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Aufhebung der gesetzlichen Wohnsitzbeschränkung eines anerkannten Flüchtlings zur Vermeidung einer Härte

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Academic year: 2022

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VG Bayreuth, Beschluss v. 15.08.2018 – B 6 K 17.987 Titel:

Aufhebung der gesetzlichen Wohnsitzbeschränkung eines anerkannten Flüchtlings zur Vermeidung einer Härte

Normenketten:

AufenthG § 12a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 5 S. 1 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 lit. c GG Art. 6 Abs. 4

AsylG § 3 Abs. 1 Leitsätze:

1. Ehegatte im Sinne des § 12a Abs. 5 S. 1 Nr. 1 lit. b AufenthG ist nicht der nach der Einreise in Deutschland nur nach religiösem Ritus angetraute Partner. (Rn. 32 – 36) (redaktioneller Leitsatz) 2. Für die Annahme einer Härte im Sinne des § 12a Abs. 5 S. 1 Nr. 2 AufenthG reicht es aus, wenn persönliche Belange beeinträchtigt werden, die im Vergleich zu den betroffenen öffentlichen Interessen und im Hinblick auf den vom Gesetz vorausgesetzten Zweck der

Aufenthaltsbeschränkung als unangemessen schwer anzusehen sind. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

3. Die durch Verwaltungsvorschrift vorgegebene Regelung, wonach bayerische Ausländerbehörden bei länderübergreifenden Umzügen von seit dem 6.8.2016 anerkannten Ausländern die vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde des gewünschten Zuzugsortes einzuholen haben mit der Rechtsfolge, dass bei Nichterteilung kein Aufhebungsanspruch besteht, ist mit § 12a Abs. 5 AufenthG nicht vereinbar. (Rn. 46 – 52) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Aufhebung einer gegenüber einem anerkannten Flüchtling verfügten gesetzlichen, Wohnsitzbeschränkung und der Zuweisung an einen Landkreis, Kein Aufhebungsanspruch bei Wohnsitz des Ehegatten an einem anderen Wohnort, wenn Ehe nur nach religiösem Ritus geschlossen (hier: jezidische Kurden aus dem Irak), Aufhebungsanspruch bei drohenden schwangerschaftsbedingten Beschwerden aufgrund der Trennung im Hinblick auf den grundgesetzlichen staatlichen Schutzauftrag gegenüber Müttern, Keine Bindung an eine Verweigerung der Zustimmung zur Aufhebung seitens der Zuzugsbehörde, Auf Verwaltungsvorschrift gestütztes Zustimmungserfordernis widerspricht gesetzlicher Regelung, die Zustimmung laut

Entstehungsgeschichte bewusst nicht vorsieht, Keine Bindung des Gerichts an gesetzlich nicht

vorgesehene Zustimmungsverweigerung bei Prüfung eines Anspruchs aufgrund gebundener Vorschrift (insoweit wie OVG Berlin-Brandenburg, Aufenthaltserlaubnis, Aufhebung, Beiordnung, Bescheid,

Existenzminimum, Jugendhilfe, Prozesskostenhilfe, Sozialleistungen, Versorgung, Zustimmung, Flüchtling, Wohnsitzbeschränkung, Zuweisung, Aufhebungsanspruch, Schutzauftrag, Verweigerung

Fundstelle:

BeckRS 2018, 24061  

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Gegenstand des Klageverfahrens ist die Aufhebung der gesetzlichen Wohnsitzbeschränkung der Klägerin auf den Freistaat Bayern und ihre Zuweisung an den Landkreis B* … Die Klägerin, eine jezidische Kurdin, geb. am …1987, ist irakische Staatsangehörige. Sie reiste am 07.12.2015 ins Bundesgebiet ein. Mit

(2)

Bescheid der Regierung von Oberfranken vom 20.01.2016 wurde ihr als Wohnsitz die dezentrale Unterkunft für Asylbewerber in G* … (Landkreis B* …*) zugewiesen, wo sie bis heute wohnt. Am 15.02.2016 stellte sie einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 29.08.2016 erkannte ihr das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Flüchtlingseigenschaft zu. Auf ihren Antrag vom 29.09.2016 hin erhielt sie am 15.11.2016 eine bis 14.11.2019 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Sie bezieht laufend Leistungen nach dem SGB II/Sozialgeld.

2

Am …2017 heiratete sie in B* … nach den Regeln der jezidischen Glaubensgemeinschaft den irakischen Staatsangehörigen K. K., geb. am …1985, der ebenfalls als Flüchtling anerkannt ist, über eine am 16.02.2017 erteilte und bis 15.02.2020 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG verfügt, laufend Sozialleistungen bezieht und zur Wohnsitznahme in L* …(Kreis Li* …, Nordrhein- Westfalen) verpflichtet ist.

3

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 17.01.2017 verpflichtete die Regierung von Oberfranken die Klägerin gemäß § 12a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, für längstens drei Jahre ab Bekanntgabe des Bescheides des Bundesamtes, d.h. bis 28.08.2019, ihren Wohnsitz im Landkreis B* … zu nehmen. In der Anhörung vor Erlass des Bescheides am 02.12.2016 hatte die Klägerin geltend gemacht, sie wolle ihren Wohnsitz in der Stadt B* … nehmen, weil dort ihr Vater und ihre Geschwister wohnten.

4

Am 07.03.2017 beantragte die Klägerin beim Landratsamt B* … die „Streichung der Wohnsitzauflage“, weil sei mit ihrem Mann in ehelicher Gemeinschaft zusammenleben wolle.

5

Mit Schreiben vom 13.06.2017 stimmte der Beigeladene der Aufhebung nicht zu, weil die Klägerin nur nach religiösem Ritus verheiratet sei. Am 23.06.2017 teilte der Beklagte deshalb der Klägerin mit, dem Antrag könne nicht entsprochen werden, weil der Beigeladene ihrem Umzug nach L* … nicht zustimme.

6

Mit Schreiben vom 15.08.2017 beantragte die Klägerin erneut, nach L* … ziehen zu dürfen und verwies darauf, dass sie nunmehr von ihrem Mann schwanger sei. Am 04.09.2017 fragte das Landratsamt B* … nochmals, jetzt unter Hinweis auf die Schwangerschaft, beim Beigeladenen wegen einer Zustimmung zum Umzug an. Dabei verwies die Behörde darauf, nach ihrer Auffassung sei ein Härtefall gegeben. Mit E-Mail vom 09.10.2017 lehnte der Beigeladene jedoch ab, vor Geburt des Kindes die Zustimmung zu erteilen. Er stellte aber eine erneute Prüfung nach der Geburt nach Vorlage eines Vaterschaftsanerkenntnisses und einer Sorgerechtserklärung in Aussicht. Entsprechende (vorgeburtliche) Erklärungen gaben die Klägerin und ihr Mann inzwischen ab.

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Mit Bescheid vom 11.10.2017 lehnte das Landratsamt B* … den Antrag auf Aufhebung der

Wohnsitzbeschränkung (nur deshalb) ab, weil der Beigeladene nicht zugestimmt habe. Das Schreiben enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung:

Da der Beklagte und der Beigeladene keine übereinstimmende Auffassung hinsichtlich der Aufhebung erzielen konnten, legte die Ausländerbehörde unter Berufung auf Ziff. 2.2 Vollzugshinweise zu § 12a AufenthG - Wohnsitzregelung (i. f. VollzH) des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr (IMS v. 26.10.2016 Az. IA2-2081-3.25-83) wie dort vorgesehen das Verfahren der Regierung von Oberfranken (ROfr) vor. Mit Schreiben vom 08.12.2017 teilte die ROfr den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin mit, die Entscheidung des Landratsamtes B* … sei nicht zu beanstanden, weil kein Grund gegeben sei, die Wohnsitzbeschränkung aufzuheben.

8

Mit Telefax vom 12.12.2017, eingegangen am 13.12.2017, haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und haben am 31.01.2018 nunmehr

beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, dem Härtefall stattzugeben und die Klägerin zu ihrem Ehemann nach L* … zuzuweisen,

(3)

hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, dem Härtefall stattzugeben.

9

Zugleich haben sie beantragt, der Klägerin unter Beiordnung der Rechtsanwälte … Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

10

Zur Begründung wird ausgeführt, die Verpflichtung der Klägerin zur Wohnsitznahme im Freistaat Bayern und die Zuweisung an den Landkreis B* … seien aufzuheben, weil der Mann, mit dem sie nach religiösem Ritus verheiratet sei, an einem anderen Wohnort lebe. Der Gesetzeszweck, durch die Aufhebung die Integration anerkannter Flüchtlinge zu fördern, gebiete, dass die religiöse Ehe dazu ausreiche.

11

Werde gleichwohl zu Lasten der Klägerin angenommen, dass sie nicht standesamtlich verheiratet sei, sei die Aufhebung jedenfalls geboten, um eine Härte zu vermeiden. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Aufhebung schon vor der Vorlage einer Geburtsurkunde, weil sie ansonsten unzumutbar eingeschränkt werde. Sie sei dringend darauf angewiesen, dass sie zu ihrem Ehemann nach Nordrhein-Westfalen umziehen könne. Da sie sich einsam und völlig auf sich selbst gestellt fühle, sei sie gesundheitlich, insbesondere psychisch angeschlagen, was zu Komplikationen bei der Geburt führen werde. Außerdem habe sie als Jezidin bereits viel im Leben durchgemacht, und könne das Fluchtgeschehen nicht verarbeiten, weil sie unter der Trennung von ihrem Ehemann leide. Um ihre Sorgen zu beenden, brauche sie stabile und sichere Lebensverhältnisse. Ihr Mann, der verpflichtet sei, seinen Wohnsitz in L* … zu nehmen, lebe von Sozialleistungen, die nur das Existenzminimum abdeckten und könne deshalb aus finanziellen Gründen nicht regelmäßig pendeln.

12

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

13

Dem Antrag habe nicht entsprochen werden können. Der Beigeladene, an den sich der Beklagte, wie in Fällen wie dem vorliegenden üblich, gewandt habe, weil die Klägerin in dessen Bezirk umziehen wolle, habe einer Aufhebung vor der Geburt nicht zugestimmt, weil die Klägerin nach deutschem Recht nicht gültig verheiratet sei.

14

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

15

Er verweist mit Schriftsatz vom 01.02.2018 darauf, dass die Zustimmung zur Aufhebung erst nach Vorlage der Geburtsurkunde erteilt werden könne.

16

Am 18.02.2018 brachte die Klägerin, wie dem Gericht erst am 26.03.2018 mitgeteilt wurde, in B* … ein Mädchen zur Welt. Mit Beschluss vom 07.03.2018 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth den Antrag auf Prozesskostenhilfe ab.

17

Nachdem die Klägerin unter Vorlage einer Geburtsurkunde beim Landratsamt B* … vorgesprochen hatte, strich das Landratsamt B* … unter Hinweis auf die Zusicherung der Zustimmung des Beigeladenen bei Vorlage der Geburtsurkunde am 05.04.2018 die Wohnsitzverpflichtung auf den Freistaat Bayern bzw. den Landkreis B* … Mit Beschluss vom 07.05.2018 änderte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Prozesskostenhilfebeschluss des Erstgerichts im Beschwerdeverfahren ab und gewährte der Klägerin Prozesskostenhilfe (Az. 19 C 18.640).

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Mit Schriftsätzen vom 13.06.2018 bzw. 19.06.2018 gaben der Beklagte und die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Hauptsacheerledigungserklärungen ab.

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(4)

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

II.

20

1. Die Parteien haben die Hauptsache mit den am 15.06.2018 bzw. 21.06.2018 bei Gericht eingegangenen Erklärungen für erledigt erklärt. Das Verfahren ist daher in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

21

2. Nach § 161 Abs. 2 VwGO ist über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. In der Regel entspricht es der Billigkeit, demjenigen die Kosten zu überbürden, der im Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre. Bei der

Billigkeitsentscheidung ist jedoch auch zu berücksichtigen, auf wen das erledigende Ereignis zurückzuführen ist.

22

Billigem Ermessen entspricht es hier, die Verfahrenskosten dem Beklagten aufzuerlegen.

23

a) Der Beklagte hat mit der Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung am 05.04.2018 die Erledigung herbeigeführt.

24

b) Darüber hinaus wäre er, hätte das Gericht unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses streitig entschieden, im Verfahren voraussichtlich unterlegen.

25

aa) Die Klageanträge sind vom Gericht, das gemäß § 88 VwGO zwar über das Klagebegehren nicht

hinausgehen darf, aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist, als Verpflichtungsklage auszulegen, die gerichtet ist auf Aufhebung der gesetzlichen Verpflichtung, im Freistaat Bayern Wohnsitz zu nehmen, und auf Aufhebung der Zuweisung an den Landkreis B* … Denn nur auf diesem Weg konnte die Klägerin ihr Ziel erreichen, zu ihrem Mann nach L* … (Nordrhein-Westfalen) umziehen zu können.

26

bb) Die so verstandene Klage war zulässig und begründet. Denn die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte verpflichtet wird, die gesetzliche Wohnsitzbeschränkung auf den Freistaat Bayern und die Zuweisung an den Landkreis B* … aufzuheben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

27

aaa) Die am 13.12.2017 eingegangene Klage war zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Das Schreiben vom 11.10.2017, mit dem der Antrag auf Aufhebung abgelehnt wurde, ist als Bescheid ohne Rechtsbehelfsbelehrung:anzusehen, so dass gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Klage innerhalb eines Jahres erhoben werden konnte.

28

bbb) Die Klage war auch begründet.

29

Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer, der als Flüchtling i.S. v. § 3 Abs. 1 AsylG anerkannt worden ist, zur Förderung seiner nachhaltigen Integration verpflichtet, für den Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung in dem Land seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitz), in das er zur

Durchführung seines Asylverfahrens zugewiesen worden ist. Nach § 12a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann ein Ausländer, der der Verpflichtung nach Abs. 1 unterliegt und in einer vorübergehenden Unterkunft wohnt, innerhalb von sechs Monaten nach Anerkennung längstens bis zum Ablauf der Dreijahresfrist zu seiner Versorgung mit angemessenen Wohnraum verpflichtet werden, seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen, wenn dies der Förderung seiner nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegensteht.

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(5)

Gemäß § 12a Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist eine Verpflichtung oder Zuweisung nach den Absätzen 1 oder 2, wenn der Ausländer nachweist, dass der Ehegatte an einem anderen Wohnort lebt (Nr. 1b) oder zur Vermeidung einer Härte (Nr. 2) aufzuheben. Die Entscheidung trifft gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2

Asyldurchführungsverordnung (DVAsylBayern) die Kreisverwaltungsbehörde. Dies gilt auch soweit die Regierungen Zuweisungen gemäß § 12a Abs. 2 AufenthG verfügt haben (Ziff. 6.1.1 VollzH).

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aaaa) Zwar hat die Klägerin keinen Anspruch auf Aufhebung gemäß § 12a Abs. 5 Nr. 1b AufenthG. Danach ist eine Verpflichtung oder Zuweisung auf Antrag aufzuheben, wenn der Ausländer nachweist, dass sein Ehegatte an einem anderen Wohnort lebt.

32

Diese Vorschrift greift nicht zu Gunsten der Klägerin ein, weil der in L* … lebende Herr K. K., mit dem sie (nur) nach religiösem Ritus verheiratet ist, nicht ihr Ehegatte i.S. v. § 12a Abs. 1 Nr. 1b AufenthG ist.

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Gemäß Art. 13 Abs. 3 Satz 1 EGBGB muss auch dann, wenn beide Verlobten Ausländer sind, eine Ehe im Inland in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Dazu ist es erforderlich, dass die

Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe eingehen zu wollen (§ 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ehen, die ohne Standesbeamten geschlossen werden, sind ohne Rücksicht auf das Heimatrecht bürgerlich-rechtlich unwirksam (Coester in Münchner Kommentar zum BGB, Bd. 11, 7. Aufl. 2018, Art. 13 EGBGB Rn. 134).

34

Eine in Deutschland ohne fehlende staatliche Mitwirkung und damit unwirksam geschlossene Ehe zweier Ausländer vermittelt keinen Anspruch auf Ehegattennachzug (OVG Berlin-Brandenburg. B. v. 20.5.2014 - OVG 3 M 7/14, NJW 2014, 2665/2666; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 28 AufenthG Rn.17). Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass im Zusammenhang mit der Aufhebung einer Wohnsitzbeschränkung entgegen dem Grundsatz, dass Rechtsbegriffe in einem Gesetz einheitlich zu verstehen sind, etwas Anderes gelten soll, folgt daraus auch für § 12a Abs. 5 Satz 1b AufenthG, dass sich aus einer religiösen Trauung kein Anspruch auf Aufhebung ergeben kann.

35

Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass im Irak Ehen, die dort nach jezidischem Ritus, also ohne staatliche Mitwirkung, geschlossen werden, rechtswirksam seien. Dies entspricht zwar der irakischen Rechtslage (VG Sigmaringen, B. v. 05.12.2011 - A 1 K 677/10 - juris Rn. 10-13). Doch kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, sie sei als nach irakischem Recht wirksam verheiratete Frau eingereist und könne daraus Rechte ableiten. Vielmehr kann sie nur ohne Erfolg geltend machen, sie habe hier in Deutschland, wo weitergehende Formerfordernisse an die Eheschließung gelten, nach religiösem Ritus geheiratet.

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Auch das Argument, im deutschen Aufenthaltsrecht würden sogar Mehrehen zugunsten von Ausländern berücksichtigt, verhilft ihr nicht zum Erfolg. Denn die deutsche Rechtsordnung erkennt zwar eine im Ausland geschlossene Mehrehe als Ehe i.S. des bürgerlichen Rechts an. Der ordre public (Art. 6 EGBGB) verbietet es aber, nach der Einreise eine polygame Ehe vor einem deutschen Standesbeamten zu schließen, so dass es von vornherein nicht möglich ist, aus einer erst in Deutschland hier geschlossenen Mehrehe Rechte abzuleiten (BVerwG, U. v. 30.04.1985 - 1 C 33/81 - BVerwGE 71, 228/230 = NJW 1985, 2097/2098).

37

bbbb) Die Klägerin konnte aber beanspruchen, dass die Verpflichtung, im Freistaat Bayern zu wohnen, und die Zuweisung an den Landkreis B* … zur Vermeidung einer Härte schon vor Vorlage der Geburtsurkunde aufgehoben wird (§ 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).

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Zwar sind Zweifel angebracht, ob der Anwendungsbereich der Härteklausel überhaupt eröffnet ist. Denn der Gesetzgeber hat in § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1b AufenthG geregelt, wann der Beendigung der

Beeinträchtigung der Familieneinheit der Vorrang gegenüber einer Wohnsitzregelung zur Förderung der Integration einzuräumen ist. Insbesondere ist die Wohnsitzbeschränkung eines Ausländers auf Antrag aufzuheben, um ihm nach der Geburt das Zusammenleben mit seinen minderjährigen ledigen Kindern zu

(6)

ermöglichen. Deshalb hätte nach der gesetzlichen Regelung hier nicht die Klägerin, sondern ihr Mann einen Anspruch darauf, mit ihr und dem zu erwartenden Kind in G* … leben zu dürfen.

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Geht man jedoch demgegenüber davon aus, dass es im Rahmen ihrer freien Entfaltung der Persönlichkeit i.S. einer allgemeinen Handlungsfreiheit der Klägerin zusteht zu entscheiden, ob sie bei ihrem Mann in L* … leben will oder ihr Mann bei ihr in G* …, wird in dieses Grundrecht durch die Wohnsitzeinschränkung eingegriffen, wenn die gesetzliche Regelung dazu führt, dass Familienwohnsitz G* … zu sein hat. Dieser sich aus dem Gesetz ergebende Eingriff wäre aber gerechtfertigt, wenn die sich daraus ergebende

Einschränkung unter bestimmten Voraussetzungen im Wege einer Härteregelung aufgehoben werden kann (vgl. dazu OVG Lüneburg, B. v. 02.08.2017 - 8 ME 90/17 - juris Rn. 26).

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Prüft man deshalb, ob in der Verweigerung der Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung der Klägerin eine Härte zu sehen ist, ist nicht erforderlich, dass eine Aufrechterhaltung der Wohnsitzbeschränkung

„schlechthin unvertretbar“ ist, weil sie mit grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen im Widerspruch stünde (außergewöhnliche Härte i. S. v. § 36 Abs. 2 AufenthG) oder wie bei einer besondere Härte i.S. v. § 30 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, dass eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Sondersituation vorliegt, die sich besonders nachteilig auf den Ausländer auswirkt (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Jan.2018, § 12a AufenthG Rn. 51). Vielmehr reicht es aus, wenn persönliche Belange beeinträchtigt werden, die im Vergleich zu den betroffenen öffentlichen Interessen und im Hinblick auf den vom Gesetz vorausgesetzten Zweck der Aufenthaltsbeschränkung als unangemessen schwer anzusehen sind Ob die Voraussetzungen dieses unbestimmten Rechtsbegriffs vorliegen, ist gerichtlich voll überprüfbar (BT-Drs. 18/8615 S. 46).

41

Gemäß § 12 a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG liegt eine Härte insbesondere vor, wenn nach Einschätzung des zuständigen Jugendamtes Leistungen und Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe mit Ortsbezug beeinträchtigt würden (a), aus anderen dringenden persönlichen Gründen die Übernahme durch ein anderes Land zugesagt wurde (b) oder für den Betroffenen aus sonstigen Gründen vergleichbare unzumutbare Einschränkungen entstehen (c).

42

Bei der im Rahmen der Anwendung der Härtefallklausel erforderlichen Bewertung des Einzelfalls ist insbesondere auch der im gesamten privaten und öffentlichen Recht geltende Schutzauftrag zu

berücksichtigen, der sich aus Art. 6 Abs. 4 GG ergibt. Danach hat eine werdende Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Deshalb sind in die Prüfung nicht nur bereits eingetretene schwangerschaftsbedingte Beschwerden einzubeziehen, sondern es ist auch Anhaltspunkten dafür nachzugehen, ob Beschwerden im Einzelfall drohen (BayVGH, B. v. 07.05.2018 - 19 C 18.640 - Rn. 11, unveröff.).

43

Legt man diese Grundsätze zugrunde, entstanden der Klägerin durch die Aufhebung der

Wohnsitznahmeverpflichtung und der Zuweisung erst nach Vorlage der Geburtsurkunde des Kindes unangemessen schwere Einschränkungen i.S. von § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2c AufenthG, die mit Beeinträchtigungen i.S. v. § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1a AufenthG, die Kinder und Jugendlichen nicht hinzunehmen haben, vergleichbar sind.

44

Die Klägerin hat dargelegt, dass sie die Ehe nach religiösem Ritus geschlossen hatte, schwanger war, ihr Mann die Vaterschaft anerkannt hatte und sie beide gemeinsam das Sorgerecht ausübten und sie damit in einer der Familiengründung sehr nahe kommenden Verbindung lebt. Die schon deshalb gebotene

Herstellung der Lebensgemeinschaft war für sie nach eigenen Angaben aber auch deshalb unbedingt erforderlich, weil sie unter der Trennung von ihrem Lebenspartner so stark litt, dass sie das

Fluchtgeschehen nicht verarbeiten konnte. Deshalb drohten gerade ihr als werdender Mutter Beschwerden, die es im Lichte von Art. 6 Abs. 4 GG gebieten, zu ihren Gunsten die Härtefallregelung in § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2c AufenthG anzuwenden (BayVGH, a.a.O.).

45

(7)

ccc) Dem kann der Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Anspruch der Klägerin auf Aufhebung sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil keine Zustimmung der Beigeladenen, in deren Bezirk die Klägerin ziehen will, vorliegt.

46

aaaa) § 12a Abs. 5 AufenthG sieht nach seinem Wortlaut keine Zustimmung der „aufnehmenden“ Behörde vor. Dass der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm.

47

Der Gesetzesentwurf der CDU/CSU und der SPD-Fraktion zu § 12 Abs. 5 AufenthG, dem laut Anlage 2 zu BT-Drs.18/8829 dem Gesetzesentwurf der Bundessregierung entspricht, enthielt keine derartige Regelung (BT-Drs.18/8615 S.13). In seiner Stellungnahme dazu hielt der Bundesrat eine Prüfungsmöglichkeit der

„aufnehmenden“ Ausländerbehörde für angezeigt und verlangte als § 12a Abs. 5 Satz 1a AufenthG die Einholung ihrer Zustimmung vorzuschreiben (BT-Drs. 18/8829 S.20). In ihrer Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates lehnte die Bundesregierung den Vorschlag ausdrücklich ab, weil diese Regelung nicht erforderlich sei. Die Aufhebung der Wohnsitzregelung sollte nicht als zusätzliche Voraussetzung von der Zustimmung der Ausländerbehörde an dem zukünftigen Wohnort abhängig sein (BT-Drs. 18/8883 S.16). Dieser Auffassung schloss sich der Bundestag bei seiner Beschlussfassung an.

48

Auch in § 12a Abs. 9 AufenthG, der zum Erlass landesrechtlicher Regelungen betreffend. der Organisation und des Verfahrens ermächtigt, ist der Erlass von untergesetzlichen Zustimmungsregelungen bei

Aufhebungen von Wohnsitzverpflichtungen und Zuweisungen nicht vorgesehen.

49

Dagegen gibt Ziff. 6.1.2 VollzH den bayerischen Ausländerbehörden vor, die vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde des gewünschten Zuzugsortes bei länderübergreifenden Umzügen von Ausländern, die seit dem 06.08.2016 anerkannt wurden, einzuholen. Die bayerische Verwaltungsvorschrift beruft sich dafür auf eine „Verständigung“ zwischen dem Bund und den Ländern, die vorsehe, dass in diesen Fällen Nr.

12.2.5.2.4 Allgemeine Verwaltungsvorschrift (AVV) - AufenthG entsprechend anzuwenden sei (Ziff. 6.1.2 VollzH). Diese in Bezug genommene Regelung, die zur Anwendung von § 12 AufenthG erlassen wurde, sieht vor, dass die Streichung der wohnsitzbeschränkenden Auflage zur Ermöglichung eines den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde überschreitenden Wohnortwechsels der vorherigen

Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsortes bedarf, die bei einer Verweigerung der Zustimmung alle Gründe für ihre Entscheidung mitzuteilen hat. Für eine Übertragbarkeit dieser Regelung in der AVV hatte sich im Übrigen auch die Gesetzesbegründung ausgesprochen, ohne näher darauf einzugehen (BT- Drs. 18/8615 S. 46).

50

Die auf dieser Grundlage regelmäßig praktizierte Einholung einer Zustimmung, wenn eine Aufhebung zu einem länderübergreifenden Wohnsitzwechsel führt, mit der Rechtsfolge, dass bei Nichterteilung kein Aufhebungsanspruch besteht, widerspricht § 12a Abs. 5

51

AufenthG. Kollidieren damit Gesetz und Verwaltungsvorschrift, setzt sich nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ableitet, § 12a Abs. 5 AufenthG durch. Die gesetzliche Regelung, die die Einholung der Zustimmung nicht vorsieht, kann durch Ziff. 6.1.2 VollzH, eine Verwaltungsvorschrift von untergesetzlichem Rang, nicht abgeändert werden (vgl.

BVerfG, B. v. 06.05.1958 - 2 BvL 37/56 und11/57 - BVerfGE 8, 155/169 = NJW 1959, 235/237; Grzeszick in Maunz/Dürig, GG, Stand September 2017, Art. 20 Rn. 72f.).

52

Daran ändert nichts, dass die entsprechende Anwendung der Auslegungshinweise auch in der

Gesetzesbegründung die Bundesregierung angesprochen worden war. Denn die Bundesregierung hat sich im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aus sachlichen Gründen und nicht etwa nur, weil sie

angenommen hätte, keine Regelungen für das von den Ländern durchzuführende aufenthaltsrechtliche Verfahren treffen zu können, eindeutig gegen ein Zustimmungserfordernis ausgesprochen (BT-Drs. 18/8883 S.16).

(8)

53

bbbb) Im Übrigen ist das Gericht im Rahmen seiner eigenständigen Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2c AufenthG vorliegen, einer zwingenden Vorschrift, die weder dem Beklagten noch dem Beigeladenen ein nur eingeschränkt überprüfbares Ermessen einräumt, nicht daran gebunden, wenn der Beigeladene die gesetzlich nicht vorgesehene Zustimmung verweigert (OVG Berlin-Brandenburg, B. v.

07.05.2018 - OVG 3 N 118.18 - juris Rn. 4).

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3. Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 62 Abs. 1 GKG, § 52 Abs. 2 GKG.

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