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Archiv "Kunststoffe für den medizinischen Einsatz als Implantatmaterialien" (16.04.1999)

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(1)

ede Implantation von Biomate- rialien in den menschlichen Orga- nismus führt zu einer Entzün- dungsantwort, die einerseits durch das Operationstrauma und andererseits durch die Biomaterial-Gewebe-Inter- aktion bedingt ist. Im wesentlichen ent- spricht die Antwort auf Kunststoffim- plantate der bekannten Fremdkörper- reaktion. Dies bedeutet, daß zelluläre und molekulare Äquivalente der spezi- fischen und unspezifischen Immunant- wort involviert sind. Als auslösende Mechanismen werden drei verschiede- ne Möglichkeiten diskutiert.

1 Konformationsänderung oder Degradierung einzelner Proteinmo- leküle durch den Kontakt mit Kunst- stoffen: Die erste biologische Reaktion auf ein Kunststoffimplantat besteht meist in einer Adsorption kör- pereigener Proteine an dessen Ober- fläche (1, 19). Je nach Beschaffenheit der Kunststoffoberfläche werden un- terschiedliche Proteine bevorzugt ad- sorbiert (37). Sowohl die Adsorption als auch bestimmte Enzyme zellulären

Ursprungs können eine Denaturierung und Konformationsänderung dieser Proteine bewirken, die dann zu immu- nologischen Reaktionen führen.

1 Freiliegende Oberflächen- strukturen des Polymers: Ober- flächenstrukturen, die nicht von Pro- teinen bedeckt werden, können durch ihre physikalisch-chemischen Eigen-

schaften direkt humorale oder zellulä- re Abwehrreaktionen des Organis- mus auslösen.

1 Degradationsprodukte des Implantatmaterials: Durch Enzyme und aggressive Metabolite können Polymere in kleinere Struktureinhei- ten zerlegt werden, die je nach Größe und Beschaffenheit als Antigen oder als an körpereigene Proteine gebun- denes Hapten die immunologische Antwort in Gang setzen.

Zum besseren Verständnis dieser komplexen biologischen Reaktionen werden nachfolgend anhand von Bei- spielen die unspezifische und die spe- zifische Immunantwort auf ein Kunst- stoffimplantat getrennt dargestellt.

Unspezifische Immunantwort

Bei der unspezifischen Immun- antwort auf ein Implantat spielen die Makrophagen eine entscheiden- de Rolle, da sie auch durch nicht an- A-979 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 15, 16. April 1999 (35)

Kunststoffe für den

medizinischen Einsatz als Implantatmaterialien

Ute Henze

1

Gabriele Zwadlo-Klarwasser

2

Bernd Klosterhalfen

3

Hartwig Höcker

4,5

Horst Richter

3

Christian Mittermayer

1,3

Jede Implantation von synthetischen Polymeren führt zu ei- ner Entzündungsantwort, die sowohl durch das Operati- onstrauma als auch durch die Biomaterial-Gewebe-Interak- tion bedingt sein kann. Im wesentlichen entspricht diese Entzündungsantwort der bekannten Fremdkörperreaktion.

Dies bedeutet, daß zelluläre und molekulare Komponenten der spezifischen und unspezifischen Immunantwort invol- viert sind. Es konnte bereits gezeigt werden, daß die Art und Ausprägung dieser Immunantwort stark von dem Material und seiner Oberflächenbeschaffenheit abhängig sind. Aus diesem Grund sind die Entwicklung neuer Materialien, die

Steuerung von Degradationsprozes- sen und die standardisierte Gestaltung

der Oberfläche wichtige Themen der Biomaterialforschung.

Insbesondere moderne Polymere bieten ein großes Spek- trum für vorübergehenden oder permanenten humanen Ge- websersatz. Schließlich könnten neue Materialien und die zunehmenden Kennntnisse über zelluläre und molekulare Mechanismen der Material-Gewebe-Interaktion die Kon- struktion eines Hybridorgans in der Zukunft ermöglichen.

Schlüsselwörter: Kunststoffe, Implantation, Biomaterialien, Immunantwort, Biokompatibilität

ZUSAMMENFASSUNG

Synthetic Implants in Medicine

All synthetic polymer implants lead to some inflammatory response either by surgical trauma or by interactions of the tissue with the implant. The inflammatory response re- sembles the well known foreign-body reaction. In this sense cellular and molecular components of the specific and non- specific immune responses are involved. It has been shown that type and extent of this immune response strongly de- pend on the material and its surface characteristics. For this reason, development of new materials, controlling degrada-

tion and designing standardized surfaces are important topics in the research of biomaterials.

In particular, modern synthetics offer a broad spectrum for temporary or permanent human tissue replacements. To- gether with new materials the increasing knowledge about cellular and molecular mechanisms of the tissue interaction with the implant could even enable the construction of a hy- brid organ in the future.

Key words: Polymers, implantation, biomaterials, immune response, biocompatibility

SUMMARY

J

1 Interdisziplinäres Zentrum für klinische Forschung, Biomaterialien und Material-Ge- websinteraktion bei Implantaten (IZKF, BIOMAT), (Sprecher: Prof. Dr. med. Christian Mittermayer),

2Institut für Pharmakologie und Toxikologie (Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. rer.

nat. Dr. med. H. G. Joost),

3 Institut für Pathologie (Direktor: Prof. Dr.

med. Christian Mittermayer),

4Deutsches Wollforschungsinstitut und Institut für Textilchemie und Makromolekulare Che- mie (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. Hartwig Höcker),

5Kompetenzzentrum für Biowerkstoffe (Spre- cher: Prof. Dr. rer. nat. Hartwig Höcker), Rheinisch-Westfälische Technische Hoch- schule, Aachen

(2)

tigene Strukturen aktiviert werden können. Diese Aktivierung der Ma- krophagen kann zur Phagozytose und Freisetzung zahlreicher Me- diatoren, Hormone, Enzyme und reaktiver Metabolite führen (Abbil- dung 1).

Einige der Mediatoren sind ver- antwortlich für die Attraktion von

weiteren Makrophagen und anderer Entzündungszellen, wie Lympho- zyten und Granulozyten. Andere Mediatoren sind dagegen für Wund- heilungsprozesse, wie Stimulierung der Proliferation von Gewebezellen (zum Beispiel Fibroblasten), gestei- gerte Kollagenfasersynthese und Gefäßneubildung von Bedeutung.

Die Freisetzung von Enzymen und reaktiven Metaboliten aus Ma- krophagen und Granulozyten kann schließlich nicht nur zur Gewebsne- krose mit Zell- und Faseruntergang, sondern auch zur Polymerdegrada- tion führen (13).

Ein Beispiel für die Entstehung toxischer Kunststoffabbauprodukte ist das Toluylendiamin, ein Abbau- produkt bestimmter Polyurethane (3). Diese Substanz zeigte in tierex- perimentellen Untersuchungen kan- zerogene und mutagene Wirkung (18) und wurde auch im Urin einer Patientin nach Implantation einer mit Polyurethan ummantelten Brust- prothese nachgewiesen (7).

Es ist aber bisher unbekannt, ob und in welchem Ausmaß Polyur- ethane oder andere Polymere beim Menschen malignes Wachstum aus- lösen können. Kasuistische Be-

schreibungen konnten bis heute die- se Frage nicht klären.

Weitgehend unklar sind auch die Mechanismen, welche die Aus- prägung der Immunantwort bestim- men. Zahlreiche In-vitro- und In-vi- vo-Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, daß das zelluläre Infiltrat im Grenzbereich Gewebe-Implantat von den physikalisch-che- mischen Eigenschaften des Implantatrohmaterials („Bulk“) einerseits und seiner Oberfläche anderer- seits abhängig ist. Wäh- rend eine rauhe Implan- tatoberfläche zahlreiche Makrophagen attrahiert, finden sich nach Implan- tation von Polymeren mit glatter Oberfläche nur vereinzelt Makrophagen (2, 31).

Ein Beispiel für diese unterschiedliche zelluläre Immunantwort zeigt die Implantation von Kunst- stoffnetzen zum künstli- chen Bauchdeckenersatz (23). Multi- filamentäre Polypropylennetze (Ab- bildung 2) führen zu einer fibrinoi- den Nekrose im umgebenden Gewe- be sowie der Attraktion

zahlreicher polymorph- kerniger Granulozyten.

Später zeigt sich eine star- ke Fibrose, die letztendlich das Implantat einschließt.

Demgegenüber provoziert ein Netz aus multifila- mentärem Polyethylen ei- ne von Makrophagen und Riesenzellen dominierte Entzündungsreaktion und nur eine geringe Attrakti- on von polymorphkerni- gen Granulozyten (Abbil- dung 3). Die Fibrose ist im selben Zeitraum im Ver- gleich zum Polypropylen- Netz nur gering ausge- prägt.

Neben diesen direkten zellulären Implantat-Interaktionen spielt auch das Komplementsystem eine wichtige Rolle. Implantate in der Blutbahn, zum Beispiel Gefäßprothesen (Abbil- dung 4), können sowohl durch direk- ten Materialkontakt als auch indirekt nach Adsorption von Immunglobulin

(17) zu einer Komplementaktivie- rung mit anschließender Thromben- bildung führen.

Spezifische Immunantwort

Bisher konnte nur in Einzelfällen eine spezifische Immunantwort auf Kunststoffimplantate, wie die Bil- dung von Antikörpern (15, 38) oder die Infiltration des Implantatlagers mit kunststoffspezifischen T-Lym- phozyten (29), nachgewiesen werden.

Die Folge einer solchen spezifischen Immunantwort ist die Aktivierung der Immunzellen und des Komple- mentsystems.

Darüber hinaus könnte der Poly- merkontakt nach einer Sensibilisie- rungsphase auch zu pathogenen Immunreaktionen führen. Hierzu zählen beispielsweise allergische oder autoimmune Reaktionen.

In der Vergangenheit wurden insbesondere die autoimmunen Re- aktionen aus dem rheumatischen Formenkreis in Zusammenhang mit der Implantation von Mammapro- thesen aus Silikon diskutiert (6, 14, 32, 33, 36). Jedoch besteht bis heute wegen fehlender statistisch gesicher-

ter Daten keine Einigkeit darüber, ob zum Beispiel Silikonprothesen in der Lage sind, autoimmune Erkran- kungen zu induzieren. Während manche Autoren (30) die Existenz ei- ner sogenannten „human adjuvant disease“ (silikonassozierte Binde- gewebserkrankung) vollständig ab- lehnen und als Mythos bezeichnen, Abbildung 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines aktivierten,

auf der Polymeroberfläche adhärenten Makrophagens. Die la- mellären podialen Zellausläufer umschließen Fremdkörper oder Zelldebris (Pfeil) in Form von Vesikeln. Vergrößerung: 14 400fach

Abbildung 2: Lichtmikroskopische Aufnahme eines histologischen Präparates aus dem Implantatlager eines multifilamenten Polypropy- lennetzes. Zahlreiche polymorphkernige Granulozyten umgeben die Polymerfilamente. Färbung: Hämalaun-Eosin, Vergrößerung: 200fach

(3)

berichten andere Autoren über den Nachweis antinukleärer Antikörper, spezifischer Silikonantikörper und von Antikörpern gegen Myelinschei- denproteine sowie Kollagen bei Sili- konträgerinnen (5, 11, 24, 25, 26, 34).

Bis zur Klärung dieses Zusammen- hangs durch statistisch einwandfreie, prospektive Patientenstudien, wie es von Friemann et al. empfohlen wird (10), bleibt Silikon eines der bevor- zugten Implantatmaterialien. Dies ist seinen exzellenten Materialeigen- schaften, wie guter Bioverträglich- keit und vielfältigen Modifizierungs- möglichkeiten der Oberfläche, zu verdanken.

Aus diesem Grund untersucht unsere Arbeitsgruppe im Rahmen ei- nes BMBF-Verbundprojektes zur Entwicklung einer Sehprothese die Anwendung von Polydimethylsiloxan (PDMS) als Trägerwerkstoff eines mi- kroelektronischen Chips (Retina-Sti- mulator). Der Retina-Stimulator ist Teil eines komplexen elektronischen Gesamtsystems (Grafik 1), das eine Möglichkeit zur teilweisen Über- brückung pathologischer Verände- rungen der menschlichen Retina, zum Beispiel bei Patienten mit Retinitis pigmentosa, bieten soll. Um dieses

sehr ehrgeizige Ziel zu erreichen, müssen zunächst diverse Teilaufgaben gelöst werden. Hierzu gehört unter anderem die sichere Befestigung des Retina-Stimulators. Sie ist Vorausset- zung für eine geordnete Reizleitung über retinale Ganglienzellen und nachgeschaltete Neurone der Seh- bahn bis zur Sehrinde. Erste Tierex-

perimente konnten zeigen, daß eine oberflächenmodifizierte PDMS-Folie über Monate ohne überschießende Gliazellproliferation fixiert werden kann (Abbildung 5).

Materialauswahl der Kunststoffe

Bereits heute werden zahl- reiche Kunststoffe – einige wurden oben bereits namentlich erwähnt – als Implantatmaterialien eingesetzt.

Überraschend ist dabei vor allem der hohe Anteil an Polyolefinen einschließlich Polyvinylchlorid von zirka 85 Prozent. Während Polycarbo- nate, Polyester und Silikone einen Anteil von etwa 13 Prozent beanspru- chen, beträgt der aller übrigen Poly- mermaterialien einschließlich der Polyurethane nur etwa zwei Prozent.

In der Regel entstammen die Po- lymere dem normalen, anderweitig ge- nutzten Kunststoffvorrat, wenngleich in besonders reiner Form, und sind den mechanischen Anforderungen des Im- plantats optimal angepaßt. Sicher be- steht in Sonderfällen auch hinsichtlich der weiteren Optimierung der mecha- nischen Eigenschaften noch For- schungsbedarf. Vorrangige Bedeutung muß jedoch der Oberflächenstruktur der Biomaterialien eingeräumt werden, da von dieser in er- ster Linie die Reaktion des Körpers auf das Kunststoff- implantat abhängt.

Das Hauptproblem der Entwicklung geeigneter Kunststoffe besteht darin, daß die Anforderungen, die an die Oberfläche des Ma- terials zu stellen sind, nicht definiert sind. Wünschens- wert wäre ein Biomaterial, welches durch gezielte Ge- staltung der Oberfläche, zum Beispiel durch Ausrü- stung mit bioaktiven Substanzen, eine spezifische, erwünschte Bioantwort provoziert (16). Da, wie oben bereits erwähnt, auch Implantatmaterialien trotz gewünschter Stabilität einem steten Abbau unterliegen können, sollten die Materialien im Grunde bei ihrem Abbau stets eine Oberfläche präsentieren, die die geforderte spezi-

fische Wechselwirkung mit dem Bio- system sicherstellt.

In vielen Bereichen ist der Ein- satz abbaubarer Polymere sogar er- wünscht. Am bekanntesten ist resor- bierbares chirurgisches Nahtmaterial, das in der Regel aus Polylactid, Poly- glycolid oder entsprechenden Kopo-

lymeren besteht; beide Polymere wer- den im Körper hydrolytisch zu Milch- säure beziehungsweise Glycolsäure abgebaut.

Ein Beispiel für den erfolgrei- chen Einsatz eines Kopolymer-Poly- lactids ist der abbaubare Kunststoff- nagel zur Fixierung osteochondraler oder wenig belasteter Knochenfrag- mente (8).

Eine Alternative könnten Poly- depsipeptide (20) darstellen, die im Vergleich zu Polylactid und Polygly- colid wesentlich reduzierte und besser steuerbare Abbauraten im Organis- mus aufweisen.

Insgesamt gilt sowohl für soge- nannte „stabile“ als auch für bioresor- bierbare Kunststoffimplantate, daß sowohl die Materialmenge als auch die physikalisch-chemische Eigen- schaft der Kunststoffoberfläche die entscheidende Rolle für die zu erwar- tende Bioantwort spielen.

Aus diesem Grund werden im folgenden zwei Beispiele zur gezielten Oberflächenmodifizierung von Poly-

meren dargestellt. !

A-984 (40) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 15, 16. April 1999

Abbildung 4: Makroskopische Aufnahme einer aorto- iliakalen Y-Gefäßprothese mit Verschluß durch Thrombusbildung im linken, iliakalen Bereich (Pfeil)

Abbildung 3: Histologischer Schnitt durch das Implantatlager eines Polyethylennetzes. Hauptsächlich Makrophagen und Riesenzellen (Pfeil) umgeben die Polymerfilamente. Färbung: Hämalaun-Eosin, Vergrößerung: 200fach

(4)

Oberflächenmodifizierung von Kunststoffen

Kunststoffoberflächen lassen sich durch chemische Reaktionen hydrophiler oder hydrophober ge- stalten. Durch physikalische Verfah- ren, wie die Behandlung mit ange- regten Gasen (Schwefeldioxidplas- ma) (28), können Sulfonsäure- be- ziehungsweise Sulfatgruppen entste- hen, wie sie auch im Heparin oder in den Proteoglycanheparansulfaten vorliegen.

Die so modifizierten Polymer- oberflächen neigen dazu, das Protein Fibronectin in hohem Maße zu ad- sorbieren. Diese hohe Fibronec- tinadsorption korreliert unter ande- rem mit einem verbesserten Endo- thelzellwachstum auf den so modifi- zierten Oberflächen.

Dieser Effekt kann noch da- durch gesteigert werden, daß an eine funktionalisierte Polymeroberfläche über einen sogenannten Abstands- halter (spacer) das Protein Fibronec- tin kovalent gebunden wird (Grafik 2). Voraussetzung für eine erfolgrei- che Reaktion ist die sorgfältige Über- prüfung jedes einzelnen Reaktions- schrittes durch unterschiedliche Me- thoden zur Oberflächenanalyse (Spektroskopie, Immunhistochemie).

Als weiteres Beispiel für die gezielte Oberflächenmodifizierung von Polymeren möchten wir noch- mals die oben erwähnten bioabbau- baren Polydepsipeptide erwähnen.

Es besteht die Möglichkeit, an sei- tenständige Aminogruppen dieser Polymergruppe bioaktive Moleküle so anzubinden, daß ein daraus herge- stellter Implantatwerkstoff eine spe- zifische Reaktion mit dem Biosy- stem eingeht (zum Beispiel Anbin- dung eines Wachstumsfaktors oder eines Antibiotikums).

Zulassung neuer Kunststoffimplantate

Gemäß Beschluß der Europäi- schen Union (EU) müssen ab dem 14. Juni 1998 alle Medizinproduk- te ein CE-(Comité Européen de Normalisation-)Kennzeichen führen.

Zur Erlangung dieses Zeichens wur- den europäische Normen entwickelt, die bestimmte Prüfungen und Tests für implantierbare Medizinprodukte vorschreiben.

Neben der materialspezifischen Qualitätssicherung sind auch biolo- gische Beurteilungsverfahren vorge- schrieben. Insbesondere die Stan- dardisierung dieser biologischen Be-

urteilung bereitet jedoch noch Pro- bleme. Bisherige Methoden zur Bio- kompatibilitätstestung schreiben so- wohl tierexperimentelle Implantati- onstests als auch In-vitro-Untersu- chungen vor. Innerhalb der vorge- schriebenen Untersuchungen exi- stieren jedoch große Variationsmög- lichkeiten (35).

So können zur In-vitro-Testung von Biomaterialien verschiedene Zellinien verwandt werden. Primäre Zellkulturen dürfen nur eingesetzt werden, wenn mit diesen Zellen re- produzierbare Ergebnisse erzielt werden können. Methoden zur Be- stimmung der Zellvitalität werden nicht angegeben. Somit können Un- tersuchungen des gleichen Implan- tatmaterials unter Einhaltung der EU-Normen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Aus diesem Grund fördert die EU Forschungsvorhaben, die dem Ziel der Standardisierung von biologi- schen Testmethoden zur Bioverträg- lichkeit dienen. Im Rahmen des För- derungsprogramms „standardization, measurement and testing“ (SMT) be- Telemetrie und

Verarbeitungseinheit

2D-Photodetektor- Anordnung

Retinastimulator mit Silikonhülle

Fovea N.opticus

Empfangsspule Linse

Sendespule für Energie und Daten- übertragung

Darstellung des Retina-Implantat-Gesamtsystems. Die Sehprothese besteht aus einem miniaturisierten Retina- Encoder mit lernfähiger neuronaler Netzstruktur und einem implantierbaren Retinastimulator mit Mikrokon- takten. Der aus Optik und Photosensoranordnung aufgebaute Retina-Encoder ist als Brille zu tragen und nimmt ein Bild der Umgebung auf. Dieses Bild soll durch möglichst drahtlose Signal- und Energieübertragung an den Retinastimulator weitergeleitet werden. Der Stimulator löst dann über Kontaktelektroden bei retinalen Ganglienzellen Aktionspotentiale aus, die vom intakten Sehnerv zum ZNS transportiert und dort als sinnvolle Sehwahrnehmung interpretiert werden.

Grafik 1

Abbildung 5: Makroskopische Aufnahme eines Quer- schnittes durch ein Kaninchenauge mit einem Retina- stimulator (R) und entsprechender Silikonhülle (S).

Der Retinastimulator besteht aus zwei pyramidenar- tigen mikroelektronischen Siliziumstrukturen. Der haptische Bereich der rotationssymmetrischen Sili- konhülle (6,0 x 0,9 mm) dient der Befestigung des Implantats an der Retina.

(5)

schäftigt sich unsere Arbeitsgruppe insbesondere mit der Entwicklung standardisierter Testsysteme für Ka- theter und Intraokularlinsen. Ziel die- ses Projektes ist es, quantifizierbare Zytokompatibilitätskriterien festzule- gen und zu verifizieren, Referenzma- terialien zu empfehlen sowie die Er- gebnisse durch Einsatz einer semi-au- tomatischen Bildanalyse zu quantifi- zieren.

Die Ergebnisse dieses Projektes und weitere internationale For- schungsergebnisse können somit zur Optimierung der bisherigen Normen beitragen.

Resümee

Die Weiter- und Neuentwick- lung beständiger oder resorbierbarer Polymere, die vom Körper toleriert werden, zielt darauf ab, daß neben spezifischen Oberflächenmodifika-

tionen Biomoleküle an die Kunst- stoffe gebunden werden, die zu einer besseren, gegebenenfalls dauerhaf- ten Integration des Implantats in den menschlichen Organismus füh- ren.

Ein wesentlicher Schwerpunkt der Biomaterialforschung bleibt wei- terhin die Entwicklung neuer Mate- rialien, die besser in den natürlichen

Wundheilungsprozeß integriert wer- den können. Hierzu müssen insbe- sondere molekulare und genetische Mechanismen (21), welche die mate- rialspezifische Entzündungsantwort auf Kunststoffimplantate bestim- men, und deren gezielte Beeinflus- sung weiter erforscht werden.

An dieser Stelle seien drei Emp- fehlungen ausgesprochen:

1Die Einführung internationa- ler Patientenpässe für Implantatträ- ger und die standardisierte Untersu- chung explantierter Implantate sol- len zum besseren Verständnis von Erfolg und Mißerfolg neuer und al- ter Implantate beitragen.

Nur die Durchführung stati- stisch gesicherter, prospektiver Stu- dien mit Hilfe entsprechender Da- tenbanken wird klare Verhältnisse schaffen. Vorbereitungen dafür wer- den gegenwärtig durch die amerika- nische „Society of Biomaterials“

(12) getroffen. Vorbild für ein sol-

ches Register der Implantatversager könnte das von Professor Apple ge- leitete „Center for Intraocular Lens Research“ (27) der Universität von South Carolina sein.

1 Darüber hinaus müssen in Zukunft weitere In-vitro-Testver- fahren entwickelt werden, die geeig- net sind, die In-vivo-Situation besser zu simulieren (22), um die Zahl der

notwendigen Tierversuche weiter einschränken zu können. Hierzu könnte die Einführung immunologi- scher Testverfahren mittels immun- kompetenter Primärzellkulturen, wie die Makrophagenisolierung aus menschlichem Blut, beitragen (4).

Zusätzlich könnte eine In-vitro-Te- stung der Immunogenität von Kunst- stoffen bereits im Vorfeld wichtige Aussagen über die zu erwartende

„Antigenität“ des Kunststoffes lie- fern.

Zu berücksichtigen ist jedoch, daß zukünftige Testverfahren nicht nur eine bessere Aussagekraft besit- zen müssen, sondern auch im Rah- men des wirtschaftlich Möglichen bleiben müssen. Die Entwicklung neuer gesetzlicher Vorschriften zu einer aufwendigen Testung von Bio- materialien könnte dazu führen, daß Implantate zu teuer werden. Dies sollte jedoch möglichst verhindert werden, da die kostengünstige und freie Verfügbarkeit von Implantaten einen der wesentlichenVorteile ge- genüber der Transplantation dar- stellt.

1Schließlich und vorrangig ist zu berücksichtigen, daß aufgrund des Interesses der Öffentlichkeit an den Ergebnissen der Implantatfor- schung und an den Bedingungen, un- ter denen sie geleistet wird, eine in- tensive Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung der Bevölkerung ange- strebt werden muß. Die Beratung und Begleitung durch öffentlich rechtliche Ethik-Kommissionen (9) ist daher unverzichtbar.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-979–986 [Heft 15]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Christian Mittermayer Institut für Pathologie

Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Pauwelsstraße 30

52074 Aachen

A-986 (42) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 15, 16. April 1999

O O OCN-(CH2)6-NCO O NH

(PVC/EV ACO) (PVC/EV ACO-OH) (PVC/EV ACO-HDI)

O

C (CH2)6

O C CH3

Fn pH 7,4 Fn

zellbindende Domäne (CBD) Grafik 2

Darstellung der Modifizierungsschritte zur Immobilisierung von Fibronectin (Fn) an das Trägerpolymer. Das Kopolymer Poly[(ethen-co-vinylacetat)-graft-vinyl chlorid] (PVC/EVACO) wird durch Verseifung der Estergrup- pen und Aktivierung mit 10 Prozent 1,6-Hexamethylendiisocyanat (HDI) modifiziert. Fibronectin kann dann in Phosphatpuffer (pH 7,4) immobilisiert werden.

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