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Bayerisches Ärzteblatt 3/2010 59

…mutamur in illis! Tatsächlich?!

Im Tretminenfeld der Gesund- heitspolitik ist jede Bewegung lebensgefährlich. Oder zynisch formuliert: Wer sich in die Ge- sundheitspolitik begibt, kommt darin um. Es sei denn, er unter- wirft seine Überzeugungen bis zur Unkenntlichkeit dem Diktat des Machbaren. Manch Ärztever- treter in der Selbstverwaltung hat das in seiner Tätigkeit verspüren und erleiden müssen. Obwohl die Gesetzesmaschinerie in im- mer höherer Drehzahl neue Vor- schriften ausspuckt, werden die Ergebnisse immer kläglicher und widersprüchlicher. So kommt der unverbrauchte Newcomer, Ge- sundheitsminister Dr. Philipp Rösler, schon auf den ersten Metern dieser Marathonstrecke ins Straucheln. Wird er doch fast täglich mit seiner Idee einer einkommensunabhängigen Pauschale vor- geführt. Und das Störfeuer kommt nicht nur aus der Opposition.

Wer gestern im Unionslager noch lauthals dafür war, findet sich heute als Heckenschütze wieder, der jeden Gedanken einer der- art schnöden Geldbeschaffung im System pauschal als unsozial und unsolidarisch abschießt. Bitter beklagt Rösler die Unzuver- lässigkeit des Koalitionspartners.

Insbesondere der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsit- zende reibt sich beim Thema Kopfpauschale an seinem Amts- nachfolger. Als erfahrener Bundespolitiker weiß Horst Seehofer aus eigener schmerzhafter Erinnerung, dass sich mit gesund- heitspolitischen Themen keine Wahlen gewinnen, sehr wohl aber verlieren lassen. Ihm dürfte noch immer der „Aufstand“ der Haus- ärzte in Bayern kurz vor der jüngsten Landtagswahl in den Kno- chen stecken. Also ist vorsichtiges Lavieren angesagt. Doch der Status quo, die Illusion einer ausreichenden notwendigen und wirtschaftlichen Versorgung, wie im Sozialgesetzbuch V (SGB V) vorgegeben, ist unter dem Sog eines Finanzierungslochs von 3,9 Milliarden Euro nicht länger aufrechtzuerhalten. Der Spagat des demografischen Wandels und den Möglichkeiten einer Hightech- Medizin gerät immer mehr zur Prokrustes-Folter bloßer Vertei- lungskämpfe. Stationär gegen ambulant, Basisversorgung gegen Spezialmedizin. Das Geld ist endlich, die Wünsche ebenso un- endlich wie sie berechtigt sind. Das ganze Dilemma spiegelt sich in der Diskussion um Priorisierung und Rationierung wieder.

Da ist es für einzelne Akteure verlockend, sich Vorteile gegen- über dem Kollektiv aus dem kleiner werdenden Kuchen heraus- zuschneiden und den Rest hinter sich zu lassen. Selektivverträge nach §73b SGB V scheinen dafür eine ideale Eintrittspforte. Das funktioniert allerdings nur bei Akteuren, die sich entweder stark genug dazu fühlen, wie die AOK Bayern, mit einem Versicher- tenanteil von rund 40 Prozent in Bayern der Platzhirsch. Auf der anderen Seite bedarf es eines Vertragspartners, der bereit ist, das Kollektivsystem zu verlassen. Bei den Hausärzten, die sich seit längerem als „Underdogs“ in der Kassenärztlichen Vereini- gung von den Fachärzten übervorteilt und majorisiert sehen, trifft dieses Angebot ins Schwarze. Derzeit probt der Hausärztever- band bundesweit den Auszug ins gelobte Land freier Pauschal- verträge und ist mit Unterstützung der Politik und Schiedsämter damit erfolgreich – zumindest kurzfristig. Gibt es doch angeb- lich mehr Geld und weniger Bürokratie. Ein attraktives Modell, das bei der körperschaftlichen Konkurrenz Panik und hektische

„Rückholaktionen mit Lockangeboten“ hervorruft. Befürchtet man allenthalben weitere Facharztgruppen, wie die Kardiologen oder Chirurgen, die sich für einen Absprung stark genug fühlen, über selektive Versorgungsverträge zu verlieren. Der Kollaps des „al- ten Monopolisten“ zeichnet sich bereits am zeitlichen Horizont ab. Tempora mutantur!

Haben sich die alten Strukturen der Selbstverwaltung überlebt?

Bürokratisch, staatsabhängig, unflexibel so lautet das Verdikt.

Nachdenklich sollte stimmen, dass es auch auf Kassenseite durchaus Anhänger des „Ancien Régime“ gibt. Warum? Sollte das Experiment misslingen, die hausarztzentrierte Versorgung nicht die erwünschten Kosteneinsparungen in der System-Pipe- line erbringen, ist schnell Schluss mit lustig. Dann laufen die Ärzte Gefahr, sich in Splittergruppen zerteilt am Ende als Spiel- ball von großen Krankenkassen-Konzernen wiederzufinden, die Leistungen für ihre Mitglieder zum günstigsten Preis einkaufen.

Dagegen ist im Interesse einer effektiven Verwendung knapper Ressourcen grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn am Ende die Qualität stimmt. Doch wer garantiert das? Das Überleben einer starken Selbstverwaltung auf Ärzteseite wird wesentlich davon abhängen, diese Frage für Politik und Gesellschaft be- friedigend zu beantworten. Der Wind dreht schnell in Politik und Gesellschaft. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf sollte die Ab- rissbirne erst dann geschwungen werden, wenn das neue Haus wetterfest steht. Und vielleicht gibt es da doch noch die Alterna- tive einer Renovierung. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Hans-Edmund Glatzl, dgd-Redakteur für Gesundheitspolitik Hauptstadtkorrespondent Vincentz-Network, Berlin

Tempora mutantur ...

Hans-Edmund Glatzl

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