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Empirische Forschung in gesellschaftswissenschaftlichen Fachdidaktiken

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Empirische Forschung in

gesellschaftswissenschaftlichen

Fachdidaktiken

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Georg Weißeno • Carla Schelle

(Hrsg.)

Empirische Forschung in gesellschaftswissenschaft- lichen Fachdidaktiken

Ergebnisse und Perspektiven

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ISBN 978-3-658-06190-6 ISBN 978-3-658-06191-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-06191-3

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer VS

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

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Lektorat: Jan Treibel, Daniel Hawig

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media

www.springer-vs.de Georg Weißeno

Institut für Politikwissenschaft PH Karlsruhe

Karlsruhe Deutschland

Carla Schelle AG Schulpädagogik Universität Mainz Mainz

Deutschland

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V

Vorwort

Die gesellschaftswissenschaftlichen Fachdidaktiken sind in den letzten Jahren forschungsintensiver geworden. Durch die gezielte Förderung des wissenschaft- lichen Nachwuchses sind neue Studien und Forschungsschwerpunkte entstanden.

Die qualitativen und quantitativen Verfahren haben sich weiter ausdifferenziert.

Eingesetzt hat auch eine Debatte über die Qualitätskriterien. In der Politikdidaktik, die die meisten Beiträge in diesem Band versammelt, finden regelmäßig Tagungen des Arbeitskreises Fachunterrichtsforschung Politik (AFP) statt. Die Idee für die- sen Band ist dort während einer Tagung, die Anfang 2012 in Karlsruhe stattfand, entstanden. Diese Tagung zeigte, dass sich die „Community“ der empirischen Forschung zum Politikunterricht, die sich seit der Entstehung des Arbeitskreises Anfang 1990er Jahre regelmäßig zusammengefunden hat, verändert hat. Anders als noch vor etwa 10 Jahren gibt es mittlerweile mehr quantitative, teils mit Dritt- mitteln unterstützte Studien, wenngleich der Kreis der Protagonistinnen und Prot- agonisten, die diverse Projekte systematisch, vernetzt und über längere Zeiträume vorantreiben, nach wie vor übersichtlich bleibt. Dies mag charakteristisch sein für eine eher kleine Fachdisziplin.

Der Diskurs zwischen unterschiedlichen Methoden und inhaltlichen Ausrich- tungen droht immer mal wieder, anders als noch in den Jahren zuvor, abzubrechen.

Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Entwicklung, einen Befund, der auch auf andere Fachdidaktiken zutrifft. Dieser Band will den Stand empirischer Forschung dokumentieren und gleichzeitig dazu ermuntern, erneut in den fach- didaktischen Austausch zwischen unterschiedlichen methodischen Zugängen und ihren Standards und unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten einzutreten.

Angefragt wurden Beiträge, die Ansprüche der qualitativen und quantitativen Forschung in besonderem Maße erfüllen, die einen fundierten Einblick geben können sowie Perspektiven für die forschungsmethodische und themenbezogene/

inhaltliche Arbeit in der Community aufzeigen. Gerahmt sind die empirischen Bei- träge zum einen durch einführende Diskussionsbeiträge zur Weiterentwicklung

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VI Vorwort von Theorie und Methodik politikdidaktischer Forschung und zum anderen durch Überblicke aus benachbarten Fachdidaktiken, sowie einem Einblick in die Situa- tion zur politischen Bildung in der Schweiz, mit der sich für den deutschsprachigen Diskurs besondere Kooperationen entwickelt haben.

Was die Situation der empirischen politikdidaktischen Forschung anbelangt – hierunter werden in der vorliegenden Publikation quantitative und qualitative oder gemischte Designs verstanden – so lässt sich immer wieder ein Desiderat an theoretischer Fundierung ausmachen, ein Desiderat, das auch etwa für die all- gemeine Didaktik und deren Unterrichtsforschung beklagt werden kann. Dieser Befund wird in Teil I auf unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlicher Weise thematisiert. Fußend auf den Forschungsparadigmen, die auch in dieser Publika- tion präsentiert sind, kann Georg Weißeno seine Vorstellung unter Bezugnahme auf Kriterien quantitativer Forschung entwickeln. Bei Carla Schelle dient ein Über- blick der Zuspitzung hin zu offenen Fragen der qualitativen Forschung. Anders als es auf einen ersten Blick hin scheinen mag, stehen die beiden Beiträge nicht für eine Schärfung unvereinbarer Positionen, sondern vielmehr geht es um ein Auf- zeigen von Entwicklungslinien zur methodischen Profilierung der Fachdidaktik und ihrer Wahrnehmung als Fachdisziplin, die hier etwas vorlegen kann, was an anderen Stellen nicht ohne weiteres gelingen mag: unterschiedliche methodische Zugänge unter einem Dach zu präsentieren. Die Publikation soll in diesem Sin- ne – und dafür stehen vor allem die Beiträge der zumeist jungen Autorinnen und Autoren zu aktuellen Projekten – zum weiteren Austausch in der empirischen For- schung ermuntern. Beiträge zu neuen, in der Entwicklung befindlichen Studien, wie sie zuletzt auf einer Tagung des Arbeitskreises AFP im Oktober 2013 in Mainz präsentiert wurden, sind für eine nächste Publikation vorgemerkt.

Teile II und III beinhalten Studien, die sich auf das Geschehen im Unterricht beziehen bzw. auf Effekte, die der Unterricht erzeugen kann oder eben auch nicht.

Dabei stehen die Schülerinnen und Schüler und Anforderungen, die an sie gestellt sind, im Fokus der jeweiligen Fragestellung. Für die quantitativen Studien sind dies ein Beitrag Dagmar Richters zu den Concept Maps bei Viertklässlern und dem Zusammenhang von Lernerfolg und Migrationshintergrund. Für den Bereich der Sekundarstufe I beforschen Georg Weißeno, Eva Weschenfelder und Barbara Landwehr die bislang unbeachteten Zusammenhänge von Motivation, Systemver- trauen und Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern im Politikunterricht.

Monika Oberle und Johanna Forstmann untersuchen bezogen auf Kompetenzen zum Lernfeld Europa mögliche Effekte des Fachunterrichts und andere pädago- gische Maßnahmen. Das in den letzten Jahren immer bedeutsamere Feld der Auf- gabenstellung und deren Analyse nimmt Sven Oleschko unter besonderer Berück- sichtigung der dort verwendeten (Fach-)Sprache in den Blick.

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Vorwort VII

Im Teil III zu aktuellen qualitativen Studien widmen sich zwei Beiträge zentra- len Kategorien/Begriffen politischen Lernens. Christophe Straub rekonstruiert an anschaulichen Beispielen in binationaler Perspektive die Konstruktion des Bürger- bildes in Schulbüchern zum Lernfeld Politik in Frankreich und Deutschland. Luisa Lemme und Julia Neuhof rekonstruieren aus der Schülerperspektive Sichtweisen/

Vorstellungen zum Staat. Beide Studien können Befunde aufzeigen, die darauf schließen lassen, dass sich die Darstellungsweisen in Schulbüchern und die Dis- kurse im Unterricht weniger eindeutig fassen lassen als vielleicht vermutet.

Im Teil IV werden die Ergebnisse verschiedener quantitativer Studien zu den Kompetenzen von Studierenden und Politiklehrkräften präsentiert, die zuvor nicht in der Fachdisziplin und nicht über längere Zeiträume untersucht wurden. Das Ka- pitel beginnt mit einem Beitrag zu den Zusammenhängen von Überzeugungen und Fachinteresse von Studierenden in Hinblick auf die Entwicklung professionellen Wissens als künftige Politiklehrkräfte. In dem daran anschließenden Beitrag der- selben Autorenschaft werden erste Erkenntnisse bezüglich der Selbstwirksamkeits- überzeugungen und dem Erleben von Belastung bei Politiklehrkräften präsentiert.

Der Frage nach der Motivation Politik/Sozialwissenschaften zu studieren und den Beruf der Politiklehrerin/des Politiklehrers zu ergreifen, widmen sich Dorothea Gronostay und Sabine Manzel in einer Quasi-Längsschnitterhebung. Wenn auch die vorgestellten Befunde noch in Folgestudien zu erhärten sind, so können doch bislang verbreitete Vorstellungen hinterfragt werden.

Die Publikation abschließend wurden Vertreterinnen und Vertreter der Fachdi- daktiken Ökonomie, Geschichte, Geographie gebeten, einen Einblick in den Stand der empirischen Forschung dort zu geben, und es lässt sich erkennen, dass die gesellschaftlichen Fachdidaktiken durchaus anschlussfähig scheinen an eine empi- rische Schul- und Bildungsforschung, die ihrerseits häufig die kleineren Fächer aus dem Blick verliert. Abgerundet wird der Band durch die Befunde und die Anliegen der empirischen Forschung in der deutschsprachigen Schweiz.

Mainz und Karlsruhe, im April 2014 Carla Schelle

Georg Weißeno

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IX

Inhaltsverzeichnis

Teil I Desiderate in politikdidaktischer Theorie und Empirie

1 Konstruktion einer politikdidaktischen Theorie . . . 3 Georg Weißeno

2 Ergebnisse, Methoden und Internationalität in der qualitativen

Forschung zum Politikunterricht . . . 21 Carla Schelle

Teil II Quantitative Studien zum Politikunterricht 3 Politisches Lernen mit und ohne Concept Maps bei

Viertklässlern – eine Interventionsstudie . . . 37 Dagmar Richter

4 Motivation, Systemvertrauen und Leistungsfähigkeit

von Schülerinnen und Schülern im Politikunterricht . . . 53 Georg Weißeno, Eva Weschenfelder und Barbara Landwehr

5 Effekte des Fachunterrichts ‚Politik und Wirtschaft‘ auf

EU-bezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern . . . 67 Monika Oberle und Johanna Forstmann

6 Lernaufgaben und fachdidaktische Aufgabenanalyse in

Politik. Zur Bedeutung der Sprache bei Aufgabenanalysen . . . 83 Sven Oleschko

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X Inhaltsverzeichnis

Teil III Qualitative Studien zum Politikunterricht

7 „Le conseil municipal des enfants“ – Zur Konstruktion des citoyen in einem französischen Schulbuch für den

Politikunterricht . . . 99 Christophe Straub

8 Verstehensweisen von Staat – eine empirische Untersuchung

der Lernersicht . . . 111 Luisa Lemme und Julia Neuhof

Teil IV Quantitative Studien zur Entwicklung professioneller Kompetenz

9 Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Belastungserleben

von Politiklehrkräften . . . 129 Monika Oberle, Eva Weschenfelder und Georg Weißeno

10 Überzeugungen, Fachinteresse und professionelles Wissen von

Studierenden des Lehramts Politik . . . 139 Georg Weißeno, Eva Weschenfelder und Monika Oberle

11 Entwicklung der professionellen Kompetenz von Studierenden im Lehramt Sozialwissenschaften – Erste Ergebnisse einer

Quasi-Längsschnitterhebung zur Berufswahlmotivation . . . 155 Dorothee Gronostay und Sabine Manzel

Teil V Berichte aus den deutschsprachigen Fachdidaktiken Ökonomie, Geschichte, Geographie, Politische Bildung 12 Ökonomische Kompetenzen: Konzeptuelle Grundlagen und

empirische Befunde . . . 169 Susan Seeber, Stephan Schumann und Reinhold Nickolaus

13 Empirische Lehr-Lern-Forschung im Fach Geschichte . . . 185 Michele Barricelli und Michael Sauer

14 Empirische Forschung in der Geographiedidaktik – Entwicklung, Formate, Perspektiven . . . 201 Michael Hemmer

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Inhaltsverzeichnis XI

15 Auf reichlich undefiniertem Terrain – ein Kompetenzraster

Politische Bildung. . . 211 Béatrice Ziegler, Claudia Schneider und Vera Sperisen

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XIII

Autorinnen und Autoren

Michele Barricelli Historisches Seminar, Universität Hannover, 30167 Hanno- ver, Deutschland

Johanna Forstmann Institut für Politikwissenschaft, Universität Göttingen, 37073 Göttingen, Deutschland

Dorothee Gronostay Institut für Politikwissenschaft, Universität Duisburg-Es- sen, 45117 Essen, Deutschland

Michael Hemmer Institut für Didaktik der Geographie, Universität Münster, 48149 Münster, Deutschland

Barbara Landwehr Institut für Politikwissenschaft, PH Karlsruhe, 76133 Karlsruhe, Deutschland

Luisa Lemme Institut für Politikwissenschaft, Universität Bremen, 28359 Bre- men, Deutschland

Sabine Manzel Institut für Politikwissenschaft, Universität Duisburg-Essen, 45117 Essen, Deutschland

Julia Neuhof Institut für Politikwissenschaft, Universität Bremen, 28359 Bre- men, Deutschland

Reinhold Nickolaus Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Stuttgart, 70174 Stuttgart, Deutschland

Monika Oberle Institut für Politikwissenschaft, Universität Göttingen, 37073 Göttingen, Deutschland

Sven Oleschko Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Universität Duisburg-Es- sen, 45117 Essen, Deutschland

Dagmar Richter Sachunterricht und seine Didaktik, Technische Universität Braunschweig, 38106 Braunschweig, Deutschland

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XIV Autorinnen und Autoren Michael Sauer Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Universität Göttin- gen, 37073 Göttingen, Deutschland

Carla Schelle AG Schulpädagogik, Universität Mainz, 55128 Mainz, Deutschland Claudia Schneider Zentrum für Demokratie Aarau, Pädagogische Hochschule FHNW, 5000 Aarau, Schweiz

Stephan Schumann Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Universität Kons- tanz, 78457 Konstanz, Deutschland

Susan Seeber Wirtschaftspädagogik, Universität Göttingen, 37073 Göttingen, Deutschland

Vera Sperisen Zentrum für Demokratie Aarau, Pädagogische Hochschule FHNW, 5000 Aarau, Schweiz

Christophe Straub AG Schulpädagogik, Universität Mainz, 55128 Mainz, Deutschland

Georg Weißeno Institut für Politikwissenschaft, PH Karlsruhe, 76133 Karlsruhe, Deutschland

Eva Weschenfelder Institut für Politikwissenschaft, PH Karlsruhe, 76133 Karls- ruhe, Deutschland

Béatrice Ziegler Zentrum für Demokratie Aarau, Pädagogische Hochschule FHNW, 5000 Aarau, Schweiz

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Teil I Desiderate in politikdidaktischer

Theorie und Empirie

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3

Konstruktion einer

politikdidaktischen Theorie

Georg Weißeno

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

G. Weißeno, C. Schelle (Hrsg.), Empirische Forschung in gesellschaftswissenschaftlichen Fachdidaktiken, DOI 10.1007/978-3-658-06191-3_1

G. Weißeno ()

Institut für Politikwissenschaft, PH Karlsruhe, 76133 Karlsruhe, Deutschland E-Mail: Weisseno@ph-karlsruhe.de

1

1.1 Anlass und Ziel der Überlegungen

Mit den Konstanzer Beschlüssen hat sich die Kultusministerkonferenz (1999) für die outputorientierte Umsteuerung des Bildungssystems entschieden. 2003 und 2004 wurde die Überprüfung der erreichten Kompetenzen in einigen Fächern be- schlossen. Diese Entscheidungen trafen die Politikdidaktik unvorbereitet. Die Poli- tikdidaktik war bis dahin damit beschäftigt, Prinzipien, Orientierungen, Kategorien etc. zu diskutieren und beständig zu erweitern. Über den Outcome des Politikunter- richts wurde bis dahin nicht ernsthaft diskutiert. Systematische und theoriegeleitete Forschung lagen für solche Zielsetzungen nicht vor. Die vorerst letzte international vergleichende Civic Education Studie (2002), die dem Politikunterricht ein me- diokres Abschneiden bescherte, blieb ebenfalls weitgehend unbeachtet.

Die Politikdidaktik hatte sich bis 2003 nicht mit den theoretischen Grundlagen der durch die Klieme-Kommission (2003) eingeführten psychologischen Kompe- tenzbegriffe beschäftigt. Sie diskutierte weitgehend unabhängig von der Entwick- lung in anderen Wissenschaften eigene Fragestellungen. Vorgeschlagen wurden die vagen Zielbeschreibungen der Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz nach Hein- rich Roth (1971; Massing 2002) oder die Bürgerkompetenz (Massing 1999), die die zu wünschenden Qualitäten menschlichen Denkens und Handelns beschreiben sollen. Ab 2003 aber wurde die Diskrepanz zu den Grundlagendiskussionen in der Erziehungswissenschaft und anderen Fachdidaktiken (Mathematik und Naturwis-

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4 G. Weißeno senschaften) den Politikdidaktiker/-innen deutlich. In der Folge suchten Politikdi- daktiker/-innen den Anschluss an diese Diskussionsstände über die psychologische kontextspezifische Kompetenz, die als grundlegend für alle Fachdidaktiken ange- sehen wurde (Klieme und Leutner 2006).

Um eine Antwort auf den Wandel in der Bildungspolitik und in den Nachbar- disziplinen geben zu können, braucht die Politikdidaktik eine Auseinandersetzung über die Konstruktion eigenständiger Theorien. Insbesondere durch den psycho- logischen kontextspezifischen Kompetenzbegriff und dessen wissenschaftstheo- retischer Grundlegung wurde das Desiderat der Definition einer eigenständigen Politikdidaktik sichtbar. Dieses Desiderat versucht der vorliegende Beitrag mit einem Vorschlag aufzuarbeiten. Es ist zu zeigen, dass die Begriffe der Politikkom- petenz und der professionellen Kompetenz bzw. ihre Modelle eine Eigenständig- keit der Disziplin begründen. Neben der Frage, was der empirische Gehalt einer politikdidaktischen Theorie (eines Modells) ist, muss ebenfalls die Frage nach der wissenschaftstheoretischen Grundlegung des Theoriebegriffs gestellt werden. Es soll vorab angemerkt werden, dass in den wissenschaftstheoretischen Positionen (Suppes 2002; van Fraassen 1980; Suppe 1989) Modelle einer Theorie unterschie- den werden. In dieser Arbeit sind Modell und Theorie jedoch synonym verwendet.

Der Beitrag knüpft an ältere Definitionsvorgaben an und beschreibt, was unter ontologischer Perspektive heute unter politikdidaktischen Theorien bzw. Modellen verstanden werden kann. Dabei wird versucht zu klären, wie die Erfahrungswelt Politikunterricht unter der Annahme einer Kompetenz beschaffen ist. Unter Einbe- zug politikwissenschaftlicher und pädagogisch-psychologischer Elemente wird ein Modell der Politikkompetenz konstituiert. Abschließend soll die methodologisch- epistemologische Auffassung von Politikdidaktik anhand des Politikkompetenz- modells vorgestellt werden. Was können wir über diese Theorie wissen und mit welcher Methodologie erreichen wir das Wissen? Im vorliegenden Beitrag steht jedoch die Methodologie der Wissensmessung im Vordergrund.

1.2 Definitionen der Politikdidaktik

Ab wann man von Politikdidaktik sprechen kann, ist nicht einfach zu bestimmen.

Nach dem zweiten Weltkrieg beschäftigten sich zunächst Erziehungs- und Politik- wissenschaftler mit politischer Bildung. In einigen Bundesländern gab es schon schulischen Politikunterricht, der z. T. sogar durch Landesverfassungen geschützt ist. Es gab aber noch keine Lehrerausbildung. Ab Ende der sechziger Jahre des ver- gangenen Jahrhunderts wurden die ersten Lehrstühle für die Didaktik des Schul- faches eingerichtet. In der Folge sprach man vermehrt von Politikdidaktik. Die

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1 Konstruktion einer politikdidaktischen Theorie 5

Entstehungsgeschichte der Disziplin ist deshalb von den beiden Wissenschaften geprägt, die auch heute noch die wichtigsten Bezugsdisziplinen sind.

Diese Nachbardisziplinen schreiben der Politikdidaktik den Status einer An- wendungswissenschaft zu. Erziehungswissenschaftler/-innen – soweit sie sich überhaupt mit den Fachdidaktiken beschäftigen – erwarten mitunter, dass die Fachdidaktiken allgemeindidaktische Theorien anwenden (Terhart 2009). Das gleiche gilt auch für interessierte Politikwissenschaftler/-innen. Sie schreiben der Politikdidaktik die Aufgabe zu, den Lernenden Ergebnisse der Politikwissenschaft zu vermitteln und die Ziele demokratiewissenschaftlich auszurichten und zu legi- timieren. Nach ihrer Auffassung soll die Politikdidaktik „Orientierungswissen zur Verfügung stellen, dieses politische System und seine Kultur zu erkennen“ (Ober- reuter 2009, S. 12). In enzyklopädischer Perspektive verdankt die Politikdidaktik ihre Stellung dieser Auffassung. Wegen des Fachbezugs ist sie deshalb in der Regel in den Instituten für Politikwissenschaft angesiedelt, was heute noch plausibel er- scheint. Die Definitionsversuche von Fach- und Erziehungswissenschaftlern ma- chen bereits deutlich, dass die Politikdidaktik ganz allgemein zwischen Bildungs- wissenschaften und Politikwissenschaft anzusiedeln ist (vgl. Rothgangel 2012).

Ältere Definitionen der Politikdidaktik von Fachdidaktikern knüpfen an die Zwischenstellung an und beziehen sich auf Klassifikationen der Ziele des Poli- tikunterrichts. Die Gründungsväter sehen ihre Aufgabe in der „Bestimmung des Erziehungsziels, der Stoffauswahl und Unterrichtsverfahren aus einem Begriff des Politischen, der eine am Gemeinwohl orientierte Theorie vom Staat und Politik umfasst“ (Sutor 1971, S. 27). Es geht um die Vermittlung von Zielen und Inhalten aus der Politikwissenschaft durch geeignete Unterrichtsverfahren. Gagel (1983) formuliert diese Position einer Vermittlungswissenschaft noch deutlicher: „Das Verhältnis der Fachwissenschaften zu Lernenden wird als Kommunikationspro- zess, als ein Vermittlungsvorgang dargestellt. In diesem Prozess hat die Fachdi- daktik die Funktion des Filters“ (Gagel 1983, S. 30). Politikdidaktik als Vermitt- lungswissenschaft übernimmt Vorstellungen der Politikwissenschaft, sei es die aristotelische Betrachtung (Sutor) oder das Bearbeiten von Erkenntnisproblemen (Gagel). Die Vermittlungswissenschaft betrachtet das „von oder für Schüler er- wünschte Verhalten“ (Ebenda, S. 17). Diese Definitionen berücksichtigen bereits, dass sich die Politikdidaktik mit der Erfahrungswelt der Schüler/-innen beschäf- tigt. Aber Ausgangspunkt bleibt die normative Betrachtung und die Heranziehung der Politikwissenschaft und der Pädagogik. Die Eigenständigkeit der Politikdidak- tik, soweit sie erwünscht ist, bleibt vage. Weitgehend unberücksichtigt bleiben hier Beschreibungen der Phänomene des Politikunterrichts.

Die älteren Ansätze formulieren in epistemisch-methodologischer Perspekti- ve Begrifflichkeiten verbal und nehmen sie als a priori wahr an. Eine empirische

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6 G. Weißeno Überprüfung ist deshalb nicht erforderlich. Entfernt man sich von den normativen Zielsetzungen und versucht, die Erfahrungswelt ‚Politikunterricht‘ zum Ausgangs- punkt zu machen, muss das Fundament ihrer wissenschaftlichen Beschreibung bzw. die hier vertretene ontologische Basis eingeführt werden. Hierzu wird zu- nächst die Erfahrungswelt eingegrenzt.

1.3 Erfahrungswelt Politikunterricht und Gegenstand der Politikdidaktik

Im Politikunterricht gibt es viele Phänomene, die untersucht werden können. Will man diesen Gegenstandsbereich analysieren, kommt das beobachtbare Verhalten von Schüler/-innen und Lehrkräften in den Blick und wird zum Fundament wis- senschaftlicher Herangehensweise (vgl. Chalmers 2007, S. 7). Die Schüler/-innen lernen, sich mit Politik auseinanderzusetzen. Referendar/-innen und Lehrer/-innen präsentieren Materialien zu politischen Fragestellungen, stellen Lernaufgaben, fra- gen und diskutieren mit den Schüler/-innen. Die Schüler/-innen äußern Verständ- nisschwierigkeiten, urteilen und meinen, kritisieren die Meinungen anderer, ver- stehen die Lernaufgaben nicht. Sie sind mehr oder weniger interessiert am Unter- richt, können ihre Positionen unterschiedlich elaboriert versprachlichen, lernen gerne oder nicht, erledigen Hausaufgaben etc. Lehrer/-innen wählen Schulbücher aus, können Schüleräußerungen mehr oder weniger gut einordnen, achten auf Me- thodenvariationen, können Unterricht strukturieren, erkennen Fehlkonzepte, haben viel oder wenig Wissen usw. Das Bildungssystem gibt über Stundentafeln Rah- menbedingungen vor. Alle genannten Phänomene sind fachbezogen analysierbar.

Der Bezug zur Domäne Politik ist gegeben.

Darüber hinaus zeigen sich im Unterricht eine Reihe weiterer Phänomene wie das Klassenklima, die Lehrer-Schüler-Beziehung, gegenseitiges Vertrauen, Er- munterung, Tadel oder Aufforderung usw. Dies sind pädagogische Phänomene, die zwar mit den gerade genannten fachbezogenen zusammen wirken, aber im Kern von den interdisziplinären allgemeinen Bildungswissenschaften beschrieben wer- den. Sie sind im Unterricht aller Fächer auffindbar und wirken auf den Lernerfolg in allen Fächern, auch im Politikunterricht. Alle rein pädagogischen Phänomene des Schulalltags können nicht Gegenstand einer politikdidaktischen Theorie wer- den, weil sie nicht fachbezogen beschreibbar sind. Eine fachbezogene Perspektive hat vielmehr immer die Anknüpfungspunkte zur Politikwissenschaft auszuweisen.

Erziehungswissenschaftliche Begrifflichkeiten erfassen und beschreiben nicht die fachbezogenen Lehr-Lern-Prozesse im Politikunterricht. Pädagogische Be- grifflichkeiten wie z. B. Selbstentfaltung und Mündigkeit werden immer wieder

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1 Konstruktion einer politikdidaktischen Theorie 7

neu diskutiert. Über diese Fragen gibt es einen breiten erziehungswissenschaft- lichen Diskurs, auf den hier nicht eingegangen wird. Beide Begriffe sind eher an- thropologisch im Sinne eines Menschenbildes aufzufassen und können deshalb kaum als eine Beschreibung der Erfahrungswelt betrachtet werden (vgl. Klieme und Hartig 2007). Sie sind nicht mit einer politikdidaktischen Theorie vereinbar, sondern Teil ihres normativen Rahmens. Dazu zählen des Weiteren die vielfältigen philosophischen Betrachtungen zum mündigen Bürger, zum Bürgerleitbild etc. im politikdidaktischen Diskurs. Sie stellen das normative Korrektiv der politikdidak- tischen Theorie dar, das dem obersten Wissenschaftsziel einer Beschreibung der Phänomene des Politikunterrichts erst klaren Sinn verleiht und von der Theorie normalerweise vorausgesetzt wird (Schurz 2011, S. 24). Über Sinn und Ziele kön- nen keine theoretischen Aussagen getroffen werden, die approximativ wahr sind.

Die Modelle der Politikdidaktik müssen sich aber unter Voraussetzung des norma- tiven Korrektivs rechtfertigen lassen.

Die Politikdidaktik hat sich auf die Unterrichtspraxis zu beziehen und ist eine Wissenschaft vom Menschen. Es geht immer um einzelne Individuen, um Leh- rer/-innen und Schüler/-innen. Die pädagogische Psychologie ist gleichfalls eine Wissenschaft vom Menschen, betrachtet die Schüler/-innen und Lehrkräfte aber allgemein hinsichtlich ihrer Informationsverarbeitung. Übertragen auf den schuli- schen Bereich kann der kognitionspsychologische kontextspezifische Kompetenz- begriff (psychologische Eigenschaft bzw. Leistungsdisposition) zur Beschreibung der Lernprozesse herangezogen werden. Deutlich wird, dass die politikdidaktische Analyse der Erfahrungswelt von Schüler/-innen und Lehrkräften aufgrund der Kontextspezifität immer mit pädagogischer Psychologie verbunden ist. Kontext- spezifisch bezieht sich im Politikunterricht dann darauf, dass politikwissenschaft- liche Begrifflichkeiten situationsbezogen anzuwenden sind.

Das Zusammenspiel von Politikwissenschaft und pädagogischer Psychologie stellt noch eine Lücke dar, die die pädagogische Psychologie und die Politikwis- senschaft in der Beschreibung der Phänomene des Politikunterrichts hinterlassen.

Dies ist durch die Politikdidaktik zu füllen. Dabei ist sie zwar auf beide Nach- bardisziplinen verwiesen, hat aber eine eigene fachbezogene Perspektive. Der all- gemeine kognitionspsychologische Begriff der Kompetenz muss für die Analyse fachbezogener unterrichtlicher Phänomene formuliert werden. Hier ist der An- knüpfungspunkt zu einer politikdidaktischen Perspektive.

Die Beschreibung des politikdidaktischen Gegenstandsbereichs hat erste Hin- weise für mögliche ontologische und epistemologische Gesichtspunkte einer poli- tikdidaktischen Theorie geliefert. Deshalb kann jetzt ein Definitionsvorschlag für eine kompetenzbasierte Politikdidaktik, die die Eigenständigkeit als einen Kern der Fachdidaktik betont, gegeben werden: Die Politikdidaktik bestimmt die Dimensio-

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8 G. Weißeno nen der Politikkompetenz der Schüler/-innen und der professionellen Kompetenz der Lehrkräfte mit der jeweiligen Auswahl politikwissenschaftlicher Zugänge und Gegenstände sowie ihrer lehr-lern-theoretischen Grundlagen. Die Politikdidaktik analysiert und beschreibt des Weiteren die durch diese Begrifflichkeiten im und durch den Politikunterricht (Erfahrungswelt) entstehenden Phänomene. Sie reprä- sentiert ihre Begriffe in Modellen (Theorien) und überprüft sie empirisch. Mit die- ser Arbeitsdefinition sollen andere inhaltliche Schwerpunkte nicht ausgeschlossen werden. Alternative Definitionen sollten aber die Eigenständigkeit gleichfalls auf- zeigen.

Um den vorgelegten Definitionsvorschlag zu konkretisieren, wird auf vertie- fende Forschungsfragen zu den ontologischen und methodologisch-epistemologi- schen Annahmen eingegangen. 1) Welche pädagogisch-psychologischen Zugänge und Begrifflichkeiten sind heranzuzuziehen? 2) Welche politikwissenschaftlichen Zugänge und Begrifflichkeiten beinhaltet eine politikdidaktische Theorie? 3) Auf welchen epistemisch-methodologischen Annahmen beruht eine politikdidaktische Theorie? Im Folgenden wird zunächst geklärt, wie die Politikdidaktik die psycho- logischen Begrifflichkeiten für den eigenen Gegenstand verarbeiten kann.

1.4 Pädagogisch-psychologische Bezüge politikdidaktischer Theoriebildung

Um die Verarbeitung der politischen Erfahrungswelt durch die Schüler/-innen und Lehrkräfte beschreiben zu können, benötigt die Politikdidaktik Annahmen. Die hierzu notwendigen ontologischen Annahmen kann die Politikdidaktik der kog- nitionspsychologischen Theorie der Informationsverarbeitung entnehmen. „Dabei werden kognitive Prozesse in eine Reihe von Einzelschritten zerlegt, in denen eine abstrakte Größe, die Information, verarbeitet wird“ (Anderson 2001, S. 12).

Visuelle und verbale Informationen werden im Gedächtnis repräsentiert und ver- arbeitet. Es entstehen mentale Vorstellungen. Gelernt wird dadurch, dass sich im Gedächtnis Informationen und Erfahrungen in Strukturen (kognitiven Landkarten) zunehmend verfangen, die bei allen menschlichen Gehirnen Ähnlichkeiten auf- weisen (Solso 2005, S. 11). Neue Informationen werden symbolisiert (Wissens- repräsentation) und mit den Dingen, die bereits im Gedächtnis gespeichert sind, in Zusammenhang gebracht. Lernen bzw. erfolgreicher Informationserwerb hat etwas zu tun mit der neurologischen Entwicklung, der Entwicklung sensorischer Register, fokaler Aufmerksamkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit, mit effekti- ven Strategien bei der Auswahl und Nutzung von Informationen (Ebenda, S. 363).

Diese allgemeinen Annahmen sind von der Politikdidaktik mit der politischen Er-

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1 Konstruktion einer politikdidaktischen Theorie 9

fahrungswelt in Verbindung zu bringen. Zu klären ist, wie das zielgerichtete Ver- arbeiten politischer Begrifflichkeiten durch die Schüler/-innen oder Lehrkräfte erfolgt. Hierzu bedarf es eines Modells, das den auf die politische Erfahrungswelt bezogenen Wissensstand und Aufbau erklärt (Kontextspezifität).

Die Konkretisierung einer zielgerichteten Informationsverarbeitung erfolgt über den Kompetenzbegriff. „Kompetenz wird durch Erfahrung und Lernen sowie äußere Interventionen und institutionalisierte Bildungsprozesse erworben und be- einflusst“ (Fleischer et al. 2012, S. 1). Kompetenz zeigt sich in der Performanz unterrichtlichen Handelns und wird dadurch operationalisierbar. Deshalb ist dieser Kompetenzbegriff nicht mit einer menschlichen Qualität, wie in der Pädagogik angenommen, zu verwechseln. Kompetenz ist keine Intelligenz, obwohl sie mit ihr positiv korreliert. Intelligenz ist ein recht stabiles Persönlichkeitsmerkmal, das zu einem Teil vererbbar ist. Sie ist eine kontext-unabhängige kognitive Grund- fähigkeit. Kompetenz ist hingegen erlernbar (Hartig und Klieme 2006, S. 130).

Kompetenz ist eine kontextspezifische, auf das Verstehen ihrer Darstellung in den Unterrichtsmaterialien oder Testheften bezogene kognitive Leistungsdispositionen (Ebenda, S. 137). Die Entstehung kontextspezifischer Kompetenzen setzt Erfah- rungen mit den jeweiligen Kontexten, hier der politischen Realität, voraus.

Kontextspezifisch bezieht sich immer funktional auf Anforderungssituatio- nen. Die Aufgaben im Politikunterricht sind Situationen im realen politischen Leben relativ ähnlich. Anforderungssituationen im Unterricht müssen durch den/

die Schüler/-in kontextspezifisch mit politikwissenschaftlichen Begrifflichkeiten gelöst werden. Hierfür ist der Bezug zur Politikwissenschaft notwendig. Damit wird deutlich, dass das Erlernen und Anwenden politikwissenschaftlicher Begriff- lichkeiten, die funktional zum Lösen von fachbezogenen Anforderungssituationen benötigt werden, Bestandteile einer schulischen Politikkompetenz werden. Die Politikdidaktik muss sich mit den kontextspezifischen Lehr-Lern-Prozessen im Politikunterricht beschäftigen.

Eine kontextspezifische professionelle Kompetenz des/der Politiklehrer/-in, die sich u. a. aus politikwissenschaftlichen, politikdidaktischen und pädagogisch-psy- chologischen Begrifflichkeiten (Professionswissen) zusammensetzt, wird gleich- falls zur Gestaltung des Politikunterrichts erforderlich. Die politikdidaktische Facette professioneller Kompetenz ist dabei ein zentraler Analysegegenstand der wissenschaftlichen Politikdidaktik.

Eine Politikdidaktik, die nach der Lehr- und Lernbarkeit der politischen Inhal- te fragt, muss sich mit den Fähigkeiten, aber auch weitergehend mit motivatio- nalen und volitionalen Aspekten der kontextspezifischen Nutzung dieser Fähig- keiten befassen (Klieme und Hartig 2007, S. 13). Für die Politikdidaktik und die Lehr-Lern-Psychologie sind deshalb z. B. das Fachinteresse oder das fachbezoge-

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10 G. Weißeno ne Selbstkonzept bedeutsam. Die Erreichbarkeit von Leistungen im Politikunter- richt bedarf der weiteren Fundierung durch motivationale und volitionale Aspekte.

Hierzu kann das Erwartungs-Wert-Modell von Wigfield und Eccles (2002) aus der Pädagogischen Psychologie herangezogen werden. Nach dem Erwartungs-Wert- Modell führt eine Handlung zu einem Ergebnis, das mit zeitlich mehr oder weniger entfernten wertbezogenen Folgen gekoppelt ist, z. B. der Nützlichkeit des Lernens und der erwarteten Kosten. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Politik zu beschäf- tigen steigt, wenn einem dieser Gegenstand persönlich wichtig ist. Eine weitere Komponente ist die Abwägung der Kosten. Unter Kosten sind die negativen Fol- gen eines Engagements für eine Aufgabe zu sehen (z. B. Emotionen und Zeit). Hin- zu kommt noch die Erwartungskomponente, z. B. die Schwierigkeit einer Aufgabe in Abhängigkeit von den Fähigkeitseinschätzungen. Hier sind Überzeugungen und Selbstbilder, Einstellungen und Stereotype bedeutsam zur Beschreibung leistungs- bezogenen Verhaltens (vgl. Daniels 2008, S. 34 ff.). Derartige Anreize können so- wohl extrinsisch wie intrinsisch entstehen.

Mit den oben herausgearbeiteten ontologischen Annahmen zu den fachspezi- fischen Kompetenzen kann die Politikdidaktik weiter arbeiten. Sie sind aber noch inhaltlich zu konkretisieren. Dies erfolgt am Beispiel der Politikkompetenz der Schüler/-innen. Hierfür ist noch vorab der Beitrag der Politikwissenschaft für die Politikdidaktik zu klären. Zu fragen ist, welche ontologischen Annahmen der Poli- tikwissenschaft für die Politikdidaktik relevant sind.

1.5 Politikwissenschaftliche Bezüge politikdidaktischer Theoriebildung

Die Politikwissenschaft beschäftigt sich mit dem Handeln unterschiedlicher Ak- teure, untersucht politische Prozesse und Muster der Entscheidungsfindung, die politischen Einstellungen von Menschen, Gruppen, Akteuren, die Umsetzung und Verwirklichung politischer Werte. Nutzenkalkül, Handlungsrestriktionen und Prä- ferenzen erklären das Wahlverhalten, die Kooperation von Akteuren. Es geht um die Erklärung von Wahlergebnissen, Staatstätigkeiten, Systemen, Frieden, die Ver- teilung öffentlicher Güter, Koalitionsbildungen, Parteien, Institutionen, Korpora- tismus, Demokratie, Macht, Ideologien, Pluralismus u. v. m. Der Objektbereich der Politikwissenschaft ist groß.

Normative Theorien und nicht empirische Theorien knüpfen an der politischen Ideengeschichte an, betonen überzeitliche Werte, nehmen objektive Wahrheit an.

Sie sind auf das politische Handeln und auf eine holistische Konzeption des Gan- zen hin angelegt. Dabei wird versucht, empirische Plausibilität zu integrieren. Der

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1 Konstruktion einer politikdidaktischen Theorie 11

Zugang erfolgt nicht direkt durch Erfahrung (Beobachtungen), sondern durch Ver- nunft und Denken (a priori wahre Sätze) (vgl. Westermann 2000, S 29 f.). In die Ideologie rutschen normative Theorien ab, wenn sie Realität, Praxis und Wert- bezug nicht selber reflektieren. Sie treffen Feststellungen darüber, was sein soll.

Hier können Begriffe der Politischen Kulturforschung (Almond und Veba 1963;

van Deth und Tausendpfund 2013) und der Demokratietheorien (Buchstein 2009) hinzugefügt werden.

Es gibt eine Vielzahl empirisch-analytischer Theorien z. B. im Rahmen des Ra- tional Choice-Ansatzes (Kunz 2004; Shepsle und Bonchek 1997; Tsebelis 2002;

Hinich und Munger 1997). Im RC-Ansatz gibt es eine Vielzahl von Theorien. RC- Theorien folgen einem positivistischen Wissenschaftsverständnis. Der strukturell- individualistische Ansatz versucht kollektive Sachverhalte zu beschreiben. Dieser Ansatz geht in drei Schritten vor: „Die Logik der Situation stellt den Bezug zwi- schen sozialer Situation und dem Akteur her, die Logik der Selektion erklärt die individuelle Handlungswahl, und die Logik der Aggregation verknüpft die indivi- duellen Handlungen mit dem eigentlich interessierenden kollektiven, sozialen Tat- bestand“ (Kunz 2004, S. 17). Das Handeln erfolgt nutzenorientiert (Schaal 2009, S. 518 ff.) und muss einem Akteur/Kollektiv den größtmöglichen Nutzen verschaf- fen. Die Nutzentheorie ist hier die Handlungstheorie.

Da der Mensch in seiner kognitiven Verarbeitungskapazität begrenzt ist und prinzipiell unvollständige Informationen über menschliches Handeln bestehen, werden zusätzlich Brückenhypothesen gebildet, z. B. zum Eigennutz, zu systemi- schen oder finanziellen Anreizen, Motivation, Strafen, Güterpreisen oder Macht- strukturen (Kunz 2004, S. 104 ff.). Die Individuen handeln nicht allein, sondern sind in gesellschaftliche Erwartungsstrukturen eingebunden (Ebenda, S. 149). Die Brückenannahmen sollen empirisch gefüllt die Variablen der kollektiven Hand- lungsebene mit der sozialen Realität verknüpfen. Viele RC-Untersuchungen ana- lysieren sowohl empirisch als auch logisch diese Bedingungskonstellationen. Über Transformationsregeln werden die individuellen Effekte (Mikroebene) mit den kollektiven Phänomenen (Makroebene) verknüpft.

Die moderne Politikwissenschaft ist eine Wissenschaft von der Gesellschaft und dem Menschen. Sie wendet sich zwar den Menschen zu (Mikrofundierung), betrachtet sie aber eher aggregiert. Sie liefert der Politikdidaktik Begrifflichkeiten für die Analyse schulisch relevanter politischer Prozesse. Sie liefert keine Begriff- lichkeiten für die Analyse, wie einzelne Schüler/-innen oder Lehrkräfte politische Prozesse mit politikwissenschaftlichen Begrifflichkeiten begreifen. Damit hat die Politikwissenschaft heute für die Politikdidaktik einen anderen Status. Er ist nicht mehr mit dem ursprünglichen Status einer Vermittlungswissenschaft vereinbar.

Die Politikwissenschaft wird benötigt, um das Kontextspezifische in Lehr-Lern-

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12 G. Weißeno prozessen beschreiben zu können. Dies wird im Folgenden zu zeigen sein. Eine wissenschaftliche Politikdidaktik benutzt aber eigene Begrifflichkeiten, um die fachbezogenen Lehr-Lernprozesse zu beschreiben.

Offen ist aber noch die konkrete Auswahl und Beschreibung der Begrifflich- keiten, die für unterrichtliche Anwendungssituationen relevant sind. Die Politikdi- daktik leistet dies durch das Modell der Politikkompetenz, in das die ontologischen Annahmen einfließen. Darauf wird im Folgenden eingegangen.

1.6 Das Modell der Politikkompetenz als Beispiel politikdidaktischer Theoriebildung

Aufgabe der Politikdidaktik ist es nicht, einen eigenen Beitrag zur Analyse der politischen Realität zu leisten. Das ist die Aufgabe der Politikwissenschaft. Aus politikdidaktischer Perspektive ist zu prüfen, inwieweit die politikwissenschaft- lich relevanten normativen und empirisch-analytischen Theorien zu berücksich- tigen sind. Die Aufgabe der Politikdidaktik ist es, die für die Schule relevanten Ausschnitte aus der politischen Realität und die damit zusammenhängenden theo- retischen Zugänge aus der Politikwissenschaft auszuwählen, die fachbezogenen Lehr-Lern-Prozesse und den outcome zu beschreiben.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich beispielhaft auf die Diskussion über einen wesentlichen Ausschnitt der o.g. Erfahrungswelt, über das ontolo- gische Konstrukt (Begriff) der Politikkompetenz des Schülers/der Schülerin.

Die Politikkompetenz bestimmt die allgemeinen kognitiven Anforderungen, die an ein/-en Schüler/-in im Politikunterricht zu stellen sind. Kontextspezifische Kognitionen – ein kognitionspsychologischer bzw. pädagogisch-psychologischer Begriff – bedürfen politikwissenschaftlicher Symbolsysteme (Theorien). Jedoch kommt hier hinzu, dass die Schüler/-innen diese Begriffe in einer schulischen Situ- ation anzuwenden haben, die nicht eins zu eins eine politikwissenschaftliche Theo- rie abbilden kann. Der/die Schüler/-in ist kein/-e Wissenschaftler/-in. Der Einsatz und die angemessene Adressierung solcher politikwissenschaftlicher Begriffe ist Aufgabe der Politikdidaktik. Sie hat einen Begriffsraum mit zusammenhängenden Begriffen, die durch Assoziationen miteinander verbunden sind, für den Politik- unterricht zu entwerfen (vgl. Solso 2005, S. 251). Im Lernprozess kommt es dann idealerweise im Gedächtnis des/der Schüler/-in zu einer sich ausbreitenden Akti- vierung von und unter den Begriffen.

Eine (kontextspezifische) Politikkompetenz kann als ein Beispiel der Theorie- bildung (Modellbildung) der Politikdidaktik angesehen werden. Es wird ange- nommen, dass der Begriff (Konstrukt) der Politikkompetenz als eine strukturelle

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