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Träume, Kampf undKrampf im deutschenAnarchismus

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Academic year: 2022

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(1)

Kra m pf i m deu tsch en An a rch i sm u s

Au tor: Jörg B ergstedt Reih e „Sch arfZeich n er“

im Seiten H ieb-Verl ag

I SB N 978-3-86747-047-6

(2)

Vorweg . . . 7

1 I n tro . . . 9

2 Was ist u n d wer wil l An arch ie? . . . 1 3 B egriff u n d Wirkl ich keit zwisch en Au fstan d u n d Leben sgefü h l . . . 1 3 Definitionen . . . 1 3 Anarch ie − der Begriff für al l es, auch völ l ig Verwirrtes . . . 21

Ch aos und Anarch ie: Der m oderne Teufel al s Projektion der Apokal ypse . . . 22

Anarch ie-H etze in Th eorieform : H errsch aft oder Barbarei . . . 29

Anarch ieh etze war im m er: Bl icke in die Gesch ichte . . . 32

Anarch iekritik von Links . . . 34

Sym path ie für die Anarch ie − oft absurd wie die H etze . . . 38

Was bl eibt an zentral en Definitionspunkten? . . . 40

Varianten des Anarch ism us . . . 42

An arch istisch e Zeiten . Gesch ich te m it u n d oh n e H errsch aftskäm pfen . . . 47

Sein . Sch ein . Wirkl ich keit . . . 54

Wh o is wh o im deutsch sprach igen Anarch ism us? . . . 54

E rsch einungsform en anarch istisch er Ström ungen . . . 78

3 Th eorien , Lü cken u n d bl in de F l ecken . . . 83

Aktu el l e Th eoriean sätze. Worü ber An arch istI n n en n ach den ken , wen n sie den ken . . . 83

Zu wenig: Das traditionel l e Verständnis von H errsch aft . . . 84

Versch l afen oder vergessen: Moderne H errsch aftsanal yse . . . 88

Das Mensch enbil d im Anarch ism us . . . 93

D as Gu te au s dem tran szen den ten „Off“: Was ist Moral u n d wozu dien t sie? . . . 95

Die Moral en der Anarch istI nnen und Gutm ensch en . . . 97 Libertär und brav: Der anarch istisch e Knigge . . . 1 03 Anarch istisch er Gedankenbrei: Rel igion − nein! H öh ere Werte − ja, doch . . . ? 1 06 An arch ie u n d D em okratie. D ie Gl eich setzu n g des U nverein baren . . . .1 08 Sieben Mal : Anarch ie und ( Basis-) Dem okratie sind unvereinbar! . . . 1 08 Anarch istisch e Kritik an Staat und Dem okratie . . . 1 20 Trotzdem : Anarch istI nnen für die ( verbesserte) Dem okratie . . . 1 22 Positiver Bezug auf das Vol k . . . 1 27 Sozial er Organism us . . . 1 29 Anarch ie gl eich Basisdem okratie? . . . 1 29 Anarch ie gl eich Direkt-Dem okratie? . . . 1 32 Konsensdem okratie . . . 1 34 Der Konsens al s Waffe − Beispiel e pol itisch er Konkurrenzkäm pfe . . . 1 41 Kritik der Dem okratiebefürwortung . . . 1 48 Wen n die Marktwirtsch aft zu m an arch istisch en I deal wird . . . . . . .1 49 Markt oder Staat − die fal sch e Frage . . . 1 52 E inzel fragen . . . 1 54 Die Sch nittstel l en zu Marktwirtsch aft und Bürgerl ich keit . . . 1 62 Parecon − krude Wirtsch aftsth eorie anarch istisch en Kreise . . . 1 64 Al ternativökonom ie . . . 1 67 Kritik . . . 1 68

(3)

Vergl eich e . . . 1 73 U ntersch iede im Detail . . . 1 73 Anarch okritik und -h etze gegen ( autoritären) Kom m unism us/Sozial ism us . . . 1 80 Sozial istisch e und kom m unistisch e Kritik und H etze . . . 1 85 Zusam m engedacht: Marxism us und Anarch ism us . . . 1 87

4 Strategien u n d Streitfragen . . . .1 89 F rei von I n h al t? H au ptschwäch en an arch istisch er Kon zepte −

em an zipatorisch geprü ft . . . 1 89 Angst vor der eigenen Konsequenz:

Sich erh eit und Kontrol l e statt dynam isch er Offenh eit . . . 1 89 Revol u tion oder Reform ?

Vom sel tsam en Gegen satz zweier oft du m m er Kon zepte . . . 1 93 Von Quantitäten und Qual itäten . . . 1 93 Radikal ität? . . . 1 97 Fragend voran . . . . . . 1 99

E in U pdate für die Anarch ie bitte . . . . . . 200

D ie Völ ker des kl ein es M@n n es − An arch ie, Kol l ektiv u n d kol l ektive I den tität . . . 201

E gal was, H auptsach e E inh eit und/oder Kol l ektiv . . . 202

E rsch einungsform en und Steigerung . . . 206

Anarch istI nnen pro Kol l ektiv . . . 21 5 Anarch istI nnen al s Kol l ektiv: Wir und die anderen . . . 21 6 Anarch istisch e Kritik des Kol l ektiven . . . 21 9 An gst essen F reih eit au f: Kon trol l wah n in an arch istisch er Th eorie & P raxis . . 222

Anarch @s für Kontrol l e . . . 222

Anarch ism us von Pol izei bis Knast . . . 224

Spätestens in der Krise: Dem okratisierung von Entsch eidungsprozessen . . . 234

N aives Machtverständnis: H ierarch ien sch öngeredet . . . 225

Gegenentwürfe: H errsch aftskritisch e Positionen . . . 238

D as D oppel dogm a: Gewal tfreih eit oder Mil itan z − ist das ein e F rage? . . . 241

Trotzdem : Gewal t al s zentral er Punkt − pro und contra . . . 245

Die Argum ente pro Gewal tfreih eit − und was davon zu h al ten ist . . . 245

Offene Fragen und bl inde Fl ecken . . . 254

I st die Gewal tfrage wichtiger al s andere Aspekte? . . . 261

Gut und Böse: I dentitätsstiftende Kraft der Gewal tfreih eit . . . 262

Wie eine Rel igion: Gewal tfreih eit al s Gesamtideol ogie . . . 264

Pro Gewal t: N otwendig oder Fetisch? . . . 267

Zur Bedeutung von Mil itanz al s Protestform . . . 270

Perspektiven zur Gewal tfrage jenseits von H egem onial käm pfen . . . 276

Für eine Protestkul tur em anzipatorisch er Viel fal t und Aneignung . . . 277

Fazit: Meh r H irn! . . . 281

Die wichtigen Fragen stel l en! . . . 286

5 D efizite − in die P raxis u m gesetzt . . . 289

B l icke vor u n d h in ter die Ku l issen : Wie sieh t die P raxis der An arch istI n n en au s? . . . 289

Anarch istisch e Aktion . . . 289

Anarch istisch e Organisierung . . . 295

Projekte und Keim zel l en . . . 302

Wir sind gut, weil al t − Anarch ie al s N abel sch au . . . 304

(4)

Modern e Form en von H ierarch ie:

Wie geh t D om in an z in h ierarch iekritisch en Gru ppen ? . . . 306

Modern füh ren: Das Meth odenpaket für versteckte Dom inanz . . . 307

H errsch en, oh ne dass es jem and m erkt: I nstrum ental isierung . . . 31 5 Kontrol l e der Außenvertretung . . . 31 8 N ase vorn: I nstantaktionen und Bewegungsagenturen al s Anfüh rer der Modernisierung . . . 325

Von Staat und Bewegungsol igarch en gefürchtet: U nberech enbarer Protest . . . . 330

6 Perspektiven . . . 331

Th eorie fü r An arch ie. E in U pdate (N eu e) An arch istI n n en brau ch t das Lan d! ? . . . 331

H errsch aftsanal yse m odernisieren . . . 332

Wissensbasierte Radikal ität: Wissensch aftl ich er Anarch ism us? Material ism us für Anarch istI nnen? . . . 333

E m anzipation: Der Mensch im Mittel punkt . . . 339

Das neue Subjekt: Al l e, aber untersch iedl ich . . . 340

Strategie für die Anarch ie . . . 343

Wie kan n es weitergeh en ? Kon krete Vorsch l äge u n d n eu e An sätze fü r die praktisch e An arch ie . . . 349

Anarch ie für al l e: H errsch aftsfreies Leben und Ü berl eben im Al l tag . . . 349

Anarch ie für Gruppen: Organisierung oh ne H ierarch ien . . . 358

Anarch ie für Betriebe: Produktion und Verteil ung . . . 372

Anarch ie in Aktion: I ntervention ins H ier & Jetzt . . . 377

Anarch ie für Träum e und Träum erI nnen: Th eorieentwickl ung und U topiedebatte . . . 395

Was H offnung m acht: Bl icke über die Grenzen . . . 397 L iteratu r 400

D e m o kratie . D ie H e r rs c h aft 1 4 ,- € d e s Vo l ke s . E i n e A b re c h n u n g

Ist H e rrs c h aft d e s Vo l ke s w i rk l ic h etw as so G u te s?

Vo l k a ls ko n stru ie rte s , id e n titä re s S u bj e kt ex istie rt n u r i n Fo rm se i n e r S te l lve rtre tu n g . W e n n d ie d a n n h e rrs c h t „ i m N a m e n d e s Vo l ke s “ ü b e r d ie M e n- s c h e n − w as d a ra n ist g u t? U n d w e n n d a n n n o c h B o m b e n fa l le n , u m d ie D e m o k ratie w e ltw e it z u ex- p o rtie re n − w as u n te rsc h e id e t d ie s e K rie g e vo n d e r B ru ta l ität d e r Ko lo n ia l is ie ru n g u n d re l ig iö s m o- tiv ie rte n M iss io n e n b is K re u zz ü g e frü h e re r Z e ite n ? A b 3 S t. 9 € , a b 1 0 S t. 7 € .

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Passend zum Th em a:

(5)

Vorweg

E s war eh er u nerwartet, vielleicht so gar zu fällig. An ein em kü hlen N o - vem b erab end de s Jah re s 2 0 1 1 fand in Frankfu rt eine Veranstaltu ng statt, zu der die do rtige H u m anistisch e U nio n eingeladen h atte . E igent - lich ging e s u m eine ab su rde Polizeiaktio n , m it der die h e ssisch en Po li - zei - u n d innenp olitisch en Füh rer üb er fü nf Jah re zuvo r einen u nge - m ü tlich en Kritiker lo sw erden wo llten . D e ssen h artnäckige Re ch erch e , einige Tap sigkeiten der S ich erh eitso rgane u n d eine au f Vertu schu ng zielende Strategie der Lande sregieru ng füh rten m it j ah relanger Verzö - geru ng zu einigen S chw ierigkeiten fü r die M ännerriege an der h e ssi - sch en C D U - Sp itze . D o ch der H au p tb etro ffen e erläuterte nicht nu r die Abläu fe de s G anzen , so n dern rah m te das G anze m it ein er deutlich en Kritik an Re cht u n d O rdnu ng, die − als Sp iegel ge sellsch aftlich er M achtverh ältnisse − vo r allem den Intere ssen der H errsch enden die - nen . D as lo ckte entsch ie denen W idersp ru ch b ei m arxistisch o der bü r - gerlich ge sinnten G egnerInn en h errsch aftsfreier U to p ien . D as Re cht m ü sse „b is au fs Letzte verteidigt“ w erden , fo rderte etwa der Linken - Lan de svo rsitzende − u nd ließ o ffen , ob er dam it die Re sidenzp flicht, die Sich eru ng vo n Reichtu m su ntersch ie den o der die vielen G e setze , die M illiardenhilfen in B anken pu m p ten , m einte . D en rh eto risch en H ö h e - pu nkt ab er lieferte eine B e su ch erin , die sich de s m e diengem achten Ru - fe s erinn erte , m it dem der Referent u n d H au p tb etro ffene im m er w ie der als „An arch ist au s M ittelh e ssen “ geb randm arkt wu rde . Re cht wütend rief sie au s: „W ir m ü ssen das Re cht verteidigen , so n st sind w ir kein e richtigen An arch isten “.

M ensch ist j a einige s gewö hnt an ab su rden M einu ngen üb er den Anar - ch ism u s. D ie S ch re ckensb ilder vo n b o m b enden C h ao tInnen au s dem bü rgerlich en Lager w e ch seln sich m it p latten Anp issen au s m arxisti - sch en E cken , die AnarchistInn en ju st do rt vero rten , wo sie eb en als B o m b enlegerInnen verteu felt w erden . Ab er das AnarchistInn en au sge - re ch net zu m B o llw erk fü r Re cht u n d O rdnu ng au sgeru fen w erden , ist do ch eh er selten .

Was ab er sin d „ richtige AnarchistInn en “ ? K ann e s das üb erh aup t ge - b en ? Wäre nicht eine D efinitio n , die Abw eichu ngen au sschließ en kö nnte , ein W idersp ru ch zu r Ide e de s Anarchism u s ? Ja u n d nein . B ej aht w erden m u ss die Ab sage an D o gm en u nd Klarh eiten . D enn ein e tief - schü rfende H errsch aftsan alyse m u ss im m er o ffenlegen , dass alle s vo n Intere ssen du rch zo gen ist. Au ch die Analyse selb st (u n d dam it z .B . au ch die se s Bu ch !) . D er M en sch ist nicht in der Lage , obj ektiv wah rzu n eh - m en . E s gibt fo lglich w e der in der p o litisch en D eb atte no ch in der so - zialen O rganisieru ng u n d eb en so nicht in der W issen sch aft irgendein e Wah rh eit o der O bj ektivität. Wer das vo n sich b eh aup tet, o ffenb art nu r einen ide o lo gisch en W illen , sich zw e cks D u rch setzu ng eigen er Ansich - ten au ch sch m utziger Tricks zu b e dienen u nd an dere M einu ngen au s - zu ste ch en . Zu dem b e deu tet m enschlich e s Leb en , individu ell u n d − u n - au sw eichlich − im ge sellsch aftlich en Zu sam m enh ang, im m er ein en Fo rtsch ritt an M ö glichkeiten u nd W issen . E s ist nicht m ö glich , au s der j ew eils aktu ellen Persp ektive einzu sch ätzen , was Jah re o der Jahrzeh nte

(6)

sp äter gilt. D ah er ist j e de Au ffassu ng im m er au ch relativ als Ansch au - u ng in der G egenwart − einerseits vo n eigenen Intere ssen b e einflu sst, andererseits dem zeitlich en Verfall au sgeliefert.

Trotzdem gilt au ch das N ein zu r vö lligen W illkü rlichkeit de s Anarch ie - B egriffs. D enn Anarchie b e deutet die Abw e senh eit vo n H errsch aft u nd die O rganisieru ng de s so zialen Leb ens o hn e H ierarchien . Was H err - sch aft u nd H ierarch ien sind b zw. was als h errsch aftsfrei em p fu nden w ird , u nterliegt p ersö nlich er Wahrnehm u ng u nd analytisch em Fo rt - sch ritt. Ab er e s ist nicht w illkü rlich . E s lassen sich Kriterien fü r H err - sch aftsfo rm en u nd m achtfö rm igen Steu eru ngsm e ch anism en b enen - nen . W ie sie genau au sseh en u n d w elch e w ie w ichtig sind − daru m lässt sich trefflich streiten . Ab er sie nicht zu r Kenntnis zu neh m en au s der Lau ne h erau s, dass Anarch ie gelebte Gleichgü ltigkeit sei, ist zwar ein p rägende s M erkm al vieler An arch istInnen . Ab er solch e H errsch afts - freih eit ist nu r gefü hlt u nd b eruht schlicht darau f, dass nicht genau h ingegu ckt w ird u nd alle s irgendw ie co ol u nd gleichb ere chtigt w irkt − o ft genu g verneb elt du rch schwarze Kleidu ng, verb alradikale Sp rü ch e u nd TH C - ge schwängerte Lu ft.

An arch ie ist gelebter W iderstand gegen H errsch aft u nd H ierarch ie − u nd das B asteln an G egenm o dellen , Exp erim enten u nd Freiräu m en . D as setzt einen wach en G eist vo rau s, der skep tisch hinter die verm eint - lich en S elb stverständlichkeiten u nd M au ern sch aut, die in Kö p fen u nd in so zialen Räu m en au fgeb aut sind . D ie ser Lo gik w ill die se s B u ch fo l - gen : E in kritisch er B lick au f das, was als Anarchism u s im deu tsch sp ra - chigen Rau m b ezeich net w ird − u n d einer au f die , die m it so lch en Lo go s u nd Slo gans au ftreten .

Was hier allerdings fehlt, ist die An alyse vo n H errsch aft u nd der Ent - wu rf h errsch aftsfreier U to p ien . D afü r gibt e s das B u ch „ Freie M ensch en in freien Vereinb aru ngen “, w elch e s fü r die Th e o rie der An arch ie m it dem h ier vo rliegenden Werk ein D o p p elp ack b ildet − keine so fte Lektü - re , so n dern eine Au ffo rderu ng zu m N ach denken , gerne au ch zu r Kritik . D enn Streit ist eine P ro du ktivkraft u n d das Ziel eine s j e den Bu ch e s so ll - te sein , üb er sich selb st h inau s zu zielen − sich erlich ein h o h er An - sp ru ch in einer Z eit vereinfachter Welterkläru ngen , de s M itläu ferIn - nentu m s b ei Instant - Aktio n en u nd p o pu listisch er M inirefö rm ch en , die au ch p o litisch e B ew egu ng fast üb erall p rägen .

S aasen , 1 .3 . 2 0 1 2

(7)

1 I n tro

Lassen w ir drei M en sch en sp re ch en − sich erlich seh r versch ie dene C h araktere :

H essen s dam al iger I n n en m in ister Vol ker B ou ffier (dan a ch : Min ister- präsiden t) im I n terview des D eu tsch l a n dradios am 20. 4. 2007 Lu dwig B örn e, zitiert n a ch Gu stav La n da u er: „B örn e u n d der An a r-

ch ism u s“ (E rstveröffen tl ich u n g in : Sozia l istisch e Mon a tsh efte, N r. 2, 1 900), in : ders. : E rken n tn is u n d B efreiu n g. Au sgewäh l te Reden u n d Au fsätze, F ran kfu rt a . M. 1 976, S. 20 (Wort „ist“ in Mitte des Absa t- zes ist in m an ch en Zitieru n gen en th a l ten , in a n deren n ich t)

Au s Wil de, Osca r (1 970): „D er Sozia l ism u s u n d die Seel e des Men - sch en“, D iogen es (S. 29 u n d 59)

D ie se Textsam m lu ng ist keine Th e o rie der H errsch aftsfreih eit o der Anarchie . D as ist in anderen Verö f -

fentlichu ngen erfo lgt, vo r allem den Textsam m lu ngen u nd Bü ch ern

„Freie M ensch en in Freien Verein - b aru ngen “ u n d „Au to no m ie &

Ko op eratio n “. Au f die do rtigen Ab - h andlu ngen u nd ko nkreten U to - p ien b ezieht sich die ser Text, w enn in ihm Zielb ilder h errsch aftsfreier G e sellsch aft als Ansp ru ch m it der W irklichkeit anarchistisch en Trei - b ens verglich en w erden . H ier geht e s n äm lich nu n daru m , die im

deu tsch sp rach igen Rau m vo rh an denen Ansätze vo n Anarchie zu du rchleu chten , sowo hl hinsichtlich ihrer Th e o rien (sow eit vo rh an den) als au ch ih rer P raxis, vo n O rganisieru ngsfragen b is zu p o litisch en Fo r - deru ngen . Alle w erden hinsichtlich ih re s G eh alten u nd B eitrags zu

Qu el l e zu B örn e: h ttp : //

projekte. free.de/dada / an a rch ie. h tm Al l e Zita te a u s diesem B u ch al s vol l stän dige

Sätze u n d viel e weitere Qu el l en fin den sich au f der I n tern etseite www.

an a rch ie-debatte.de.vu.

D ie beiden gen a n n ten B ü ch er sin d eben fa l l s

im Seiten H ieb- Verl ag (www.

seiten h ieb. in fo) ersch ien en , zu - dem ü ber www.

a ktion sversa n d.

de.vu zu bestel - l en .

(8)

Em anzip atio n u nd H errsch aftsabb au gep rü ft. E s ist also eine kritisch e B e stan dsau fnah m e u nd An alyse . Wer üb er eine h errsch aftsfreie Welt j en seits der o ft enttäu sch en den p raktisch en Versu ch e n ach denken w ill, m u ss zu den genannten Werken greifen .

D ie fo lgenden Texte sind in drei gro ß e B ereich e geglie dert. Zu näch st folgt eine ku rze Einfü hru ng in die G ru ndlagen de ssen , was anarchisti - sch e P raxis b e deuten m ü sste − u nd w ie sie au ssah , sich entw ickelte u nd h eute verfasst ist. Ein erseits so ll geklärt w erden , was im Wo rt „Anar - chie “ eigentlich drin ste ckt. D as ist b ereits schw ierig, denn zwar lässt sich Anarchie schn ell m it einigen Wo rten w ie „ G e sellsch aft o h ne G e set - ze “ o der − w eitergeh ender − „ O rganisieru ng o h ne H errsch aft“ üb erset - zen . Ab er das D ilem m a ste ckt im D etail der B egriffe , die dann verw en - det w erden . Was ist G e sellsch aft? Was ein G e setz ? Was b e deuten O rgani - sieru ng o der H errsch aft gen au ?

M it so lch en S chw ierigkeiten steht die Anar - chie nicht allein da. E s ist z .B . ganz äh nlich b eim B egriff u nd der Ide e vo n D em o kratie . Fast üb erall w ird das Wo rt m it H errsch aft de s Vo lke s üb ersetzt u nd die m eisten sind dam it so gar zu frie den . Wer ab er dann au f die B egriffe H errsch aft u nd Vo lk sch au t, er - kennt schnell, dass das kein e b e so nders rei - zenden Katego rien sind : D ie eine ist nichts als das Wo rt verfe stigter M achtverh ältnisse , das andere b e sch reibt ein e M enge vo n M ensch en , die zu einer Einh eit gem acht u nd dam it ih rer Vielfalt u nd S elb sto rgani - sieru ng b eraubt wu rde . Ist D em o kratie dann im m er no ch die se s Po siti - ve , au f das sich nicht nu r D em o kratInnen , so n dern au ch viele Anar - chistInnen b ezieh en ? In den Au gen fast aller M ensch en j a. S o entsteht ein b egrifflich e s P aradox: M inu s p lu s M inu s ergibt Plu s.

N icht viel anders steht e s u m die An arch ie . „An arch ie b e deu tet die vö lli - ge u nd ab so lute Verneinu ng j e der Fo rm vo n H errsch aft u nd gleichzeitig die S ch affu ng u nd Erh altu ng ein er h errsch aftsfreien ge sellsch aftlich en O rdnu ng“, findet sich z .B . au f einem selb stge strickten Faltblatt au s anarchistisch en Kreisen . D o ch was genau ist H errsch aft, was G e sell - sch aft u nd w ie o rdn et sich die ? Wer so lch e Fragen stellt, gerät schn ell ins S chlingern m it einfach en Antwo rten . D rau ß en b ei den AnarchistIn - nen fällt das ab er kau m au f. In ih rer D isku ssio n gibt e s kau m n o ch ge - danklich e Au seinan dersetzu ngen m it den ge sellsch aftlich en o der eige - nen Verh ältnissen u nd B eziehu ngen . D ie Th e o rie entw icklu ng ist üb er - w iegend vo r üb er hu ndert Jahren steh engeblieb en . N o ch h eute schw el - gen viele in Klassenkam p fth e o rie o der träu m en vo n der Z erschlagu ng rep re ssiver G ewalten , während sie m o derne Fu nktio nseliten nicht o r - ten u nd D isku rse selb st m it verb reiten .

D as b ildet also den ersten Teil der Texte : Was geb en an arch istisch e Th e o rie u n d das S elb stverstän dnis der sich h eute so versteh enden M en sch en h er ? Was b e deutet H errsch aft u nd was m ü sste in der Folge eine h errsch aftsfreie Welt au szeichn en ? D azu so llen G e danken zu sam - m engefasst w erden , die in den Bü ch ern „ Freie M ensch en in Freien Ver - einb aru ngen “ u nd „Auto no m ie & Ko o p eratio n “ au sfü hrlich zu le sen

Zu r Kritik der D em okratie sieh e www.

dem okra tie- tota l .de.vu

(9)

sind . D o rt sind n eb en aktu ellen B etrachtu ngen institutio neller M acht au ch D eb atten u nd An alysen üb er Fu nktio nseliten , D isku rse , Verw er - tu ngs - u nd P ro fitzwänge , Vereinnah m u ngen , Assim ilatio n u nd an dere info rm elle H errsch aftsfo rm en zu finden . Wenn eine ge sellsch aftlich e Th e o rie die Freih eit vo n aller B eh errschu ng w ill, dann m u ss sie den B lick au ch au f deren verste ckte Fo rm en richten . D enn eine Po litikfo rm , in der vo n Vo rnh erein gar nicht m eh r gewo llt ist, als das Au genfällige zu verändern , wäre schlicht erb ärm lich . Leider trifft das fast üb erall zu , w ie zw ei w eitere K ap itel der Einleitu ng üb er die G e schichte anarch isti - sch er Strö m u ngen u nd die h eutige Situ atio n zeigen − im m er b ezo gen vo r allem au f den deutsch sp rach igen Rau m .

D ie se Zu sam m ensch au fo lgt dann im Kern stü ck die ser Textsam m lu ng:

Ein e B e standsau fn ah m e vo n aktu ellen Th e o rie - u n d O rganisieru ngs - an sätzen de s An arch ism u s. D ie se w erden dann m it den n o tw endigen Anfo rderu ngen an Th e o rien u nd Strategien der H errsch aftsfreih eit ge - genüb erge stellt, u m zu sch au en , wo sich Lü cken o der gar W idersp rü ch e fin den lassen . Gibt e s Klassen u n d kann etwas b efreiend w irken , was M ensch en in einh eitlich e K atego rien zw ingt, u m sie dann zu m Subj ekt der Revo lu tio n zu m ach en ? Ist D em o kratie nicht eine Fo rm der H err - sch aft? W ie kann An arch ism u s dann b asis - o der direktdem o kratisch sein wo llen ? Wo lau fen die D eb atten u m disku rsive Steu eru ngen , Ent - m achtu ng der Fu nktio n seliten o der das Sp annu ngsfeld vo n Eigentu m u n d ge sellsch aftlich em Reichtu m ? Ist ko llektive Identität nicht au ch ei - ne Fo rm der B eh errschu ng ? Waru m ab er w eisen dann gerade p o litisch e P ro te ste sich als an arch istisch geb ärden der G rup p en eine so h o h e Ein - h eitlichkeit vo n Fahn en , S childern o der Lab els au f?

Anarchistisch e Th e o rie u nd P raxis sin d regelm äß ig w eit entfernt da - vo n , sich der H errsch aftsfrage tatsächlich anzu näh ern u nd Ko nzep te fü r P ro te st u nd Exp erim ente zu entw erfen . Zw eifel sch einen b ere chtigt, ob ein U m gang m it den versch ie denen Fo rm en der H errsch aft, z .B . ö ko m o nisch e Abh ängigkeiten u n d Zwänge , Zu richtu ngen u nd Ro llen o der u ngleich er Zu gang zu Re ssou rcen gefu nden w erden so ll. E s w er - den Kap itel sein , die vielen selb stern annten AnarchistInnen nicht ge - fallen w erden − au ch w eil sie zeigen , dass h errsch aftsfreie O rganisie - ru ng m ehr ist als ein Wo hlfühl - o der Ab grenzu ngssp iel.

Wäh rend also au f der einen S eite viele AnarchistInn en die Ide e der Anarchie als Etikett oh ne Inh alt u n d P raxis verw enden , b rau ch en an - dererseits die Gläub igen an die N otw endigkeit auto ritärer Lenku ng die Anarchie als Z errb ild , u m ihre eigene p erm anente G ewaltanw endu ng zu legitim ieren . D as sind w eniger blutrü n stige D iktato ren o der p atriar - ch ale Warlo rds, so ndern vo r allem D em o kratInnen u nd Anh ängerIn - nen de s Re chtsstaate s. S ie zim m ern sich eine Anarchie zu re cht, die au s w enig m ehr b e steht als M o rd u nd To tschlag. O ft steht sie schlicht fü r alle s, was schief läu ft innerh alb der so n st so ge o rdneten Welt − m eist eh er w egen die ser O rdnu ng. D as G anze ist ein b illiger P ro p agandatrick, äh nlich dem G ere de vo m b ö sen schwarzen M ann , m it de ssen Erfin - du ng H irne u nd H erzen w eich gem acht w erden fü r die innere Au frü s - tu ng der G e sellsch aft. S o w ird Angst ge schü rt vo r C h ao s u nd G ewalt, u m die eigene G ewalt zu legitim ieren . D er Ab sch nitt zu r H etze gegen die

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An arch ie zählt B eisp iele au f u nd stellt sie in einen Zu sam m enh ang m it der Legitim atio n vo n M acht. D ie W irku ng strahlt b is zu den Anarch is - tInn en selb st, die sich − gefangen im W illen , als gute M ensch en zu gel - ten − in Fo lge der H etze im m er w ie der zu genau dem b ekennen , au s dem h erau s die Ide e der H errsch aftsfreih eit am m eisten diskre ditiert w ird : D em o kratie u n d Re chtsstaat.

S chließ lich so ll ein p ersp ektivisch er Au sblick das G anze im dritten Teil ab ru nden : Was kann u nd was m u ss sich än dern ? U nd w ie ? D ab ei geht e s nicht u m die Persp ektiven fü r eine anarch istisch e G e sellsch aft, die in den sch o n gen annten anderen Bü ch ern fo rm u liert sind . Ü b erlegu ngen , w ie eine h errsch aftsfreie Welt au sseh en kö nnte , fin den sich in den b ei - den B ü ch ern . S o n dern e s sind Ü b erlegu ngen , was Anarchie h eute b e - deuten u nd w ie sie in p o litisch e P raxis u m ge setzt w erden kö nnte . D as alle s ist ein B eitrag zu r D eb atte . Wah rh eiten gibt e s nu r in h err - sch aftsfö rm igen G e sellsch aften , denn die D efinitio n der Wahrh eit als einh eitlich e Wah rneh m u ng der D inge b e darf de s P ro ze sse s der Verein - h eitlichu ng − ist also im m er ein Akt der B eh errschu ng. Au s der Vielfalt w ird dann die Einh eit, au s dem b e sch reib enden ein identitäre s „W ir “.

D as ist au ch b ei vielen Anarch istInnen so , stellt ab er b ereits ein e der W idersp rü chlichkeiten in B ew egu ngen dar, die eigentlich fü r H err - sch aftsfreih eit au ftreten .

D ie se Texte h ab en keinen Ansp ru ch au f U nfehlb arkeit. Sie m ü ssen au f O rganisatio nen keine Rü cksicht n eh m en , w eil h ier niem and b ewo rb en w erden m u ss u nd keine ko llektive M einu ng darge stellt w ird . E s m u ss au ch niem an d ge sch o nt o der b e so nders kritisch gep rü ft w erden . E s ist eine Analyse au s der ko nkreten Persp ektive de s Jah re s 2 0 1 1 im deutsch sp rachigen Rau m . H o ffentlich eine vo n vielen − der Anarch is - m u s kö nnte m eh r an alytisch e Th e o rie , strategisch e P raxis u nd kriti - sch e Reflexio n geb rau ch en .

www.vortragsan gebote. de.vu

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2 Wa s i st An a rch i e?

B eg ri ff u n d Wi rkl i ch kei t zwi sch en Au fsta n d u n d Leben sg efü h l

Was nu n ist An arch ie eigentlich ? G anz einfach ist die Frage nicht zu b e - antwo rten − ab er das gilt fü r alle anderen M o delle der G e sellsch aftsge - staltu ng au ch . S chließ lich sind die h o chko m p lex u nd schw er in ein em Wo rt zu fassen . Zu m al kein B egriff eindeutig sein kann . D enn B egriffe sind D enkko nzep te , die sich M ensch en im Ko p f b ilden , u m Wah rn eh - m u ngen u nd Em p findu ngen einso rtieren zu kö nnen in ein Weltb ild . O h ne ständige s Zu o rdn en wü rde im Ko p f C h ao s h errsch en . M illio n en vo n Sinne seindrü cken wü rden neb eneinander existieren u nd kau m Zu sam m enh änge erkennb ar sein . B egriffsb ildu ng ist eine Fo rm der Struktu rieru ng vo n D enken . E s m acht m ö glich , alle s Wah rgeno m m en e einzu o rdnen u nd so au ch in Erinneru ng zu b eh alten , w eil e s in B ezie - hu ng tritt zu b ereits B ekanntem . Allerdings entsteht so das P roblem , dass alle neu en Eindrü cke vo m vo rh an denen D enken gep rägt w erden . D ah er ist D enken im m er gerichtet, e s gibt w e der O bj ektivität n o ch Wah rh eit, au ch nicht zu r Anarch ie . D er B egriff ist zu dem ein e s der typ isch en „ C o ntainer -

wo rte “, also ein B egriff, in dem m ensch fast nach B elieb en alle s h ineinkip - p en kann .

D efi n i ti on en

E s geht sch o n ganz vo rn e lo s m it den U nklarh eiten . D ie E inen sagen , der B e - griff Anarch ie leitet sich au s dem G rie chisch en

(an arch ia = Füh rerlo sigkeit) ab u nd b e deu tet de sh alb u rsp rü nglich die Abw e senh eit vo n H errsch aft du rch Einzelne („ Führer “) . Andere üb er - setzen „ anarchia“ m it H errsch afts - o der G e setzlo sigkeit. D as ist zwar nicht vö llig u ntersch ie dlich , ab er au ch nicht das Gleich e − gibt e s do ch viele H ierarch ien , die keine Einzelp erso n an der Sp itze au fw eisen . Im h eu tigen G eb rau ch de s Wo rte s w ird die „ Füh rerlo sigkeit“ in der Regel vo n der Einzelp erso n ab strah iert, d .h . im zw eiten Sinn e au sgelegt. D ie klassisch en Anarch isten in der Traditio n vo n B aku nin , Kro p o tkin u nd P rou dh o n verstan den vo r allem institu tio nelle o der struktu relle G ewalt als H errsch aft. Anarchie , schlu ssfolgerten sie , wäre eine staaten - b zw.

institu tio nenlo se G e sellsch aft, b ei w eitergeh en der H errsch aftsanalyse die Fo rm der Verge sellsch aftu ng o hne alle H ierarchien u n d P rivilegien . Im D etail kam u nd ko m m t e s ab er zu u nterschie dlich en D efinitio n en u n d Sichtw eisen . Weil alle Fo rm en o rganisierter H errsch aft, w ie w ir sie D a s ist An a rch ie − von D a vid E del sta dt

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kennen , kein e zeitlo sen Institutio nen sind , so ndern im Lau fe der G e - sch ichte kam en u nd gingen , verm uten viele Anarch istInnen , dass e s neb en u nd n o ch m eh r vo r dem B eginn der D o m inanz m o derner Staa - ten tatsächlich e Anarchie gegeb en h ab en kö nnte . Au ch üb er m anch e der h eute leb enden N atu rvölker w ird b eh aup tet, dass do rt zu m inde st vo n H errsch aft Einzeln er kein e Re de sein kann . Ein B eisp iel sin d die M bu ti. Sie so llen oh ne M acht vo n Füh rern leb en , m ith in n ach ein er D e - finitio nsm ö glichkeit in einer Anarchie . D ie Abw e senh eit vo n G e setzge - b ern u nd G e setzen kennzeichnet ihr Leb en zu dem als 'ge setzlo s'. Ab er o hn e O rdnu ng war ih r Leb en de sh alb m itnichten , wo rau s dann ein M einu ngsstreit fo lgt, w iew eit an dere H ierarch ien , P rivilegien u n d ver - ste ckte Frem dsteu eru ng w irksam sind . S o m it bleibt o ffen , ob e s so lch e u rsp rü nglich en Fo rm en der An arch ie au ß erh alb der Z eiten u nd Terri - to rien der H errsch aft gegeb en h at b zw. gibt. D aneb en existieren Exp e - rim ente b ewu sst gewählter Fo rm en der An arch ie inn erh alb etablierter H errsch aftsräu m e .

E s gab h isto risch m ehrere Versu ch e , an arch istisch e Struktu ren , zu m in - de st in An sätzen , au ch in grö ß eren G e sellsch aften u m zu setzen , b ei - sp ielsw eise b ei der P ariser Ko m m u ne 1 8 7 1 , in der U kraine zw isch en 19 1 7 u nd 19 2 2 du rch die M ach no tsch ina, zeitw eilig u nd ansatzw eise in den Räterepubliken vo n M ü nch en 19 19 u n d S chwarzenb erg 19 4 5 sow ie wäh rend de s sp anisch en Bü rgerkriegs vo n 19 3 6 b is 19 3 9 in Katalo nien u nd de ssen H au p tstadt B arcelo n a du rch die C NT. Alle die se U m set - zu ngsversu ch e (teil) anarchistisch er G e sellsch aftso rganisatio n sch ei - terten nicht nu r an sich selb st, so ndern relativ sch nell du rch gewaltsa - m e N ie derschlagu ng o der Ü b ernahm e vo n au ß en . Relativ lange ko nn - ten sich das anarchistisch e M o dell der M achn otschin a u nter den B e - dingu ngen de s Ru ssisch en B ü rgerkriegs sow ie der An arch o syn dikalis - m u s in K atalo nien u nter den B e dingu ngen de s Sp anisch en Bü rger - kriegs h alten . KritikerInnen b etrachten die se längerfristigeren Au snah - m en als N isch enm o delle , da die G egner de s Anarchism u s zu näch st vo r - rangig an dere Fein de h atten , gegen die sie die An arch istInnen zeitw ei - lig als Verbü ndete nutzten , u m sie hinterh er eiskalt nie derzu m etzeln . In Ru ssland waren die se Fein de die ko nterrevo lutio nären „Weiß en Ar - m e en “, in Sp anien die faschistisch en Tru p p en Franco s. Vielfach w ird An arch istInnen vo rgewo rfen , dass sie selb st „M acht“ in b evo rzu gten , w enn au ch b is dahin eh er m achtlo sen G ru p p en (Arb eiterräte , S o lda - tenräte , G ew erksch aften , P artisanenb ew egu ngen) ko nzentrierten u nd so n eu e , einseitige H errsch aftsstruktu ren u nter Au sschlu ss an derer B e - vö lkeru ngsschichten erzeu gten . D arau s folgt die B ew ertu ng, dass e s no ch nie , w e der aktu ell no ch histo risch eine G e sellsch aft oh ne H err - sch aftsstruktu ren gegeb en h at u n d die no stalgisch e N ab elsch au ver - geblich er Versu ch e in der Vergangenh eit die no tw endige u n d vo ran - treib ende , aktu elle D eb atte b rem st.

D a der Anarchism u s keine Staatsfo rm darstellt, er im G egenteil staat - lich e H errsch aft ablehnt, fällt e s schw er, ko nkrete Th e o rien u nd U m - setzu ngsstrategien zu r Ü b erw indu ng gängiger Staatsstruktu ren zu b enennen . D ie m eisten G egenm o delle ab seits de s An arch ism u s h inter - fragen den Staat als so lch e s kau m o der gar nicht. Au fgru n d der gru n d - legen den Kritik staatlich er (H errsch afts - ) Stru ktu ren kann e s ab er kei -

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nen „ an arch istisch en Staat“ geb en . D as gibt Zü ndsto ff fü r die Kritik am Anarchism u s, w enn die Frage ge stellt w ird , w elch e M e ch anism en G e - waltenteilu ng, die G ewäh rleistu ng der M ensch enre chte , eine Infra - stru ktu r zu r Verso rgu ng der M ensch en , staatlich garantierte B ildu ng u n d andere s im Anarchism u s gewäh rleistet w erden so llten − zu m al dann , w enn die U m setzu ng de s Anarch ism u s sich au f grö ß ere G e sell - sch aften au sw irken so ll.

Vo n der Gru ndide e h er so llten sich anarchistisch e Vo rstellu ngen z .B . vo n kap italistisch en , dem o kratisch en o der m arxistisch en Vo rstellu n - gen dadu rch u ntersch eiden , dass sie keine P rivilegien o der p rivilegier - ten Klassen sch affen , also niem anden vo n der gleichb ere chtigten B e - teiligu ng an der G e sellsch aft au sschließ en wollen . E s soll w e der ein e vo rüb ergeh ende Ü b ernahm e der Staatsgewalt n o ch ein e D iktatu r de s P ro letariats geb en . Jeglich e M achtko nzentratio n einzelner Grup p en w ird ab geleh nt u nd so ll du rch ge eignete O rganisieru ngsstru ktu ren w ie das an arch istisch e Rätem o dell verhindert w erden . Räte so llten in allen B evö lkeru ngsschichten entsteh en , wob ei au ch die ser Vo rschlag einige Au sblendu ngen z .B . info rm eller M acht b einh altet. Au s dem egalitären Ansp ru ch fo lgt j e do ch nicht b ei allen der Verzicht au f zu ge sp itzte K äm p fe gegen diej enigen , die re al (nach Ansicht der An arch isten illegi - tim ) ko nzentrierte M acht inneh ab en u nd sich du rch AnarchistInn en dah er b e dro ht seh en .

O b gleich Ide en de s Anarchism u s Im pu lse fü r das H erau sb ilden vo n D e - m o kratien u n d Fo rm en de s Arb eitskam p fe s gegeb en h ab en , b e sitzt der Anarchism u s in der G egenwart kau m U nterstü tzu ng in der B evö lke - ru ng. Stattde ssen w ird er o ftm als fälschlich m it einem Zu stan d de s

„ C h ao s“ asso ziiert. Vo rgewo rfen w ird dem Anarchism u s ein Teil seiner G e schichte , b ei dem gewaltsam e An schläge verübt wu rden . H eu tzu tage steh en au ch den AnarchistInn en nah e steh en de G rup p ieru ngen w ie die so genannten Au to no m en seitens der G e sellsch aft in der Kritik w egen ihre s teilw eise gegnerisch en Verh ältnisse s zu m bü rgerlich en Re cht u nd dem G ewaltm o no p o l de s Staate s. D isku ssio nen u m den Anarchism u s dreh en sich au ch h äu fig u m die Frage , ob e s ein e natu rgegeb en e (frü - h er go ttgegeb ene) O rdnu ng der G e sellsch aft im Sinn e ein er H ierarchie gibt, die b ereits im We sen de s M ensch en angelegt sei. D ie ser Ko nflikt sp iegelt sich au ch in der W issensch aft, die sich darüb er nicht einig ist, ab er darau f verw eist, dass die M ehrzahl der b ish erigen G e sellsch afts - m o delle h ierarchisch au fgeb au t waren . Gleich zeitig ab er zeigt sie , dass sich ge sellsch aftlich e Verh ältnisse als Zu richtu ngen in M ensch en fe st - setzen , d .h . e s au ch keine gro ß e Ü b erraschu ng ist, dass ange sichts der D o m inanz h errsch aftsfö rm iger Kultu ren die M ehrzahl der M en sch en selb ige akzep tiert u nd rep ro du ziert.

Wikip edia zu An arch ie (h ttp : //de.wikip edia .org/wiki/An arch ie)

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Au f An a rch op edia (h ttp : //deu.an a rch op edia .org/An a rch ie)

Vo n der Anarchie leiten sich w eitere B egriffe ab : D er B egriff der An arch ie b ezeich net die Ide e einer h err - sch aftsfreien u nd gewaltlo sen G e - sellsch aft, in der M ensch en o h ne p o litisch en Zwang (M acht) u nd H errsch aft gleichb ere chtigt u nd o h ne Stan de su ntersch ie de m itein - an der leb en u nd sich so frei entfal - ten kö nnen . Ein M en sch , der nach die sen Ide alen lebt o der einer, der ein e h errsch aftsfreie G e sellsch aft an strebt, w ird als Anarch istIn (sieh e K asten) b ezeich net. D ie darau s re - sultierenden p o litisch en D enk - Zu den Worten du n -

gen bei Person en : D a s groß e B in n en -I zeigt a n , da ss beide Gesch l ech ter gem ein t sin d.

E in e U n terl än ge davor zeigt da n n , da ss es m eh r a l s zwei Gesch l ech ter gibt; die E n du n g -is h in gegen , da ss Gesch l ech - ter kein e Rol l e spiel en (B eisp iel e: Stu dis, An a rch is).

F ü r An a rch ist_I n n en gibt es zu dem die gesch l ech tsbezoge- n en E n du n gen -as u n d -os oder, a l s optisch e Verein igu n g, das Wort „An a rch @ s“.

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an sätze , die die N otw endigkeit u n d Sinnh aftigkeit de s Staate s u nd de s staatlich en G ewaltm o n o p o ls b e streiten , b ezeich net m an als Anarch isti - sch e Th e o rien .

D er Anarch ism u s b ezeichnet die Th e o rie der Anarch ie , also j ene Welt - an sch auu ng, die davo n au sgeht, dass die H errsch aft vo n M en sch en üb er M ensch en (C h efs, Füh rer, Auto ritäten , staatlich e H errsch aft, j e de Fo rm vo n H ierarch ie) nicht gere chtfertigt, u nnö tig, rep re ssiv u nd ge - waltsam ist, ein e U nterdrü cku ng darstellt, u nd so m it au fgeh ob en w er - den m u ss. Im M ittelpu nkt steh en Freih eit, S elb stb e stim m u ng, S elb st - verw irklichu ng u nd S elb stverwaltu ng der Individu en , die Au sübu ng vo n Zwang w ird zu rü ckgew ie sen .0

Im G egen satz zu m u m fassenden Th e o rieb egriff „Anarch ism u s“ w ird

„ anarchistisch “ zu rü ckh altender b enutzt u nd b ezeichn et eh er nu r Teil - asp ekte o der einzelne Einstellu ngen b zw. H andlu ngen . Wenn etwas

„ anarchistisch “ ist, dann w ird dam it in der Regel nu r au sge drü ckt, dass e s sich gegen H errsch aft w endet o der gezielt frei vo n H errsch aft geh al - ten w erden so ll. B isw eilen w ird das Adj ektiv „lib ertär “ syno nym fü r

„ anarchistisch “ verw en det. D ie se Term ino lo gie ist j e do ch u np räzise − lib ertär ist o ft n o ch zu rü ckh altender als Teilw e senszu g einer dam it b e - schrieb enen Sach e , ein e s Verh ältnisse s o der einer G e sinnu ng gem eint.

D efin ition in Al exa n der B erkm a n n , AB C des An a rch ism u s (1 92 9)

Wer den h eutigen Bu chm arkt zu An arch ie b etrachtet, w ird einen er - h eblich en Anteil seh r alter Werke fe ststellen . D eutsch sp rachige , anar - ch istisch e Verlage b ringen im m er w ie der N eu dru cke alter Texte h erau s, die m itu nter 1 0 0 u nd m eh r Jahre au f dem Bu ckel h ab en . O ffenb ar war die Ide e einer h errsch aftsfreien G e sellsch aft, m itu nter gleichge setzt m it der Ide e klassenlo ser G e sellsch aft (w enn sich h ier au ch schn ell h arte Ide o lo giekäm p fe m it M arx u nd den vo n sein en Ide en insp irierten M ar - xistInnen ergab en) , sch o n au s der Au fkläru ng h erau s sch nell als Ide e fo rm uliert − was selb st Im m anu el Kant h ö ch stp ersö nlich zeigte , als er Anarchie in seiner Ü b ersicht, w ie Freih eit u nd G e setz m it G ewalt ver - bu n den sein kö nn en , einen Kö nigsp latz einräu m te .

0 Dieser Absch nitt zur Definition von Anarch ie entstand auf der Basis eines Textes auf www. bastardserver.cz/de/Kirch enrecht, sieh e dort auch zu Anarch ism us:

www. bastardserver.cz/de/Anarch ism us.

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Au s Kan t, I m m a n u el (1 798): AA VI I , „An th rop ol ogie in p ra gm ati- sch er H in sich t“ (S. 330 f.1)

D ie H o chp h ase anarchistisch er B etätigu ng u nd S ch reib erei lag hierzu - lande dann u m die vo rletzte Jahrhu ndertw ende . Vo n do rt stam m en et - lich e D efinitio nen u nd B e schreibu ngen de ssen , was Anarchie ist, wäre o der sein so ll.

Peter Krop otkin : An a rch ism u s (a u s E n cycl opa edia B rita n n ica 1 91 0)

R u dol f Rocker, An arch osyn dical ism , Secker u n d Warbu rg 1 938 (zitiert von N oa m Ch om sky2)

Mü h sa m , E rich (1 933): „D ie B efreiu n g der Gesel l sch a ft vom Sta a t“, N a ch dru ck bei Syn dika t A3

1 Quel l e: www. ikp.uni-bonn.de/kant/aa07/330. htm l 2 www.anarch ism us.at/txt4/ch om skanarch ism us. htm 3 www.anarch ism us.at/txt4/m ueh sam1 6. htm

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D efinitio nen der An arch ie au s neu erer Z eit b eto nen stärker die B ezie - hu ngen in G e sellsch aften . An arch ie steht nicht m ehr nu r fü r die Abw e - senh eit staatlich er G ewalt o der anderer Fo rm en vo n H ierarchie , so n - dern b e schreibt eine egalitäre Fo rm de s M iteinanders. D as p asst zu m o - dern en H errsch aftsanalysen , die der disku rsiven Frem db e stim m u ng, ö ko no m isch en Zwängen u nd Fo rm en der Vereinnah m u ng einen ei - genstän digen u nd b e deu tenden Platz neb en den fo rm alen H ierarchien geb en . Wer H errsch aftsfreih eit w ill, m u ss Antwo rten finden , w ie die se denn au sseh en kann . Sie ist m eh r als die Abw e senh eit vo n Ap p araten u n d In stitu tio nen .

Au s D iefen bach er, H a n s (H rsg. , 1 996): „An arch ism u s“, P rim u s Verl a g in D a rm sta dt (S. 91 )

Au s „An arch ie − ein e E in fü h ru n g“ (Fal tbl att a n onym )

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Au s Gordon , U ri (201 0): „H ier u n d jetzt“, N au til u s in H a m bu rg (S. 9)

Au ffällig an allen neu eren Texten zu r An arch ie ist , dass sie w eniger b e - deuten d sind als die alten S ch riften u nd ihre P rotago nistInnen . Viele sind zu dem nu r Ü b ersetzu ngen , d .h . der deu tsch sp rach ige Rau m w irkt fast frei vo n aktu eller an arch istisch er Th e o rie arb eit. Gibt e s keine neu - en Ide en ? O der kein e M ensch en , fü r die Anarch ie m eh r ist als die Ph ase zw isch en Reb ellio n gegen Elternh au s, S chu le u nd erzwu ngene Lo hn - arb eit u nd dem W ie dereintau ch en in genau die se Welt?

Fraglo s: E s gibt keinen G ru nd , Texte nu r de sh alb kritisch er zu seh en , w eil sie älter sin d . Ab er H errsch aftsan alyse u nterliegt einer Erw eite - ru ng der Kenntnis w ie andere W issensch aftszw eige au ch . Was ein Jah rhu ndert alt ist, p asst nicht m eh r zu allen so zialen P ro ze ssen u nd zu m so zio lo gisch en Kenntnisstand der Jetzt - Z eit. D en dam aligen , o ft m utigen u nd w eitsichtigen Auto rInnen ist das nicht anzukreiden . Wo hl ab er denen , die sich h eute dam it zu frie den geb en . O der so gar m it no ch w eniger: N äm lich nu r den klangvo llen N am en , m it deren N ennu ng sich das verh asste System ein Weilch en p rovo zieren lässt, b is m ensch selb st in ihm versinkt.

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An arch ie im Al l tag der An arch istI n n en

N o ch m al eine andere Sach e ist die gelebte Anarchie : Ein erseits die P ra - xis derer, die in u nzähligen , o ft kau m sichtb aren Alltagsexp erim enten , z .B . kleinen B etrieb en , WG s o der B asisgrup p en , ein h errsch aftsfreie s M itein ander zu entw ickeln u nd zu verw irklich en versu ch en . Anderer - seits das Re den u nd Tu n derer, die sich au ch o ffiziell u nter dem Lab el der An arch ie o rganisieren . H ier entw ickeln sich Traditio nen : Abläu fe w ie derh o len sich , Strategien w erden ge schm ie det u nd fo rm en so das G e sam tb ild der An arch ie m it.

U m gekeh rt fo rm en die ge sellsch aftlich en Verh ältnisse , insb e so n dere die p rägenden D isku rse der Z eit, das D enken der Anarch istInnen . Anar - ch istisch e Subkultu ren steh en P ate fü r versch ie dene Richtu ngen kam p fb eto nterer o der h arm o nisch er Entwü rfe verm eintlich h err - sch aftsfreier Welten . D er Siege szu g e so terisch er Flu chtpu nkte fü r die sich in der M o derne au flö senden Leb en sko o rdinaten fand au ch in Tei - len anarchistisch er Zu sam m enh änge statt − u nd erst re cht gilt das fü r den Inb egriff de s Guten schle chth in , der w ie eine religiö se H eilsleh re als Rettu ng der Welt verkü ndet, fü r den geb etet u nd geb o m bt w ird : D ie D em o kratie . Eine H errsch aft de s Vo lke s u nd H errsch aftsfreih eit gelten vielen nicht als u nvereinb ar, so n dern als zu sam m en denkb ar o der so - gar als D asselb e .

In so fern p ro du zieren Th e o rie u n d P raxis der An arch istInnen b ereits eine M enge an Verw irru ng, was eigentlich An arch ie sei. Ab er das ist h arm lo s gegenüb er dem , was dem B egriff so alle s b eigegeb en w ird vo n denen , die lieb er nicht als Anarch istInnen gelten wollen .

An arch i e − der B egri ff fü r al l es, au ch völ l i g Verwi rrtes

Anarchie ersch eint als C o ntain erb egriff fü r alle s M ö glich e − angefan - gen vo n ro saro ten Welten , in den en alle sich lieb h ab en , b is hin zu m Inb egriff vo n triefen dem B lut, C h ao s o der Terro r. D azw isch en w ird die Anarchie ku rzentschlo ssen au ch fü r die D em o kratie vereinn ah m t u nd so ll deren Reinstfo rm o der h ö ch ste Entw icklu ng darstellen . O ffenb ar lö st der B egriff starke G efühle w ie H o ffnu ngen , Angst o der S eh nsü chte au s, o h ne dass er au f ein e eigene G e schichte der P raxis zu rü ckblicken kö nnte w ie b eisp ielw eise der Ko m m u nism u s (falls m ensch die p einlich p erso n enzentrierten Versu ch e h o ch au fgeblähter Staatsap p arate , die ihre Bü rgerInn en no ch m eh r fü rchteten als den K ap italism u s, als ge - lebten Ko m m u nism u s anseh en w ill) . U nter dem B ann er de s Ko m m u - nism u s wu rden Kriege gefü hrt, Länder erob ert u nd H eldenge sch ichten ge sch rieb en . D as näh rt Em o tio nen − ab er der Anarchism u s ? D ie klei - nen Versu ch e in der U kraine o der, w egen de s antifasch istisch en Glan - ze s w enigstens etwas b ekannter, in Sp anien fristen au f den N eb enp lät - zen der G e sch ichte ein Randdasein . Kleinste Ansätze lib ertärer Republi - ken au f deutsch em B o den h at e s gegeb en . Ab er die M ü nchn er Räte - republik dü rfte e s regelm äß ig nicht einm al in den S chulu nterricht

(20)

sch affen . N o ch trau riger fristet die Republik S chwarzenb erg ih r D asein im Lan d de s Verge ssens. H ätte nicht Stefan H eym p er Ro m an die Erin - neru ng wach geru fen , gäb e e s wah rsch einlich kau m j em anden , der m it ih r etwas anfangen kö nnte .

E s m ag dah insteh en , ob die kleinen o der ganz kleinen Versu ch e üb er - h aup t sch o n so etwas w ie An arch ie , also h errsch aftsfreie G e sellsch aft, h ervo rb ringen ko nnten . U nklar ist, ob sie au ch längerfristig h ätten er - h alten u n d entw ickeln kö nnen , denn sie sind alle du rch äu ß ere G ewalt b e endet wo rden u nd au ch de sh alb sch nell in Verge ssenh eit geraten . Vielleicht ab er gibt e s no ch einen an deren Gru n d , waru m anarchisti - sch e Exp erim ente verschw iegen w erden u n d gleich zeitig der B egriff so vo ll Elend u nd Ab sch au m gepu m p t w ird , n äm lich die Angst vo r einem Einge ständnis: Wäre Anarchie nicht die ko nse qu ente Fo rm de ssen , was all die M o ralap o stel der b e sseren Welt, vo n U rkirch en b is B io nade , so p re digen ? U m die sen G e danken nicht zu zulassen , b e darf e s ein e s D is - ku rse s, de ssen Ziel au ch der eigene Ko p f ist. U nd so wü tet eine u nfass - b are , zerstö rerisch e Wu cht in dem kleinen Wö rtch en , w elch e s dam it zu m Tabu au fgeb aut w ird − zu m ab so lu ten N o - G o eine s j e den au fge - klärten , zivilisierten G eiste s. S ch au en w ir einm al in die se Ab grü n de der D efinitio n en vo n Anarch ie , die vo n der alten „Welt“ b is zu r „Ju ngen Welt“ du rch den B lätterwald , du rch P arteitagsre den u nd dem o krati - sch er Verblen du ng rau sch en .

Ch aos u n d An arch i e:

D er m odern e Teu fel al s Proj ekti on der Apokal ypse

E s m acht − w ie h äu fig − m ehr Sp aß , au f die andere S eite zu rü cken u nd den G egenstand de s Intere sse s vo n ein em Standpu nkt au s zu b etrach - ten , wo Anarch ie ein S chim p fwo rt ist u nd fü r alle s genu tzt w erden kann , was m ensch irgendw ie nicht w ill. D as ist die M ainstre am - Po si - tio n in die ser G e sellsch aft, do ch nicht üb erall w ird in gleich er Intensität dem Anarchieh ass gefrö nt. B e so n dere Stilblü ten setzen die Verfe chte - rInn en re chtsstaatlich er O rdnu ngen m it so zialem An sp ru ch . H ier gilt der Staat als o rdnen de H and , die das Gu te du rch setzt − ob e s nu n eine gute U N O o der der P räsident vo n Venezu ela ist. D ie Anarchie verm uten so lch e Fetisch istInnen de s vo n ob en ko m m en den Gu ten wo an ders − zu m B eisp iel in der C SU . Als do rt im H erb st 2 0 0 8 drei K andidaten zu m Vo rsitz strebten , war das fü r die etatistisch e Frankfu rter Ru ndsch au w e der M achtkam p f no ch D em o kratie . „ In der C SU h errscht Anarch ie “, titelte sie am 4 . 1 0 . 2 0 0 8 üb er G egenkan didatu ren zu r Vo rsitzendenwahl.

Als der Hu rrikan „K atrin a“

üb er N ew O rle an s fegte , ent - blö ß te sich die Anarchie do rt als to te , nasse Stadt m it p a - trou llierenden N atio n algar - disten .

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An arch ie al s Gesetzl osigkeit = Wil l kü r

D ass Anarch ie G e setzlo sigkeit darstellt, ließ e sich j a so gar m it der U r - sp ru ngsb e deutu ng de s B egriffs verb inden . In der H etze gegen die Anar - ch ie ab er schw ingt in der Vo rstellu ng vo n G e setzlo sigkeit gleich die W illkü r m it. O hne Regeln geht alle s du rch einan der, b richt sich der Ego - ism u s B ahn u n d schließ lich − dass dann der näch ste G e dankensch ritt (sieh e Fo lge ab satz) − endet alle s in G ewalt u nd To d .

Th e o retisch ließ e sich die se Kette so gar n o ch nü chtern darstellen , do ch fast im m er, w enn An arch ie als B egriff geb rau cht w ird , finden derart ab su rde Asso ziatio n en statt, dass e s einem dau ernden K ab arett der Stil - blü ten gleicht. Wenn zu m B eisp iel drei K andidatInn en fü r ein Am t in der C SU kan didieren , ist das kein dem o kratisch er Alltag, so ndern „ in der C SU h errscht Anar - ch ie “. Werden le ersteh ende Wo h nh äu ser in O st - deu tschland ab gerissen , ist das „ die Anarch ie der B agger “ (Ju nge Welt vo m 5 . 1 2 . 2 0 0 3 ) . Fallen reli - giö se Fu n dam entalisten üb er H eiligtü m er anderer Religio nen h er, so kö nne Nutzen darau s zieh en , „w er au f Anarch ie verse ssen ist“. S o llte der Staat das Re cht b eko m m en , Flu gzeu ge ab schieß en zu dü rfen , so sei er dann eine An arch ie − re su m iert die FR eb en so w ie dass Anarchie h errsch e , w enn in einer Sp o rtm annsch aft der K ap itän fehle . P assiert das m eh rfach , m u tiert das M illio n enge sch äft Tou r de France zu r „ anar - ch isch en Tou r du rch

Frankreich “.

M eh r au f den Ko p f stellen lässt sich ein e

Analyse wo hl kau m . D enn im m er sind e s in den gewählten B eisp ielen j a gerade die zentralistisch o rganisierten Abläu fe , die als Anarchie eti - kettiert w erden . O der was so llen die C SU , eine du rch h o h eitlich e Ent - sch eidu ng b e au ftragte Ab rissfirm a o der ein e flu gzeu gabknallende Re - gieru ng so nst sein ? Sie als Anarchie zu b ezeichn en , so ll au ch gar nichts üb er die Art der B innen o rganisatio n au ssagen , so ndern Anarchie steht einfach fü r das S chle chte − das, was nicht sein darf.

Ein e b e so ndere Stilblü te b rachte die FR am 1 5 . 7. 2 0 0 3 zu r Situ atio n in G e o rgien . D er h ätte ein „Land in ko ntrollierter Anarch ie “ zu rü ckgelas - sen . Was ist denn das ? D er Artikel erklärte e s: Krim inalität, Terro r u nd nie drige s P ro - Ko p f - Einko m m en , das waren nicht die Fo lgen der au to - ritären Ko ntro lle , so n dern das war das B ö se im System , ih r anarch i - sch er Anteil. D a wu ndert e s nicht, w enn die H einrich - B ö ll - Stiftu ng, die so genannte „D enk “fab rik der Grü nen , die Au ssicht au f einen Weltkrieg m it Ato mwaffen als „ ato m are Anarchie “ b ezeich net.

ta z-Ü bersch rift zu m Verh a l ten der Am erika n er im I rak (I n terview m it J. Verges in : ta geszeitu n g, 2.1 . 2004, S. 4)

E in l eitu n gstext zu r Lage in H a iti in der F R vom 1 . 2. 2006 (S. 7)

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Tagu n g der H ein rich -B öl l -Stiftu n g zu r Verbreitu n g von n u kl earen Wa ffen a m 1 0. /11 . 9. 2009 in B erl in

Au s „I m Ch a os“, F R , 25. 02. 2006, S. 3 (von Ka rl Grobe)

Au s „I n R ich tu n g An arch ie“, F R , 24. 2. 2005 (S. 3)

Au s ein em Kom m en ta r zu m Lu ftsich erh eitsgesetz, F R , 1 8. 2. 2006

U n d am E n de der Tou r de F ran ce 2006 bl ieb die F R im m er n och ih rer Mein u n g (F R , 22. 7. 2006, S. 22)

Ü bersch riften in der F R , 3. 3. 201 0 (Abb. rech ts von S. 38 f. ) u n d 21 . 4. 201 0 (S. 9)

Tja rk Ku n streich in kon kret N ov. 2 001 (S. 41 ):

An arch ie al s Ch aos, Gewal t u n d Tod

M eist geht die H etze w eiter, denn m it der o ffensichtlich en H o rro rvo r - stellu ng fehlender G e setze o der Ko ntro llm acht geht so fo rt die Angst vo n Terro r, G ewalt u n d To d einh er. D arau s w ird dann u m gekeh rt ab geleitet, wo G ewalt u nd To d h errsch en , sei Anarch ie . Fo lglich w ird der B egriff im m er w ie der b enutzt, u m eine entsp re ch ende Situ atio n m it einem B e - griff zu fassen .

Kl ein er Tipp : E in fach m al

„An arch ie“ al s Su ch begriff bei F ran kfu rter R u n dsch a u oder vergl eich ba ren Zei- tu n gen ein geben u n d sich wu n - dern /freu en , was diese B l ätter so a l l es a l s An a rch ie bezeich n en . . .

(23)

Au s: F reita g N r. 1 5, 4. 4. 2002 (S. 1 )

F ran kfu rter R u n dsch a u zu r Lage im I rak (7. 5. 2003, S. 23) Ü bersch rift u n d Text in der F R am 26.1 . 2011 (S. 6)

Au s „Viel e Tote bei Kä m p fen in Som al ia “, F R , 23. 2. 2006

Au s ein em I n terview m it B ritta Petersen , Leiterin der H ein rich -B öl l - Stiftu n g in Pa kistan , in : F R . 3. 3. 2011 (S. 9)

N icht nu r die An arch ie , so ndern au ch die An arch istInnen w erden m it dem B ann de s B ö sen b elegt − u nd alle p o litisch en Strö m u ngen , die in den gleich en To p f gewo rfen w erden . S o lch e s G e dankengut ko m m t au s den P ro p agandasch m ie den der Regieru ng eb enso w ie au s vielen an de - ren bü rgerlich en E cken .

Anarchie als Inb egriff fü r G ewalt u nd To d zu nutzen , ist nicht nu r frei E rzäh l en wir n och ein e der biza rren Gesch ich ten dieser Art. Sie spiel te 2005. D er H u rrika n „Ka trin a “ fegte ü ber den Sü den der U SA u n d fü h rte zu Ü berfl u tu n gen u n d Zerstöru n gen . B eson ders h art traf es die Sta dt N ew Orl ea n s, die in ein er Sen ke u n ter dem N ivea u der vorbeifü h ren - den F l ü sse a n gel egt wa r. D as wu rde ih r n u n zu m Verh ä n gn is, den n

„Katrin a“ zerl egte die D ä m m e − u n d die Sta dt geriet u n ter Wa sser.

D ie ein setzen de H il fe du rch staa tl ich e Orga n e wu rde zu m D esaster.

E in e N ation m it Wel tfü h ru n gsan sp ru ch bewies, da ss wen n tech n isch e Ka pa zitä ten in in n ere Sich erh eit u n d Kriegsfü h ru n g gesteckt werden , bei der H il fe fü r Men sch en n ich t m eh r viel geh t. D ie Rettu n gspl än e ver- sa gten gn a den l os. N och sch l im m er: D er Staa t zeigte sich von sein er be- son ders h ä ssl ich en Seite. E s ka m zu Au ssortieru n gen der H il febedü rftig- keit n ach Zu geh örigkeit zu Kl a ssen u n d sogen a n n ten „Rassen“

(www.de. in dym edia .org/2005/09/1 26875. sh tm l ). D ass das n a h egel e- gen e u n d desh a l b eben so betroffen e Ku ba ga n z an ders reagierte u n d dort n u r wen ige Op fer en tsta n den , wu rde p ein l ich verschwiegen . D er Verda ch t kam au f, da ss die Arm en in N ew Orl ea n s ein fach im Stich ge- l assen wu rden . Wa ren sie teu re E vaku ieru n gen u n d tech n isch e H il fe n ich t wert? Teil e von Pol izei u n d an deren Rep ression sstru ktu ren wu rden n a ch wen igen Tagen a n gewiesen , n ich t Men sch en zu h el fen , son dern das E igen tu m von Reich en , Läden u n d a n deren zu sch ü tzen . D a s wa r wich tiger . . . au ch wen n viel e Waren in den ü berschwem m ten Läden oh - n eh in verga m m el t wä ren . I m Sp iegel 37/2 005 (S. 1 36) war zu seh en , wie n ich t P l ü n derer, son dern die Pol izei H a u stü ren ein sch l u g − a u f der (an gebl ich en ) Su ch e n a ch P l ü n derern . Sogen a n n te P l ü n derer wu rden bei sol ch en Aktivitä ten a b u n d zu ersch ossen .

Obwoh l a l so offen sich tl ich die Obrigkeit das P robl em war, stel l ten Me- dien es so dar, a l s seien gera de da s Feh l en des Staa tes u n d ein e begin - n en de An arch ie die U rsa ch e. Al s „An arch ie“ ben an n ten sie die An eig- n u n g der al l m ä h l ich vergam m el n den Leben sm ittel du rch die u n terver-

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