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Eilantrag gegen Überstellung nach Italien

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VG Regensburg, Beschluss v. 09.10.2019 – RN 7 E 19.50948 Titel:

Eilantrag gegen Überstellung nach Italien Normenketten:

VwGO § 123

AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1 AufenthG § 60 a Abs. 2 S. 1

GG Art. 6 Art. 8 EMRK GRCh 7 Schlagworte:

Eilantrag gegen Überstellung nach Italien, Abgrenzung Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO, Sperrwirkung des § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG und neue Umstände (Geburt eines Kindes), Inlandsbezogenes Abschiebungshindernis (Familieneinheit, Verhältnis Vater-Kind), Anordnungsgrund, Asylanerkennung, Abschiebungshindernis, Migration, Vaterschaft, inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, Familieneinheit, Vater-Kind -Verhältnis

Fundstelle:

BeckRS 2019, 55437  

Tenor

I. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine

Abschiebung des Antragstellers nach Italien auf Grundlage von Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. April 2019 (Az. 776* …- …*) vorläufig nicht erfolgen darf.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen seine Überstellung nach Italien.

2

Der Antragsteller, nach seinen Angaben am … 1985 geboren und nigerianischer Staatsangehöriger, reiste seiner Einlassung zufolge im Januar 2019 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein, nachdem er bereits am 6. März 2018 im Rahmen eines Aufgriffsverfahrens von Deutschland nach Italien überstellt worden war. Am 6. März 2019 äußerte der Antragsteller ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am selben Tag schriftlich Kenntnis erlangte. Der Antragsteller stellte am 1. April 2019 einen förmlichen Asylantrag.

3

Nach den Erkenntnissen des Bundesamts durch Abgleich der Fingerabdrücke in der EURODAC-Datenbank lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates ge-mäß der Verordnung Nr. 604/213 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO). Am 4. April 2019 wurde ein

Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-VO an Italien gerichtet. Die italienischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 16. April 2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Artikel 18 Abs.

1 b) Dublin-III-VO.

4

Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates und der

(2)

Antragsteller gegenüber dem Bundesamt: Im Oktober 2014 habe er sein Herkunftsland verlassen. Er sei über Libyen nach Italien (Aufenthalt 6 Jahre) und dann nach Deutschland gereist (Aufenthalt 1 Monat und zwei Wochen). Danach sei er wieder in Italien gewesen (Aufenthalt über 1 Jahr), ehe er sich im Januar 2019 erneut nach Deutschland begeben habe. In Italien habe er internationalen Schutz zuerkannt bekommen. In Deutschland würden seine Frau … und seine Tochter S* … leben, die seine Unterstützung benötige.

5

Bei der Anhörung über die Zulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nrn. 1-4 AsylG i.V.m. § 25 Abs.

1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG und der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 3. April 2019 trug der Antragsteller u.a.

vor: Sein Pass sei bei seiner Frau in … Außer seiner Frau und seiner Tochter habe er niemanden in Deutschland. In Italien habe er zunächst einen negativen Bescheid erhalten, dann nach Einschaltung eines Rechtsanwalts eine Aufenthaltsgestattung für zwei Jahre, die er alle drei Monate habe verlängern müssen.

Nach seiner Abschiebung von Deutschland nach Italien habe er in Italien auf der Straße gelebt. Seit seine Familie in Deutschland sei, versuche er, bei ihr zu sein. In Italien habe er keine Dokumente mehr. Seine Aufenthaltserlaubnis sei abgelaufen. In Italien kümmere sich keiner um ihn. Er möchte bei seiner Familie sein. In Deutschland gebe es Sicherheit.

6

Laut Aktenlage wurde dem Antragsteller gemäß § 57 AsylG die Erlaubnis erteilt, den Bereich der

Aufenthaltsgestattung in der Zeit von 4. April bis 14. April 2019 vorübergehend zu verlassen und sich nach

… zu seinem Kind zu begeben.

7

Mit Bescheid vom 23. April 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des bereits dort gestellten Asylantrages gemäß Artikel 18 Abs. 1 b) Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Außergewöhnliche Umstände, die die Bundesrepublik veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, lägen nicht vor. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse seien nicht ersichtlich. Aus Verlöbnissen oder sonstigen Partnerschaften, die nicht staatlich registriert und anerkannt seien, könnten ausländerrechtlich keine Ansprüche abgeleitet werden. Dafür wäre eine zivilrechtliche Eheschließung durch das zuständige Standesamt erforderlich. Nach Aktenlage bestehe keine zivilrechtlich wirksame Ehe, so dass die angegebene Lebensgefährtin keine Familienangehörige des Antragstellers im Sinne des Artikel 2 g) Dublin-III-VO sei. Hinsichtlich der vom Antragsteller erwähnten Tochter liege kein Vaterschaftsnachweis vor. Im Übrigen sei der Asylantrag der vom Antragsteller angegebenen

Lebensgefährtin und deren Tochter am 22. Mai 2019 rechtskräftig abgelehnt worden, so dass beide Personen über kein gesichertes Bleiberecht in Deutschland verfügten. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 26. April 2019 zugestellt.

8

Am 26. April 2019 erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 23. April 2019 (Az. RN 7 K 19.50438), über die noch nicht entschieden wurde.

9

Laut Aktenlage wurde dem Antragsteller gemäß § 57 AsylG die Erlaubnis erteilt, den Bereich der

Aufenthaltsgestattung in der Zeit von 4. Mai bis 12. Mai 2019 vorübergehend zu verlassen und sich nach … zu seinem Kind zu begeben.

10

Am 17. Juni 2019 erkannte der Antragsteller mit Zustimmung von Frau … vor dem Landratsamt Garmisch Partenkirchen die Vaterschaft zu dem am … 2017 in … geborenen Kind S* … und die Vaterschaft zu dem aus der Schwangerschaft von Frau … zu erwartenden Kindes an. Am 1. Oktober 2019 gaben der

Antragsteller und Frau … eine gemeinsame Sorgerechtserklärung für die Kinder … und Progress ab.

11

(3)

Mit Schreiben an die Regierungsaufnahmestelle, dort eingegangen am 26. Juni 2019, beantragte der Antragsteller die Umverteilung in die Gemeinschaftsunterkunft nach … in … am Staffelsee. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass dort seine Frau mit seinen zwei Kindern leben würde. Es sei für seine Frau schwer, in einem fremden Land für zwei Kinder zu sorgen. Außerdem sei es für seine Kinder schwer, ohne Vater aufzuwachsen. Er würde sich wünschen, mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen zu können. Er habe vor kurzem auch die Vaterschaft anerkannt.

12

Unter dem 19. Juli 2019 lehnte die Regierung von Niederbayern den Umverteilungsantrag ab.

13

Am 2. Oktober 2019 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg um einstweiligen

Rechtsschutz nachgesucht, um gegen die für den 14. Oktober 2019 angekündigte Überstellung nach Italien vorzugehen. Zur Begründung trägt er vor: Er sei Vater von zwei Kindern, P* … (geb. am …2019) und S* … (geb. am …2017), wie aus den Vaterschaftsanerkennungen und der Sorgeerklärung folge. Die

Familieneinheit müsse gewahrt werden. Die Abschiebung dürfe keine intakte Familieneinheit

auseinanderreißen. Er wolle nicht von Frau und Kind getrennt werden. Zwar bestehe die erforderliche Lebensgemeinschaft zwischen ihm, seiner Frau und seinen Kindern noch nicht, dies sei aber nicht sein Verschulden. Er beabsichtige, die Familieneinheit herzustellen und habe sich deswegen schon an die Regierungsaufnahmestelle gewandt. Am 25. Juni 2019 habe er einen Umverteilungsantrag gestellt, da er seine Familie vermisse und diese unterstützen wolle. Der Antrag sei jedoch mit Schreiben vom 22. Juli 2019 abgelehnt worden, da er verpflichtet sei, in der Aufnahmeeinrichtung in Deggendorf zu wohnen. Sollte diese Wohnverpflichtung aufgehoben werden, würde er liebend gern bei seiner Familie leben. Als er Klage zum Verwaltungsgericht erhoben habe, habe er einen Eilantrag stellen wollen. Dieser sei jedoch bei der Protokollierung fälschlicherweise vergessen worden. Im Übrigen stelle die zweite Vaterschaft eine akute Änderung seiner Situation dar.

14

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass bis zur Entscheidung über die Klage von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen sei.

15

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

16

Die vorgelegten Unterlagen (Vaterschafts- und Sorgeerklärung) könnten den Eilantrag nicht begründen. Die Familieneinheit sei bzw. wäre auch in Italien gewahrt. Das Verfahren von Ehefrau und Kind sei rechtskräftig durch Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Januar 2018 abgelehnt. Ehefrau und Kind seien somit ausreisepflichtig.

17

Auf Nachfrage des Gerichts wurde mitgeteilt, dass für das am … 2019 geborene Kind noch keine § 14a- AsylG-Anzeige vorliege und somit noch keine Aktenanlage erfolgt sei. Die zuständige Ausländerbehörde sei diesbezüglich angeschrieben worden.

18

Aus der vom Bundesamt im Eilverfahren des Antragstellers vorgelegten Akte zu Frau … und dem Kind S*

… ergibt sich Folgendes:

19

Bei deren Anhörung am 7. Februar 2017 gemäß § 25 AsylG hat Frau … darauf hingewiesen, dass … der Vater ihres Kindes und ihr traditionell verheirateter Ehemann sei, sich in Italien aufhalte und im nächsten Monat nach Deutschland kommen werde. Sie sei mit ihm zusammen aus Nigeria ausgereist und habe mit ihm in Italien in einem Zimmer gewohnt. Im Zuge der Befragung durch die Regierung von Oberbayern am 27. Januar 2017 hat Frau … angegeben, ihren Mann in Italien in einer Kirche geheiratet zu haben und mit

(4)

20

Mit seit 22. Mai 2018 bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2017 sind die Anträge von Frau … und dem Kind S* … auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht festgestellt und die Abschiebung nach Nigeria angedroht worden. Bei der mündlichen Verhandlung am 16. Januar 2018 über die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2017 ist von Frau … auf die Frage des Gerichts, wer die Person sei, die sie mitgebracht habe, laut Protokoll erklärt worden, dass es ihr Freund sei, sie verheiratet sei und ihr Ehemann in Italien sei.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten im Klage- und Eilverfahren sowie auf die Akten des Bundesamtes betreffend den Antragsteller (Az. 7768* …- …*), Frau … und das Kind S* … (Az. 7041* …- …*) Bezug genommen.

II.

22

Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylG durch den zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter.

23

Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.

24

1. Der Antrag ist zulässig.

25

Der gemäß § 88 VwGO auszulegen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Ziel, der Antragsgegnerin aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien auf Grundlage von Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts vom 23. April 2019 vorläufig nicht erfolgen darf, stellt sich insbesondere als statthaft dar.

26

Zwar richtet sich das Begehren des Antragstellers gegen die Vollziehbarkeit der im Bescheid vom 23. April 2019 ausgesprochenen Abschiebungsanordnung nach Italien, wofür die Verwaltungsgerichtsordnung den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorsieht. Einstweiliger Rechtsschutz auf Grundlage von § 123 VwGO kommt daneben grundsätzlich nicht mehr in Betracht (§ 123 Abs. 5 VwGO). Dies gilt auch dann, wenn ein Antragsteller den an sich möglichen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht innerhalb der Wochenfrist gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt hat. Denn ließe man in derartigen Fällen einen Antrag nach § 123 VwGO zu, würde damit die vom Gesetzgeber vorgesehene, besondere Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG unterlaufen (Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Februar 2019, § 123 Rn. 20).

27

Eine Ausnahme hiervon kommt aber in Betracht, soweit dies aus Gründen effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG unerlässlich ist. Ein solcher Fall besteht dann, wenn nach Ablauf der Frist des

§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG Veränderungen der Sach- und Rechtslage eintreten, die für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bedeutsam sein können oder wenn dem Antragsteller solche Umstände ohne sein Verschulden erst nach Fristablauf bekannt werden und die Abschiebungsanordnung noch nicht bestandskräftig geworden ist (VG Düsseldorf, B.v. 19.6.2015 - 22 L 486/15.A - juris Rn. 13; VG Würzburg, B.v. 6.3.2019 - W 2 E 19.50143 - juris Rn. 25; VG Regensburg, B.v. 24.4.2019 - RO 12 E 19.50352).

28

Diese Voraussetzungen für einen ausnahmsweise zulässigen Antrag nach § 123 VwGO sind vorliegend erfüllt.

29

Die im Bescheid vom 23. April 2019 verfügte Abschiebungsanordnung nach Italien ist aufgrund der

hiergegen bei Gericht binnen Wochenfrist (§ 74 Abs. 1 Hs. 2 i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG), nämlich am 26. April 2019 eingegangenen Klage nicht bestandskräftig geworden.

30

(5)

Es liegen auch Umstände vor, die nach Klageerhebung gegen den streitgegenständlichen Bescheid (26.4.2019) und nach der Wochenfrist für einen Eilantrag (3.5.2019) eingetreten sind. Denn der

Antragsteller beruft sich u.a. darauf, dass am … 2019 sein zweites Kind P* … geboren wurde, von dem er nicht durch eine Abschiebung nach Italien getrennt werden möchte. Dabei handelt es sich um einen neuen Umstand, der im Hinblick auf die nach Art. 6 GG, Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK geschützte familiäre Lebensgemeinschaft Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung haben kann; der Umstand konnte auch nicht innerhalb der Eilantragsfrist des § 80 Abs. 5 VwGO, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG vom Antragsteller geltend gemacht werden, weil er erst nach dieser Zeit entstanden ist. Der Antrag nach

§ 123 VwGO stellt sich daher ausnahmsweise als statthaft dar.

31

2. Der Antrag ist auch begründet.

32

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm der geltend gemachte Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dieser Anspruch in einer Weise gefährdet ist, dass er durch eine gerichtliche Entscheidung gesichert werden muss (Anordnungsgrund), § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die

Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (VG Magdeburg, B.v. 16.11.2018 - 4 B 328/18 -, juris, Rn. 2 m.w.N.).

33

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Ein Anordnungsgrund ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller wegen der vollziehbaren Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes vom 23.

April 2019 jederzeit mit seiner Überstellung nach Italien rechnen muss. Ferner kommt hinzu, dass

aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach Mitteilung des Antragstellers unmittelbar, nämlich am 14. Oktober 2019, bevorstehen, was von Antragsgegnerseite nicht bestritten wurde.

34

Der nicht anwaltlich vertretene Antragsteller hat auch Umstände glaubhaft gemacht, aus denen sich ein Anordnungsanspruch ergibt. Einer Überstellung des Antragstellers nach Italien auf Grundlage der Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 23. April 2019 stehen nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand rechtliche Hindernisse entgegen. Es bestehen gegenwärtig durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung des Bundesamtes.

35

Nach dem Wortlaut des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG darf eine Abschiebungsanordnung erst dann erfolgen, wenn feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Während bei der

Abschiebungsandrohung die Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse regelmäßig durch die Ausländerbehörde zu erfolgen hat, ist dies bei der Abschiebungsanordnung anders. Eine Abschiebung darf nur dann erfolgen, wenn diese rechtlich und tatsächlich möglich ist. Andernfalls ist die Abschiebung auszusetzen (Duldung). Liegen somit Duldungsgründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor, dann ist die Abschiebung unmöglich und kann auch im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht durchgeführt werden. Abweichend von der üblichen Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde hat das Bundesamt bei der Abschiebungsanordnung daher auch die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse vorliegen (vgl. BVerfG, B.v.

17.09.2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; BayVGH, B.v. 12.03.2014 - 10 CE 14.427; VG

Regensburg, B.v. 07.10.2013 - RN 8 S 13.30403; Beck-OK, Ausländerrecht (Stand 01.08.2017) § 34a Rn.

14). Für eine insoweit eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde verbleibt daneben kein Raum (VG Düsseldorf, B.v. 19.06.2015 - 22 L 486/15.A -, juris, Rn. 16 f. m.w.N.). Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen (BVerfG, B.v. 17.09.2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris, Rn. 10 m.w.N.). Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die

(6)

Westfalen, B.v. 30.08.2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, B.v. 12.03.2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, B.v. 25.04.2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, B.v. 19.05.2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).

36

Es steht gegenwärtig aber nicht im Sinne von § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG fest, dass die Abschiebung

durchgeführt werden kann. Die Abschiebung des Antragstellers nach Italien ist nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage derzeit rechtlich unmöglich. Denn eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien würde voraussichtlich in unzulässiger Weise in die nach Art. 6 GG, Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK geschützte familiäre Lebensgemeinschaft zumindest mit dem am … 2019 geborenen Kind P* … eingreifen.

Zwar gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat und die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht ist, die zuständige Stelle, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das

Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (BVerfG, B.v. 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 17 m.w.N.).

37

Eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien würde nach diesen Maßstäben jedenfalls die geschützte familiäre Beziehung zwischen dem Antragsteller und dem Kind P* … in unzulässiger Weise beeinträchtigen.

Damit steht der Überstellung gegenwärtig ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis entgegen.

38

Hinreichende Anhaltspunkte, dass jemand anderes biologischer Vater des Kindes ist, bestehen nach Aktenlage nicht. Der Antragsteller hat die Vaterschaft zum Kind P* … formal anerkannt und die Mutter … dem zugestimmt (vgl. Vaterschaftsanerkennung vom 17.6.2019). Zudem haben die Ehefrau und der Antragsteller in ihren jeweiligen Verfahren von Anfang an darauf hingewiesen, dass sie traditionell verheiratet sind und schon ein gemeinsames Kind (namens S* …*) haben, was dafür spricht, dass das zweite Kind auch von beiden ist.

39

Zwar genügt allein die Vaterschaftsanerkennung für ein Abschiebungshindernis nach Art. 6 GG nicht; denn maßgeblich sind nicht formal-rechtliche familiäre Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (BVerfG, B.v. 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 18;

BayVGH, B.v. 17.12.2018 - 10 CE 18.2177 -, juris, Rn. 19). Geschützt ist die Familie als Lebens- und Erziehungssowie als gelebte Beistands- und Umgangsgemeinschaft (BVerfG, B.v. 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 19 f.). Erforderlich ist, dass ein Sorgeberechtigter nach außen erkennbar Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, B.v. 17.12.2018 - 10 CE 18.2177 -, juris, Rn. 19). Insoweit müssen bei getrennt lebenden Eltern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die gegenseitigen Beziehungen über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausgehen (BVerwG, U.v. 9.12.1997 - 1 C 19/96 - NVwZ 1998, 742/743). Namentlich sind lediglich vereinzelte Kontakte nicht ausreichend, um einen Eingriff in Art. 6 GG zu begründen (BVerwG, U.v. 9.12.1997 - 1 C 19/96 - NVwZ 1998, 742/743). Der Bejahung einer familiären Lebensgemeinschaft steht nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aber auch nicht entgegen, dass ein Elternteil nur ausschnittsweise am gemeinsamen Leben teilnimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft (BayVGH, B.v.

17.12.2018 - 10 CE 18.2177).

40

Das Gericht geht auf Grundlage der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfügbaren Erkenntnisse davon aus, dass zwischen dem Antragsteller und seinem Kind P* … eine diesen Anforderungen genügende Vater-Kind-Beziehung vorliegt.

41

(7)

Dafür spricht schon die vom Antragsteller am 1. Oktober 2019 abgegebene Sorgeerklärung für das Kind.

Ferner erscheint der Vortrag im Eilverfahren, er wolle sich (u.a. auch) um das Kind P* … kümmern und mit ihm zusammen sein, glaubhaft, nachdem er laut Aktenlage schon zweimal eine Erlaubnis nach § 57 AsylG beantragt und erhalten hat, vorübergehend den Bereich der Aufenthaltsgestattung zu verlassen, um sich nach … zu seinem (damals ersten) Kind zu begeben. Auch sein Umverteilungsantrag in die

Gemeinschaftsunterkunft … legt nahe, dass ihm ein Zusammenleben mit seinen Kindern wichtig ist. Soweit ihm dies bisher nur beschränkt möglich war, kann ihm dies nicht vorgehalten werden, nachdem sein Umverteilungsantrag abgelehnt und seine Besuchserlaubnisse nach § 57 AsylG kurz befristet wurden. Das Gericht geht nach Aktenlage und dem bisherigen, dargestellten Verhalten derzeit davon aus, dass der Antragsteller die möglichen Schritte weiterhin ergreifen wird, um eine Familieneinheit so gut wie (nach dem Asyl- und Aufenthaltsgesetz rechtlich) möglich herzustellen. Etwas anderes wird im Übrigen vom

Bundesamt auch nicht substantiiert geltend gemacht, das die Besuchserlaubnisse gemäß § 57 AsylG bisher schon zweimal erteilte.

42

Durch eine Abschiebung würde die Lebensgemeinschaft bzw. die angestrebte Familieneinheit in rechtlich unzulässiger Weise beeinträchtigt, da sie gegenwärtig nur in Deutschland verwirklicht werden kann, wo sich Frau … und das gemeinsame Kind P* … derzeit aufhalten. Soweit das Bundesamt ohne nähere

Begründung behauptet, dass die Familieneinheit in Italien gewahrt werden kann, ist das nicht

nachvollziehbar. Insbesondere ergibt sich weder aus dem Vortrag des Bundesamts noch aus den Akten, dass die traditionelle verheiratete Ehefrau des Antragstellers und die gemeinsamen Kinder für Italien derzeit ein Bleiberecht haben. Frau … und dem Kind S* … wurde in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamts vom 1. März 2017 die Abschiebung nach Nigeria angedroht und keine Abschiebung nach Italien angeordnet. Im Übrigen spricht derzeit einiges dafür, dass das Kind P* … derzeit ein Bleiberecht in Deutschland haben dürfte im Hinblick auf den noch nicht verbeschiedenen Asylantrag, der gemäß § 14 a AsylG gestellt sein dürfte.

43

Es ist jedenfalls gegenwärtig nicht naheliegend, dass eine familiäre Gemeinschaft des Antragstellers mit seinem Kind P* … im Falle seiner alleinigen Abschiebung in absehbarer Zeit in Italien hergestellt werden könnte. Substantielles wurde hierzu vom Bundesamt nicht vorgetragen. Im Übrigen ist zu würdigen: Bei dem Kind handelt es sich um ein wenige Wochen altes Baby. Die Zeit in diesem Alter hat besondere Bedeutung, so etwa im Hinblick auf eine aufzubauende Bindung zu dem Kind. Dabei ist auch zu

berücksichtigen, dass gerade bei einem kleinen Kind die Entwicklung sehr schnell voranschreitet, so dass auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG im Einzelfall schon unzumutbar lang sein kann (vgl. BVerfG, B.v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, juris, Rn. 10; Nds. OVG, B.v.

02.03.2011 - 11 ME 551/10 -, juris, Rn. 9; VG Lüneburg, B.v. 01.02.2019 - 8 B 207/18 -, juris, Rn. 20; VG Dresden, U.v. 19.01.2018 - 3 K 5791/17.A -, juris, Rn. 24).

44

Eine Überstellung des Antragstellers nach Italien kann nach alledem derzeit nicht erfolgen. Zur Sicherung der Rechte des Antragstellers war der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung daher aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers einstweilen nicht erfolgen darf.

45

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

46

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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