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Archiv "Leben mit neuen Organen" (26.08.1996)

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as Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts in der Abtrei- bungsfrage hält Prof. Dr. Dr.

Norbert Hoerster im Grunde für Heuchelei. Danach bleibe nämlich das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf Leben dem menschlichen Embryo vorenthalten, obwohl von den Richtern jedes einzelne vorge- burtliche Leben „um seiner Einmalig- keit und seiner individuellen Men- schenwürde willen“ für schutzbedürf- tig erklärt worden sei.

Interessenorientierte Philosophie

Das Bundesverfassungsgericht erkläre zwar jede Abtreibung, die nicht unter eine der drei gesetzlich an- erkannten Indikationen (medizini- sche, embryopathische und kriminolo- gische) falle, für rechtswidrig und ver- boten, wie es sich zwingend aus dem Lebensrecht des Ungeborenen erge- be. Trotzdem ziehe das Gericht für die ersten drei Monate eine Beratung ei- ner Bestrafung vor. Begründung des Gerichts: Während die Bestrafung ab- bruchwillige Frauen dazu verführe, überstürzt eine Selbstabtreibung vor- zunehmen oder zum Kurpfuscher zu gehen, könne die Beratung abtrei- bungswillige Frauen eher dazu moti- vieren, ihr Kind auszutragen.

Es sei jedoch, betonte der Rechtsphilosoph, durchaus nicht so, daß sich eine Beratung gegenüber ei-

ner Bestrafung in allen Fällen vorteil- haft auswirke. Erfahrungen im Aus- land hätten gezeigt, daß Strafen durchaus eine gewisse Schutzwirkung ausüben könnten.

Anders als bei der Bestrafungsre- gelung dürfe schließlich bei der Fri- stenregelung niemand zum Schutz des ungeborenen Lebens eingreifen und den abtreibungsbereiten Arzt am Tö- ten hindern. Jenes Recht auf polizeili- ches Eingreifen und auf Nothilfe Drit- ter, das jedes geborene menschliche Individuum genieße, werde dem be- troffenen Embryo vorenthalten. Eine solche Regelung sei mit dem Konzept eines jedem Embryo zustehenden Le- bensrechtes eindeutig unvereinbar.

Wenn dem menschlichen Em- bryo also kein Recht auf Leben zuge- standen würde, ist nach Ansicht Hoersters eine ethische Theorie not- wendig, die festlegt, welchen mensch- lichen Individuen genau das Recht auf Leben zustehe. Seiner Ansicht nach gebe es nur „einen einzigen Weg zur Begründung eines Rechtes auf Leben, der frei von religiösen oder metaphysischen Voraussetzungen ist:

den Weg über ein Interesse am Le- ben beziehungsweise Überleben“.

Menschliche Föten hätten dieses Überlebensinteresse noch nicht, da sie noch keine zukunftsbezogenen Wünsche und Pläne, also kein Ichbe- wußtsein hätten. Deshalb würde ih- nen durch einen vorzeitigen Tod nichts genommen, was sie wünschen oder erstreben könnten.

Erst nach der Geburt entwickele sich in einem allmählichen Prozeß das Ichbewußtsein. Da man den genauen Beginn dieses Prozesses jedoch nicht bestimmen könne, spreche er sich, an- ders als der australische Bioethiker Peter Singer, dafür aus, das Lebens- recht nicht später als mit der Geburt beginnen zu lassen. Eine Ausnahme von der Geburtsgrenze erscheint Hoerster im Fall von extremen Früh- geburten vertretbar. Die Konsequenz von Hoersters These: Abtreibungen in jedem Stadium der Schwanger- schaft und die Tötung von extrem Frühgeborenen sollten generell er- laubt sein.

Naturrechtliche Philosophie

Hoersters Kritik an dem BVG- Urteil pflichteten die „Ärzte für das Leben“ bei. Auch ihrer Ansicht nach ist der von den Karlsruher Richtern vorgesehene Schutz des Ungebore- nen durch die Beratungsregelung nur unzureichend gewährleistet. Doch im Gegensatz zu Hoerster hielten die Se- minarteilnehmer das Leben des Em- bryos von der Zeugung an für schüt- zenswert. Dabei orientieren sie sich an der naturrechtlichen Ethik, die von Dr. Dr. Alexander Lohner, Habilitand der katholischen Moraltheologie in Berlin, erläutert wurde.

Naturrechtliches Denken bedeu- te für die Abtreibungsproblematik, A-2140 (32) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 34–35, 26. August 1996

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

Abtreibung

Wann beginnt das Lebensrecht?

Scharfe Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 28. Mai 1993 in der Abtreibungsfrage übte auf einer Tagung im fränkischen Kloster Banz der Mainzer Rechtsphilosoph Prof. Dr. Dr.

Norbert Hoerster. Er befand sich damit völlig im Einklang mit dem

Veranstalter, dem Verein „Ärzte für das Leben“. Auf wenig Gegen-

liebe stieß er dagegen mit seiner These, daß das Lebensrecht erst mit

der Geburt beginnen solle, da bei dem Ungeborenen kein Ichbewußt-

sein und damit auch kein Lebensinteresse gegeben sei. Auf dem Se-

minar ging es außerdem unter anderem um die Hirntoddiskussion.

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daß man den „Seins- und Werdepro- zeß der embryonalen Entwicklung nicht stört oder verhindert“. Daß ein Embryo kein Lebensrecht habe, weil er keinen ausdrücklichen Überle- benswunsch habe, lasse sich widerle- gen. Denn auch das Ungeborene zeige bereits ein Strebeverhalten, habe in diesem Sinne also Wünsche, die es zu befriedigen suche: „Es trinkt Frucht- wasser, ertastet seine Nabelschnur und lutscht lustvoll am Daumen.“ Das Neugeborene habe den Wunsch zu trinken und zu schlafen; es suche die körperliche Nähe der Mutter.

Die traditionelle, unter anderem auch die christliche, Ethik lehre, daß es Dinge gibt, die man unter keinen Umständen tun dürfe. Dazu gehöre alles, was gegen das Wesen und die Würde die Menschen als Person ver- stoße. Eine Person sei nach „traditio- neller und philosophisch wohlbe- gründeter Auffassung jedes

Wesen einer Art, deren nor- male Mitglieder die Mög- lichkeit haben, Ichbewußt- sein und Rationalität zu erwerben. Das bedeutet:

Jeder Mensch ist eine Per- son.“

Schon in der Natur des ungeborenen Kindes be- stünden sämtliche Ver- mögen zu den im erwachse- nen Menschen entfalteten Fähigkeiten. „Die Mutter, die ihrem fünfjährigen Kind das Ultraschallbild zeigt, welches es als drei Monate alten Embryo abbildet, wird sagen: Das warst du – und nicht: Das ist das vorperso- nale Wesen, aus dem du wurdest.“

Für Lohner ist die Geburt als Le- bensrechtsgrenze vollkommen will- kürlich und keinesfalls klar. Denn wie wolle man Fälle beurteilen, in denen das abgetriebene Fünfmonatskind

„versehentlich“ lebendig zur Welt kommt und dann an den Abtrei- bungsverletzungen stirbt? Wie wolle man die Probleme fortschreitender Retortenmedizin lösen, welche die Geburt als signifikanten biologischen Einschnitt mehr und mehr aufheben könne und werde?

Dem Vorwurf der Behinderten- feindlichkeit begegne Hoerster wie-

derum mit dem Argument, daß er ja das prinzipielle Lebensrecht aller Ungeborenen negiere – behinderter und nichtbehinderter. „Doch werden sich in Zukunft Eltern, die sich für ihr behindertes Kind entscheiden, nicht rechtfertigen müssen, eventuell ge- sellschaftliche Nachteile und Sank- tionen zu erwarten haben?“ fragte Lohner.

Hirntoddiagnostik

Die Seminarteilnehmer beschäf- tigten sich nicht nur mit dem Anfang, sondern auch mit dem Ende des Le- bens. Die Hirntodkriterien zielen, so der Münchner Neurochirurg Prof. Dr.

med. Oskar Josef Beck, darauf ab, daß die Hirntoddiagnose in jedem Krankenhaus mit entsprechender In- tensivstation vorgenommen werden

könne. Unabdingbare Voraussetzun- gen, die wiederholte Feststellung von Koma, Hirnstammreflexie, Apnoe und eine angemessene Beobach- tungszeit oder, wenn nötig, ergänzen- de Untersuchungen gäben heute eine absolute Sicherheit in der Diagnose des Hirntods. Die Nachweisverfahren des völligen und endgültigen Hirn- ausfalls seien in Deutschland durch den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer vereinheitlicht.

Danach müsse der vollständige und endgültige Hirnausfall von zwei Ärzten festgestellt werden, wenig-

stens einer dieser beiden Ärzte müsse eine mehrjährige Erfahrung in der In- tensivbehandlung haben, und keiner von ihnen dürfe an einer vielleicht möglichen Organtransplantation mit- wirken.

Der Hirntod leite zwar unum- kehrbar das Sterben ein, jeder wisse aber, daß im Körper des Hirntoten noch biologisches Leben vorhanden ist. Hirntote seien also Sterbende.

Aus diesem Grunde spricht sich Beck in bezug auf ein geplantes Transplan- tationsgesetz für eine enge Zustim- mungslösung aus. Denn das Grund- recht auf Leben, das im Grundgesetz verankert sei, verbiete die externe Verfügung über das Leben auch dann, wenn diese der Rettung des Lebens Dritter diene. Deshalb könne nur der Betroffene selbst bei Lebzeiten und bei vollem Bewußtsein die Organ- spende erlauben. Die Spende müsse freiwillig, schriftlich und unter Umständen widerruf- bar sein. Nur so werde die personelle Menschenwürde gewahrt, nur so könnten die Angehörigen vor Druck der Umwelt geschützt werden.

Beck betrachtet die Organspende als „ein Ge- schenk der Nächstenliebe“.

Denn wer „die Freude ei- nes Nierentransplantierten erlebt hat, wenn dieser erst- mals wieder Wasser lassen kann, und wer einen Herz- transplantierten nach mo- natelangem Siechtum wie- der Sport treiben gesehen hat, wird sich intuitiv für ei- ne Organspende ausspre- chen, auch wenn das Leben mit einem fremden Organ weder medizinisch noch psycholo- gisch als normal angesehen werden kann“, sagte der Münchner Neuro- chirurg. Entgegen der vorherrschen- den Meinung habe eine Repräsenta- tivumfrage der Universität Düssel- dorf von 1995 eine Zunahme der Spendenbereitschaft verzeichnen können. Mit einer besseren Informa- tion der Bevölkerung und einer Opti- mierung des Organisationsablaufes lasse sich die Spendenbereitschaft sogar noch weiter erhöhen, wie Bei- spiele in Spanien und Großbritannien zeigen. Gisela Klinkhammer A-2141 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 34–35, 26. August 1996 (35)

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 3 368 Organtransplantationen vor- genommen worden. Nach wie vor unbefriedigend ist allerdings das Aufkommen an Spenderorganen. Die Zahl der Patienten auf der Warteliste ist auch 1995 wie- der gestiegen, auf eine Niere warten zum Beispiel rund 10 000 Bundesbürger.

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