der sie plagt. Seit einiger Zeit trifft sie sich regelmäßig mit einem jungen Mann, in den sie sich heftig verliebt hat. Ihre Eltern, schon ältere besorgte Leute, sehen diese Verbindung gar nicht gern. Dieser junge Mann, den sich ihre Tochter auserkoren hat, ist ein Ausländer und noch dazu mit dunkler Hautfarbe. Am liebsten würden sie es sehen, dass ihre Tochter ihn gar nicht mehr trifft. Bärbel fragt hoffnungsvoll mit Blick auf die Dritte der Runde, also auf mich: „Auf dich halten sie große Stücke, dir vertrauen sie. Kannst du mich nicht begleiten zu unserem nächsten Treffen? So als An- standswauwau?“ – So angesprochen, weiß ich erst gar nicht, wie ich antworten soll. Als Anstandsdame, so als drittes Rad zu fungieren, das liegt mir nicht und ich zögere. Eifrig reden die beiden anderen auf mich ein. „Es gibt da noch einen Freund, mit dem er zusammen lebt und lernt. Mit ihm kannst du dich unterhal- ten. Bist also nicht überflüssig.“ – Bärbel überredet mit aller Überzeugungskraft, sie will unbedingt ein Treffen mit ihrem geliebten Hemed. Die Neugier auf dieses Abenteuer siegt schließlich und ich willige ein. Man verabredet sich für das nächste Wochenende.

Mit gemischten Gefühlen steige ich in den Zug, der mich zum Treffen mit Bärbel und ihrem Freund, den beiden Liebenden, in die Stadt an der Mulde bringen soll.

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Ich war noch nie in dieser Stadt gewesen und ich muss mich daher auf meine Freundin verlassen. Unterwegs steigt Bärbel zu mir in den Zug und gemeinsam fahren wir dem Stelldichein entgegen. Die eine in freudiger Erwartung, die ande- re mit ungewissem Gefühl, voll Spannung auf die kommenden Stunden. Auf dem Bahnhof werden die Beiden von zwei jungen Männern empfangen, beide mit dunkler Hautfarbe. Der eine muss Hemed sein. Er ist nicht ganz so dunkel wie sein Begleiter. Hemed und Bärbel begrüßen sich mit einem flüchtigen Kuss und stellen dann den anderen jungen Mann vor. Sein Name ist Muhammed. Er sieht mich mit großem Augen an, was mich sehr verlegen macht. Beide kommen aus Sansibar, machen hier ihre Ausbildung als Anästhesiepfleger. In der Stadt an der Mulde, wo sich die jungen Leute treffen, absolvieren sie gerade ein Praktikum im Krankenhaus. Hemed und Bärbel gehen untergehakt voran, selig über ihr Zu- sammensein. Muhammed schaut nur immer auf mich. Später erzählt er: was für eine schöne Frau, denkt er und weicht nicht von meiner Seite. Sprechen können wir beide nicht viel, denn auch ich bin voller Hemmungen wegen dieser unge- wissen Situation. So direkt mit Ausländern, noch dazu mit Farbigen, bin ich noch nie konfrontiert worden. Ich weiß nicht so recht, was ich machen und sagen soll.

Die beiden Männer bewohnen ein großes Zimmer in einem alten aber vorneh- men Haus aus der Gründerzeit, reich mit Stuck an der Fassade und an den Zim- merdecken verziert. Sie haben ein kleines Mahl vorbereitet, gekochten Reis, der gewürzt ist wie sie es von ihrer Heimat her kennen. Die jungen Menschen unter- halten sich lebhaft und auch ich verliere allmählich meine Hemmungen und lege meine Schüchternheit ab. Ich fühle mich wohl in dieser kleinen Runde. Gegen Abend wollen Bärbel und Hemed allein sein. Bärbel will hier übernachten und auch ich soll hier bleiben. Hemed meint, Muhammed und ich könnten doch auch ein Liebespaar werden, wie er und Bärbel. So direkt darauf angesprochen, scho- ckiert mich das doch sehr und ich wehre heftig ab. Ich möchte keine Missstim- mung nach diesen schönen Stunden aufkommen lassen. Ich möchte doch nach Hause. Muhammed steht traurig daneben. Er hat sich sofort in diese junge Frau verliebt. Als ich darauf bestehe, noch an diesem Abend zurück in meine Studen- tenbude zu fahren, sieht Muhammed seine Chance. Er beschließt, mit mir zu fahren, mich nach Hause zu bringen. Den Weg zum Bahnhof kenne ich in dieser fremden Stadt nicht, so bin ich angewiesen auf seine Begleitung. Ich lasse es mir gefallen, diese Begleitung bis in die große Stadt und bis zu meiner Straße, in der sich mein Studentenzimmer befindet. Irgendwie schmeichelt es mir, solch eine ungewöhnliche Begleitung zu haben. Aber innerlich wehre ich mich gegen die aufkommenden Gefühle, die mich erschrecken. Was soll das werden? So eine Verbindung hat doch keine Zukunft! Ich verspreche daher nichts und will keine Hoffnungen in Muhammed wecken. Doch dieser will unbedingt ein erneutes

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Wiedersehen mit der jungen Frau, die ihn sofort verzaubert hat. Er lässt sich nicht abschrecken, schreibt unzählige Briefe, schickt Telegramme, alle voller Sehnsucht und mit der Bitte um ein erneutes Treffen. Ich reagiere erst unwillig.

Da habe ich mir ja etwas eingebrockt, so sollte das nicht ausgehen. Ich erzähle Bärbel davon, die mir aber zuredet. Sie lobt beide, Hemed und Muhammed, in den höchsten Tönen. Es vergehen einige Wochen, in denen Muhammed nicht locker lässt und immer wieder seinen Wunsch wiederholt. Ich willige schließlich ein, nur um endlich meine Ruhe zu haben. Ich verabrede mich mit ihm am Hauptbahnhof, wo ich ihn abholen will, um dann gemeinsam in die Stadt zu gehen. Als der Zug eintrifft, stehe ich doch mit klopfendem Herzen auf dem Bahnsteig. Diese ungestüme, beharrliche Werbung hat ihre Spuren hinterlassen, hat mein Zögern und alle Bedenken zum Wanken gebracht. Noch bin ich unent- schlossen, was ich tun werde. Ich will es darauf ankommen lassen. Und die nächsten Minuten entscheiden alles, denn kaum ist der Zug zum Stehen ge- kommen, werde ich von zwei Armen umfasst und auf den Mund geküsst. Ich weiß nicht, wie mir geschieht. Die übergroße Sehnsucht trieb Muhammed ein- fach zu diesem Schritt und ich lasse es mir gefallen. Diese weichen vollen Lippen auf den meinen, das ist eine Wonne, fühle ich und weiß im gleichen Moment, darauf habe ich gewartet. Es ist um mich geschehen.

Später werde ich erfahren, dass dieser ungestüme erste Kuss Muhammed viel Überwindung gekostet hat, denn in seiner islamisch geprägten Heimat zeigt man keine Gefühle in der Öffentlichkeit. Aber in Europa ist das anders, hier kannst du deine Gefühle offen zeigen. Das veranlasste Muhammed zu diesem, uns beide überwältigenden Schritt. Verwirrt und überrascht schauen wir uns beide an, verlegen über unsere Empfindungen, die so neu für uns beide sind. Wir gehen in die nahe City, schlendern durch die Passagen und Straßen, machen uns gegenseitig auf die unterschiedlichsten Dinge aufmerksam, nur um unsere Ver- legenheit zu verbergen. Auf dem Markt mit dem historischen Rathaus setzen wir uns auf eine Bank und ich möchte wissen, woher Muhammed kommt, welche Familie er hat und er beginnt zu erzählen.

Der Inselstaat Sansibar hat erst vor kurzem seine Unabhängigkeit erkämpft und sich mit Tanganjika zu Tanzania zusammengeschlossen. Muhammed ist auf Pemba, der kleineren der beiden Inseln, zu Hause. Sein Vater ist mit seiner Nel- kenplantage ein begüterter Bauer, der seinem ältesten Sohn eine angemessene Ausbildung ermöglichen konnte. Muhammed hat eine Ausbildung als Kranken- pfleger abgeschlossen und wurde von der damaligen Regierungspartei (TANU) bestimmt, in der DDR seine Ausbildung fortzusetzen. Die Gruppe besteht aus sieben jungen Leuten, die dazu ausgesucht wurden, drei Frauen zu Hebammen, einer als Physiotherapeut, einer als Krankenpfleger für Neurologie und Hemed

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und er als Anästhesiepfleger. Sie sind schon zwei Jahre hier und im nächsten Jahr schließen sie ihre Ausbildung ab. Muhammed spricht ein gutes Deutsch, das er in Radebeul und Potsdam erlernte. Nur manchmal sucht er nach einem passenden Begriff und ich muss ein wenig helfen. Die Zeit vergeht uns wie im Flug. So lange wollte ich gar nicht bleiben. Ich genieße diese neue Erfahrung und es tut mir gut, auch einmal so umworben zu werden. Ich hatte bisher nur flüchtige Bekannt- schaften mit jungen Männern, nichts Ernstes oder tiefer gehendes. Mit meiner Brille finde ich mich eigentlich nicht so begehrenswert. Diese neue Erfahrung überrascht und verwirrt mich zugleich. Habe ich mich wirklich hier verliebt? Und vor allem, meint es Muhammed ernst mit mir? Ich will abwarten, was die nächs- ten Wochen bringen werden. Auch ich berichte von mir, von meiner Familie, von meinen beiden Halbschwestern, die so viele Jahre jünger sind als ich, von mei- nen Eltern. Meine Mutter ist Lehrerin und vom Stiefvater, dem Invaliden mit nur einem Arm. Mein richtiger Vater ist im zweiten Weltkrieg vermisst. – So erzählen die beiden jungen Menschen sich gegenseitig aus ihrem Leben und sie kommen sich näher. Über all diesem Erzählen vergessen wir die Zeit, der Hunger meldet sich. Muhammed muss auch wieder zurück, weil er am nächsten Morgen früh aufstehen muss, er hat Frühschicht im Krankenhaus. So beschließen wir, im Hauptbahnhof im Restaurant der MITROPA essen zu gehen. Dort wählen wir ein Bauernfrühstück, preiswert und als große Portion richtig sättigend. Dieses Essen sollte in Zukunft für uns noch öfter ein gemeinsames werden.

Es wurde Zeit, zum Bahnsteig zu gehen, wo der Zug schon bereit steht. Muham- med kann sich nur schwer trennen. Er nimmt mich noch einmal in seine Arme und drückt einen zarten Kuss auf meine Lippen, um sich endlich los zu reißen und im letzten Moment in den Zug zu steigen, der auch sogleich los fährt. Be- nommen blicke ich zurück, winke dem Zug hinterher. Träume ich oder war das heute Wirklichkeit? Ich bin völlig durcheinander und verwirrt über die Gefühle, die über mich hereinbrechen. Aber auch eine gewisse Glückseligkeit schwingt mit dabei.

Diesem ersten Treffen folgen viele weitere, in denen sich die beiden jungen Menschen näher kommen. Muhammed erzählt viel und mit großer Begeisterung von seiner Heimat, der Insel Pemba und von Sansibar, wo er zur Schule ging, sein Abitur machte als Stipendiat. Wenn er von seiner Insel sprach, klang stets die Sehnsucht nach der Heimat, nach seiner Familie durch. Er liebte diese Insel sehr.

Im Winter litt er hier stets unter der Kälte. Er erzählte mir von der Lebensweise der Menschen seiner Heimat und ich lernte so die verschiedenen Eigenheiten der Menschen in heißen Ländern kennen. Er ist der Älteste von sieben Ge- schwistern. Seine Mutter starb kurz bevor er nach der DDR zur Ausbildung sollte.

Er wollte erst gar nicht fahren. Aber sein Vater bestand darauf, diese einmalige

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Möglichkeit und Chance für eine gute Ausbildung zu nutzen. Die Insel Pemba beschreibt er als eine immergrüne Insel mit vielen Nelkenbäumen. Sein Vater hatte eine Nelkenplantage, die viel Arbeit macht, aber die Familie gut ernährte.

Bananenhaine und Kokospalmenwälder wachsen hier. Wenn wir unterwegs an einem Gemüse- und Obststand vorbei kamen, suchten wir manchmal eine tropi- sche Frucht aus. Er war aber meist enttäuscht über deren Qualität. So waren die Ananas und die Bananen nicht ausgereift und im Geschmack nicht so wie er es kannte. Er schenkte mir ein Tuch, auf dem eine Inschrift in Suaheli und ein bun- tes Muster abgebildet waren. Ihm diente es zum Schlafen. In seiner Heimat tra- gen solche Tücher, die Kangas, die Frauen. Mir wurde durch seine Erzählungen alles sehr vertraut und ich träume schon von dieser Insel.

Auch ich erzähl von mir und meinem bisherigen Leben. Eigentlich bin ich ein sehr zurückhaltender, eher schüchterner Typ. Bedingt durch meine Schwerhörigkeit, die ich mir während des Krieges als Kleinkind als Folge einer unbehandelten Mittelohrvereiterung während der Flucht zuzog. Mit diesem Handicap habe ich manchmal stark zu kämpfen. Im direkten Gespräch mit anderen Menschen habe ich aber keine Probleme, diese zu verstehen. Anpassungsfähig wie ich bin, habe ich immer viele Freundinnen gehabt. Mit allen Menschen komme ich gut aus und mein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn lässt keine Unstimmigkeiten zu.

Durch etliche Brieffreundschaften habe ich Kontakt zu ausländischen jungen Menschen. Aber einen so direkten Kontakt, das ist mir neu. In der Weltstadt mit ihrer internationalen Messe sind Ausländer keine Seltenheit, aber Farbige fallen doch auf. Das bekommen wir beide bald zu spüren, wenn die Blicke auf uns fallen. Man dreht sich nach uns um und es werden gar Rufe laut, die nicht immer schmeichelhaft sind. Muhammed ist das schon gewöhnt und auch ich sehe bald darüber hinweg. Wir treffen uns so oft es das Studium für uns zulässt und der Hauptbahnhof wird zum Ort des Stelldicheins. Meist schlendern wir durch die Innenstadt oder fahren zum großen Park. So vergeht der Sommer und der Herbst bringt kühle Tage. Muhammed, der aus den heißen Tropen kommt, friert schnell. Daher beschließe ich, meiner Zimmerwirtin meinen Freund vorzustellen, damit wir einen warmen Ort für unsere Zusammenkünfte haben. Meine Zim- merwirtin ist eine schon ältere zierliche Dame, die sehr auf Sauberkeit und Ord- nung hält. Sie ist erst gar nicht erfreut darüber, Herrenbesuch in ihrer Wohnung!

Als sie aber hört, um wen es sich handelt, willigt sie ein. Mit Muhammed als Farbigen wird sie an ihren seligen Mann erinnert, der im 1. Weltkrieg in Swako- pmund im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika gefallen ist. Beim nächsten Tref- fen nehme ich meinen Muhammed mit auf meine Studentenbude im Nordosten der Stadt. Als Muhammed vor der Tür steht, schiebt die alte Dame ihn wieder zurück und lässt ihn erst einmal seine Schuhe gründlich abtreten. Muhammed lächelt nur, denn ich habe ihn schon vorbereitet auf diese Marotte der alten

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Dame. Aber mit diesem Lächeln und seiner höflichen Zurückhaltung hat er das Herz meiner Zimmerwirtin bereits erobert. Fortan kann er kommen, wann er will. Das geschieht nun immer öfter. Meist schickt Muhammed ein Telegramm, das sein Kommen ankündigt, denn Telefon oder Handy gibt es noch nicht. Ich hole ihn vom Bahnhof ab, wo wir oft noch unser Bauernfrühstück essen, um dann durch die City zu schlendern. Manchmal blieb Muhammed auch die Nacht über da und dann kuschelten wir uns eng nebeneinander. Ich bewunderte im- mer wieder die glatte dunkle Haut von Muhammed, genau wie er es auch mit der meinen tat. Beide ertasteten und erkundeten wir uns gegenseitig sehr be- hutsam und voll Gefühl. Ich fahre nun nicht mehr jedes Wochenende nach Hau- se zu meinen Eltern und Schwestern, sondern verbringe sie lieber mit meinem Muhammed. Meine Familie habe ich bereits informiert über meine neue Freundschaft. Wie erwartet, reagiert diese nicht gerade erfreut. Mein Stiefvater sprach es brutal aus: „Niggerflittchen, so werden sie dich nennen.“ Nur meine beiden Schwestern, die noch Schulkinder sind, finden es toll, solch einen Freund zu haben. Ich lasse mich nicht beirren, höre nur auf mein Herz, das für Muham- med schlägt. Ich liebte ihn wegen seiner Geradlinigkeit und seines offenen, meist sehr fröhlichen Charakters. Wie er mir erzählte, hatte er bis zu unserem Zusammentreffen noch nie eine richtige Freundin gehabt. Er hatte immer eine Scheu vor Frauen gezeigt. Daher wuchs unsere Liebe mit unserem gegenseitigen Vertrauen und Verständnis. Von zu Hause aus war er islamisch erzogen worden.

Durch unsere Gespräche und meine Überzeugung, ich war nie Mitglied einer Partei, wandte er sich wie ich gegen jede Einschränkung durch eine Religion und wurde Atheist.

Weihnachten rückt heran und damit auch einige Tage Ferien im Studium. Ich bin traurig gestimmt, weil Muhammed nicht bei mir sein kann. Weihnachten wurde in meiner Familie immer sehr innig gefeiert. Schon in der Adventszeit saß man gern zusammen bei Kerzenschein und bastelte für die Lieben kleine Aufmerk- samkeiten und sang die alten Lieder zum Advent. Mit meinen kleinen Schwes- tern backte ich gern die beliebten Weihnachtsplätzchen, deren Duft die ganze Wohnung durchzog. Heimlichkeiten machten die Zeit bis zum Fest noch span- nender. Doch dieses Jahr fehlt mir einfach mein Liebster. Mein Stiefvater, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis habe und der immer für meine Freiräume bei allen meinen Verpflichtungen sorgt, merkt bald meinen Kummer und spricht ein Machtwort gegenüber der Familie aus. „Du fährst jetzt und holst Muhammed hierher. Er wird mit uns Weihnachten feiern.“ So schnell bin ich noch nie zum Bahnhof geeilt und nach der nächsten Großstadt gefahren, wo Muhammed in seinem Internat lebt. Als ich dort ankomme, muss ich erschreckt feststellen, dass Muhammed erkältet ist und sogar Fieber hat. Sein dünner Mantel ist für diesen

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Winter nicht gerade ausreichend. Aber ich ziehe ihm noch einen Pullover über und gemeinsam fahren wir zurück. Es ist das erste Mal, dass Muhammed mit zu meiner Familie fährt und ihm ist ein wenig bange davor. Wie werden sie mich aufnehmen? Werden sie mich akzeptieren? Auch ich weiß nicht so recht, was kommen wird. Ich bin nur froh und glücklich, ihn die Festtage bei mir zu haben. – Zu Hause werden wir beide zuerst von dem kleinen Hund der Familie begrüßt.

Da dieser eigentlich keine Männer, besonders deren langen Hosen, leiden kann, sind alle erstaunt, dass er Muhammed freudig begrüßt. Und das bricht auch den Bann bei den übrigen der Familie. Meine Eltern sind zwar etwas reserviert, aber begrüßen Muhammed herzlich. Meine beiden Schwestern nehmen ihn sogleich in Beschlag, zeigen ihm ihr Zimmer und ihre Spielsachen. Muhammed macht alles mit und die ersten Hemmungen fallen auf beiden Seiten. Die Weihnachts- tage werden für mich und Muhammed dann doch noch schöne Tage mit der Familie.

Wir hielten uns am liebsten in meinem Studienort Leipzig auf. Auf unseren Streifzügen durch die Stadt erkundeten wir diese, besonders der Park hatte es uns angetan. Wir waren beide große Naturfreunde und erfreuten uns an den Grünanlagen des Parks. - Zum Geburtstag von Muhammed, der im Juni war, klaute ich ihm von einer Freifläche eine weiße Rose, um sie ihm zu schenken.

Wir hatten ja nur unser geringes Stipendium, mit dem wir auskommen mussten.

Am Ende des Monats blieb nie viel Geld übrig. Meist reichte das nur für eine Fahrkarte nach Hause. Mit dem letzten Geld sind wir dann in die Mitropa im Hauptbahnhof gegangen, wo es diese riesige Portion Bauernfrühstück gab, das lecker schmeckte und unseren Hunger stillte. Muhammed war in verschiedenen Krankenhäusern zum Praktikum eingesetzt. So lernte ich durch ihn auch andere Städte kennen. Auch zu seinen Landsleuten, die wie er studierten, bekam ich guten Kontakt. Sie meinten sogar, wir sind ein schönes Paar, passen gut zusam- men. Muhammed war etwas größer als ich und ebenso schlank.

Unser Verhältnis wurde zu einer beiderseitigen tiefen Liebe. Wir hatten uns und unser gegenseitiges Verständnis, wir harmonierten in unseren Ansichten und hatten die gleichen Auffassungen von dieser Welt. Mir bereitete seine Hautfarbe kein Problem. Im Gegenteil, ich lernte, dass Menschen anderer Länder und an- derer Kulturen, anderer Rassen und Hautfarben die gleichen Probleme im Leben haben und genauso leben wie wir. Es war eine schöne und innige Zeit.

Über allen Liebesgeflüster und gegenseitigen Zärtlichkeiten vergessen wir nicht unsere eigentliche Aufgabe, das Studium. Wir spornen uns gegenseitigen an, hören uns ab. Wir wollen das Lernen nicht vernachlässigen. Muhammed sprach zwar ein gutes Deutsch, aber ich helfe oft bei der Formulierung der deutschen Texte. So rücken für uns die Abschlussprüfungen heran. Beide müssen wir eine Abschlussarbeit abliefern. Muhammed hat seine Arbeit fertig, die sich mit den

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Osmosevorgängen während einer Narkose befassen. Ich tippe sie ihm in die Maschine und brauche nur kleine grammatikalische Korrekturen daran vorneh- men. Auch meine Abschlussarbeit ist fertig, die ich während des Praktikums in der wissenschaftlichen Bibliothek der Medizinischen Akademie in Magdeburg geschrieben habe. Die Abschlussprüfungen bestehen wir mit gutem Erfolg. Diese Ergebnisse machen uns beide stolz.

Kurz vor dem Abschluss unseres Studiums merkte ich, dass ich schwanger bin.

Das war nicht nur für mich fast wie eine Katastrophe, auch für Muhammed.

Warum eine Katastrophe? Ein Kind zu haben, ist doch etwas Schönes und Beglü- ckendes und Bereicherndes. Bei uns war es aber ein Problem. Schon die Haut- farbe von Muhammed spielte eine Rolle. Wir hatten schon öfter bemerkt, wie uns die Leute hinterher sahen und ihre dummen Bemerkungen machten. Es fielen Worte wie "Niggerliebchen" oder noch Schlimmeres, die mich an die Nazi- zeit erinnerten. Muhammed ging darüber hinweg und brachte auch mir bei, dem keine Bedeutung zu geben. Es fiel mir trotzdem sehr schwer. Erst mit den Jahren lernte ich, solche Bemerkungen einfach zu überhören. Unser Kind würde auch dunkler sein als alle anderen. Was mutete ich damit meinem zukünftigen Kind zu? Welches Schicksal würde es einmal haben? - Muhammed zeigte sich zwar zunächst betroffen, genau wie ich, aber sehr bald machte das einer Begeisterung für sein Kind Platz. Er schmiedete Pläne für seinen Sohn, wie er schon jetzt sagte.

Er überzeugte mich schließlich auch und wir begannen, uns auf unser gemein- sames Kind zu freuen.

Meiner Familie hatte ich noch nichts von meiner Schwangerschaft erzählt. Ich hatte Angst vor diesem Geständnis. Wie würden sie das aufnehmen? Besonders meiner Mutter gegenüber hatte ich große Bedenken. Ich schob es vor mir her, bis es sich nicht mehr verbergen ließ. Schließlich war es meine Mutter selbst, die mich direkt fragte und ich nur noch nicken konnte. Nun war ich diese Last los.

Natürlich reagierten alle erst einmal erschrocken, verständlich bei diesen Vorur- teilen, die eben noch immer herrschten. Wieder war es mein Stiefvater, der hier schlichtend eingriff und meinte, er freue sich auf das Opa-sein, ebenso meine Schwestern, die nun Tante werden sollten. Meine Mutter brauchte eine Weile, um sich mit dem Gedanken anzufreunden. Letztendlich aber gelang es mir doch, alle zu überzeugen, dass ich das schaffen werde, mit einem Kind und einem Beruf mein neues Leben zu beginnen. Meine Familie sicherte mir ihre Unterstüt- zung zu, was mir sehr in meinem Kummer half.

Die Wirklichkeit hatte uns eingeholt. Wir hatten lange Gespräche über unsere Zukunft. Unser Miteinander wurde auf eine harte Probe gestellt. Wie sollte un- sere Zukunft aussehen? Was sollten wir unternehmen? Muhammed wollte, dass ich mit ihm in seine Heimat gehe, nach Pemba. Warum nicht, dachte ich naiv. Er

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hatte mir doch schon so viel von dieser Insel erzählt, so dass ich schon fast dort auch zu Hause war. Ich konnte mir alles so gut vorstellen. Er schrieb an seine Familie über seine Pläne und erhielt eine ernüchternde Antwort von seinem Vater. Sein Kind könne er mitbringen, aber nicht die Frau, was der traditionellen Auffassung seines Landes entsprach. Das war für uns beide und besonders für mich niederschmetternd. So hatte ich das nicht erwartet. Ich wurde nachdenk- lich. Waren die Vorurteile, die wir hier in der DDR erfuhren, auch in seinem Lan- de so stark? Wir hatten uns hier bei den Behörden erkundigt und es ergab fast die gleiche Antwort. Die Gesetze sprachen gegen uns. Es gab keine rechtlichen Vereinbarungen zwischen den beiden Ländern und an eine Ausreise war über- haupt nicht zu denken. Mir kamen die ersten Zweifel an der Aufrichtigkeit der DDR zur Frage der Völkerfreundschaft. Warum ließ man so viele junge Menschen ins Land, um sie hier auszubilden? Kontakte bleiben doch nicht aus! Solche Be- ziehungen durften offiziell in der DDR nicht existieren. Völkerfreundschaft ja, aber ohne tiefer gehende private Beziehungen, das war die Devise. Wir waren beide nicht so politisch engagiert und hatten keine Beziehungen, die uns helfen könnten. Auch auf meine Mutter hatte ich Rücksicht zu nehmen, die im Staats- apparat tätig war, ja sie bestand sogar darauf. - Im Fernsehen lief eine Sendung mit dem bekannten Rechtsanwalt Prof. Kaul, den wir um Rat fragten. Auch hier wieder die gleiche Antwort, keine Rechtsabkommen mit Tanzania, nur Handels- beziehungen. Für Privates war kein Platz in solchen Abkommen. Wir konnten nichts unternehmen. Wir waren sehr deprimiert, mussten uns aber in dieses Schicksal fügen. Zumal Muhammed von seiner Partei in unser Land gesandt wurde, hätte er die Pflicht und Schuldigkeit dem Ruf nach Rückkehr zu folgen.

Diese Jahre, die er hier in der DDR verbrachte, sollte er nun im erlernten Beruf in seiner Heimat wieder als Leistung zurückgeben. Er hätte auch als politischer Flüchtling um Asyl bitten können. Das hieß aber, seine Auffassungen und politi- schen Überzeugungen und vor allem seine eigene Familie völlig zu verleugnen.

Und das wollten wir beide nicht.

Die letzten Wochen verbrachten wir fast jeden Tag gemeinsam, nur um die Zeit stille zu halten und auszukosten. Muhammed wohnte zuletzt im Studenten- wohnheim der Universität in Halle an der Saale. In dieser Stadt liefen wir sehr oft an den nahen Fluss und gingen in der Aue spazieren. In einem Lokal trafen wir auf ein älteres Ehepaar, das uns schon länger beobachtete. Der Mann sprach uns an und meinte, so ein Liebespaar hätten sie schon lange nicht mehr gesehen. Es war rührselig, wie das alte Ehepaar mit uns redete. Sie boten sogar an, mit zu ihnen nach Hause zu kommen und wenn es spät werden sollte, auch bei ihnen zu übernachten. Es fiel uns schwer, den beiden alten Leutchen abzusagen.

Letztendlich rückte der Tag des Abschieds unaufhaltsam näher. Ich fuhr mit nach Berlin zum Flughafen Schönefeld. Auf der Besucher-Terrasse stand ich nun

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und schaute dem Flugzeug hinterher, das mir das Liebste mit sich nahm. Mein Herz tat mir weh, wusste ich doch nicht, was die Zukunft mir bringen sollte. Es war, als ob ein Stück von mir gegangen war.

Jetzt begann ich mich intensiver mit meinem ungeborenen Kind zu beschäftigen.

Es war mir ein Geschenk, das mir mein Liebster hinterlassen hat. Und das wollte ich hüten als ein wertvolles Gut.

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Allein mit meinem Kind

Ich begann nach dem Studium in der Bibliothek zu arbeiten, in der ich auch mein Praktikum absolviert hatte. Es war eine Zentralbibliothek an einer medizinischen Akademie. Meinen neuen Kolleginnen erzählte ich sofort von meiner Schwan- gerschaft, weil ich keine Geheimnisse wollte. Sie akzeptierten das mehr oder weniger, aber ich fand auch volles Verständnis bei ihnen. Ich sagte ihnen auch, wer der Vater des Kindes ist und wo er sich zurzeit befindet. In meinem neuen Arbeitsumfeld lebte ich mich schnell ein. Ich bewohnte ein Zimmer mit Küchen- und Badbenutzung bei zwei älteren Damen in einem Einfamilienhaus. Hier rich- tete ich mich ein, so gut es ging. In diesem kleinen Zimmer begann ich also mei- nen neuen Lebensabschnitt mit meinem erlernten Beruf.

Gleich nach seiner Ankunft in seiner Heimat sandte mir Muhammed die ersten Briefe, in dem er von seinem neuen Leben berichtete. Er erhielt auf seiner Hei- matinsel Pemba Arbeit im Hospital von Chake Chake, dem Hauptort der Insel.

Zunächst gingen unsere Briefe hin und her, in denen wir von unserer Liebe und unseren Träumen sprachen und ich war immer glücklich, wenn ich einen neuen Brief erhielt. Er beschreibt mir sein Leben auf Pemba, von seinem Haus, in dem er wohnt, von seiner Freizeit am Meer, wo er zum Fischfang und Angeln hinaus fuhr. Er hatte seiner Familie von mir und unserem Kind berichtet und nun berei- tete er mit Unterstützung der Familie unser Zusammenleben auf der Insel vor.

Wenn unser Kind geboren ist, sollte ich nachkommen. Muhammed besprach auch einmal ein Tonband für mich und unser Kind, das er aber nicht mehr ab- schicken konnte. Erst sehr viele Jahre später erfuhr ich auch warum. Seine Briefe habe ich mit viel Sehnsucht erwartet. Sie machten mich zwar glücklich im Mo- ment, aber sie taten mir in der Seele weh. Jeder Brief riss an meine Herzens- wunde und ich wurde still und in mich gekehrt.

Nach einem halben Jahr, ich war inzwischen hochschwanger und in Erwartung der nahen Geburt, erhielt ich plötzlich kein Lebenszeichen mehr von ihm. Mich beunruhigte das sehr. Warum schweigt er auf einmal? Sollte alles nur eine Täu- schung gewesen sein? Den Fragen meiner Mitmenschen wich ich aus und erfand eine Lüge, hinter der ich mich versteckte. Ich erklärte, dass es uns zurzeit nicht möglich wäre, Briefe auszutauschen, weil er in anderer Mission unterwegs sei.

Telefon gab es ja für uns noch nicht. Ich erklärte auch, dass ich keinen Kontakt mehr haben wollte, weil ich unter diesen Umständen keine gemeinsame Zukunft für uns sehe, was ja ziemlich der Wahrheit entsprach. Mit dieser Lüge strafte ich mich am meisten. Mir tat das Herz weh. Sollte alles umsonst gewesen sein?

Sollten unsere gemeinsamen Träume vergebens gewesen sein, alles nur Lug und Betrug? Ich konnte und wollte es nicht glauben, aber ich musste mich mit den Tatsachen abfinden. Vor allem musste ich an die Verantwortung um mein unge-

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