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D Erkenntnisgewinn ist nicht bezahlbar

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© 2016 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/16/0202-3 Physik Journal 15 (2016) Nr. 2 3 M E I N U N G

Meinung von Herwig Schopper, der von 1981 bis 1988 General­

direktor am CERN war und von 1992 bis 1994 Präsident der DPG

D

ie Beurteilung von wissen- schaftlichen Aktivitäten ist aus unserem Alltag nicht weg- zudenken. Wir beurteilen und werden beurteilt – sei es bei der Begutachtung von Arbeiten eines einzelnen Wissenschaftlers für die Empfehlungen bei Promotionen oder Preisen oder bei der Begut- achtung großer Forschungsprojekte zur Mittelbeschaffung. Einigkeit besteht darin, dass solche Beurtei- lungen möglichst objektiv, gerecht und transparent erfolgen sollen.

Dieses hehre Ziel lässt sich aller- dings in der Praxis immer schwie- riger erreichen, was unterschied- liche Gründe hat. Hier seien nur zwei genannt: Durch die stärkere Spezialisierung der Wissenschafts- domainen schrumpft der Bereich, den ein einzelner Wissen schaftler überblicken kann. In manchen Wissenschaftsgebieten arbeiten so große Gruppen zusammen, dass der Beitrag des Einzelnen von außen kaum wahrnehmbar ist.

Bei der Beurteilung wissen- schaftlicher Arbeiten erfreuen sich sog. Zitationsindizes großer Be- liebtheit. Eine eigene Wissenschaft erfindet immer kompliziertere Indizes, die nicht nur die Zahl der Zitate berücksichtigen, sondern auch ihre zeitliche Verteilung oder den Impakt-Faktor. Zum Glück kommen immer mehr Zweifel an der Aussagekraft solcher Qualitäts- faktoren auf.1) So klagte Bruce Al- berts, Chefredakteur bei „Science“, die Impakt-Faktor-Manie mache keinen Sinn.2) Auch Peter Higgs glaubt, dass er für seine berühmte Arbeit keine Anstellung bekommen hätte, wäre sie mit Indizes evaluiert worden. Das Versagen von Indizes kann vor allem für den Nachwuchs negative Folgen haben.3)

Besondere Schwierigkeiten treten in solchen Disziplinen auf, die auf große Kollaborationen angewiesen sind wie die Teilchen-

oder Astrophysik. In diesen Dis- ziplinen ist es für Außenstehende unmöglich, bei mehreren tausend alphabetisch geordneten Autoren den Beitrag eines einzelnen Wis- senschaftlers zu erkennen. Daraus ergeben sich neuerdings abstruse Konsequenzen: Manche Evaluati- onskomitees behandeln Arbeiten mit mehr als hundert Autoren als nicht existent. In der Folge hat ein junger Wissenschaftler keine Anstellung erhalten, sollte aber weiter Vorlesungen über das Higgs-Teilchen halten.4) Aufgrund ähnlicher Argumente wurde das portugiesische Laboratorium für Experimente und Teilchenphysik (LIP) von einer EU-Kommission herabgestuft. Abhilfe ist nicht leicht, und Verbesserungsvorschlä- ge, die ich schon 1983 für die LEP- Experimente am CERN machte, haben sich nicht durchgesetzt.

Bei der Begutachtung großer Forschungsprojekte oder -infra- strukturen nehmen die Entschei- dungsträger immer häufiger Zu- flucht zu „objektiven“ Parametern.

So sollen sich in Zukunft bei der EU beantragte Großprojekte einer Kosten/Nutzen-Analyse unterzie- hen, die nach szientometrischen Methoden und wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt. Um die Brauchbarkeit eines solchen Ver- fahrens zu untersuchen, gab es jüngst eine Fallstudie für den LHC bei CERN.5) Nicht nur die Aufwen- dungen, sondern auch die Erfolge gilt es dabei, in harter Währung auszudrücken. Dies führt in man- chen Bereichen wie dem Technolo- gietransfer oder der Ausbildung zu durchaus nützlichen Ergebnissen.

Große Schwierigkeiten treten aber auf, wenn der Erkenntnisgewinn oder kulturelle Gewinne in Euro umzurechnen sind. Das Gesamt- ergebnis der Studie ist für den LHC hinsichtlich seines Wertes für die Gesellschaft zwar positiv – obwohl

z. B. die Verbesserung der interna- tionalen Zusammenarbeit unbe- rücksichtigt blieb –, aber der wis- senschaftliche Erkenntnisgewinn trägt dazu nur mit etwa 1,7 Prozent bei. Das zeigt, dass das Verfahren in seiner gegenwärtigen Form nicht in der Lage ist, das „Hauptprodukt“

einer wissenschaftlichen Anlage, nämlich den Erkenntnisgewinn, quantitativ richtig zu ermitteln.

Natürlich ist es verständlich, dass die Entscheidungsträger bei den laufend steigenden Kosten für große Anlagen möglichst objektive und transparente Entscheidungs- grundlagen anstreben, um auch dem Steuerzahler Rechenschaft geben zu können. Aber sich einzig auf den „Kapitalwert“ zu verlassen, kann zu großen Irrtümern führen.6) Ich möchte davor warnen, sich bei wissenschaftlichen Beurtei- lungen auf einzelne Indikatoren zu verlassen. Entscheidungen über menschliche Aktivitäten enthal- ten immer auch nicht rationale Aspekte. Peer Review allein ist nicht die Lösung, da die Ergeb- nisse von einzelnen Gutachtern oder Komitees von ihrer teils willkürlichen Auswahl abhängen.

Es gibt kein Patentrezept. Nur die Berücksichtigung von möglichst vielen Kriterien und persönliches Verantwortungsbewusstsein kön- nen zu befriedigenden Ergebnissen führen. Eine Gesellschaft wie die DPG kann dazu beitragen, nach geeigneteren Verfahren für die Be- gutachtung zu suchen.

Erkenntnisgewinn ist nicht bezahlbar

Bei der Begutachtung einzelner Wissenschaftler oder großer Forschungsprojekte zählen immer mehr und immer speziellere Bewertungsindizes.

Herwig Schopper

1) R. Piazza, Europhys.

News 46, 1 (2015);

M.Knoop, Europhys.

News 46, 4 (2015) 2) B. Alberts, Science 340, 787 (2013) 3) M.Osterloh, Bayer.

Akademie Aktuell 3 (2015), S 24 4) S. Yacoob, Physics World, Oktober 2015, S.

15

5) M. Florio et al, er- scheint in Technological Forecasting and Social Change, Elsevier 6) H. Schopper, http://

arxiv.org/abs/1511.05477

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