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Archiv "Versuch über das Sehen der Bäume: Ein Porträt des Philosophen Paul Good" (23.05.1991)

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Versuch über

das Sehen der Bäume

Ein Porträt des Philosophen Paul Good

Paul Good Foto: Heinz-Norbert Jocks

E

s ist ein gutes Jahr her, da traf ich ihn zum ersten Mal: Paul Good. Er saß sehr aufrecht, die Beine über- einandergeschlagen, auf der Couch seines Wohnzimmers, umgeben von Bildern, meist von Freunden gemalt. Er trug eine Strickjacke über einem ge- streiften Hemd. Auf Anfragen antwortete er wie ein Philosoph mit Lust an Bildern. Er wog ab, fragte sich, von wo die Fragen kamen, wohin sie ihn trieben, wie sinnvoll sie sich ihm stell- ten. Er reagierte freundlich, obgleich er sich gelegentlich mißverstanden fühlte, ein Ge- spräch mit unterschwelligen Hindernissen.

Der 1942 im schweizeri- schen Mels Geborene, seit eini- gen Jahren in Düsseldorf- Oberkassel zu Hause, schrieb über das „Märchen als Wis- sensform", promovierte in St.

Gallen über „Merleau-Ponty's Weg von der Phänomenologie zur ‚Metaphysik— und habili- tierte sich mit einem Versuch über Max Scheler. Als Essayist mit Sinn für Differenzen folgt er, ohne sein Interesse zu leug- nen, den Spuren von Ren6 Magritte, Cy Twombly, Gün- ther Uecker, Rolf Sackenheim, Erwin Heerich oder Christian Megert. Neugierig auf die An- fänge eines Denkens, das dem Abweichenden Rechnung trägt, bahnte er sich einen Weg durch die Schriften von Witt- genstein, Heidegger, Scheler, Nietzsche, Spinoza oder Hera- klit. Über sie schrieb er.

Im Gespräch ist er vehe- ment dagegen, etwas von sich zu erzählen. Lieber schweigt er sich aus, umgibt er sich mit Anonymität. Nach biographi- schen Ereignissen zu fragen, die aus ihm einen „Roman"

zimmern, hält Paul Good für fruchtlos. Dem ist sein Denken entgegengesetzt. Keine Re- cherchen, kein Rückblick. Das Leben ist ein Fluß, von dem er sich mitreißen lassen möchte, aus Anhänglichkeit an das ewi- ge Voran. Dennoch ist er in- konsequent, läßt er sich Sätze über seine verlorene Zeit ent- locken. Doch die biographi- schen „Brücken", die er liefert, helfen nicht weiter. Sein Leben bleibt skizzenhaft. Die Notizen aus dem Leben eines Denkers deuten das Vertrauen des Jun- gen in die ewige Wiederkehr

der Jahreszeiten, in die Zuver- lässigkeit der Natur und die Überflüssigkeit, in allem die Erfüllung irgendeines Zweckes zu suchen, an.

Er wuchs auf dem elterli- chen Bauernhof auf, erlebte als Neunjähriger, wie dieser ab- brannte, und spielte, von seiner Tante aufgenommen und „aus seiner Familie herausgerissen, den kleinen Knecht". Wenn er das Vieh am Abend von der Weide durch das Dorf in den Stall trieb, empfand er den Stolz eines „Königs", angehupt von verärgerten Autofahrern.

Daß ihn die Situation, in die er sich geworfen sah, zu mehr Ei- genständigkeit anhielt, darin erkennt er heute seinen Weg

„zur Philosophie, in diese Selb- ständigkeit". Später besuchte er ein Internat. Lesen hieß er- kennen.

Kein Zweifel: Paul Good, der seit dem Fortgang von Wal- ter Biemel an der Düsseldorfer Kunstakademie unterrichtet, ist ein Andersdenkender mit Zweifel an abendländischen Reflexionen über das Ich als

Zentrum der Welt. Er konsta- tiert, wie sehr sich die alltägli- che Wahrnehmung beschränkt, dank des allzu engen „Schema- tismus der reinen Vernunft".

Der Tendenz, die Vielfalt der Erscheinungen zu vereinheitli- chen, also dem „Identitätsden- ken", möchte er ein Ende set- zen. Dazu Good im Gespräch:

„Schauen Sie, die Philoso- phie hat immer nach dem Ei- nen gefragt, sie wollte bei den vielen Bäumen den einen Baum ausmachen, bei den vie- len Menschen den einen Men- schen, also immer das ausma- chen, was allen Arten zugrun- deliegt. Die Philosophie ist stets daran interessiert, zu klä- ren, was zwischen Ihnen und mir identisch ist; sie ist nie auf das bedacht, was uns unter- scheidet."

Good distanziert sich vom Ich als Hüter des Bewußtseins, das, indem es Ordnung schafft, eine Übersystematisierung be- treibt. „Das Ich", betont er, „ist eine Karikatur, und was das Bewußtsein angeht, da bin ich sehr von Nietzsche überzeugt,

der sagt, daß es tatsächlich sich auf der Ebene der Mittelmä- ßigkeit bewegt. Das Bewußt- sein ist aus einem Mitteilungs- bedürfnis entstanden, um ein- ander Mittelmäßigkeiten zu reichen und Gemeinsamkeiten auszutauschen. Geist ist stets das Unternehmen der Gemein- samkeiten, es stiftet eine ge- meinsame Ebene. Es war die Anstrengung des Abendlandes, daß wir uns auf einer zweiten Ebene einigen können, von wo wir aus richten können."

Weil Good simplifizieren- des Denken ablehnt, unter- sucht er die philosophischen Sprechweisen. „Was mich jetzt am allermeisten beschäftigt, ist die Frage, wie wir heute über- haupt in der Philosophie reden können. Jeder große Philosoph führt ja neue Sprachen ein, aber das Grundschema, nach dem er die Welt beschreibt, ist eben bei sehr vielen Philoso- phen immer wieder das gleiche.

Mich interessieren, wo Ketzer wie Meister Eckhart, Cusanus, Nietzsche oder Spinoza aus dem Schematismus, der der Sprachlichkeit der Philosophie zugrunde liegt, heraustreten, und wo der Schematismus überhaupt herkommt."

Wie man hört, geht Good nicht eigentlich gegen die Spra- che an, sondern gegen die Sprache, wie man sie spricht.

Ihrem Schematismus, der die Welt der Erscheinungen ver- kleinert, indem er sie begreift, will er entfliehen. Der herr- schenden Sprache wirft er vor, daß sie verallgemeinert, das Einzelne regelrecht aus den Augen verliert, statt wahrzu- nehmen, was die Phänomene trennt. Ein klares Plädoyer für die Vielfalt, dem nur mit einem

„Differenz-Denken" beizu- kommen ist.

Bilder aus der Natur, in Er- fahrung übergegangen, liefern den Augenstoff für seine Theo- rie. In seinem Essay über He- raklit: „Auf der langen Berg- wanderung erfahre ich in Form einer Dunkelheit im Körper, daß alles Sehen zugleich ein Nichtsehen ist. Wenn ich sehe, verberge ich zugleich. Desglei- chen, wenn ich rede, verschwei- ge ich massiv. Wieviel von jenem Dinge, das du Baum nennst, hast du wirklich gesehen? Wieviel von den Blättern und Asten und von den Wurzeln?"

Dt. Ärztebl. 88, Heft 21, 23. Mai 1991 (91) A-1905

(2)

Indem er die Grenzen der Wahrnehmung rekapituliert, überwindet er deren Konven- tionen. Aus ihren Mängeln zieht er seine Konsequenzen.

Dabei ist es kein Zufall, daß er im postmodernen Kreis franzö- sischer Denker wie Gilles De- leuze, Felix Guatari, Roland Barthes oder Michel Foucault so etwas wie Bestätigung für seinen Ansatz des In-die-Welt- Sehens fand. Dort, in der Re- publik des Geistes, gehört der Zweifel an einer überzogenen Rationalität zur Tagesordnung.

Auf seiner Suche nach Or- ten, wo Vergleiche nicht mehr ziehen, trifft Good immer wie- der auf das endlose Reich der Kunstwerke, die sich den Mög- lichkeiten technischer Repro- duzierbarkeit entziehen. In ih- rem Bezirk gleicht keine Linie einer anderen, wie Cy Twombly mit der Eigensinnigkeit seines

„Gekritzels" belegt. Farben und Formen, wie sie von Künst- lern gesetzt werden, wehren sich gegen den Benennungstick der Kunstkritiker, ein ewiges Sträuben gegen eingleisige Versprachlichung, ein Miß- trauen gegen Klischees der Sprache, wie es sich im franzö- sischen „Nouveau Roman"

Nathalie Sarrautes oder Alain Robbe-Grillets wiederfindet.

Wahrnehmung, die sich dem Risiko des Sich-Verirrens ent- zieht, nimmt sich Erlebnischan- cen. Um diese geht es in Goods Versuchen über das Sehen.

Reizvoll ist ihm die Dich- tung, die mit „Sprache" wie mit einem „Körper" umspringt, ab- seits der Bedeutungen. Die Dichtungen von Paul Celan, Christian Morgenstern, Kurt Schwitters, Hans Arp, Eugen Gomringer und Ernst Jandl ge- hören da zum Dauerrevier ei- nes Philosophen. Dem sind Ro- mane suspekt, weil diese an kausale Zusammenhänge glau- ben, und er fragt sich, „warum Autoren, auch nach diesem epochemachenden ,Ulysses`"

immer noch so gemeinsam- keitsbesessen schreiben.

Je mehr er Abschied nimmt von dem Willen zum Narrati- ven, um so energischer bekennt er sich zur Lyrik. Warum?

„Weil in der Lyrik der Körper der Sprache das Thema ist, und nicht die Bedeutung, die ich dem anderen hinübertragen will. Viele Gedichte haben den gleichen Inhalt. Aber sie sagen trotzdem nicht das Gleiche. Je- des sagt etwas anderes durch die Art, wie das Material der Sprache, wie die Laute, die Wörter und die Sätze, wie das alles überhaupt gestaltet ist.

Von Gestalt kann ich da nicht reden, denn, wenn ich gestalte, bin ich bereits verloren."

Das sind Sätze eines, der sich selbst verbessert, weil er sich dabei ertappt, wie sehr auch ihm der ungebrochene Fluß mündlicher Rede Streiche spielt: Streiche, die sich gegen seine Überzeugungen richten.

Der unsagbare Charme der Gedichte liegt, so Good, in ih- rer Nähe zu Sprache.

Einer der Lyriker, die ihm wichtig sind, heißt Joseph Kopf, ein 1929 in St. Gallen ge- borener Eigensinniger der

„Abweichung". Von ihm gab Good einen Gedichtsband mit dem wunderbaren Titel „ein dunkles grünes hungertuch die welt" heraus. Für den Philoso- phen ist Kopf einer der unkon- ventionellsten Außenseiter oh- ne Anpassungstendenz, bezie- hungsunfähig, hungrig nach sinnlicher Sprache. Dem Son- derling der seltenen Art ist Good öfters begegnet, doch nur einmal kam es zu einem längeren Gespräch nach einer Lyrik-Tagung in Sankt Gallen, 1978 kurz vor Kopfs Tod.

„Er war wie ein scheues, wildes Tier. Er hat auch den Kopf nicht mehr aufrechthal- ten können, er richtete ihn mit Hilfe der Hand auf, weil der Halswirbel fehlte. Daß er sich selbst so zum Thema hatte, ist für einen, der Kopf heißt, eine zusätzlich fatale Geschichte, das ist ja verrückt. Von den Dichtern, die mir begegnet sind, ist er einer der stärksten Figuren gewesen, insofern er aus all diesen Behinderungen, körperlicher und gesellschaftli- cher Art, herausgetreten ist.

Er hat keinen Beruf ausge- übt, nie lange am gleichen Ort gewohnt, er hat nie eine Liebe lange durchhalten können. Er

war mal verheiratet, nach ein paar Monaten mußte er wieder weg von dieser Frau. Er mußte diese Lebensweise des aufge- scheuchten Tieres führen, da- mit er überhaupt schreiben konnte. Dadurch kommt seine Lyrik bei ihm aus einer tiefen Lebenserfahrung heraus, wobei die Vernetzung wieder die ist, daß er bei Rilke erst wieder Fuß fassen wollte, mit Hesse Kontakt hatte. Später ging er, jüdischer Herkunft, nach Isra- el, um sich eine größere Klar- heit zu erarbeiten, und hat das auch durch dieses Sich-Ausset- zen-in-der-Wüste geschafft.

Mit nichts hat er gelebt, und dann kommt er wieder zurück nach Sankt Gallen: Er findet sich nicht zurecht."

Soweit das Netz biographi- scher Details, wie es Good aus- breitet. Das Einmalige an den Gedichten sieht der Verskun- dige in der Art, wie das „The- ma der Einsamkeit und des To- des von der Kerngestalt der Sprache in andere Dimensio- nen getrieben wird".

Good, am Sinn interessiert, der sich sinnlich realisiert, ver- brachte seine Lehrjahre in Pa- ris, wo er an der Sorbonne mit dem Phänomenologen Jean Wahl stritt. Damals, mitten im 68er „Bürgerkrieg", eignete er sich sein Wissen an, heute spricht er „von der Verantwor- tung des Wissens". Fortge- schritten ist die Zeit.

Heinz-Norbert Jocks

D

as Deutsche Kranken- hausmuseum, das in ei- nem Baudenkmal der Bieder- meierzeit in Oldenburg ent- steht, wird nicht im Oktober diesen Jahres, sondern am 13.

März 1992 eröffnet. Dies teil- te der Vorsitzende des Trä- gervereins, der Medizinhisto- riker Prof. Axel Hinrich Mur- ken, Aachen, auf einer Pres- sekonferenz anläßlich der In- terhospital am 24. April in Düsseldorf mit.

Der Termin sei deswegen verschoben worden, weil für die Einrichtung des Museums noch ein Zeitraum von knapp einem Jahr erforderlich sei.

Vorgesehen ist ein Festakt im neu erbauten Veranstaltungs- zentrum des Peter-Friedrich- Ludwigs-Hospitals in Olden-

Krankenhausmuseum erst in 1992

Das Hospital in Oldenburg: ein Baudenkmal aus der Biedermeierzeit

burg, das dieses Museum auf- nehmen wird.

Der ursprünglich für den 12. Oktober 1991 geplante Eröffnungstermin soll nicht ungenutzt verstreichen: Er- öffnet wird eine Ausstellung zur Baugeschichte des Peter- Friedrich-Ludwigs-Hospitals, das vor fast genau 150 Jahren seine Pforten geöffnet hat.

Gleichzeitig wird eine Aus- stellung über das Bild des Deutschen Krankenhausmu- seums im 19. und 20. Jahr- hundert gezeigt sowie die ge- plante Neueinrichtung an- hand von Modellen. Es ist be- absichtigt, so hieß es in Düs- seldorf, bei einem öffentli- chen Forum Gelegenheit für weitere Vorschläge zur Neu- gestaltung zu geben. PM A-1906 (92) Dt. Ärztebl. 88, Heft 21, 23. Mai 1991

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