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Frühe Bindung und kindliche Entwicklung

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Academic year: 2022

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John Bowlby

Frühe Bindung kindliche Entwicklung und

Mit einem Vorwort von Manfred Endres und einem Beitrag von

Mary D. Salter Ainsworth

8. Auflage

Ernst Reinhardt Verlag München

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Titel der Originalausgabe:

Child Care and the Growth of Love Second Edition, Penguin Books

©1953 by John Bowlby Übersetzung von Dr. Ursula Seemann

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03074-3 8. Auflage

© 2021 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer- tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikro- verfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Reihenkonzeption Umschlag: Oliver Linke, Hohenschäftlarn Titelfoto: © S. Jozef / digitalstock.de

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

John Bowlby (1907–1990), britischer Psychiater und Psychoanalytiker, Begründer der Bindungstheorie, arbeitete und forschte an der Tavistock Klinik in London.

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Inhalt

Vorwort... 7

1. Teil Schädliche Folgen der Mutterentbehrung 1. Kapitel: Einige Ursachen seelischer Erkrankung... 11

2. Kapitel: Wie können wir die Schäden der Deprivation erkennen?... 18

1. Beobachtungen an Säuglingen und Kleinkindern... 18

2. Beobachtungen an älteren Kindern, die als Säuglinge an Mutterentbehrung gelitten haben... 29

3. Kapitel: Ergebnisse der Beobachtungen... 43

4. Kapitel: Theoretische Probleme... 48

5. Kapitel: Untersuchungsmethoden... 57

2. Teil Maßnahmen, um der Mutterentbehrung vorzubeugen 6. Kapitel: Die Rolle der Familie... 65

7. Kapitel: Warum können Familien versagen?... 71

8. Kapitel: Kann das Scheitern der Familie verhütet werden?... 83

9. Kapitel: Uneheliche Geburt und Mutter-Entbehrung... 94

10. Kapitel: Ersatzfamilien... 103

1. Adoption... 103

2. Pflegefamilien... 110

11. Kapitel: Heimunterbringung... 129

12. Kapitel: Die Betreuung unangepasster und kranker Kinder... 139

1. Die Betreuung unangepasster Kinder... 139

2. Die Betreuung kranker Kinder... 146

13. Kapitel: Organisation der Psychohygiene und Aufgaben der Forschung... 151

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3. Teil Weitere Untersuchungen über die schädlichen Folgen der Mutterentbehrung

von Mary D. Salter Ainsworth

14. Kapitel: Ungelöste Probleme... 159 15. Kapitel: Die Ergebnisse neuerer Untersuchungen... 168 Schluss... 199

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11 1. KAPITEL

Einige Ursachen seelischer Erkrankung

Zu den wichtigsten Fortschritten der Psychiatrie in den vergangenen 25 Jah- ren gehört die ständig zunehmende Erkenntnis, dass die Fürsorge, die ein Kind in den ersten Lebensjahren von den Eltern erhält, für seine spätere see- lische Gesundheit von lebenswichtiger Bedeutung ist.

Als Ergebnis dieser neuen Erkenntnisse besteht heute weitgehende Über- einstimmung unter den Erziehungsberatern in Europa und Amerika über bestimmte zentrale Begriffe. Sie sind sich über die Art und Weise einig, in der sie ihre Patienten untersuchen, studieren und diagnostizieren, in ihren Behandlungszielen und vor allem in den Theorien über die Ursachen see- lischer Erkrankungen, auf die sich ihre Arbeit gründet. Worin diese bestehen, wird im Verlauf des Buches diskutiert werden. Im Augenblick genügt die für die spätere seelische Gesundheit entscheidende Feststellung, dass sowohl Säug- ling wie Kleinkind die Erfahrung einer warmherzigen, intimen und stetigen Beziehung zur Mutter machen (oder einer gleich bleibenden Mutter-Ersatz- Person, von der es stetig „bemuttert“ wird), einer Beziehung, die für beide Befriedigung und Genuss bedeutet. Diese komplexe, reiche und lohnende Beziehung zur Mutter während der ersten Lebensjahre ist es, die dann auf zahllose Weisen durch Beziehungen zum Vater und zu Geschwistern berei- chert wird und von der die Kinderpsychiater und viele andere heute glauben, dass sie die Grundlage für die seelische Gesundheit und die Charakter- entwicklung bildet.

Einen Zustand, in dem das Kind diese Beziehung nicht besitzt, nennen wir „Mutterentbehrung“. Dies ist ein allgemeiner Begriff und kann auf eine Reihe verschiedenartiger Zustände angewendet werden. So kann ein Kind an Mutterentbehrung leiden, auch wenn es in der Familie bei ihr (oder einer ständigen Mutter-Ersatz-Person) lebt, wenn sie ihm die für junge Kinder notwendige mütterliche Zuwendung nicht geben kann. Und ebenso leidet ein Kind an Mutterentbehrung, wenn ihm aus irgendeinem Grund die Zu- wendung der Mutter entzogen wird. Es wird sich um eine relativ leichte Ent- behrung handeln, wenn es von einem Menschen betreut wird, der ihm be- reits bekannt und vertraut ist; sie wird aber schwerwiegender, wenn die Pfle- gemutter zwar liebevoll, aber für das Kind eine Fremde ist. All diese Regelungen geben dem Kind jedoch eine gewisse Befriedigung und sind deshalb Beispiele

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für „partielle Deprivation“. Im Gegensatz dazu gibt es die beinahe „totale Deprivation“, die in Institutionen wie Säuglingsheimen und Krankenhäu- sern noch immer nichts Seltenes ist, wo es dem Kind oft an einem bestimm- ten Menschen fehlt, der in individueller Weise für es sorgt und bei dem es sich geborgen fühlen kann.

Die Schäden der Deprivation variieren mit ihrem Ausmaß nach ihrer In- tensität. Die Folgen partieller Deprivation sind Angst, exzessive Liebesan- sprüche, kraftvolle Hassgefühle, und als Folge der letzteren Schuld und De- pression. Ein körperlich und seelisch noch unreifes Kind kann sich mit die- sen Gefühlen und Trieben noch nicht auseinander setzen. Seine Reaktion auf diese Störungen seines innerseelischen Lebens kann zur Entwicklung nervö- ser Störungen und charakterlicher Labilität führen. Die totale Deprivation, mit der wir uns in diesem Buch vor allem beschäftigen werden, hat auf die charakterliche Entwicklung noch tieferreichenden Einfluss und kann die Fä- higkeit zum Kontakt mit anderen Menschen völlig zerstören. Viele Forscher haben die Beziehung zwischen „zerstörten Familien“ und der Unfähigkeit der Kinder studiert, sich auf das Zusammenleben mit anderen einzustellen.

Aber obwohl diese Studien die weitreichende Bedeutung der frühkindlichen Erfahrung im Elternhaus bewiesen haben, bringt der Begriff der „zerstörten Familie“ zu viele verschiedene Faktoren ins Spiel, um eine befriedigende Klas- sifizierung für wissenschaftliche Arbeit zu sein. Es ist daher besser, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die sich entwickelnde Beziehung des Kindes zu Vater und Mutter richten. Wenn wir dies tun, hellt sich vieles am Ursprung seelischer Erkrankung auf.

Die Fruchtbarkeit dieses Standpunktes wird durch eine Studie an 102 ju- gendlichen Delinquenten illustriert, die im Alter zwischen 15 und 18 Jahren in einem englischen Fürsorgeerziehungsheim lebten. Sie zeigte deutlich, wie die aus unbefriedigenden frühkindlichen Beziehungen entstandenen Ängste die Kinder dazu veranlassten, in antisozialer Weise auf spätere Anforderun- gen zu reagieren. Die meisten dieser frühkindlichen Ängste der Jugendlichen waren typische Reaktionen auf Mutterentbehrung.

Natürlich gibt es neben der Deprivation, die durch Trennung oder ein- deutige Ablehnung entsteht, viele andere krankmachende Mutter-Kind-Be- ziehungen. Am häufigsten sind:

a) eine liebevolle Einstellung, unter der sich eine unbewusst ablehnende verbirgt,

b) ein exzessives Verlangen nach Liebe und Geborgenheit bei der Mutter c) die Befriedigung, die eine Mutter durch das Verhalten des Kindesund

unbewusst erzielen kann, während sie meint, es zu tadeln.

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13 Mit diesen Themen beschäftigt sich das Buch jedoch nicht, auch die Bezie- hung zum Vater behandelt es nicht im Einzelnen. Fast unser gesamtes Be- weismaterial stützt sich nämlich auf die Beziehung des Kindes zur Mutter, die unter normalen Verhältnissen zweifellos bei weitem die wichtigste Beziehung in diesem Lebensabschnitt ist. Es ist die Mutter, die das Kind füttert und pflegt, die es wärmt und tröstet. Es ist die Mutter, an die sich das Kind wen- det, wenn es Kummer hat. Vom Standpunkt des kleinen Kindes betrachtet, spielt der Vater nur die zweite Geige, und seine Bedeutung vergrößert sich nur in dem Maß, als es lernt, selbstständiger zu werden.

Wie das uneheliche Kind erfährt, haben jedoch auch die Väter sogar in der Säuglingszeit ihre Bedeutung. Sie sorgen nicht nur für ihre Frauen, damit diese sich unbegrenzt um den Säugling oder das Kleinkind kümmern kön- nen; sondern, indem sie ihr Liebe und Zuwendung erweisen, stärken sie die Mutter gefühlsmäßig und helfen ihr, jene harmonische und innerlich zufrie- dene Stimmung zu bewahren, die für das Gedeihen des Kindes lebensnot- wendig ist. Während im Folgenden ständig auf die Mutter-Kind-Beziehung verwiesen wird, haben wir über die Vater-Kind-Beziehung nur wenig zu sa- gen. Ihre Bedeutung bei der materiellen und gefühlsmäßigen Unterstützung der Mutter wird als gegeben vorausgesetzt.

Die Theorien, die den Ursprung seelischer Störungen im Familienleben sehen, wurden von Sigmund Freud und anderen Anhängern der von ihm gegründeten psychoanalytischen Schule aufgestellt. Ein großer Teil der For- schungsarbeit, auf die wir uns in diesem Buch beziehen, stammt in der Tat von Psychiatern und Psychologen, die von diesen Voraussetzungen ausge- hen. Diese Theorien befinden sich natürlich in starkem Gegensatz zu jenen, die sich vor allem auf konstitutionelle und erbliche Faktoren stützen und die Vererbung für fast alles verantwortlich machen. Es mag genügen zu sagen, dass die Bedeutung von Anlage und Erziehung in ihrer relativen Wertigkeit noch nicht klar fassbar ist. In diesem Zusammenhang tut man gut, sich zu erinnern, dass neuere Forschungen über das vorgeburtliche Leben bei Mensch und Tier immer mehr Beweise dafür erbracht haben, dass schädigende Ein- flüsse der Umgebung vor der Geburt Wachstums- und Entwicklungsstörun- gen zur Folge haben können, die in der Vergangenheit als erbbedingt ange- sehen wurden. Dieser wichtige Befund findet seine genaue Parallele in der Psychologie, wie wir später sehen werden. Es muss jedoch betont werden, dass derartige Befunde in keiner Weise den Theorien über den Einfluss von Erbfaktoren widersprechen, es sei denn, dass man behaupten wollte, dass Erbfaktoren allein für alle Unterschiede im menschlichen Verhalten verant- wortlich seien. Es gibt in der Tat Gründe für die Annahme, dass Erbfaktoren ebenfalls eine Rolle spielen, und es würde den größten wissenschaftlichen

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Fortschritt bedeuten, wenn es gelänge, die beiderseitige Wechselwirkung zu klären.

Ein zweites weitreichendes biologisches Prinzip stammt ebenfalls aus den Forschungen über das vorgeburtliche Leben. Es ist die Entdeckung, dass die schädigenden Wirkungen auf ein ungeborenes Menschen- oder Tierkind, seien es nun Vergiftungen, Infektionen oder andere Schäden, sich nicht nur durch die Art der Verletzung und die Struktur und Funktion des betroffenen Gewe- bes unterscheiden, sondern dass sie sich auch unterschiedlich auswirken je nach dem Reifegrad des Kindes zur Zeit der Schädigung.

Ein besonders interessantes Beispiel, dessen Entdeckung wir einem austra- lischen Arzt verdanken, betrifft die Schädigung eines Ungeborenen, dessen Mutter an Röteln erkrankt war. Wenn sie die Krankheit sehr früh in der Schwangerschaft bekommt – zwischen der sechsten und zehnten Woche –, besteht große Gefahr, dass das Rötelvirus Schaden anrichten wird, vor allem an Augen und Ohren, die zu jener Zeit gerade am Beginn ihrer Bildung sind, wodurch Blindheit und Taubheit entstehen können. Erkrankt die Mutter frü- her oder später, so besteht keine Gefahr. Es gibt demnach eine umschriebene Zeitspanne, nämlich wenn das Organ gerade gebildet wird, in der die Gefahr der Schädigung am größten ist.

Vieles spricht für die Annahme, dass auf gleiche Weise emotionale Erfah- rungen auf sehr frühen oder aber kritischen Stufen der seelischen Entwick- lung besonders tief greifende und lang anhaltende Wirkungen haben kön- nen. Durch eine Reihe von Forschungen europäischer Biologen hat sich dies für Vögel und Hunde als zutreffend erwiesen. Das Verhalten erwachsener Vögel zu ihresgleichen und natürlich zu ihren Partnern wird durch die Art und Weise, wie in früher Jugend für sie gesorgt worden ist, entscheidend beeinflusst. Tatsächlich reagieren manche Vögel derart feinfühlig auf denje- nigen, der sofort nach dem Schlüpfen für sie sorgt, dass, wenn es ein Mensch tut, sie sich statt an ihresgleichen innig an ihn anschließen und sich später auch in Menschen verlieben!

Glücklicherweise reagieren die höheren Tiere nicht ganz so empfindlich wie die Vögel auf das Wesen, das in früher Kindheit für sie sorgt. Dennoch wissen wir, dass es sich bei einem Hund in den ersten Monaten entscheidet, wen er zu seinem Herrn wählt. Das trifft in besonderem Maße auf Chow- Hunde zu. Wenn man sich auf die Ergebenheit eines Chow-Hundes verlas- sen können will, muss man ihn selbst aufziehen und auf keinen Fall später als im Alter von vier bis fünf Monaten damit beginnen.

Diese Beispiele mögen genügen, um den Leser mit der prinzipiellen Er- kenntnis vertraut zu machen, dass Ereignisse in der frühesten Lebenszeit tiefe und weitreichende Wirkungen haben können, und ihm zu zeigen, dass die in

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15 diesem Buch angeführten Theorien, abgesehen von ihrer eigenen Beweiskraft, sich auch in strenger Übereinstimmung mit dem befinden, was die Biologie für die leibliche und seelische Entwicklung als zutreffend erkannt hat.

Aber bevor wir mit unserem Bericht über all die traurigen Folgen bei jenen Kindern beginnen, die ohne mütterliche Pflege blieben, mag es angebracht sein, ein Wort zur Beruhigung der Mütter zu sagen. Einige unter ihnen, die von den durch Deprivation bedingten schweren Schäden lesen, werden sich vielleicht fragen, ob sie denn selbst in der Lage sein werden, ihren Kindern das zu geben, was sie brauchen. Hier müssen wir darauf hinweisen, dass die beschriebenen Fälle sich auf Kinder beziehen, die alles entbehrt haben und seelisch vollständig allein gelassen worden sind. Es ist genau die Art von Für- sorge, die eine Mutter gibt, ohne viel darüber nachzudenken, was diese Kin- der entbehrt haben. Es sind all jene zärtlichen Spiele, all die mit dem Stillen verbundenen Intimitäten, durch die es die von der mütterlichen Nähe ausge- hende Geborgenheit erlebt, die Vorgänge beim Waschen und An- und Aus- kleiden, bei denen es die stolze Zärtlichkeit der Mutter bei der Berührung seiner kleinen Glieder spürt, durch die es den Wert seiner Person erkennt. All dies hat bei den beschriebenen Kindern gefehlt. Die einem Kind normaler- weise entgegengebrachte Liebe und Freude der Mutter sind Nahrung für sei- ne Seele. Auch hier wirkt ein Vergleich mit der leiblichen Gesundheit erhel- lend. Die Muttermilch enthält die erforderliche Nahrung genau in der richti- gen Zusammensetzung, eine chemische Analyse ist überflüssig. Nur wenn die Gabe der Natur fehlt, muss die Wissenschaft erforschen, wie die Milch zusammengesetzt ist, um das beste Resultat für die künstliche Ernährung zu erhalten.

Das absolute Bedürfnis von Säuglingen und Kleinkindern nach der konti- nuierlichen Zuwendung der Mutter wird allen Lesern dieses Buches so klar werden, dass einige vielleicht fragen werden: Kann ich denn dann mein Kind jemals verlassen? Obwohl wir noch weit mehr Wissen brauchen, um eine zutreffende Antwort geben zu können, sind vielleicht einige Hinweise mög- lich. Erstens müssen wir anerkennen, dass es immer eine ernste Angelegen- heit ist, ein Kind unter drei Jahren von seiner Mutter zu trennen; nur aus guten und ausreichenden Gründen ist man dazu berechtigt, und wenn die Trennung unumgänglich ist, muss sie mit großer Sorgfalt geplant werden.

Auf keinen Fall darf das Kind zu Menschen gebracht werden, die ihm unbe- kannt sind. Deshalb sollte man am besten Verwandte oder Nachbarn wählen.

Es ist sinnvoll, dass vorübergehend beide, die Mutter und die Ersatz-Mutter, das Kind versorgen, damit es sich an den neuen Menschen gewöhnen kann und die Ersatz-Mutter alle Vorlieben und Abneigungen des Kindes kennen lernen kann. Die Ersatz-Mutter sollte sich im Klaren sein, dass das Kind

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Heimweh nach der eigenen Mutter haben wird, besonders zur Zeit des Schla- fengehens, und mehr an ihr hängen und sie beanspruchen wird, als dies bei einem Kind gleichen Alters bei der eigenen Mutter der Fall ist. Lieblingsspiel- zeuge können eine besondere Bedeutung bekommen. Ein zweijähriges Kind kann durch Ansichtspostkarten und Andenken, die ihm die Mutter sendet, getröstet werden und ebenfalls durch die Versicherung, dass sie bald zurück- kehren wird. Es lohnt sich immer, diese Dinge zur Verfügung zu stellen, gleich- gültig ob sie verstanden werden oder nicht. Schließlich darf die Ersatz-Mut- ter nicht enttäuscht darüber sein, dass das Kind sie nach der Rückkehr der eigenen Mutter wie ein ausgedientes Kleidungsstück behandelt und nicht einmal Dankeschön sagt.

Die Mutter selbst muss darauf vorbereitet sein, dass das Kind bei ihrer Rückkehr verstört ist. Es mag sein, dass es ihre Hoffnungen erfüllt und sie warmherzig begrüßt, es kann aber auch vorkommen – und das darf sie nicht überraschen, dass es für einige Stunden oder Tage kühl und abweisend ist, und sie muss auch darauf gefasst sein, nicht einmal von ihm wiedererkannt zu werden – was dem mütterlichen Stolz einen schweren Schlag versetzt. Aber auch wenn der Kontakt wiederhergestellt ist, können noch Schwierigkeiten auftreten, weil das Kind vielleicht extrem anhänglich, anspruchsvoll und ei- fersüchtig ist. Wenn man diesen Ängsten verständnisvoll begegnet, wird alles allmählich wieder normal werden; aber wenn sie bestehen bleiben, können sie zur Plage werden.

Selbstverständlich wird die Mutter ihr Kleinkind nur so kurz wie möglich verlassen, obwohl es Fälle gibt, wo sie auf die Dauer der Zeit keinen Einfluss hat. Die bei der Großmutter verbrachten Ferien, auf die viele Eltern so gro- ßen Wert legen, sollten nicht länger als ein bis zwei Wochen dauern.

Wenn das Kind älter als drei Jahre ist, können gefahrlos längere Trennun- gen überstanden werden, vorausgesetzt, dass es von jemand versorgt wird, den es gern hat und dem es vertraut, und dass die unvermeidlich mit der Trennung verbundenen Ängste erkannt und respektiert werden.

Säuglinge und Kleinkinder zu versorgen, ist für jede Mutter eine anstren- gende und zeitraubende Aufgabe; aber je besser sie das Wesen ihres Kindes kennen lernt, desto leichter und befriedigender wird es für sie sein – ebenso wie ein Gärtner seine Pflanzen umso besser pflegen kann, je mehr er über ihre Natur weiß. Ist dies Verständnis vorhanden, so kann es sich die Mutter nor- malerweise leisten, auf ihr Gefühl zu vertrauen in dem beglückenden Wissen, dass es ihre zärtliche Hingabe ist, die das Kind braucht.

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