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Salutogene Ressourcen im Berliner Gesundheitssystem: eine Erhebung des Sense of coherence bei Fachärzten für Allgemeinmedizin, Chirurgen und Medizinischen Fachangestellten

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Academic year: 2021

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Aus dem Institut für Allgemeinmedizin

der Medizinischen Fakultät Charité – Universitätsmedizin Berlin

DISSERTATION

Salutogene Ressourcen im Berliner Gesundheitssystem:

Eine Erhebung des Sense of coherence bei Fachärzten für Allgemeinmedizin,

Chirurgen und Medizinischen Fachangestellten

zur Erlangung des akademischen Grades

Doctor medicinae (Dr. med.)

vorgelegt der Medizinischen Fakultät

Charité – Universitätsmedizin Berlin

von

Ingolf Hintner

aus Halle (Saale)

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen ... 4 Abstrakt ... 6 1. Einleitung ... 8 1.1. Aaron Antonovsky ... 12 1.2. Begriffsbestimmung Salutogenese ... 14

1.2.1. Der Sense of coherence (SOC) – das Kohärenzgefühl ... 14

1.2.2. Stress ... 16

1.2.3. Coping ... 17

1.3. Ansatz und Bedeutung Antonovskys Modell der Salutogenese ... 19

1.4. Der Sense of coherence – bisherige Erhebungen und Stand der Forschung ... 20

1.4.1. Der Sense of coherence bei bestimmten psychischen Krankheitsbildern ... 21

1.4.2. Der Zusammenhang zwischen Sense of coherence und Gesundheitsverhalten ... 22

1.4.3. Untersuchungen des Sense of coherence bei Angehörigen medizinischer Professionen ... 23

2. Aufgabenstellung und Hypothesen ... 26

2.1. Erhebung des SOC bei Fachärzten für Allgemeinmedizin und Vergleich mit einer zweiten Stichprobe ... 26

2.2. Vergleich des SOC der Ärzte mit dem der Medizinischen Fachangestellten als einer weiteren medizinischen Profession im Berliner Gesundheitssystem ... 27

2.3. Untersuchung des Einflusses einer Partnerschaft auf die Ausprägung des SOC bei Allgemeinmedizinern ... 28

2.4. Untersuchung weiterer Parameter ... 29

2.4.1. Untersuchung des Einflusses des Lebensalters auf die Ausprägung des SOC ... 29

2.4.2. Untersuchung des Einflusses der geografischen Lage des Arbeitsplatzes auf die Ausprägung des SOC ... 30

3. Methodik ... 31

3.1. Datenerhebung und Management ... 33

3.1.1. Datenerhebung bei Fachärzten für Allgemeinmedizin und MFA ... 33

3.1.2. Datenerhebung bei klinisch tätigen Ärzten für Chirurgie ... 34

3.2. Datenanalyse ... 35

(3)

3

4.1. Charakteristika der Teilnehmer ... 41

4.2. Der SOC der untersuchten Gruppen des Berliner Gesundheitssystems ... 44

4.2.1. Gruppe Berliner Gesundheitssystem - gesamt ... 44

4.2.2. Subgruppe Allgemeinmediziner ... 48

4.2.3. Subgruppe Chirurgen ... 51

4.2.4. Subgruppe MFA ... 53

4.2.5. Vergleich der einzelnen Subgruppen des Berliner Gesundheitssystems ... 55

4.3. Vergleich des SOC der Gruppen des Berliner Gesundheitssystems mit der Bevölkerungsstichprobe ... 57

4.3.1. Vergleich der Gruppe Berliner Gesundheitssystem gesamt mit der Bevölkerungsstichprobe ... 57

4.3.2. Vergleich der Subgruppe Allgemeinmediziner mit der Bevölkerungsstichprobe . 61 4.3.3. Vergleich der Subgruppe Chirurgen mit der Bevölkerungsstichprobe ... 62

4.3.4. Vergleich der Subgruppe MFA mit der Bevölkerungsstichprobe ... 63

5. Diskussion ... 64

5.1. Interpretation der Ergebnisse ... 65

5.1.1. Ergebnisinterpretation hinsichtlich der Alterskategorien ... 67

5.1.2. Ergebnisinterpretation hinsichtlich einer Partnerschaft ... 70

5.1.3. Ergebnisinterpretation hinsichtlich des Geschlechts ... 71

5.1.4. Ergebnisinterpretation hinsichtlich der Herkunft (Wohnsitz vor 1990) ... 72

5.1.5. Ergebnisinterpretation hinsichtlich der geografischen Lage der Arbeitsstätte ... 73

5.1.6. Ergebnisinterpretation des Vergleichs von Allgemeinmedizinern, Chirurgen und MFA ... 73

5.1.7. Ergebnisinterpretation des Vergleichs der Gruppe Berliner Gesundheitssystem gesamt mit der Bevölkerung ... 74

5.1.7.1. Vergleich der untersuchten Subgruppen des Berliner Gesundheitssystems mit der Bevölkerungsstichprobe ... 77

5.2. Limitation ... 79

6. Ausblick in die Zukunft und Auswirkungen auf den ärztlichen Alltag ... 81

7. Literatur ... 84

Eidesstattliche Versicherung ... 93

Lebenslauf ... 94

Danksagung ... 95

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4

Abkürzungen

ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/

Hyperaktivitätssyndrom

AGnES Arztentlastende gemeindenahe

E-Health-gestützte systemische Intervention

ANOVA Analysis of variance

BSJS Brief Scales for Job Stress

CI Confidence Interval

DMP Disease-Management-Programm,

systematisches Behandlungsprogramm für chronisch kranke Menschen

EQ-5D-Score EuroQol 5 Dimensionen - Fragebogen zur

Beurteilung der gesundheitsassoziierten Lebensqualität

EVA Entlastende Versorgungsassistentin

GHQ-12 General Health Questionnaire (Fragebogen

zum allgemeinen Gesundheitszustand)

GW Gesundheitswesen

HRQL Health-related quality of life

IGEL Individuelle Gesundheitsleistungen

KV Kassenärztliche Vereinigung

M1 an die Itemzahl relativierter Skalenmittelwert

des SOC

MFA Medizinischer Fachangestellter /

Medizinische Fachangestellte

Max. Maximum

Min. Minimum

MVZ Medizinisches Versorgungszentrum

MW Mittelwert

N Größe der Stichprobe

SD Standardabweichung

SEM Standard error oft the mean (Standardfehler

des Mittelwertes)

SF-36 (Short Form)-Score Fragebogen zur Beurteilung der

gesundheitsassoziierten Lebensqualität

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5

SOCL Sense of coherence, erhoben nach der

Leipziger Kurzskale mit 9 Items

SOEP Sozio-oekonomischer Panel

VerAH ® Versorgungs-Assistentin in der

Hausarztpraxis

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Abstrakt

Salutogene Ressourcen im Berliner Gesundheitssystem: Eine Erhebung des Sense of coherence bei Fachärzten für Allgemeinmedizin, Chirurgen und Medizinischen Fachangestellten

Einleitung: Anhand des Kohärenzgefühls (Sense of coherence, SOC) mit den Elementen Ver-stehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit lassen sich die salutogenen Ressourcen eines Individuums bestimmen, wobei ein hoher SOC mit höherer Lebensqualität und einem guten physischen und psychischen Gesundheitszustand korreliert. Damit nimmt die salutogenetische Konzeption auch bei Angehörigen medizinischer Professionen eine besondere Bedeutung ein. Methodik: Mittels quantitativer anonymer Erhebung durch einen postalisch versandten, stan-dardisierten SOC-9-Fragebogens, der eigenhändig auszufüllen war, wurde der SOC von Berliner Allgemeinmedizinern (n=430), Chirurgen (n=175) und Medizinischen Fachange-stellten (MFA), (n=267) erhoben. Zusätzlich wurden statistische Angaben wie Alter, Ge-schlecht, Herkunft (Wohnsitz vor 1990), Partnerschaft, Fachrichtung und Stadtbezirk des Ar-beitsplatzes erfasst. Verglichen wurden die Daten zum einen innerhalb der Subgruppen, zum anderen auch mit Ergebnissen einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe in Deutschland. Ergebnisse: Der SOC bei den Ärzten und MFA lag mit 48,81 signifikant höher als bei der Bevölkerungsstichprobe. Frauen zeigten bei der Befragung eine überdurchschnittliche Teil-nahmemotivation. Teilnehmer mit Partnerschaft wiesen einen höheren SOC auf. Eine direkte Korrelation bestand auch zwischen SOC und Lebensalter. Keine Unterschiede lagen bei der Herkunft, dem Geschlecht oder dem Stadtbezirk der Arbeitsstätte vor.

Schlussfolgerung: Bei den vielfältigen Belastungen des Arbeitsalltags medizinischer Profes-sionen ist die Förderung und Stabilisierung des Kohärenzgefühls enorm wichtig, um auf die Stressoren im Berufsleben angemessen reagieren und physisches und psychisches Wohlbefin-den erlangen zu können.

Salutogenic ressources in Berlin health care system: The sense of coherence among general practitioners, surgeons and doctor's assistants.

Background: The Sense of coherence (SOC) is a valid instrument to quantify salutogenetic ressources. It includes elements comprehensibility, manageability and meaningfulness. SOC correlates positively with a higher level of quality of life and a good physical and mental health. Therefore, salutogenesis has particular importance in medical professions.

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Method: Data were collected through mail questionnaires of the self-reported SOC-9 item Scale among General practitioners, GP’s (n=430), surgeons (n=175) and doctor’s assistants (n=267) of Berlin. Additional statistical data about age, sex, place of residence before 1990 (German reunification), partnership status and district of workplace were also collected. SOC was compared within subgroups and with a representative community sample of the German population.

Results: GP’s, surgeons and doctor’s assistants reported a significantly higher level of SOC (48.81) than the community sample. Response rate among women was higher-than-average. Responders with a partnership reported a significant higher level of SOC. Direct correlation was detected between age and SOC level. No significant correlations were found for sex, place of resident before 1990 and district of workplace.

Conclusions: Because of a high level of daily stress in medical professions, the advancement and stabilization of SOC is very important for an adequate coping to attain physical and mental well-being.

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1. Einleitung

Die wissenschaftliche Medizin basiert bis heute auf den Grundlagen der Heilkunst der

griechischen und römischen Antike. Die klinisch-empirische und physikalisch-experimentelle Medizin des Hippokrates von Kos und des Galenos von Pergamon, zwei der bedeutendsten Ärzte des Altertums, findet bis in die Gegenwart Anwendung und Weiterentwicklung. [1] Gesundheit, Krankheit und die ärztliche Heilkunst sind bis heute als zentrale Begriffe innerhalb der medizinischen Wissenschaft omnipräsent.

Die Systematik der Lehre der Heilkunst ist aus ihrer Geschichte heraus bisher vorrangig durch das Konzept der Pathogenese geprägt. Dieses Modell zentriert sich auf Beschwerden,

Symptome und Schmerzen. Nach Ansicht der hippokratischen Medizin entsteht Krankheit durch Einflüsse aus der Umwelt, aus der Nahrung, aus fehlerhafter Ausscheidung und aus dem falsch gesteuerten Affekthaushalt. [2]

Das Ziel der pathogenetisch orientierten Medizin ist die Identifizierung einer Krankheit durch eine schnelle Diagnosefindung sowie die Einleitung einer effizienten Therapie zur Erlangung von Beschwerdefreiheit. Dabei führte die medizinische Forschung in den letzten

Jahrhunderten zu einem immensen Fortschritt bei der Therapie kranker Menschen. Die Technisierung der Medizin, die moderne pharmakologische Therapie und die hochmoderne Apparatemedizin sind maßgeblich für die beachtlichen Erfolge bei der Behandlung von Patienten verantwortlich.

Neben dem bereits genannten Konzept der Pathogenese hat in den letzten Jahren das bisher vorwiegend in den Sozialwissenschaften etablierte Modell der Salutogenese auch zunehmend im Bereich der Medizin Beachtung gefunden. Die salutogenetische Konzeption fragt nach Ressourcen und Bedingungen für Gesundheit und nach Faktoren, welche diese erhalten. Dabei lautet die zentrale Frage einer salutogenetisch orientierten Medizin: Warum bleiben Menschen trotz vieler potenziell gesundheitsgefährdender Einflüsse gesund? Was ist das Besondere an Menschen, die trotz extremster Belastungen nicht erkranken?

Der Gesundheitszustand eines Individuums hängt nach Ansicht des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky von einer individuellen, sowohl kognitiven als auch affektiv-motivationalen Grundeinstellung ab, inwieweit Menschen in der Lage sind, vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens zu nutzen. Diese Grundhaltung wurde von

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Antonovsky als Kohärenzgefühl (Sense of coherence, SOC) bezeichnet. Je stärker dieses Kohärenzgefühl ausgeprägt ist, desto gesünder sollte das Individuum sein bzw. desto schneller sollte es gesund werden und bleiben. [3]

Hier setzt das von Aaron Antonovsky eingeführte salutogenetische Modell an, dessen Studien von Arbeitsgruppen in Israel, Schweden und den USA durchgeführt wurden.

Im Vergleich zum Konzept der Pathogenese nehmen in der salutogenetisch orientierten Patientenbehandlung spezifische biologische, demografische, gesellschaftliche und

psychosoziale Risiken in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen einen besonderen Stellen-wert ein. [4]

Gerade in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass durch die Entwicklung und den Wandel der Gesundheitsversorgung wichtige psychosoziale Kofaktoren bei der Behandlung von Patienten oft nicht in ausreichendem Maße Beachtung finden. Diese sind beispielsweise Geschlecht, Alter, soziale Schicht, Versicherungsstatus, die Beteiligungsrate an Krebsfrüherkennungs- und Vorsorgeuntersuchungen sowie anderen Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Ein weiterer Punkt liegt in der Veränderung traditioneller Familienstrukturen, da der Anteil der Kinder, die in einer Stieffamilie oder „Patchwork“-Familie aufwachsen, in den letzten Jahren stetig zuge-nommen hat. [5] Schließlich spielt auch die Höhe des Einkommens eine wesentliche Rolle. Bei Angehörigen mit niedrigem Einkommen besteht ein höheres Risiko gesundheitlicher Probleme und generell ein schlechteres Gesundheitsverhalten. Bestimmt wird das Einkommen wiederum maßgeblich vom Bildungsniveau und von der beruflichen Qualifikation. [6] [7]

Das Deutsche Gesundheitssystem teilt die Entscheidungskompetenzen zwischen Bund, Ländern und Selbstverwaltungsorganen auf. Seit 2004 gibt es mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss ein weiteres sektorenübergreifendes Gremium, dessen Richtlinien für alle Beteiligten der Gesetzlichen Krankenversicherung rechtlich bindend sind.

Als übergeordnete Struktur sind auf der Bundesebene zunächst der Bundestag, Bundesrat und das Bundesministerium für Gesundheit für die Gesetzgebung der gesetzlichen

Krankenversicherung verantwortlich.

Die Zuständigkeit für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, für die Krankenhausplanung und die Finanzierung von Investitionen der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen ist auf Landes-ebene angesiedelt. Des Weiteren beaufsichtigen die Landesgesundheitsbehörden die Selbst-verwaltungsorganisationen, wie öffentliche Krankenkassen und deren Verbände sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen.

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Alle Ärzte sind Pflichtmitglieder der Ärztekammern, die für die Berufsordnung, Weiter-bildung und die berufliche Standesvertretung verantwortlich zeichnen. Alle niedergelassenen Vertragsärzte sind ferner Pflichtmitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen, die die ambulante Gesundheitsversorgung sicherstellen, kollektive Verträge mit den Krankenkassen aushandeln und die Verteilung der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen durch einen einheitlichen Bewertungsmaßstab vornehmen.

Seit 1989 kam es zu mehreren Reformen des Deutschen Gesundheitssystems, die durch die Begriffe Ausgabenbegrenzungen und Kostendämpfungsmaßnahmen gekennzeichnet waren. Dies führte in vielen Fällen zu höheren finanziellen Belastungen der gesetzlich Krankenversi-cherten in Form von steigenden Beitragssätzen der Krankenversicherung, der über mehrere Jahre bestehenden Pflicht einer Praxisgebühr und bestimmten Leistungsausschlüssen, wie bei-spielsweise die der nicht-verschreibungspflichtigen Medikamente. [8]

Felix Unger beschreibt das Gesundheitssystem Deutschlands treffend als dreiteilige Struktur, in dessen Zentrum als Primärstruktur ein Arzt-Patienten-Nukleus existiert. Zur

Sekun-därstruktur zählen beispielsweise Arztkollegen anderer Fachrichtungen und Angehörige wei-terer Gesundheitsfachberufe wie das Pflegepersonal und Physiotherapeuten. Die Terti-ärstruktur besteht aus den Krankenhausverwaltungen, den Krankenversicherungen, Kranken-kassen und der Politik. Eigentliche Aufgabe der Tertiärstruktur ist es, der Solidargemeinschaft eine ausreichende medizinische Versorgung zu gewährleisten. Allerdings greifen die Vertreter der Tertiärstruktur zunehmend aktiv in die Primärstruktur ein, indem sie beispielsweise der Ärzteschaft vorschreiben, welche medizinischen Leistungen erbracht werden sollen und welche nicht. [9]

Der sich ständig entwickelnde Fortschritt von Medizintechnik und Pharmazie der pathogene-tisch orientierten Medizin hat sich mittlerweile zu einem erheblichen Kostenfaktor und Hauptkostentreiber im heutigen Gesundheitssystem entwickelt und wird auch in den kom-menden Jahren zu weiteren kontinuierlichen Kostensteigerungen führen. Berechnungen von Gandjouret al. ergaben, dass in den kommenden 40 Jahren allein durch die demografische Entwicklung mit einem Anstieg der Gesundheitsausgaben um 50% pro Arbeitnehmer zu rechnen ist. Grund ist die Demografie bedingte Doppelbelastung aus steigenden Gesundheits-ausgaben und schrumpfender Arbeitnehmerzahl. [10] [11]

Einer dringend notwendigen gesamtgesellschaftlichen Diskussion zur Frage der Finanzierung einer zukünftigen Gesundheitsversorgung weicht die Politik allerdings seit Jahren aus. Die

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immer wieder öffentlich geführten Dispute zwischen Politik bzw. Krankenkassen und der Ärzteschaft haben in den vergangenen Jahren das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesundheitspolitik, aber auch in die Ärzte* spürbar beschädigt. [12]

Durch die teilweise erheblichen und ausufernden Kostensteigerungen im Gesundheitssystem besteht eine reale Gefahr der Vernachlässigung des kranken Individuums. Auch der Arztberuf ist in diesem Zusammenhang einem schleichenden und stetigen Wandel ausgesetzt. Einerseits existiert in weiten Teilen Europas ein hochkarätiges Gesundheitssystem, in dem alle Kranken jederzeit medizinische Hilfe erwarten und auch erhalten. In Deutschland ist eine permanente Patientenversorgung rund um die Uhr gewährleistet. Andererseits führt dies bei den Spar-zwängen aber auch zu Überlastungen der Ärzteschaft und beispielsweise dazu, dass in den Rettungsstellen und Notaufnahmen der Krankenhäuser zumeist junge Krankenhausärzte zum einen oftmals ohne entsprechende Würdigung oder angemessene Entlohnung tätig sind, zum anderen durch noch geringe Berufserfahrung und mangelnde fachärztliche Unterstützung die Gefahr einer Überdiagnostik resultiert. [9]

Im stationären Bereich kommt es dabei zu einer Arbeitsverdichtung, begünstigt durch eine verkürzte Liegezeit mit frühzeitiger Krankenhausentlassung, die nach psychosozialen aber auch medizinischen Aspekten nicht immer angemessen erscheint. Im ambulanten Bereich wird eine sachgerechte Praxisführung nach gängigen betriebswirtschaftlichen Aspekten durch ein pauschaliertes, intransparent budgetiertes Honorarsystem und die Androhung persönlicher Regressnahme in negativer Weise beeinflusst. Sowohl im ambulanten wie auch im stationären Arbeitsfeld ist es durch die Tertiärstruktur des Gesundheitswesens zu einer massiven

Zunahme der Bürokratie gekommen, die unter dem Vorwand der Qualitätssicherung gerechtfertigt wird. [12]

Dieser Wandel des Gesundheitssystems kann sich auch zu einem Gefährdungspotenzial für Ärzte entwickeln, wie Wallace et al. belegten. Für Angehörige der ärztlichen Berufsgruppe mit täglich hoher Arbeitsbelastung besteht ein erhöhtes Risiko für Medikamentenmissbrauch, Beziehungsschwierigkeiten und Depressionen bis hin zum Tod. [13]

Generell scheint die Prävalenz psychischer Erkrankungen in der ärztlichen Profession höher als in anderen Berufsgruppen. Stress, Ermüdung und Erschöpfung führen bei der

*Im Folgenden wird zur Vereinfachung immer von Ärzten gesprochen, dies bezieht sich in gleicher

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Patientenbehandlung zu Entscheidungsunsicherheit, was sich nachteilig auf die fehlerfreie Ausführung ärztlicher Tätigkeiten auswirkt. [14] [15] [16] [17] [18]

Intensivierte Ökonomisierung, steigender Kostendruck, zunehmende Einsparzwänge sowie die bereits genannte, in vielen Bereichen überbordende Bürokratie führen zunehmend zu einer Beeinträchtigung, in manchen Fällen auch zu einer Verhinderung einer angemessenen Arzt-Patienten-Kommunikation. Wesentliche Grundlagen ärztlicher Gesprächsführung werden damit oftmals zugunsten der Technisierung der Behandlung durch eine komplexe Apparate-medizin vernachlässigt.

Der Kostendruck in der Medizin hat aber auch teilweise zu einer Veränderung der ärztlichen Einstellung und des ärztlichen Handelns geführt. Hierdurch entstanden beispielsweise die individuellen Gesundheitsleistungen (IGEL) in Form von ärztlichen Untersuchungen und Diagnostik, die von gesetzlichen Krankenversicherungen nicht vergütet und daher vom Patienten selbst zu tragen sind. Die Grenze verläuft hierbei oft fließend zwischen sinnvollen Untersuchungen, die die im Sozialgesetzbuch V festgelegten Attribute wirtschaftlich,

ausreichend, notwendig, zweckmäßig positiv ergänzen und einer unnützen, privat zu

finanzierenden Überdiagnostik und -therapie. [19]

Wirtschaftliche Zwänge haben vielerorts bereits zu einer realen „Zwei-Klassen-Medizin“ ge-führt, in der beispielsweise Privatpatienten bei der Terminvergabe gegenüber den gesetzlich Krankenversicherten bevorzugt werden. [20] [21]

Die genannten Beispiele beeinträchtigen das Arzt-Patienten-Verhältnis in einer sehr ungünstigen Weise.

1.1. Aaron Antonovsky

Aaron Antonovsky wurde 1923 in Brooklyn in den USA geboren. Nach einem Studium der Soziologie an der Yale Universität New Haven emigrierte er 1960 mit seiner Frau nach Israel. Hier arbeitete er am Institut für angewandte Sozialforschung in Jerusalem. Ab 1972 war er am Aufbau der „Faculty of Health Sciences“ der Medizinischen Hochschule der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva/Israel beteiligt.

Als Mitglied der Aufnahmekommission favorisierte er die Herabsetzung der Wertigkeit von Noten und Zeugnissen bei gleichzeitiger Aufwertung des praktischen Engagements und be-reits bewiesener praktischer Kompetenz und Verantwortlichkeit. Er prägte maßgeblich den

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Begriff der Salutogenese und war mehrfach als Gastprofessor in Teheran, Kalifornien und Bern tätig. Er starb 1994 im Alter von 71 Jahren in Beerscheba/Israel. [22]

Hauptbestandteil seiner Arbeit wurde die Stressforschung. Sie führte ihn zu der Aussage, dass es ein Potenzial gibt, das die Chance erhöht, gesund zu bleiben. Diese Erkenntnis wurde Mit-telpunkt der salutogenetischen Forschung.

Sein Denken beschrieb Antonovsky aus drei Wurzeln entstehend. Die erste Wurzel sei die medizinsoziologische Arbeit, insbesondere die Stressforschung. Als zweite Wurzel sah er seine jüdische Herkunft und Religion. Die dritte Wurzel war der Zusammenhalt mit seiner Frau, einer anthroposophisch ausgebildeten Entwicklungspsychologin. [22] [23]

In den 1960er Jahren untersuchte Antonovsky mit anderen Kollegen die Anpassung von Frauen an die Menopause. Die Studie schloss Frauen verschiedener ethnischer Gruppen und israelischer Subkulturen ein. Dabei wurden Gruppen von Frauen aus Mitteleuropa verglichen, zum einen Frauen, die vor 1939 nach Palästina emigrierten, zum anderen Frauen, die erst nach dem Holocaust nach 1945 emigrierten. Die Hypothese, dass sich Frauen, die den Holo-caust überlebten, relativ schlechter an die Menopause anpassen würden, wurde bestätigt. Un-ter den weiblichen Befragten, die erst nach 1945 nach Palästina emigriert waren, hatten sich aber erstaunlicherweise 29% der Frauen gut an die Menopause adaptiert. Viele Wissen-schaftler hätten sich mit diesen Ergebnissen wahrscheinlich zufrieden gegeben. Antonovsky stellte sich, dem Konzept der Salutogenese entsprechend, aber folgende Frage:

„Mich interessieren weniger die schlecht angepassten Frauen. Ich möchte mich auf die erstaunliche Minderheit der gut Angepassten konzentrieren. Woher haben diese Frauen, die so viel Schlimmes erlebt haben, die Kraft genommen, sich positiv auf die neue Lebensphase einzustellen?“ [24]

Diese zentrale Frage wurde Ausgangspunkt der weiteren Forschungen Antonovskys. Zur Konzeption des salutogenetischen Modells veröffentlichte er mehrere theoretische und empi-rische Arbeiten. Antonovsky interessierte sich vorrangig für die von den Ärzten nicht sehr beachtete gesunde Population der Bevölkerung, also den Teil, der die untersuchte Krankheit, das Problem oder Symptom nicht hatte.

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14 1.2. Begriffsbestimmung Salutogenese

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt in ihrer Definition (1946) Gesundheit als „Zustand des völligen, körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“. [25]

Aaron Antonovsky hatte das Gegenteil von Pathogenese vor Augen, als er den Begriff Salutogenese (von lateinisch: salus = Unverletztheit, Heil, Glück und griechisch: génesis = Entstehung) prägte.

Nach der Entstehungsgeschichte von Krankheit sollte sich die Medizin nunmehr mit dem Be-griff der Gesundheitsentstehung beschäftigen.

Doch bereits bei seinen Medizinstudenten spürte er wenig Interesse am salutogenetischen Ansatz. So kam er zu der eher skeptischen Einschätzung, dass an seinem Konzept wohl eher die Psychologie, die Pädagogik und die Krankenpflege verstärkt Interesse zeigen würden als die Medizin, bei der sich in der europäischen Tradition der Arzt für die Heilung und Linde-rung der Krankheit zuständig zeigte. [26]

1.2.1. Der Sense of coherence (SOC) – das Kohärenzgefühl

Bei der Erforschung der salutogenen Ressourcen versuchte Antonovsky zum einen die Eigen-schaften der inneren, also der physischen und psychischen, zum anderen der sozialen, kultu-rellen und ökologischen Umgebung zu beschreiben.

Der wesentliche Punkt dabei war die Formulierung der Lebenserhaltung, der „Sense of coherence“, das Kohärenzgefühl oder Kohärenzempfinden. Kohärenz (von lateinisch:

cohaerere = zusammenhängen) bedeutet Stimmigkeit oder Zusammenhang.

Das Kohärenzgefühl formulierte er als eine Lebenshaltung oder Weltanschauung, die im jungen Lebensalter entsteht und die auf einem individuellen Gefühl, aber auch auf Erkenntnis, Auffassungsgabe, Verständnis, Erfahrung und aktiver Auseinandersetzung beruht. [24]

Ein starkes Kohärenzgefühl ermöglicht einem Individuum, angemessene Ressourcen zu entwickeln, um eine flexible Reaktion auf spezifische Anforderungen zu zeigen. Es korreliert hoch mit den Maßen seelischer Gesundheit. [27]

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Sense of comprehensibility – Gefühl der Verstehbarkeit

Dieses Element bezeichnet die Erwartung oder Fähigkeit von Menschen, bestimmte Stimuli als geordnete, konsistente, strukturelle Informationen verarbeiten zu können (kognitives Verarbeitungsmuster).

Sense of manageability – Gefühl der Handhabbarkeit oder Bewältigbarkeit Dieses Element beschreibt das Ausmaß der Wahrnehmung, dass man geeignete Res-sourcen zur Verfügung hat, um den Anforderungen zu begegnen. Antonovsky defi-niert es auch als instrumentelles Vertrauen, wobei ebenso eine andere Person oder der Glaube helfen können, Schwierigkeiten zu überwinden (kognitiv-emotionales Verar-beitungsmuster).

Sense of meaningfulness – Gefühl der Sinnhaftigkeit

Das Element umfasst das Ausmaß, in dem man das Leben als emotional sinnvoll empfindet, dass wenigstens einige der vom Leben gestellten Probleme und Anforde-rungen es wert sind, Energie zu investieren, dass man sich für sie einsetzt und sich ihnen verpflichtet. Dieses Gefühl sieht Antonovsky als wichtigste und zugleich als motivationale Komponente an. Ohne Erfahrungen von Sinnhaftigkeit ergibt sich auch bei hoher Ausprägung der anderen beiden Elemente kein hoher Wert des SOC.

Antonovsky vermutete, dass der SOC mit dem Erreichen der ersten Dekade des Erwachse-nenalters abgeschlossen ist und später wahrscheinlich keine beträchtlichen Veränderungen des Ausmaßes des SOC erfolgen. Seiner Ansicht nach können allenfalls radikale Veränderungen sozialer und kultureller Einflüsse oder Änderungen struktureller Lebensbedingungen wie bei-spielsweise Emigration, Wohnortwechsel, Veränderungen des Familienstandes oder des Be-schäftigungsverhältnisses zu einer Beeinflussung des Kohärenzgefühls führen.

Ein hoher SOC ermöglicht es einem Menschen, flexibel auf die vielfältigen Anforderungen des Lebens zu reagieren, in dem er für jeweils spezifische Situationen angemessene Ressour-cen entwickelt. Der SOC regt dadurch verschiedene Verarbeitungsmuster und Strategien an, wobei eine übergeordnete und steuernde Funktion eingenommen wird. [3] [27]

Dabei ist ein hoher SOC nachweislich mit einer höheren Lebensqualität verbunden. Monica Eriksson et al. konnten 2007 in einem Review von 458 wissenschaftlichen Publikationen und 13 Dissertationen über das salutogenetische Modell diesen Zusammenhang zwischen dem

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SOC und einer höheren Lebensqualität sowohl direkt korrelierend, als auch indirekt über den Nachweis eines guten Gesundheitszustandes belegen. [28]

1.2.2. Stress

Der Begriff Stress stammt aus dem englischen Sprachgebrauch und wird als Anspannung oder Druck übersetzt. In der Konzeption des salutogenetischen Modells stellt er einen wesentlichen Faktor dar. Er wird durch verschiedene Stressoren ausgelöst.

Nach Antonovsky sind Stressoren „Herausforderungen, für die es keine unmittelbar verfügba-ren oder automatisch adaptiven Reaktionen gibt.“ Sie können sich durch die Abwesenheit von generalisierten Widerstandsressourcen entwickeln. Die wichtigste Auswirkung von Stres-soren ist die Erzeugung von Spannungszuständen. [27]

Die Bewältigung dieser Spannungszustände sieht Antonovsky als zentrale Aufgabe des Orga-nismus. Gelingt einer Person eine erfolgreiche Bewältigung, entsteht eine gesundheitserhal-tende oder gesundheitsförderliche Wirkung. Misslingt hingegen die Bewältigung der Span-nungszustände, entsteht eine für den Organismus belastende Situation. Sie kann aber auch neutrale oder gesundheitsfördernde Auswirkungen haben, insbesondere wenn es sich um einen positiv erlebten Stress handelt. Neben dem eigentlichen Stressor führt in der Regel erst das Zusammentreffen weiterer Kofaktoren (beispielsweise Krankheitserreger, Schadstoffe oder körperliche Schwachstellen) zur Schwächung der Gesundheit. [3]

Bei allen Stressoren handelt es sich um Ereignisse von erheblichem Gewicht. Anfangs orien-tierte man sich in der Stressforschung vorwiegend an sogenannten kritischen Lebensereignis-sen, den „life-events“. Darunter versteht man belastende Faktoren wie LebenskriLebensereignis-sen, zum Beispiel durch Partnerkonflikte, Tod eines Angehörigen oder Mobbing. Später wendete man sich dann auch stressrelevanten Faktoren kleinerer, alltäglicher Ereignisse zu. Es entstand der Begriff „daily hassles“ (englisch: „Alltagsärger“), der die alltäglich auftretenden kleinen, aber irritierenden, frustrierenden Vorkommnisse eines Individuums in der Interaktion mit seiner Umwelt kennzeichnet. Diese „daily hassles“, zu denen beispielsweise auch Angst vor dem Älterwerden, Arbeitslosigkeit oder Migration zählen, können dann zum Stressor werden, wenn sie von einem Individuum als frustrierend und nicht ausreichend kontrollierbar bewertet werden. [29] [30] [31] [32]

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Antonovsky unterscheidet physikalische, biochemische und psychosoziale Stressoren. Da physikalische und biochemische Stressoren wie beispielsweise Kriege, Hungersnöte oder Krankheitserreger in hochentwickelten Nationen eine geringere Rolle einnehmen, richtete er sein Augenmerk auf die in den Industrieländern zunehmenden psychosozialen Stressoren: Hier setzt der von ihm entwickelte Sense of coherence an.

Ein Individuum mit einem hohen SOC kann einen Reiz als Stressor bewerten, aber gleichzei-tig differenzieren, ob der Stressor bedrohlich, günsgleichzei-tig oder irrelevant ist. Dadurch kann die entstehende Anspannung unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. So kann ein potenziell bedrohlicher Stressor von einem Menschen mit hohem SOC so umdefiniert werden, dass dieser nicht als bedrohlich bewertet wird. Er vertraut darauf, dass sich die belastende Situation sehr wahrscheinlich bewältigen lassen wird.

Menschen mit einem hohen SOC reagieren eher situationsangemessen mit zielgerichteten Gefühlen; Personen mit geringem SOC vermehrt mit diffusen, schwer zu regulierenden Emotionen, die eine Handlungsunfähigkeit erzeugen. [3]

1.2.3. Coping

Das Coping (von englisch: to cope with = bewältigen, überwinden) bezeichnet eine Strategie, mit einem schwierig empfundenen Lebensereignis, einer Lebensphase, Stress oder Krankheit umzugehen.

Nach Antonovsky verfügen Menschen mit hohem SOC über die entsprechende Flexibilität, eine situationsgerechte und geeignete Copingstrategie zu entwickeln. Dadurch können Probleme analysiert und die jeweils geeignete zur Verfügung stehende Ressource als Bewäl-tigungsstrategie aktiviert werden. [27]

Obwohl die Copingforschung in den letzten Jahren zunehmend Bedeutung gewonnen hat, existiert gegenwärtig keine einheitliche wissenschaftliche Coping-Definition.

Nach Hessel et al. beruht die gegenwärtige Copingforschung vor allem auf Sichtweisen des psychoanalytischen Denkens, der Stressforschung, der Berücksichtigung kognitiv behaviora-ler, also verhaltensbezogener Ziele und soziologischen Strategien. [33]

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Zu den herausragenden Theorien in der Stressforschung zählt das transaktionale Stressmodell nach Lazarus. In diesem werden zwei Bewertungsprozesse unterschieden: die primäre Be-wertung (primary appraisal), bei der bestimmte Merkmale einer belastenden Situation bewer-tet werden sowie die sekundäre Bewertung (secondary appraisal), bei der die persönlichen und sozialen Ressourcen zur Stressbewältigung eingeschätzt werden. In einer dritten Stufe, der Neubewertung (reappraisal) wird der Strategieerfolg der Bewältigungsprozesse erneut bewertet und gegebenenfalls dynamisch an sich verändernde Situationen angepasst. [34]

Lazarus und Folkmann definieren Coping als regulativen Prozess, der durch eine Stress-Situ-ation ausgelöst wird. Als Bewältigungsstrategie existiert zum einen das problemlösende um-gebungsbezogene Eingreifen (Akkommodation), zum anderen die Emotionsregulation (Assi-milation). [35]

Laux und Weber unterscheiden zwischen intrapsychischer, aktionaler und expressiver Bewäl-tigung. [36]

Heim et al. unterteilen die Bewältigungsstrategien in handlungsbezogene Bewältigungsfor-men, kognitionsbezogene Bewältigungsformen und emotionsbezogene Bewältigungsformen. [37]

Perrez und Reicherts differenzieren drei Bewältigungsformen: das situationsbezogene Co-ping, das repräsentationsbezogene Coping sowie das bewertungsbezogene Coping. [38]

Schwarzer et al. unterscheiden anhand zweier Dimensionen (vergangene Schädigung versus zukünftige Bedrohung sowie Gewissheit versus Ungewissheit) vier verschiedene Copingfor-men: 1. das reaktive Coping (für Ereignisse der Vergangenheit), 2. das antizipatorische Co-ping (als Umgang mit einer künftigen Bedrohung), 3. das proaktive CoCo-ping (Bewältigungs-strategie für künftigen Stress) sowie 4. das präventive Coping.

[39] [40]

Trotz der genannten unterschiedlichen Definitionen kann man zusammenfassend feststellen, dass in der Coping-Terminologie generell zwischen aktiven, problemlösenden Strategien und vermeidenden Strategien unterschieden wird. [41]

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Aus salutogenetischer Betrachtungsweise wählen Personen mit einem starken SOC jene Co-ping-Strategie aus, die am geeignetsten scheint, mit dem Stressor umzugehen, dem sie sich gegenüber sehen. Damit nimmt der SOC bei dem Prozess des Coping eine wesentliche, näm-lich kontrollierende und steuernde Funktion ein. [27]

1.3. Ansatz und Bedeutung Antonovskys Modell der Salutogenese

Nach Ansicht Antonovskys beeinflusst der SOC auf direkte Weise verschiedene Systeme des Organismus und wirkt bei kognitiven Prozessen mit. Wie im letzten Kapitel erwähnt, beein-flusst der SOC das Coping als steuernde übergeordnete Struktur, wobei er zugleich als Filter bei der Informationsverarbeitung wirkt.

Zusätzlich mobilisiert der SOC die vorhandenen Ressourcen, die dadurch ihrerseits zu einer Spannungsreduktion führen. Kurzfristige physiologische Stressreaktionen lösen nach Antono-vsky keinen gesundheitsschädlichen Effekt aus, wenn ein Ausgleich durch eine der Stressre-aktion folgenden Erholungsphase stattfinden kann.

Nach Antonovsky greifen Menschen mit hohem SOC weniger auf vermeidende, unangemes-sene Copingstrategien wie Non-Compliance oder Suchtmittelmissbrauch zurück, da ihnen verschiedene alternative positive Bewältigungsmöglichkeiten offen stehen. Sie sind außerdem in der Lage, sich gezielt für gesundheitsprotektive Verhaltensmuster zu entscheiden. Auf diese Weise beeinflusst der SOC den Gesundheitszustand eines Individuums. Antonovsky sieht darin eine kausale Abfolge von SOC, gesundheitlichen Verhaltensweisen und Gesund-heit. [3] [27]

Ähnliche Ansätze des salutogenetischen Modells finden sich auch bei der medizinischen Re-habilitation. Ein Schwerpunkt der Forschung stellt hierbei die onkologische Rehabilitation dar. Deren Zielsetzung, Möglichkeiten der Selbstkontrolle zu vermitteln, Ressourcen zu stär-ken und die Krankheitsbewältigung zu fördern, findet sich in gleicher Weise in den

Zielvorstellungen Antonovskys. [42]

Eine besondere Bedeutung nimmt das salutogenetische Konzept auch in der Gesundheits-förderung und Prävention ein. Zur Entwicklung eines hohen SOC sollte bereits und

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insbesondere im Kindes- und Jugendalter ein breites Spektrum an individuellen, sozialen und kulturellen Ressourcen zur Verfügung stehen.

Salutogenese hat sich zu einem anerkannten Begriff in der wissenschaftlichen Analyse von Gesundheit entwickelt und in der gesundheitspolitischen und gesundheitswissenschaftlichen Forschung etabliert.

1.4. Der Sense of coherence – bisherige Erhebungen und Stand der Forschung

Im Vergleich zu anderen Themenkomplexen der medizinischen Forschung gibt es bei der wissenschaftlichen Analyse des Sense of coherence bislang eine eher noch überschaubare Anzahl von Publikationen, die sich allerdings kontinuierlich vergrößert.

Die ersten Ergebnisse von SOC-Erhebungen wurden von Antonovsky selbst veröffentlicht: eine 1982 von ihm durchgeführte Analyse einer israelischen Bevölkerungsstichprobe (n=297) mittels SOC-29 Fragebogens [43], mehrere 1986 durchgeführte SOC-Studien israelischer Offiziersanwärter [44] und eine von Fiorentino 1986 durchgeführte SOC-Analyse bei Industriearbeitern im Staat New York [45].

Viele der in den folgenden Jahren durchgeführten Analysen untersuchten die Ausprägung des Kohärenzgefühls im Zusammenhang mit spezifischen Krankheitsbildern, Berufsgruppen oder in Bezug auf Gesundheitsverhalten bzw. Krankheitsprävention.

Einen wesentlichen Beitrag zum aktuellen Stand der salutogenetischen Wissenschaft leisteten im Jahr 1998 Jörg Schumacher et al. durch die Normierung des Sense of coherence. Nach testatischer Überprüfung in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe in Deutschland wurde zugleich eine Kurzskale entwickelt und validiert. Seit dieser umfangreichen

Datenerfassung gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Deutschland keine vergleichbaren größeren überregionalen Erhebungen des SOC. [46]

Eine pädiatrische Salutogeneseforschung erfolgte durch Honkinen et al., die 1997 in einer Studie in Turku (Finnland) darstellten, dass der SOC-13- Fragebogen auch für Kinder ab dem 12. Lebensjahr geeignet ist. [47]

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Ristkari et al. untersuchten 1999 in Finnland 2.314 Jungen im Alter von 8 Jahren in einer 10 Jahres-follow-up Studie mittels SOC-13 Fragebogens und konnten eine Verbindung zwischen dem SOC und sozioökonomischen Faktoren nachweisen. Jungen, deren Eltern ein geringes Bildungsniveau aufwiesen, die ohne zwei biologische Eltern aufwuchsen oder die durch eine gestörte Internalisierung auffielen, zeigten nach 10 Jahren einen signifikant niedrigeren SOC. [48]

Ein wesentliches Problem der Salutogeneseforschung ist die fehlende direkte Vergleichbar-keit des Sense of coherence der verschiedenen Studien. Der Grund hierfür ist, dass in den Untersuchungen zur Messung des SOC in den letzten Jahren unterschiedliche Fragebögen verwendet wurden. So gibt es Fragebögen mit 3, 9, 12, 13 oder 29 Items. Diese mögen zwar in Bezug auf den Original-Fragebogen von Antonovsky validiert sein, ermöglichen aber kei-nen direkten Vergleich der Daten untereinander, da sie eikei-nen entsprechend unterschiedlichen Gesamtwert des SOC ergeben. Olsson et al. kommen nach einer Analyse der Skalen mit 3, 13 und 29 Items zu der Empfehlung, dass für eine direkte Vergleichbarkeit von Studienergebnis-sen auch die identischen Fragebögen verwendet werden sollten. [49]

1.4.1. Der Sense of coherence bei bestimmten psychischen Krankheitsbildern

In den letzten Jahren fanden mehrere Untersuchungen des SOC von Patientin mit psychischen Krankheitsbildern statt. Seit Beginn der Salutogenese-Forschung wird dem Zusammenhang dieser beiden Parameter eine besondere Bedeutung beigemessen. Erst in den letzten Jahren nahm auch die Anzahl von salutogenetischen Studien im Zusammenhang mit anderen Krank-heitsbildern oder bestimmten Therapieformen zu.

Als bedeutsame Erhebung des Kohärenzgefühls bei Patienten mit psychischen Krankheits-bildern sei die Studie von Wolfgang Hannöver et al. genannt. Sie veröffentlichten 2004 eine Auswertung des SOC von 4.002 Probanden einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe aus Lübeck und den umgebenden Gemeinden, bei der außerdem festgestellt wurde, dass Proban-den ohne psychiatrische Erkrankung einen höheren SOC als ProbanProban-den mit einer stattgehab-ten psychiatrischen Erkrankung aufwiesen. Zur Anwendung kamen hierbei die originale Skale von 29 Fragen (SOC-29), eine Kurzskale von 13 Fragen (SOC-13) sowie die Leipziger

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Zirke et al. publizierten 2007 Ergebnisse der Erhebung des SOC bei 1.403 Patienten mit psychosomatischen Krankheitsbildern, die in der Charité Universitätsmedizin Berlin

poliklinisch oder konsiliarisch behandelt wurden. Dabei zeigte sich, dass ein hoher SOC mit stärkerem subjektiven physischen Wohlbefinden, besseren Copingstrategien und weniger subjektiv empfundener Stressbelastung korreliert. Genderspezifische Unterschiede in der Ausprägung des SOC ließen sich nicht nachweisen. Bei zunehmendem Alter konnte ein Ansteigen des SOC-Mittelwertes beobachtet werden. [51]

Einen Zusammenhang zwischen einem spezifischen psychiatrischen Krankheitsbild und dem Kohärenzgefühl untersuchten Edbom et al., die 2010 eine longitudinale Studie bei 312 Zwil-lingen in Schweden im Alter von 16 Jahren auf den Zusammenhang der Höhe des SOC und der möglichen Ausprägung eines Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) publizierten, wobei der SOC-13 Fragebogen Anwendung fand. Nach einer erneuten Befra-gung der gleichen Population auf Symptome von ADHS im 21. Lebensjahr konnte nachge-wiesen werden, dass ein hoher SOC im Jugendalter ein Protektivfaktor für die Ausbildung eines ADHS darstellt. [52]

1.4.2. Der Zusammenhang zwischen Sense of coherence und Gesundheitsverhalten

In der Literatur gibt es mehrere Studien, die den Zusammenhang des SOC mit gesunder Le-bensweise bzw. dem Gesundheitszustand untersuchten.

Hierzu führten Wainwright et al. 1993 eine über vier Jahre dauernde Längsschnittstudie zur Erhebung des SOC mittels SOC-3 Skale bei 20.579 Einwohnern in Norfolk (Vereinigtes Kö-nigreich) durch. Es konnte ein direkter Zusammenhang zwischen der Ausprägung des SOC und gesunder Lebensweise nachgewiesen werden. [53]

Lindmark et al. untersuchten 1999 die Ernährungsgewohnheiten von 4.991 Einwohnern in Nordschweden. Zur Anwendung kam der SOC-13 Fragebogen. Es konnte beobachtet werden, dass Personen mit höherem SOC eine gesündere Ernährungsweise aufwiesen. [54]

Eriksson et al. führten 2007 eine Umfrage zur Ermittlung des SOC von 1.500 Einwohnern im Alter von 40–70 Jahren in Åland (Finnland) mittels SOC-13 Skale durch, bei der eine signifi-kante Korrelation zwischen der Höhe des Kohärenzgefühls und dem subjektiv bewerteten

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sundheitszustand gefunden wurde. Die Studie lieferte Beweise, dass sich der SOC als Indi-kator für die Abschätzung des psychischen Gesundheitszustandes eignet. [55]

Untersuchungen hinsichtlich dentaler Gesundheit und der Ausprägung des SOC erfolgten durch Savolainen et al., die den Zusammenhang zwischen dem SOC, der Mundhygiene (zweimaliges tägliches Zähneputzen) und allgemeinem Gesundheitsverhalten (zweimalige körperliche Aktivität pro Woche) bei 4.096 Teilnehmern einer repräsentativen Querschnitt-studie in Schweden mittels SOC-12 Fragebogens untersuchten. Teilnehmer mit einem hohen SOC wiesen hierbei sowohl eine besser praktizierte Mundhygiene als auch ein höheres allge-meines Gesundheitsverhalten auf. [56]

Auch Lindmark et al. untersuchten 525 Patienten in Schweden auf den Zusammenhang

zwischen SOC und dentaler Gesundheit. In der Befragung mittels SOC-13 Fragebogens zeigte sich eine Assoziation von höheren SOC-Werten mit einem sanierten Zahnstatus sowie einer geringeren Rate von Plaque und Zahnstein. [57]

1.4.3. Untersuchungen des Sense of coherence bei Angehörigen medizinischer Professionen

Neben einigen Studien über die Ausprägung des Kohärenzgefühls bei Patienten mit be-stimmten Krankheitsbildern, bei denen der SOC im Zusammenhang mit verschiedenen Parametern wie psychischer Verfassung, Krankheitsausprägung und Problemen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens untersucht wurde, gibt es bisher eine nur kleine Anzahl von Untersuchungen des SOC bei Angehörigen medizinischer Professionen. [58] [59]

Die ersten norminativen SOC-Erhebungen publizierte Aaron Antonovsky bei einer Gruppe Krankenschwestern aus Israel (n=33) und Edmonton/Kanada (n=108) mit Daten aus dem Jahr 1983. Weitere Untersuchungen bei einer Population von Ärzten, Sozialwissenschaftlern und anderen Beschäftigten des öffentlichen Gesundheitswesens nordischer Staaten (n=30) folgten 1985. [27]

Biro et al. befragten 100 Medizinstudierende einer ungarischen Universität mittels SOC-13 Fragebogens. In der Auswertung aus dem Jahr 2008 konnte eine signifikante negative Korre-lation zwischen Höhe des SOC und validierter psychischer Belastung bzw. psychischen

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Problemen nachgewiesen werden. Weibliches Geschlecht und soziale Unterstützung zeigten eine positive Korrelation zur Höhe des SOC. [60]

Haoka et al. analysierten 2010 den SOC, den BSJS (Brief Scales for Job Stress) und den GHQ-12 (General Health Questionnaire) bei 549 Assistenzärzten in Japan im ersten Jahr der Weiterbildung. Bei der Analyse des Kohärenzgefühls kam der SOC-29 Fragebogen zur Anwendung. Ein niedriger SOC-Level korrelierte hierbei mit einer schlechteren psychischen Verfassung und einer geringen Rate an beruflichen Erfolgserlebnissen. Ärzte mit geringem SOC gaben eine höhere psychische Arbeitsbelastung sowie häufiger Partnerschaftsprobleme an. Außerdem fühlten sie sich am Arbeitsplatz weniger durch Kollegen und Vorgesetzte un-terstützt. [61]

In Österreich publizierten Gernot Sieber et al. 2008 eine Untersuchung des SOC bei 137 Ärzten für Allgemeinmedizin in der Steiermark. Bei der Erhebung auf Grundlage des SOC-29 Fragebogens konnte nachgewiesen werden, dass der SOC bei den untersuchten Ärzten etwa im Bereich der Vergleichswerte anderer, insbesondere helfender Berufe und etwas über der Normstichprobe von Schumacher et al. lag.

Die drei SOC-Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit zeigten dabei eine direkte Korrelation. Zusammenhänge zwischen der Höhe des SOC und den Parametern Geschlecht, Alter, Dauer der Tätigkeit in der Praxis, Größe des Praxisortes oder

durchschnittlicher Arbeitszeit konnten bei den Allgemeinmedizinern nicht beobachtet werden. [62]

Binder et al. publizierten 2006 eine Befragung einer kleinen Untersuchungsgruppe von Psy-chotherapeuten in der Steiermark/Österreich, die im Vergleich mit dem deutschen Bevölke-rungsdurchschnitt sowie mit österreichischen Ärzten, Lehrern und Physiotherapeuten einen signifikant höheren SOC aufwiesen. Zur Anwendung kam hierbei der Fragebogen mit 29 Items. [63]

Daneben gibt es noch Daten des SOC bei österreichischen Gesundheitstrainern, Logopäden, Physio- und Psychotherapeuten in verschiedenen Diplomarbeiten und in mehreren bisher nicht veröffentlichten Masterarbeiten [62] [64] [65] sowie Befragungen mit nicht ausreichend qualifiziertem Studiendesign.

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Bislang sind keine größeren Erhebungen des SOC bei Ärzten in Deutschland oder anderen Angehörigen des deutschen Gesundheitssystems veröffentlicht worden.

Obwohl die in dieser Arbeit untersuchten Berufsgruppen naturgemäß kein umfassendes Bild des Gesundheitssystems einer Stadt in seiner Gesamtheit geben kann, erfolgt durch diese Arbeit erstmalig eine umfangreiche Datensammlung und Analyse der salutogenen Ressourcen bei Angehörigen medizinischer Professionen in Berlin: den Allgemeinmedizinern, Chirurgen und Medizinischen Fachangestellten.

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2. Aufgabenstellung und Hypothesen

2.1. Erhebung des SOC bei Fachärzten für Allgemeinmedizin und Vergleich mit einer zweiten Stichprobe

In der gegenwärtigen Salutogenese-Forschung gibt es bislang keine Daten über die Ausprä-gung salutogener Ressourcen von Fachärzten für Allgemeinmedizin in Deutschland. Dabei nimmt die Salutogenese in der medizinischen Profession durch den Wandel des Arztberufes einen besonderen Stellenwert ein. Unter dem Hintergrund von Burn-out, Depression und Sub-stanzmissbrauch ist für Ärzte das Erkennen und Erforschen ihrer eigenen Gesundheitsres-sourcen enorm wichtig geworden.

Aber auch das Betrachten eines Patienten aus der salutogenen Perspektive und die Berück-sichtigung salutogener Aspekte bei der Prävention und Therapiekonzeption nehmen eine emi-nente Wertigkeit ein.

Ziel dieser Arbeit ist es daher, zunächst den SOC bei Allgemeinmedizinern in Berlin zu erhe-ben und diesen mit dem einer weiteren ärztlichen Berufsgruppe zu vergleichen. Da in der Gruppe der Berliner Allgemeinmediziner berufstypisch 97% aller Ärzte ambulant tätig sind [66], wurde der Entschluss gefasst, die Allgemeinmediziner mit einer Arztgruppe aus dem stationären Krankenhaus- bzw. Klinikbereich zu vergleichen, um als zusätzliche Beobach-tungsgröße mögliche Unterschiede zwischen ambulant tätigen und stationär tätigen Ärzten zu erheben. Als zweite Stichprobe wurden in diesem Zusammenhang in Berlin stationär tätige Ärzte chirurgischer Disziplinen ausgewählt. Da in Deutschland bisher weder Daten von Allgemeinmedizinern noch von Chirurgen publiziert wurden, soll neben der alleinigen Erhe-bung des SOC auch ein Vergleich beider ärztlichen Berufsgruppen unter Berücksichtigung verschiedener statistischer Kategorien erfolgen.

Ärzte sind sowohl im ambulanten wie auch im stationären Sektor vielfältigen Belastungen ausgesetzt, die vor allem durch hohe Arbeitsdichte und überbordende Bürokratie gekenn-zeichnet sind. Im ambulanten Feld stehen daneben betriebswirtschaftliche Belange wie Re-gressionen und Budgetierung als Stressoren im Vordergrund, im stationären Bereich sind als Belastungsfaktoren vorwiegend Schichtarbeit, ein hoher Patientendurchlauf sowie operative Tätigkeiten an Wochenenden und Feiertagen zu nennen.

Daher soll auch beobachtet werden, ob es hinsichtlich der salutogenen Ressourcen Unter-schiede zwischen dem ambulanten und stationären Tätigkeitsspektrum gibt. Daneben soll der

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SOC der Allgemeinmediziner und Chirurgen mit den Daten der Bevölkerungsstichprobe ver-glichen werden, um festzustellen, ob es signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen gibt.

Hinsichtlich dieses Vergleiches wird die Hypothese 1 aufgestellt, dass Fachärzte für Allge-meinmedizin einen höheren Sense of coherence aufweisen als die stationär tätigen Chirurgen. Es wird vermutet, dass die ambulant tätigen Allgemeinmediziner für das breite Spektrum der in einer Praxis anfallenden Aufgabengebiete auf mehr salutogene Ressourcen zurückgreifen können, als dies bei den im Krankenhausbetrieb tätigen Chirurgen der Fall ist.

2.2. Vergleich des SOC der Ärzte mit dem der Medizinischen Fachangestellten als einer weiteren medizinischen Profession im Berliner Gesundheitssystem

Der Wandel des Gesundheitssystems zeigt sich auch dahingehend, dass die Zahl der Einzel-praxen zugunsten von Kooperationen wie Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) oder Berufsausübungsgemeinschaften abnehmen. Dieser Trend ist politisch erwünscht und wird seitens der ärztlichen Selbstverwaltungsorgane besonders gefördert. [67]

In solch größeren Praxiskooperationen spielt die Vernetzung von Mitarbeitern und die Bil-dung von Arbeitsteams eine wichtige Rolle. Eine besondere Bedeutung nimmt hierbei auch das Verhältnis von Ärzten und Medizinischen Fachangestellten (MFA*) ein. Auch diese

Berufsgruppe ist täglich vielfältigen Stressoren ausgesetzt. Neben administrativen und organi-satorischen Tätigkeiten im Empfangsbereich und am Telefon kamen in den letzten Jahren auf-grund zunehmender Bürokratie weitere, durch den Gesetzgeber veranlasste berufsfremde Tä-tigkeitsfelder hinzu, wie beispielsweise die über mehrere Jahre bestandene Pflicht der Erhe-bung einer Praxisgebühr für Patienten gesetzlicher Krankenkassen. Vor allem umfasst die Tätigkeit der MFA medizinische Arbeitsbereiche wie die Assistenz bei Untersuchungen, Auf-gaben im Labor, Funktionsdiagnostik und die Durchführung von Patientenschulungen wie beispielsweise im Rahmen des Disease-Management-Programms (DMP).

Außer den genannten Aufgaben nehmen MFA eine enorm wichtige Rolle bei der Interaktion und Kommunikation mit Patienten ein. Sie sind meist erster Ansprechpartner des Patienten und daneben als wichtige Vertrauensperson sehr oft auch mit persönlichen Sorgen, Nöten und Anliegen konfrontiert. Bereits an der Anmeldung müssen sie abwendbar gefährliche Verläufe

* Im Weiteren einheitlich als MFA bezeichnet. Diese Berufsbezeichnung wurde nach Anpassung der

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erkennen und in der Lage sein, Notfall-Situationen richtig einzuschätzen und entsprechend zu reagieren.

Das Berufsfeld der MFA hat sich in den letzten Jahren dynamisch entwickelt. Zur Entlastung der Hausärzte insbesondere bei Hausbesuchen wurden Zusatzqualifikationen entwickelt, wie zum Beispiel VerAH® (Versorgungs-Assistentin in der Hausarztpraxis), AGnES

(Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Healthgestützte, Systemische Intervention) in

Mecklenburg-Vorpommern oder EVA (Entlastende Versorgungs-Assistentin) in Nordrhein-Westfalen. [68] [69]

In diesem Zusammenhang ist es von besonderem Interesse, welche salutogenen Ressourcen die Berufsgruppe der MFA besitzt. Damit soll zugleich eine medizinische, aber nicht-ärztliche Profession eingeschlossen werden. Aus Gründen der Praktikabilität wurden die in den Praxen der Allgemeinmediziner tätigen Medizinischen Fachangestellten ausgewählt. Auch bei der Berufsgruppe der MFA gibt es gegenwärtig keine relevanten Erhebungen über die Ausprä-gung des Kohärenzgefühls, so dass bei der vorliegenden Untersuchung auch erstmals entspre-chende Daten größeren Umfangs erhoben werden sollen.

Auch die Gruppe der MFA wird hinsichtlich der Ausprägung des SOC auf mögliche signifi-kante Unterschiede mit der Bevölkerungsstichprobe verglichen.

Obwohl die MFA eine unverzichtbare Säule in dem Konstrukt einer Arztpraxis darstellen, gehen sie im Arbeitsalltag eine Übernahmeverantwortung ein, die einer ärztlichen Entschei-dungskompetenz oft erst nachfolgt. Es wird daher die Hypothese 2 formuliert, dass MFA zwar auch einen hohen SOC aufweisen, dieser aber unterhalb den Werten der Ärztegruppen liegt.

2.3. Untersuchung des Einflusses einer Partnerschaft auf die Ausprägung des SOC bei Allgemeinmedizinern

Das Bedürfnis nach „Bindung und Liebe“, das Vorhandensein sozialer Netze, die Integration in soziale Unterstützungssysteme sowie emotionale Stabilität und soziale Kompetenz zählen zu den wichtigsten Protektivfaktoren der Gesundheitserhaltung, zu den Grundpfeilern der menschlichen Existenz. [70]

Eine ausfüllende, ideale Partnerschaft ist gekennzeichnet durch uneingeschränktes Vertrauen dem Partner gegenüber, durch Verlässlichkeit und Treue sowie Gefühlen von Sicherheit und

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Geborgenheit. Diese Werte geben beiden Partnern wechselseitige Unterstützung, insbeson-dere bei kritischen Lebensereignissen wie beispielsweise Krankheiten oder Konflikten am Arbeitsplatz. Der Verlust des Arbeitsplatzes oder finanzielle Probleme werden dadurch besser verkraftet. Die partnerschaftliche Unterstützung schützt nachweislich vor klinisch relevanten Depressionen. [70] [71] [72]

Neben der erstmaligen Datenerhebung des Kohärenzgefühls von Allgemeinmedizinern stellt sich auch die interessante Frage, ob der durch eine Partnerschaft bedingte psychosoziale Rückhalt auch bei Fachärzten für Allgemeinmedizin eine wichtige Voraussetzung für den Stressabbau berufsbedingter Belastungen darstellt und sich dies in der Höhe des SOC wider-spiegelt.

Als Hypothese 3 wird formuliert, dass Allgemeinmediziner mit Partnerschaft einen höheren SOC aufweisen als diejenigen ohne Partnerschaft.

2.4. Untersuchung weiterer Parameter

2.4.1. Untersuchung des Einflusses des Lebensalters auf die Ausprägung des SOC

Zunehmendes Lebensalter bedeutet einerseits wachsende Kenntnisse und Fähigkeiten im Beruf, so dass Arbeitsaufgaben vielfach entspannter und effizienter im Vergleich zu Berufs-anfängern bewältigt werden können. Andererseits kann ansteigendes Lebensalter aber auch zu alltäglichen Belastungen führen, die den Arbeitsprozess verlangsamen und das körperliche und seelische Wohlbefinden und damit den Arbeitsalltag negativ beeinträchtigen. Es stellt sich daher die Frage, ob bei den untersuchten Gruppen des Berliner Gesundheitssystems ein Unterschied zwischen Höhe des SOC und dem Lebensalter zu beobachten ist. Die altersab-hängige Ausprägung des Kohärenzgefühls soll ferner mit entsprechenden Daten der Bevölke-rungsstichprobe verglichen werden.

Im sehr vielfältigen beruflichen Aufgabengebiet von Ärzten und MFA wird mit zunehmenden Berufsjahren ein reicher Erfahrungsschatz aufgebaut. Sowohl die Verstehbarkeit, als auch Bewältigbarkeit und insbesondere die Sinnhaftigkeit bieten als Komponenten des SOC ein wichtiges Potenzial, das sich auch durch mögliche körperliche und seelische Belastungen mit zunehmenden Arbeitsjahren nicht wesentlich verringern dürfte.

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2.4.2. Untersuchung des Einflusses der geografischen Lage des Arbeitsplatzes auf die Ausprägung des SOC

In einer Metropole wie Berlin bestehen deutliche soziale Unterschiede, die in verschiedenen amtlichen Statistiken nach Stadtbezirken erfasst werden. So gibt es Stadtbezirke, die als sozialer Brennpunkt gelten und Stadtbezirke mit einer als gutbürgerlich zu bezeichnenden Sozialstruktur.

Indikatoren für den sozialen Status eines Stadtbezirks sind unter anderem:

- Anteil der Arbeitslosigkeit

- Anzahl der Bezieher von staatlichen Existenzsicherungsleistungen - Kriminalitätsbelastung

- Haushaltsnettoeinkommen

Es ist daher von besonderem Interesse zu untersuchen, ob die geografische Lage des Tätigkeitsorts einen Einfluss auf die Ausprägung des Kohärenzgefühls der untersuchten Angehörigen des Berliner Gesundheitssystems hat.

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3. Methodik

Die Befragung der Teilnehmer erfolgte als quantitative anonyme Erhebung mittels postalisch versandten eigenhändig auszufüllenden standardisierten Fragebogens der Leipziger Kurzskale (SOCL-9) durch 9 Items mit einer Range von 1-7.

In die Befragung wurden alle Vertragsärzte Berlins mit der Gebietsbezeichung „Allgemein-medizin“, deren dienstälteste bzw. leitende MFA sowie in Berliner Krankenhäusern stationär chirurgisch tätige Ärzte einbezogen. Die Gesamtzahl der eingeschlossenen Teilnehmer betrug n=3.398. Darunter befanden sich n=1.324 Allgemeinmediziner, entsprechend die gleiche An-zahl MFA und n=750 stationär chirurgisch tätige Ärzte. Der Befragungszeitraum war von März bis Juni 2009.

Die als Messinstrument verwendete Leipziger Kurzskale enthält folgende Items der Ge-samtskale des SOC-29 Fragebogens von Antonovsky:

Sense of comprehensibility – Gefühl der Verstehbarkeit

1. Haben Sie das Gefühl, dass Sie in einer ungewohnten Situation sind und nicht wissen, was Sie tun sollen? (sehr oft - sehr selten oder nie)

2. Wie oft sind Ihre Gefühle und Gedanken ganz durcheinander? (sehr oft - sehr selten oder nie)

Sense of manageability – Gefühl der Handhabbarkeit oder Bewältigbarkeit

3. Wenn Sie etwas tun, dass Ihnen ein gutes Gefühl gibt, … (dann ist es bestimmt so, dass Sie sich auch weiterhin gut fühlen werden - dann wird bestimmt etwas passieren, dass dieses Gefühl wieder verdirbt)

4. Viele Leute – auch solche mit einem starken Charakter – fühlen sich in bestimmten Situationen als traurige Verlierer. Wie oft haben Sie sich in der Vergangenheit so ge-fühlt? (sehr oft - sehr selten oder nie)

5. Wenn Sie an Schwierigkeiten denken, denen Sie bei wichtigen Dingen im Leben wohl begegnen werden, haben Sie das Gefühl, dass… (es Ihnen immer gelingen wird, die Schwierigkeiten zu überwinden - Sie es nicht schaffen werden, die Schwierigkeiten zu überwinden.)

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Sense of meaningfulness – Gefühl der Sinnhaftigkeit

6. Wenn Sie über Ihr Leben nachdenken, ist es dann sehr oft so, dass… (Sie spüren, wie schön es ist, zu leben - Sie sich fragen, wieso Sie überhaupt leben)

7. Die Dinge, die Sie täglich tun, sind für Sie… (eine Quelle tiefer Freude und Befriedi-gung - eine Quelle von Schmerz und Langeweile)

8. Sie erwarten für die Zukunft, dass Ihr eigenes Leben… (ohne jeden Sinn und Zweck sein wird - voller Sinn und Zweck sein wird)

9. Wie oft haben Sie das Gefühl, dass die Dinge, die Sie im täglichen Leben tun, wenig Sinn haben? (sehr oft - sehr selten oder nie)

Wie bei den anderen SOC-Fragebögen auch, muss die Range bestimmter Items bei der Aus-wertung umgepolt werden, bei der Leipziger Kurzskale betrifft dies die Fragen 3, 5, 6 und 7.

Die Erhebung wurde um folgende statistische Parameter ergänzt: - Alter in Jahren

- Geschlecht

- Herkunft (Angabe des Wohnsitzes vor 1990)

Parameter: West-Berlin oder Westdeutschland, Ost-Berlin oder Ostdeutschland, Ausland

- Partnerschaft

Parameter: ja, mit Partner lebend oder nein, nicht mit Partner lebend - Beruf

Parameter: Arzt selbstständig, Arzt angestellt, MFA - Fachrichtung

Parameter: Facharzt Allgemeinmedizin, Praktischer Arzt, Facharzt für Chirurgie mit den Subspezialisierungen Allgemeinmedizin/Visceralchirurgie, Unfallchirurgie, Ge-fäßchirurgie, sonstige chirurgische Fachrichtung

- Stadtbezirk des Arbeitsplatzes

Parameter: Charlottenburg, Friedrichshain, Hellersdorf, Hohenschönhausen,

Köpenick, Kreuzberg, Lichtenberg, Marzahn, Mitte, Neukölln, Pankow, Prenzlauer Berg, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Steglitz, Tempelhof, Tiergarten, Treptow, Wedding, Weißensee, Wilmersdorf, Zehlendorf

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Für die Auswahl der Stadtbezirke wurden nicht die aktuellen amtlichen Verwaltungsbezirke Berlins gewählt, sondern die bis zum Jahr 2000 gültige amtliche Einteilung in 23 Stadtbe-zirke, die gegenwärtig noch bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin Verwendung findet. Bei der Auswertung wurde des Weiteren besondere Aufmerksamkeit auf die sozialen

Strukturen der Stadtbezirke gelegt, hierbei wurden insbesondere die Parameter Arbeitslosen-quote, monatliches Haushaltsnettoeinkommen, öffentliche Ausgaben der Sozialhilfe und Kri-minalitätsbelastung berücksichtigt. Die entsprechenden Angaben wurden dem Statistischen Jahrbuch Berlin und der „Kriminalitätsbelastung in öffentlichen Räumen Berlin 2009“ ent-nommen. [66] [73] [74]

Der Vorteil der validierten Leipziger Kurzskale liegt einerseits in der geringeren Itemzahl, die eine höhere Teilnahmemotivation und damit eine höhere Responderrate ermöglicht, zum an-deren in einer höheren internen Konsistenz im Vergleich zum Fragebogen mit 13 Items (Cronbachs α=0,87 versus α=0,85) sowie in einer besseren Repräsentation des Sense of meaningfulness, dem Gefühl der Sinnhaftigkeit, das von Antonovsky als zentrale Kompo-nente des SOC betrachtet wurde. [46]

3.1. Datenerhebung und Management

3.1.1. Datenerhebung bei Fachärzten für Allgemeinmedizin und MFA

Vor Beginn der Analyse wurden folgende Ein- und Ausschlusskriterien benannt: Primär ein-geschlossen wurden alle bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin zum Stichtag 15. Februar 2009 registrierten Vertragsärzte mit der Gebietsbezeichnung „Allgemeinmedi-zin/Praktischer Arzt“. [75]

Aus dieser Gruppe wurden im weiteren Verlauf die darin enthaltenen „Vertragsärzte ohne Gebietsbezeichnung“ ausgeschlossen, da bei dieser Population das medizinische Weiterbil-dungsprofil nicht verifizierbar war. Ferner wurden alle Ärzte mit einer doppelten Gebietsbe-zeichnung (beispielsweise „Facharzt für Allgemeinmedizin“ und „Facharzt für Chirurgie“) ausgeschlossen, da in diesen Fällen der Behandlungs- und Praxisschwerpunkt nicht eindeutig eingegrenzt bzw. zugeordnet werden konnte.

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Insgesamt wurden 1.324 Vertragsärzte der Gebietsbezeichnung „Allgemeinmedizin/Prakti-scher Arzt“ angeschrieben, darunter befanden sich 1.250 Fachärzte für Allgemeinmedizin und 74 Praktische Ärzte.

Die eingeschlossenen Fachärzte für Allgemeinmedizin/Praktischen Ärzte* wurden gebeten, einen zusätzlich beigefügten separaten Fragebogen der in der Praxis dienstältesten bzw. leitenden MFA auszuhändigen, damit neben der Gruppe der Ärzte die Daten der MFA als weiterer medizinischen Profession erhoben werden konnten. Sowohl für die Ärzte als auch für die MFA wurde ein vorbereiteter und frankierter Rückumschlag für die anonym

auszufüllenden Fragebögen der Sendung beigelegt. Unabhängig davon wurde sowohl für den jeweiligen Vertragsarzt als auch für die MFA eine frankierte Antwortpostkarte beigefügt, die mittels Praxisstempel gekennzeichnet werden sollte. Auf dieser Antwortpostkarte war

anzugeben, ob eine Teilnahme und damit die Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens der jeweiligen Profession erfolgte oder ob gegebenenfalls eine Teilnahme und weitere

Kontaktierung nicht gewünscht wurde. Da die Antwortpostkarte separat zurück geschickt werden sollte, war eine Anonymität zu jedem Zeitpunkt gewährleistet.

Sofern eine Antwortpostkarte mit Angabe der Praxisadresse und Markierung der jeweilig teil-genommenen Profession eingegangen war, wurde dies in einer gesonderten Adressdatenbank registriert.

In einem Follow-up wurden 14 Tage nach dem Versand der Teilnahmeunterlagen alle Praxen in einem nochmaligen Schreiben erinnert, von denen bis dato noch keine Antwortpostkarte eingegangen war.

3.1.2. Datenerhebung bei klinisch tätigen Ärzten für Chirurgie

Zur Datenerhebung der Gruppe der stationär tätigen Ärzte für Chirurgie wurden insgesamt 41 Berliner Krankenhäuser eingeschlossen, die im zum Erhebungszeitpunkt gültigen Berliner Krankenhausplan vom 20. Juni 2006 erfasst waren.

Von diesen wurden drei Krankenhäuser ausgeschlossen, da in diesen ausschließlich chirurgi-sche Belegabteilungen vorhanden waren und hierbei eine rein klinichirurgi-sche Tätigkeit der Chirur-gen nicht sicher anChirur-genommen werden konnte.

* Im Weiteren werden die Berufsgruppen „Fachärzte für Allgemeinmedizin“ und „Praktische Ärzte“

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Im folgenden Schritt wurden die Chefärzte bzw. Klinikdirektoren von 77 chirurgischen Ab-teilungen der eingeschlossenen Krankenhäuser mit der Bitte angeschrieben, den beigefügten Fragebogen selbst auszufüllen und weitere Exemplare persönlich an die in der jeweiligen Klinik bzw. Abteilung angestellten chirurgisch tätigen Ärzte auszuhändigen und ein Ausfül-len des Fragebogens zu ermöglichen. Für alle Fragebögen wurde ein separater adressierter und frankierter Rückumschlag beigefügt. Da Adressdaten der chirurgisch tätigen Ärzte im Einzelnen nicht verifizierbar waren, wurde auf ein Follow-up verzichtet.

Die Gesamtzahl der den Einschlusskriterien der Berliner Krankenanstalten entsprechenden chirurgisch tätigen Ärzte* wurde anhand der Daten des Statistischen Jahrbuches mit n=750

ermittelt. [66]

3.2. Datenanalyse

Zunächst erfolgte die Durchführung einer deskriptiven Statistik, bei der alle eingeschlossenen Teilnehmer als Gesamtgruppe untersucht wurden.

Es erfolgte eine Analyse nach Alter, Geschlecht, Herkunft, Partnerschaft, Dauer der Antwort in Tagen, SOC gesamt sowie SOC nach Altersklassen, Herkunft, Partnerschaft, Stadtbezirk und Antworttagen.

In einem zweiten Schritt wurden dann die genannten Parameter zusätzlich separat für die Be-rufsgruppe „Allgemeinmediziner“, „Chirurgen“ und „MFA“ analysiert.

In einem dritten Verfahrensgang erfolgte eine Korrelation zwischen Subpopulationen aller Teilnehmer hinsichtlich relevanter Unterschiede bzw. Fragestellungen.

Schlussletztlich wurde der SOC der Teilnehmer mit dem SOC der Bevölkerungsstichprobe in seiner Gesamtheit und hinsichtlich Geschlecht, Altersklassen, Herkunft (Wohnsitz vor 1990) verglichen. Die Parameter der Bevölkerungsstichprobe wurden der repräsentativen Erhebung von Schuhmacher et al. aus dem Jahr 1998 entnommen. An dieser Befragung durch ein Mei-nungsforschungsinstitut in Form eines „Face-to-face-Interviews“ nahmen n=2.005 Personen im Alter von 18 bis 92 Jahren teil. Zum Zeitpunkt der Erhebung hatten 1.008 Personen ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern, 997 Personen waren Bewohner der alten

* Im Weiteren werden die chirurgisch tätigen Ärzte auch vereinfacht als „Chirurgen“ bezeichnet, darin sind

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der. Die Grundgesamtheit der Erhebung stellt die in Privathaushalten lebende deutsche Be-völkerung ab 18 Jahren dar.

Die Datenlage stellt zum Zeitpunkt der vorliegenden Arbeit den aktuellen Stand der Ausprä-gung des SOC in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland dar. [46]

Um eine Vergleichbarkeit der SOC-Mittelwerte nach Lebensalter mit denen der Bevölke-rungsstichprobe zu erzielen, wurden analog zu den Daten von Schuhmacher et al. entspre-chende Alterskategorien gebildet.

Besonders erwähnenswert ist der zusätzlich bestimmte Parameter M1. Um die Daten besser mit anderen SOC-Erhebungen vergleichen zu können, wurde wie bei Schumacher et al. zu-sätzlich zum SOC die Variable M1 berechnet und angegeben. Diese Variable bezeichnet den an die Itemzahl relativierten Skalenmittelwert des SOC. Im Kapitel 1.4. wurde bereits auf die in der Literatur große Variabilität durch unterschiedliche Fragebögen bei der Erhebung des SOC hingewiesen, die eine direkte Vergleichbarkeit der Einzeldaten verhindern.

Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass die Mehrheit der Allgemeinmediziner selbst-ständig niedergelassen ist, findet zunehmend – insbesondere bei den jüngeren Ärzten – das Berufsmodell des in einer Praxis angestellten Facharztes zunehmende Aufmerksamkeit und Interesse. Da in der Datenbank der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin niedergelassene und angestellte Fachärzte für Allgemeinmedizin derzeit gleichartig erfasst sind und ihre Unter-scheidung nicht möglich ist, wurde auf eine detaillierte Auswertung zwischen angestellter und selbstständiger Arbeitsform bei der Subgruppe der Allgemeinmediziner verzichtet.

Zur statistischen Auswertung wurde das Programm „PASW Statistics 18“ der Firma „SPSS Inc./USA“ sowie das Programm „EpiCalc 2000“ Version 1.02 (Public Domain Software) verwendet.

Neben der deskriptiven Datenanalyse kam die univariate Varianzanalyse ANOVA (analysis of variance) zur Anwendung. Die ANOVA wurde verwendet, da eine abhängige Variable (SOC) mit mehreren unabhängigen Faktoren verglichen werden sollte.

Bei der ANOVA werden Mittelwerte von drei oder mehr Gruppen bzw. Bedingungen vergli-chen. Sie ist eine Erweiterung des t-Tests auf mehr als zwei Gruppen bzw. mehr als eine un-abhängige Variable.

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