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Antirepräsentationalismus – Kognition ohne Repräsentation?

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Academic year: 2022

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Antirepräsentationalismus – Kognition ohne Repräsentation?

Magisterarbeit

in der Philosophischen Fakultät I

(Philosophie, Sport und Kunstwissenschaften)

vorgelegt von

Rüdiger Heimgärtner

aus

Undorf

2002

(2)

Erstgutachter: Prof. Dr. phil. Hans Rott

Zweitgutachter: Dr. Wolfram Hinzen

(3)

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis……….……….IV Tabellenverzeichnis………V

1. Einleitung……….…………. 1

2. Antirepräsentationalismus………...3

2.1. Was ist Antirepräsentationalismus?...3

2.2. Bemerkungen zum historischen Hintergrund des Antirepräsentationalismus………..3

2.3. Varianten eines kognitionswissenschaftlichen Antirepräsentationalismus………...5

2.3.1. Dynamische Systeme………....5

2.3.2. Situated Action………..7

2.3.3. Embodied Cognition………..8

2.3.4. Perzeptuelle Symbolsysteme...………10

2.3.5. Autopoietische Systeme………...10

3. Gegenstand des Antirepräsentationalismus………..11

3.1. Definition von Repräsentation………11

3.1.1. Der klassische Begriff von ‚Repräsentation‟………...12

3.1.2. ‚Bedeutung B‟ und ‚Bedeutung MB‟………..13

3.1.3. Definition von ‚Repräsentation B‟………...………...16

3.1.4. Weitere begriffliche Festlegungen………...22

3.2. Der Repräsentationsbegriff in der Kognitionswissenschaft………...24

3.2.1. Symbolische Systeme………..…27

3.2.2. Konnektionistische Systeme………....34

3.2.3. Dynamische Systeme………...43

3.3. Weitere Aspekte des Repräsentationsbegriffs………..…..52

3.3.1. Gradualität von Repräsentation....………...……….52

3.3.2. Implementation von Repräsentation………...………..53

3.3.3. Computation und Repräsentation………...…………..54

3.3.4. Implizite und explizite Repräsentation………..………...55

3.4. Zusammenfassung………..……….59

(4)

4. Probleme des Antirepräsentationalismus………..60

4.1. Methodologische Probleme………60

4.1.1. Grundsätzliche Probleme………...…..60

4.1.2. Unterschiedliche Beschreibungsebenen………..………62

4.1.3. Low-High-Level-Cognition-Gap……….……66

4.1.4. Systemtheoretische Probleme………..…………67

4.2. Inhaltliche Probleme………...………69

4.2.1. Kognition ohne Repräsentation………...…….69

4.2.2. Repräsentation und Sprache……….…………76

4.3. Ontologische Probleme……….………..79

4.3.1. Repräsentation und Bedeutung……….……79

4.3.2. Repräsentation und Intentionalität………80

4.3.3. Emergenz oder nicht-reduktiver Physikalismus………..…….82

4.3.4. Zusammenführung antirepräsentationalistischer und klassischer Ansätze………...……….84

4.4. Zusammenfassung………..…….86

5. Schlussfolgerungen……….…………..88

Literaturverzeichnis……….………..94

(5)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.3.1: Schematische Darstellung des Dampfdruckreglers von James Watt………...6

Abbildung 2.3.3: Mobot „Herbert“……….9

Abbildung 3.1.1: Dreiecksbeziehung der klassischen Vorstellung

von Repräsentation………....13 Abbildung 3.1.3: Vertikale und horizontale Relation………17 Abbildung 3.2.1: Die drei wichtigsten Paradigmen in der

Kognitionswissenschaft………...….….25 Abbildung 3.2.1.1: Versuchsaufbau für die XOR-Funktion……….31 Abbildung 3.2.1.2: Symbolische Repräsentation (Implementierung

der XOR-Funktion über eine Programmiersprache)…….…….31 Abbildung 3.2.2.1: Versuchsaufbau mit einem neuronalen Netz

(Multilayer-Perceptron: Feedforward-Netzwerk

mit drei Neuronenschichten)……….…...37 Abbildung 3.2.2.2: Subsymbolische Repräsentation (Die vier Zustände

eines trainierten neuronalen Netzes für die XOR –

Funktionalität)………....41 Abbildung 3.2.3.1: Linearer gedämpfter fremderregter Schwinger

(aus Argyris 1995)………..45 Abbildung 3.2.3.2: Ein- und Ausgangssignale eines neurodynamischen Netzes

(Elman-Netz), das die Semantik der XOR-Funktion

repräsentiert.………....…………...50 Abbildung 4.1.2.1: Prinzip der Entscheidungsfindung………..65 Abbildung 5.7.1: Einordnung der kognitionswissenschaftlichen Ansätze unter

Einbeziehung der Ergebnisse dieser Arbeit…………...93

(6)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 2.3.2: Unterschiede zwischen einem Watt-Regler und einem klassischen computational-symbolischen

Regler (nach vanGelder 1995)……….6 Tabelle 3.1.3: Gegenüberstellung der Eigenschaften von

klassischer Repräsentation, Präsentation und

Repräsentation B……….21 Tabelle 3.2.1.1: Semantik der XOR-Funktion………..30 Tabelle 3.2.3.1: „Differences among kinds of systems“

(aus vanGelder 1997)………..48 Tabelle 3.3.4.1: Erklärungsebenen und Repräsentationsarten..………...……….57

(7)

1 EINLEITUNG

Diese Arbeit soll einen Eindruck von einem Antirepräsentationalismus vermitteln, wie er heute in der Kognitionswissenschaft vertreten wird. Dabei kann nur ein Überblick gegeben, aber nicht das gesamte Umfeld dargestellt werden. Vielmehr ist beabsichtigt, dass dem Leser durch diese Arbeit ermöglicht wird, ein „Gespür“ für den Antirepräsentationalismus, dessen konzeptuellen Inhalt sowie den daraus resultierenden Problemen und Implikationen zu entwickeln. Dabei werden einige wichtige Probleme des Antirepräsentationalismus diskutiert und Lösungsversuche dafür skizziert.

Ich werde auch versuchen zu zeigen, dass sich Kognitionswissenschaftler von einem Repräsentationalismus distanzieren, ein radikaler Antirepräsentationalismus (AR) aber nicht haltbar ist, da (menschliche) Kognition ohne einen gewissen „Aspekt“ von Repräsentation nicht möglich ist.

In Kapitel 2 wird zunächst näher erläutert, was Antirepräsentationalismus ist.

Danach folgen Bemerkungen zum historischen Hintergrund des Antirepräsentationalismus und schliesslich werden die wichtigsten antirepräsentationalistischen Ansätze aus der Kognitionswissenschaft vorgestellt.

Ein antirepräsentationalistisch denkender Kognitionswissenschaftler1 geht davon aus, dass kognitive Agenten ohne „innere, mentale Repräsentationen“ auskommen. Was sind aber innere, mentale Repräsentationen?

Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, wird auf Begriffe wie

‚Zeichen‟, ‚Symbol‟, ‚Referenz‟ und ‚Computation‟ eingegangen. Auch Begriffe wie

‚Intentionalität‟, ‚Bedeutung‟, ‚Emergenz‟ oder ‚Kontinuität‟ müssen berücksichtigt werden. Allerdings wird keine letztgültige Klärung dieser Begriffe angestrebt. Vielmehr geht es darum, diese Begriffe bezüglich eines Antirepräsentationalismus innerhalb der Kognitionswissenschaft in kohärenter Weise zueinander in Beziehung zu setzen.

Ob jemand Antirepräsentationalist ist oder nicht, hängt davon ab, welchen Begriff von Repräsentation man zugrunde legt. Es wird daher in Kapitel 3 versucht, einen Referenzbegriff von Repräsentation zu entwickeln, anhand dessen die Repräsentationalität der verschiedenen antirepräsentationalistischen Ansätze

„gemessen“ werden kann. Dies geschieht sowohl aus philosophischer als auch aus

1 Die feminine Wortform ist immer mitgemeint.

(8)

kognitionswissenschaftlicher Sicht anhand der wichtigsten systemtheoretischen Paradigmen in der Kognitionswissenschaft (Symbolische Systeme, Subsymbolische Systeme und Dynamische Systeme). Dabei wird auch demonstriert, wie der Repräsentationsbegriff von Kognitionswissenschaftlern verwendet wird.

Anschliessend muss näher bestimmt werden, was Antirepräsentationalisten unter Repräsentation verstehen. Denn ein von Antirepräsentationalisten anders definierter Begriff von Repräsentation oder eine unterschiedliche Verwendung dieses Begriffes könnte zu einer anderen Auffassung von Repräsentationalismus und damit von Antirepräsentationalismus führen und unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die Frage, ob kognitive Agenten ohne Repräsentationen auskommen oder nicht, würde u. U. anders entschieden. Anhand des eingeführten Referenzbegriffes kann geklärt werden, gegen welche Art von Repräsentation der Antirepräsentationalist eigentlich argumentiert.

Anschliessend kann in Kapitel 4 eine Analyse der antirepräsentationalistischen Argumente folgen und die Probleme des Antirepräsentationalismus können aufgezeigt und kritisch beleuchtet werden Es wird untersucht, ob und wie die Probleme des Antirepräsentationalismus wie Memorierung, physikalische Unverbundenheit, High- Level-Cognition, Planung und Entscheidung einer Lösung durch den Ansatz dynamischer Systeme zugeführt werden können und welche Implikationen sich daraus ergeben. Dabei wird herausgearbeitet, inwiefern diese Ansätze im Hinblick auf den anfangs definierten Referenzbegriff von Repräsentation als antirepräsentationalistisch gelten können und somit Kognition erklären können, ohne dabei Repräsentation zu verwenden.

Am Ende der Kapitel 3 und 4 werden die Ergebnisse der jeweiligen Untersuchungen zusammengefasst und abschliessend in Kapitel 5 die Schlussfolgerungen daraus gezogen.

(9)

2 ANTIREPRÄSENTATIONALISMUS

2.1 Was ist Antirepräsentationalismus?

Antirepräsentationalismus ist das Gegenteil von Repräsentationalismus.

Innerhalb des Repräsentationalismus wird unterstellt, dass die Erkenntnis materieller Dinge nur über sie vertretende mentale Objekte möglich ist: Keine Erkenntnis ohne Repräsentation. Ein Anitrepräsentationalist hingegen vertritt die These, dass Erkenntnis über die Welt ohne interne Repräsentation von Dingen in der Welt möglich ist (vgl.

Stufflebeam 1998a).

Kognitionswissenschaftler erforschen die kognitiven Prozesse, die Erkenntnis ermöglichen. Kognition umfasst alle Prozesse, die nötig sind, damit ein Lebewesen sich und andere Objekte in der Welt erkennen kann (z.B. Wahrnehmen, Erkennen, Vorstellen, Urteilen, Lernen, Erinnern, Denken, Vermuten, Erwarten, Planen und Problemlösen). Kognition ist auch die Fähigkeit des Menschen, sich gegenüber der Welt (d.h. seiner Umwelt) adaptiv zu verhalten und in ihr zurechtzukommen.

Alle klassischen Ansätze der Kognitionswissenschaft halten dabei an der Kognitivismusthese fest, die besagt, dass für Kognition interne Repräsentation notwendig ist. Antirepräsentationalistische Ansätze in der Kognitionswissenschaft behaupten hingegen, dass Kognition auch ohne interne Repräsentation möglich ist.

Diese Haltung gegen Repräsentation kann auf zwei Arten eingenommen werden.

Einerseits kann man kann leugnen, dass es „Repräsentation“ gibt und annehmen, dass kein kognitiver Agent über Repräsentationen verfügt, so dass Repräsentation für Kognition nicht wesentlich sein kann. Andererseits kann man behaupten, dass alle Erklärungsmodelle von Kognition auf den Begriff „Repräsentation“ verzichten können (vgl. Chemero 1999).

Bevor in Kapitel 3 untersucht wird, ob und wie kognitive Prozesse ohne Repräsentation möglich oder erklärbar sind, werden in diesem Kapitel kurz die antirepräsentationalistischen Ansätze der Kognitionswissenschaft vorgestellt.

2.2 Bemerkungen zum historischen Hintergrund des Antirepräsentationalismus

Ein Antirepräsentationalismus kann erst als Gegenbewegung zu einem Repräsentationalismus entstehen. Als Begründer des Repräsentationalismus gilt René Descartes: Mit dem Begriff des ‚cogito‟ (‚ich denke‟) geschieht eine Aufteilung in

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Subjekt (Ich) und Objekt (Welt). Der Bezug zwischen Ich und Welt wird im Geist des Subjekts hergestellt durch Ideen, die Dinge der Welt repräsentieren. Denken geschieht über interne Repräsentationen (vgl. Descartes 1972). Denken im Sinne Descartes könnte man heute als „Kognition“ bezeichnen.

Antirepräsentationalistisch eingestellte Philosophen wie Heidegger

(Existenzialismus), Rorty (Pragmatismus) und Quine (Naturalismus) sind gegen die Auffassung, dass Erkenntnis über die Welt mittels interner Repräsentation zustande kommt (vgl. Boros 1999).

Martin Heidegger versucht Descartes‟ Cogito zu invertieren. Er geht nicht vom Subjekt aus, in dem die Welt repräsentiert wird, sondern von den alltäglichen Fähigkeiten und Praktiken, die unser In-der-Welt-sein ausmachen und verneint damit eine Repräsentationsbeziehung zwischen Geist und Welt. Zum Wesen der Kognition gehört nicht Repräsentation als das Sich-auf-die-Welt-beziehen, sondern das In-der- Welt-sein (vgl. Heidegger 1927).

Richard Rorty argumentiert gegen Repräsentation, weil es für ihn eine ontologische Verwobenheit zwischen Form und Inhalt gibt und dadurch deren Separierung unmöglich ist. Die Welt spiegelt sich nicht mental im Kopf wieder.

Vielmehr ist das Subjekt mit der Welt in kausaler Interaktion verwoben. In jeder Behauptung sind subjektive und objektive Anteile vermischt, so dass der Inhalt eines Gedankens nicht in die Anteile des Subjekts und jene Anteile, die von der Aussenwelt stammen, getrennt werden können (vgl. Rorty 1979).

W. O. Quine überträgt diesen Gedanken auf Kants Unterscheidung von analytischen und synthetischen Begriffen. Für Quine gibt es keinen Unterschied zwischen subjektiven und objektiven Wissenskonstituenten (vgl. Quine 1960).

Hubert L. Dreyfus postuliert Intelligenz ohne Repräsentation in Anlehnung an Merleau-Pontys Kritik an mentalen Repräsentationen (vgl. Dreyfus 1998). Dessen Theorien des „Intentional Arc“ und „Maximal Grip“ sollen erklären, wie man auch ohne mentale Repräsentationen mittels seiner Fähigkeiten in der Welt zurechtkommt (vgl.

Merleau-Ponty 41967). Durch die enge Verbindung zwischen dem Agenten und der Welt (= „intentionaler Bogen“) werden dessen erworbene Fähigkeiten nicht als Repräsentationen im Geist gespeichert, sondern als Dispositionen, auf die Herausforderungen der Situationen der Welt zu antworten. Dies wird unterstützt durch die Tendenz des Körpers, derart auf die Situationen der Welt zu reagieren, dass die gegenwärtige Situation der Vorstellung einer optimalen Gestalt im Agenten näher kommt (= „maximales Verständnis“).

(11)

Diese antirepräsentationalistischen Grundgedanken wirken auf die jüngsten Vertreter des Antirepräsentationalismus wie Maturana & Varela (1987), Freeman &

Skarda (1990), Brooks (1991), Van Gelder (1995), Stufflebeam (1998b), Chemero (1999), Keijzer (1998) und Jäger (1996) fort (vgl. Clark 2001). Im Folgenden werden einige dieser Positionen vorgestellt.

2.3 Varianten eines kognitionswissenschaftlichen Antirepräsentationalismus

Die bekanntesten Varianten antirepräsentationalistischer Ansätze innerhalb der Kognitionswissenschaft sind dynamische Systeme, situative Agenten, embodied embedded cognition, perzeptuelle Symbolsysteme sowie neurobiologische Ansätze (vgl.

Markman & Dietrich 2000).

2.3.1 Dynamische Systeme

Timothy van Gelder gibt drei Gründe dafür an, sich von einer repräsentationalen Theorie des Geistes abzuwenden (vgl. Van Gelder 1995, S. 380). Geist ist nicht nur etwas Inneres, sondern auch etwas Äußeres, mit der Welt Verbundenes. Ferner werden epistemologische Probleme umgangen, indem man menschliche Agenten als wesentlich in eine sich verändernde Welt eingebettet betrachtet. Und schliesslich kann menschliches Verhalten niemals kausal nur mittels kartesianischer Repräsentation erklärt werden. Allerdings scheint der letzte Grund etwas schwach zu sein. Denn das menschliche Verhalten muss ja nicht kausal oder alleine über kartesianische Repräsentation erklärt werden.

Van Gelder postuliert die dynamische Hypothese, welche besagt, dass kognitive Agenten dynamische Systeme sind und postuliert, dass dynamische Systeme nichts repräsentieren. Dies versucht er anhand des von James Watt konstruierten Dampfdruckreglers (Watt governor) zu demonstrieren (Abbildung 2.3.1).

Dieser rein mechanische Regler bewirkt, dass der Druck des ausströmenden Dampfes immer gleich gross bleibt. Er besteht aus einer Spindel und zwei mit Gewichten ausgestatteten Armen. Der ausströmende Dampf treibt die Spindel an. Je mehr Dampf ausströmt, desto schneller dreht sich die Spindel und desto weiter bewegen sich die Arme von der Spindel weg (durch die Fliehkraft der Gewichte), wodurch das Dampfauslassventil weiter geschlossen wird. Dadurch strömt weniger Dampf aus und die Spindel dreht sich langsamer, wodurch sich die Arme wieder näher zur Spindel

(12)

bewegen und damit das Dampfauslassventil weiter geöffnet wird und mehr Dampf ausströmt. Somit wird der Dampfdruck konstant gehalten.

Abbildung 2.3.1: Schematische Darstellung des Dampfdruckreglers von James Watt

Man könnte diesen Regelvorgang algorithmisch beschreiben und als Programm in einem Computer implementieren. Aber genau das ist beim mechanischen Watt- Regler nicht notwendig. Dieser funktioniert auch ohne Repräsentationen und ist deshalb nicht repräsentational. Und wenn man wie van Gelder Repräsentationalität für Computationalität voraussetzt (also Computation als Manipulation von Symbolen versteht), dann ist der Watt-Regler auch nicht computational. Es gibt keine einzelnen diskreten „Schritte der Verarbeitung“ wie bei sequentiell-diskreten (symbolisch- digitalen) Systemen. Dynamische Systeme arbeiten kontinuierlich. Tabelle 2.3.2 stellt die Unterschiede zwischen einem Watt-Regler und einem klassischen computational- symbolischen Regler gegenüber (nach van Gelder 1995).

Kriterium Computationaler Regler Watt-Regler

Repräsentationalität repräsentational nicht-repräsentational Computationalität computational nicht-computational

Prozessauflösung sequentiell, diskret nicht-sequentiell, kontinuierlich

Verarbeitungsart zyklisch nicht-zyklisch, simultan

Interaktionalität homunkular, d.h. über Botschaften nicht-homunkular, direkt Zeitauflösung natürliche Zahlen (integers) reale Zahlen (real numbers)

Tabelle 2.3.2: Unterschiede zwischen einem Watt-Regler und einem klassischen computational-symbolischen Regler (nach van Gelder 1995)

(13)

Gemäss dem Neurodynamizisten Freeman brauchen Physiologen im Gegensatz zu Philosophen, Informatikern und Kognitionspsychologen keine „Repräsentationen“.

Denn Denken in „Repräsentationen“ behindert die Erforschung der biologischen Algorithmen des Gehirns. „Repräsentationen“ sind für die Beschreibung und das Verstehen der Gehirndynamik nicht nötig. Wiederabruf (Retrieval) von z.B.

Geruchserinnerungen ist keine Wiederherstellung eines gespeicherten Zustandes, sondern eine erneute Erzeugung eines (nicht mit dem Original identischen – aber sehr ähnlichen) Gerucheindrucks:

„Our physiological data show that episodic storage of odor trials does not happen, that „retrieval“ is not recovery but re-creation, always with differences, and that stimulus-bound patterns cannot coexist with re-created patterns to support matching procedures.“ (Freeman & Skarda 1990, S. 379)

Wenn man nicht fordert, dass der Inhalt einer Repräsentation über die Zeit hinweg identisch bleiben muss, dann könnte man auch Freemans „re-creation“ als Repräsentation bezeichnen. Dies wird in Kapitel 3 näher untersucht.

2.3.2 Situated action

Ansätze der situierten Agenten gehen davon aus, dass Kognition nicht ohne die Einflüsse der Umgebung auskommt (vgl. Clancey 1997, Vera & Simon 1993, Lai- Chong Law 1993). Kognition ist immer kontext- bzw. situationsabhängig. Wahrnehmen und Schlussfolgern ist ohne Handeln nicht möglich. Durch diese permanente Interaktion mit der Welt verändert sich das Wissen des Agenten ständig. Es ist kein statisches, gespeichertes Wissen, sondern ein dynamisches. Auf diese Weise wird Wissen auch in der Interaktion mit der Umwelt aus dieser „aufgenommen“. Es ist daher vieles in der Umgebung repräsentiert und braucht nicht mehr im Kopf repräsentiert zu sein. Die Welt muss daher nicht extensiv repräsentiert werden. Prognosen lassen sich leichter über direkte Information aus der Umwelt machen als über rein abstraktes Denken. Es müssen nur relevante, auf den Agenten bezogene Dinge der Welt berücksichtigt werden und nicht alle möglichen Fakten über die Welt, was eine Auflösung des Frameproblems bedeuten könnte (vgl. French & Anselme 1999).2

2 Das Frameproblem bezeichnet das Problem eines kognitiven Systems, zu entscheiden, welche Information unverändert bleiben muss, nachdem das System eine bestimmte Handlung ausgeführt hat.

Wenn sich ein Mann mit Hut von Punkt A nach Punkt B bewegt, so muss das System diese Bewegung erkennen, aber die meisten Informationen über den Mann gleich lassen, d.h. es muss auch den Hut mit dem Mann bewegen bzw. die Information, dass der Hut sich auf dem Kopf des Mannes befindet, unverändert lassen.

(14)

„Pengi“, ein am Computer simulierter autonomer Agent, muss Bienen und Holzkisten ausweichen (vgl. Agre & Chapman 1987). Pengi hat aber weder eine Vorstellung vom Spielfeld, auf dem er sich befindet, noch von der Anordnung der Bienen und Kisten auf diesem Spielfeld. Vielmehr verfügt Pengi nur über ein paar grundlegende Fähigkeiten, wie dem Ausweichen einer Biene oder dem Wegschieben einer Kiste. So muss der Agent nur das Problem lösen, das gerade unmittelbar durch die Umwelt (Situation) vorgegeben ist. Das Frameproblem verschwindet proportional zum Zuwachs dynamisch erzeugter kontextabhängiger Repräsentationen. Der Agent hat auf diese Weise immer weniger Probleme mit fehlenden oder unrelevanten Informationen, denn je mehr „Umweltbezug“ in die Generierung einer Repräsentation mit eingeht, desto domänenunabhängiger (oder weniger lückenhaft) ist diese.3

Allerdings kann Pengi nur Probleme lösen, die seine unmittelbare Umgebung betreffen. Innerhalb eines solchen Ansatzes (wie in allen Ansätzen, die mit sehr wenigen oder gar keinen Repräsentationen auszukommen versuchen) ist es schwer, höher kognitive Fähigkeiten wie kontrafaktisches Schliessen, abstraktes Denken, Memorierung oder das Erreichen eines (sowohl zeitlich als auch räumlich entfernten) Ziels zu erklären. Auf dieses Problem werde ich in Kapitel 4 ausführlicher eingehen.

2.3.3 Embodied Cognition

Dieser Ansatz ist verwandt mit dem der Situated action. Allerdings geht er über diesen hinaus, indem er behauptet, dass es notwendig ist, Agenten zu realisieren, die tatsächlich mit der realen Umgebung interagieren. Die Umgebung kann zur Lösung schwieriger Probleme herangezogen werden. Kognition benötigt die ständige Einbeziehung der Wahrnehmungen und Handlungen des Agenten. Durch Ausnutzen dieser sensomotorischen Koordination können interne Repräsentationen erheblich reduziert werden oder ganz entfallen. Vertreter von Embodied Embedded Cognition (EEC) behaupten darüber hinaus, dass für Kognition auch der Gebrauch externer Hilfsmittel (wie z.B. Notizen, Taschenrechner, Erinnern an schon Gewusstes durch Versetzen in eine ähnliche Situation usw.) notwendig ist (vgl. Brooks 1991). In der Robotik werden situative Agenten verwirklicht, die über „embodied cognition“ verfügen.

3 Eine Domäne ist ein Modell, das einen sehr kleinen Ausschnitt der Welt beschreibt. Je mehr „Welt“ eine Repräsentation enthält, desto unabhängiger ist sie von Domänen.

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Abbildung 2.3.3: Mobot „Herbert“

Abbildung 2.3.3 zeigt den Mobot (mobilen Roboter) „Herbert“, der Cola-Dosen aufsammelt. Kommt er wirklich ganz ohne Repräsentationen aus? Der Entwickler dieses Roboters, der Robotik-Forscher Rodney Brooks, lehnt jedenfalls jegliche Notwendigkeit von Repräsentation für die Kognition seiner „Kreaturen“ ab, weil sie zu stark von „Standardrepräsentationen“ abweichen:

„There need be no explicit representation on goals that some central (or distributed) process selects from to decide what is most appropriate for the Creature to do next. [..] [T]here need be no explicit representation of either the world or the intentions of the system to generate intelligent behaviours for a Creature. [..] Even at a local, level we do not have traditional AI representations.

We never use tokens which have any semantics that can be attached to them. [..]

An extremist might say that we really do have representations, but that they are just implicit. [..] However we are not happy with calling such things a representation. They differ from standard representations in too many ways.“ (Brooks 1997, S. 405f)

Mobots verfügen nicht über explizite Repräsentationen, da sie weder über Variablen noch über Regeln verfügen:

„There are no variables that need instantiation in reasoning processes. [..] There are no rules which need to be selected through pattern matching. There are no choices to be made. To a large extent the state of the world determines the action of the Creature.” (Brooks 1997, S. 406)

Die Komplexität des Verhaltens ist nicht notwendigerweise der Komplexität der Kreaturen inhärent, sondern möglicherweise der Umwelt.

„We hypothesize (following Agre and Chapman) that much of even human level activity is similarly a reflection of the world through very simple mechanisms without detailed representations.” (Brooks 1997, S.407)

Kognition könnte also eine Reflektion der Welt sein, ohne detaillierte Repräsentation.

Brooks erläutert allerdings nicht, was detaillierte Repräsentation bedeutet.

(16)

2.3.4 Perzeptuelle Symbolsysteme

In klassischen symbolischen Systemen werden Repräsentationen auf unterschiedlich abstrakten Ebenen angenommen. Einige Repräsentationen korrespondieren direkt mit perzeptueller Erfahrung. Amodale Repräsentationen hingegen beziehen sich auf abstrakte Konzepte wie ‚Wahrheit‟ oder ‚Gerechtigkeit‟, und haben nichts mit perzeptueller Erfahrung zu tun. Allerdings sind letztere problematisch, weil sie aufgrund dessen die potentielle Vielfalt einfacher Ereignisse nicht einfangen können. In perzeptuellen Symbolsystemen werden Objekte und Ereignisse hingegen mittels des perzeptuellen Systems (Wahrnehmungssystems) simuliert, wodurch auf abstrakte Repräsentationen verzichtet werden kann (vgl.

Barsalou 1999). Kategorisierung z.B. wird auf diese Weise durch Prozesse perzeptueller Merkmalsgenerierung ermöglicht. Es scheint also, dass Repräsentationen innerhalb des Ansatzes perzeptueller Symbolsysteme nicht abgeschafft werden, sondern anders gesehen werden – nämlich perzeptiv und weniger abstrakt.

2.3.5 Autopoietische Systeme

Die Neurobiologen Maturana & Varela (1987) behaupten, dass das Nervensystems nicht repräsentationalistisch ist. Es verfügt nicht über Ein- und Ausgänge, wie dies bei einem Computer der Fall ist, und denen einfach eine Bedeutung vom Entwickler zugeordnet werden kann. Vielmehr ist das Nervensystem über die Zeit hinweg dynamisch entstanden:

„Die Arbeitsweise des Nervensystems ist auch nicht repräsentationalistisch, da der strukturelle Zustand des Nervensystems bei jeder Interaktion spezifiziert, welche Perturbationen möglich sind und welche Veränderungen diese in seiner Dynamik von Zuständen auslösen.“ (Maturana & Varela 1987, S. 185).

Maturana & Varela bezeichnen Lebewesen als autopoietische Systeme, d.h. durch interne Relationen definierte Einheiten, die ihre Organisation und Struktur selbst aufrechterhalten. Durch die Interaktion mit der Umwelt wird die strukturelle Dynamik eines autopoietischen Systems gestört. Das autopoietische System versucht seinen Zustand aber aufrechtzuerhalten und kompensiert diese Perturbation (geringfügige Störung des Systems von aussen). Durch seine Struktur legt das System zu jedem Zeitpunkt fest, auf welche Perturbationen es reagiert und wie sich diese auf die Abfolge der Zustände des Systems auswirken. Ein autopoietisches System „lebt“, solange es sich selbst aufrechterhalten kann.

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3 GEGENSTAND DES ANTIREPRÄSENTATIONALISMUS

Damit die Argumente des Antirepräsentationalismus gegen den Repräsentationalismus (Kognitivismus) greifen können, muss bekannt sein, wogegen sie sich genau richten. Es muss also geklärt werden, was Antirepräsentationalisten unter

„(innerer/mentaler) Repräsentation“ verstehen. Um den Repräsentationsbegriff dabei besser fassen zu können und Unterschiede in dessen Verwendung bzw. Bedeutung herausarbeiten zu können, werden der klassische, konnektionistische und der dynamische Ansatz vorgestellt und auf diese Weise die wichtigsten historischen Veränderungen des Begriffes in der Kognitionswissenschaft erfasst.

Sowohl das theoretische Interesse an Repräsentation innerhalb der Philosophie als auch das praktische Interesse an Repräsentation innerhalb der Kognitionswissenschaft wird im Folgenden aufgezeigt. Allerdings wird das Hauptgewicht auf der Untersuchung des Repräsentationsbegriffs liegen, wie er in den Kognitionswissenschaften verwendet wird.

3.1 Definition von Repräsentation

Ein so abstrakter Begriff wie „Repräsentation“ ist sehr facettenreich und lässt sich schwer eindeutig definieren. Je nach Verwendungszweck und –bereich hat dieser Begriff unterschiedliche Bedeutungen. Verschiedene philosophische Schulen und Methoden sind ebenso dafür verantwortlich wie die sich durch die Technisierung („Computerzeitalter“) und der Spaltungen der Disziplinen (Wahrnehmungspsychologie, Kognitionspsychologie, Linguistik, Künstliche Intelligenz (KI), Philosophie des Geistes) im letzten Jahrhundert neu entwickelten Ansätze innerhalb von Psychologie und Kognitionswissenschaft (vgl. Scheerer 1992b).

Robert Cummins nennt vier Problembereiche mentaler Repräsentationen (vgl.

Cummins 1996, S. 1). Zunächst muss definiert werden, was es für ein Ding heisst, ein anderes zu repräsentieren. Anschliessend kann untersucht werden, welche Inhalte mental repräsentiert werden, welche Form mentale Repräsentationen aufweisen und wie diese im Gehirn implementiert sind. Während die Definition von Repräsentation eine philosophische Frage darstellt, ist die Frage nach Inhalt, Form und Implementierung mentaler Repräsentationen eine empirische Frage. Das philosophische Interesse liegt in der Klärung der Relation zwischen Repräsentationen und dem, wovon sie

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Repräsentationen sind (meist ist hier von „Repräsentation“ im Singular die Rede).

Kognitionswissenschaftler versuchen herauszufinden, welche Zustände oder Objekte der Geist oder kognitive Systeme repräsentieren (meist ist hier die Rede von

„Repräsentationen“ im Plural).

Im Folgenden werden sowohl kognitionswissenschaftliche Fragen angesprochen als auch auf die damit verbundenen philosophischen Probleme eingegangen. Es wird versucht zu klären, was „Repräsentation“ oder „Repräsentationen“ sind. Diese Begriffe werden von verschiedenen Seiten beleuchtet, um sich ihrer Verwendungsweise innerhalb des Antirepräsentationalismus anzunähern. Dazu werden einige gebräuchliche Kriterien des Begriffes hinterfragt. Es wird auch versucht, die Aspekte der Form, des Inhalts und der Implementierung von „Repräsentationen“ mit einzubeziehen.

3.1.1 Der klassische Begriff von ‚Repräsentation’

In der Philosophie und Psychologie werden unter Repräsentationen meist Vorstellungen (mentale Zustände mit kognitivem Gehalt), Darstellungen (strukturerhaltende Abbildungen) oder Stellvertretungen verstanden (vgl. Scheerer 1992a, S. 790).

Die weiteste Lesart von Repräsentation in der Kognitionswissenschaft ist die der

„Stellvertretung“ (vgl. Scheerer 1992b, S. 844). Allerdings muss diese Leseart präzisiert werden, indem spezifiziert wird, wie ein innerer Zustand als Repräsentation fungiert.

Nach Cummins (1989) sind innere Zustände dann Repräsentationen, wenn sie von äusseren Zuständen kausal abhängig sind oder mit ihnen kovariieren. In der Kognitionswissenschaft werden solche inneren Zustände oft mit Symbolen gleichgesetzt. Die klassische Vorstellung von Repräsentation eines Symbols geht von einer Dreiecksbeziehung aus (vgl. Eco 1972, S. 69f). Abbildung 3.1.1 zeigt einige Begriffe verschiedener Autoren hierzu (vgl. Frege 1892 und Eco 1972). Nach Eco sind aber mehr als diese drei Grössen in einem Repräsentationsverhältnis verwickelt, wonach das Dreieck einem komplexen Polyeder weichen müsste.

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Gedanke (Bedeutung, Repräsentationsinhalt, Referenz (Eco, Odgen), Sinn (Frege))

Gegenstand (Bezeichnetes, Referens (Eco), Referent(Odgen), Bedeutung (Frege))

Gehirn (Zeichen, Signifikans (Eco), Symbol (Odgen, Frege))

Abbildung 3.1.1: Dreiecksbeziehung der klassischen Vorstellung von Repräsentation

Der Begriff ‚Repräsentation‟ ist analytisch relational. Gewöhnlich wird Repräsentation als eine zweistellige Relation aufgefasst: Etwas steht für etwas anderes (z.B. A steht für B). Es wird eine Beziehung zwischen Etwas (einer Entität A) und dem wofür dieses Etwas steht (einer von A verschiedene Entität B) angenommen (vgl. Keller 1995).

Für den späten Wittgenstein ergibt sich die Bedeutung (d.h. der Inhalt der Repräsentation) aus ihrem Gebrauch (besser: ist ihr Gebrauch (vgl. Wittgenstein 12 1999,

§117, §560)). Es wird dabei nichts repräsentiert. Man könnte demnach im Gegensatz zum frühen Wittgenstein den späten Wittgenstein auch als Antirepräsentationalisten bezeichnen.

Im Folgenden werde ich allerdings von einem klassischen Repräsentationsbegriff abweichen und für einen etwas anderen Repräsentationsbegriff argumentieren, der aufgrund seiner Definition als „eher antirepräsentationalistisch“ bezeichnet werden könnte und damit neueren, vor allem neurodynamischen Ansätzen in der Kognitionswissenschaft entgegen kommt.

3.1.2 ‚Bedeutung B’ und ‚Bedeutung MB’

Durch das Sein eines intentionalen Wesens in der Welt und dessen Interaktion mit der Welt ergeben sich kausal Zustände im Gehirn, die sich situationsabhängig später wieder durch interne und externe kausale Triggerung einstellen können. Man könnte diese reproduzierten Zustände „Repräsentationen“ nennen, ohne dass es dazu ein

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intentionales Wesen geben muss, das diesen Zuständen aktiv Bedeutung zuordnen müsste (implizite Repräsentation).

Um die Plausibilität der Verwendung dieses Repräsentationsbegriffes für die an dieser Stelle noch als „antirepräsentationalistisch“ bezeichneten Ansätze zu begründen, muss ich etwas ausholen.

Für meine Argumentation setze ich voraus, dass (i) es keine ontologische Identität gibt, (ii) alles Seiende miteinander interagiert und (iii) „Bedeutung“ bereits mit jeglichem strukturiertem Seienden durch dessen gegenseitige Interaktivität

„vorhanden“ ist.4 Sie braucht nur noch (von einem intentionalen Wesen) abgelesen bzw.

umgesetzt zu werden. Es können m. E. dann folgende zwei Arten von

„Bedeutung“ unterschieden werden:

1. ‚Bedeutung B’ (strukturinhärente Bedeutung): Ein System hat immer seinen Zweck (und wenn es nur der ist, sich selbst als Systemstruktur aufrecht zu erhalten), welcher für ein anderes System durchaus bedeutsam sein kann. Jedes System besteht aus Entitäten und Beziehungen zwischen diesen. Es ergibt sich so eine Systemstruktur.

Alles kann als System mit einer Struktur betrachtet werden. Und auch wenn wir nichts als System betrachten, weil wir uns z. B. nicht einigen können, wo wir die Systemgrenzen ziehen, so bleibt dennoch in jedem Fall eine Struktur, eine Anordnung von Seiendem.

Jede Struktur hat eine potentielle Bedeutung, ob man ihr diese nun zuordnet oder nicht und ob man diese erkennt oder nicht. Denn durch die Interaktion der Struktur mit anderem Seienden hat diese zwingend eine ganz bestimmte Bedeutung für dieses andere Seiende: Trifft eine Struktur S1 auf eine andere Struktur S2 (oder kommt in deren Nähe), so gibt es folgende Möglichkeiten: Könnte S1 in S2 kausal eine Veränderung verursachen, dann ist S1 für S2 potentiell bedeutend (PB). PB wird für S2 aktual bedeutend (AB), wenn PB von S2 (bewusst-aktiv) erkannt oder (unbewusst-passiv)

„erlitten“ wird, d.h. S2 kausal eine Veränderung erfährt. Legt man zwei Bücher aufeinander, so wird keine der PB der Strukturen der Bücher aktual. Bringt man allerdings ein brennendes Zündholz in die Nähe eines Buches, dann wird aus der PB des Zündholzes eine AB für das Buch, da dessen Struktur durch die Struktur des brennenden Zündholzes kausal verändert wird (verbrennt). AB kommt also nur zustande, wenn ein Prozess (Erkenntnisprozess oder „Erleidens“-prozess) zustande kommt, an dem beide Strukturen beteiligt sind.

4 Da es nichts Unstrukturiertes gibt, ist somit alles Seiende davon betroffen. Alles Seiende hat damit inhärent „Bedeutung“.

(21)

Ein Erkenntnisprozess erfolgt nur in einem bewussten intentionalen Wesen. Eine Strukturveränderung („Erleidensprozess“) kann aber auch erfolgen, ohne sich darüber bewusst zu werden. Z.B. verändert sich unser Körper innerlich ständig, ohne dass wir uns darüber ständig im Klaren sind. Dennoch ist es für uns sicherlich bedeutend, wenn plötzlich unser Herz aufhört zu schlagen. Es ist also ein intentionales Wesen nötig, das die aktuale Bedeutung aus der potentiellen Bedeutung einer Struktur erkennt. Das intentionale Wesen erkennt allerdings nicht nur diese aktuale Bedeutung einer Struktur, sondern vielmehr eine Gesamtbedeutung. Denn das intentionale Wesen selbst stellt auch eine Struktur mit einer strukturinhärenten potentiellen Bedeutung dar. Die erkannte Gesamtbedeutung ergibt sich somit aus der strukturinhärenten aktualen Bedeutung der zu erkennenden Struktur und der strukturinhärenten aktualen Bedeutung der Struktur des intentionalen Wesens. Diese Gesamtbedeutung entspricht der intentional zugeordneten Bedeutung MB (s. Pkt. 2). Sie darf nicht mit der strukturinhärenten Bedeutung B verwechselt werden! Bedeutung B ist ungerichtet und relationslos und der Struktur inhärent. Sie könnte als eine Funktion einer Struktur aufgefasst werden.

Da diese Art der Bedeutung in der klassischen Bedeutungstheorie nicht vorkommt, nenne ich sie in dieser Arbeit Bedeutung im Sinne von ‚Bedeutung B‟ oder kurz: Bedeutung B. Bedeutung B ist zwar der Bedeutung im Sinne Wittgensteins sehr ähnlich: Die Bedeutung B einer Struktur ergibt sich aus dem Gebrauch dieser Struktur.

Allerdings bezieht sich Wittgensteins Bedeutungstheorie nur auf die Sprache (vgl.

Wittgenstein 12 1999). Bedeutung B hingegen ergibt sich aus dem Gebrauch irgendeiner Struktur.

2. ‚Bedeutung MB’ (intentional zugeordnete Bedeutung): Die Bedeutung, die von einem intentionalen Wesen M einer Struktur mit der Bedeutung B zugeordnet wird.

Diese Art der Bedeutung ist relational und gerichtet (M  B).

Eine grosse Debatte in der KI-Forschung bezog sich darauf, dass aus Struktur bzw. aus Syntax (also einer linguistisch betrachteten Struktur) alleine niemals Semantik entstehen kann. Ich denke, dass diese These im Sinne der ‚Bedeutung M  B‟ richtig ist. Allerdings ist ein Entstehen einer Bedeutung aus einer Struktur gar nicht notwendig.

Aufgrund der kausalen Interaktion mit der Umwelt spielt immer die Situation eine entscheidende Rolle. Semantik im Geiste entstand mit der Evolution des Geistes selbst.

Mit der Interaktion von Seiendem ist Bedeutung B bereits überall „vorhanden“.

Bedeutung entsteht nicht nur erst durch Konvention oder Referenz, sondern ist den Dingen bereits potentiell „inhärent“ durch ihre Bestimmung in der Evolution. Syntax bedeutet für ein intentionales Wesen etwas, weil es die potentielle Bedeutung der

(22)

syntaktischen Struktur erkennt. Der Einwand, dass gleiche Struktur (Syntax) semantisch ambig sein kann, ist zu voreilig. Wenn eine Struktur (Syntax) ambig erscheint, dann nur deshalb, weil Teile dieser Struktur oder die Einbettung dieser Struktur in dessen Umfeld noch unerkannt oder unberücksichtigt sind. Wenn ich von einer Sitzbank gleichweit entfernt bin wie von einem Bankinstitut, dann erscheint der Satz „Ich gehe zur Bank.“ ambig zu sein. Aber aufgrund des Kontexts, in dem dieser Satz geäussert wird, kann diese potentielle Ambiguität aufgelöst werden. Trage ich eine Kleidung, die dem Besuch eines Bankinstitutes gerecht wird, bin ich in Eile, ist die Sitzbank schmutzig oder frisch gestrichen usw., wird man schnell wissen, was mit Bank gemeint ist. Gerade bei einem so komplexen System wie der Sprache kann dessen Struktur nicht in all ihren Facetten immer sofort durchschaut werden und bleibt daher oft semantisch ambig. Aber es spielen nicht nur alle strukturellen Aspekte der Sprache (wie die Einbettung in den Kontext, die Reihenfolge der Sätze etc.) eine Rolle, sondern auch alle nichtsprachlichen Aspekte (wie Stimmung, Umgebung usw.). Und durch die ununterbrochene Interaktion von Seiendem konstituieren sich die Bedeutungen (im Sinne der ‚Bedeutung B‟) als Inhalt mentaler Repräsentationen „in den Köpfen“ der Menschen (vgl. Gärdenfors 2000:

Begriffsräume der kognitiven Semantik, vgl. auch Dynamische Systeme und Embodied Embedded Cognition).

Kurz: Aus jeglicher Struktur (bzw. Syntax) entsteht durch deren Gebrauch Semantik. Jede Struktur (bzw. Syntax) bedeutet potentiell bereits ihre Verwendungsweise. Daher bedeutet ein rein physikalisch arbeitendes System etwas, wie am menschlichen Gehirn eindrucksvoll zu sehen ist. Dies liegt an der Interaktivität des Seienden und an der Tatsache, dass alles strukturierte Seiende inhärent potentielle Bedeutung B trägt, die zur aktualen Bedeutung wird, wenn ein Agent dazukommt, der diese Struktur benutzt. Je komplexer die Struktur eines Systems ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir diesem System (z.B. Mensch) Intentionalität und Bewusstheit zuschreiben, da dieses aus sich selbst heraus mit Anderem (inter-) agiert und jenem Bedeutung im Sinne von ‚Bedeutung M  B‟ zuschreibt und so zu einem intentionalen System wird (M).

3.1.3 Definition von ‚Repräsentation B’

Die Unterscheidung dieser Arten von Bedeutung hat Auswirkungen auf die Definition des Repräsentationsbegriffs: Liegt Bedeutung B vor, dann tritt zunächst der Fall einer Präsentation ein. Ein physikalisch struktureller Zustand wird uns präsentiert

(23)

und damit auch seine potentielle Bedeutung. Diese Bt1 könnte aber aufgrund bestimmter Umstände ein weiteres Mal eintreten, dann wird die bereits früher präsentierte Bedeutung dieses Zustandes wieder präsentiert Bt2, also „repräsentiert Bt1-Bt2“. Es wird also nicht eine Bedeutung, sondern ein Wiederauftreten einer potentiellen Bedeutung angezeigt. Dies ist aber ein ganz anderer Sinn von Repräsentation als der übliche, bei dem der physikalische Zustand für eine zugeordnete Bedeutung steht („repräsentiert M

 B“). Es liegt also nicht mehr eine klassisch-semantische Repräsentation vor, welche ich als „vertikal“ bezeichne, sondern nur noch eine „zeitliche Repräsentation“ (Regeneration), welche ich „horizontal“ nenne. Abbildung 3.1.3 zeigt diese Unterschiede grafisch auf.

Der Begriff ‚Präsentation‟ ist dem Begriff ‚Repräsentation‟ sehr ähnlich. Das Prädikat ‚präsentieren‟ ist ebenfalls mindestens zweistellig. Man kann nicht sagen, „X repräsentiert“ oder „X präsentiert“, sondern nur „X repräsentiert Y“ oder „X präsentiert Y“. Allerdings sind die Arten der Relationen unterschiedlich. Bei der

„Präsentation“ liegt nur eine Bedeutungsrelation vor. Etwas wird präsentiert. Im Falle

„Repräsentation“ liegt neben der Bedeutungsrelation auch eine Zeitrelation vor. Etwas wird wieder präsentiert.

VERTIKALE RELATION HORIZONTALE RELATION

(semantisch) (zeitlich)

Gedanke

Gehirn Gehirn

Abbildung 3.1.3: Vertikale und horizontale Relation

„Repräsentation M  B“

(semantische Relation)

Bt1

Bt2

REPRÄSENTATION B

„Repräsentation Bt1-Bt2 (zeitliche Relation)

Bedeutung Bt1

(24)

Damit dieses „Etwas“ aber als Bedeutung zum Vorschein kommt, muss es interpretiert und explizit gemacht werden. Dazu ist wiederum Etwas nötig, dass diese Interpretation vornimmt (d.h. auf einer höheren Ebene – meist ein intentionales Wesen). Dann liegt explizit eine Repräsentationsrelation vor. Liegt aber auch dann eine Präsentation oder Repräsentation vor, wenn niemand deren Bedeutung interpretiert?

Sowohl der Inhalt einer Präsentation als auch der Inhalt einer Repräsentation sind Bedeutungen. Es ist aber für die Art der Repräsentation entscheidend, von welcher Art diese Bedeutung ist:

1. Bedeutung im Sinne von ‚Bedeutung M  B‟:

Die Bedeutung wurde (von einem intentionalen Wesen) zugeschrieben. Es liegt eine explizite Repräsentation vor.

2. Bedeutung im Sinne von „Bedeutung B‟:

Die Bedeutung wird nicht abgelesen oder gebraucht, liegt aber mit der Struktur bereits fest. Bedeutung fällt mit der Struktur zusammen in dem Sinne, dass sie sich aus der Verwendung dieser Struktur ergibt, d.h. B wird bedeutsam bzw. ergibt sich erst in Verbindung mit einem Prozess, der mit dieser Struktur etwas anfangen kann.

Die Bedeutung wird auch von niemandem zugeschrieben. Es liegt also keine explizite Repräsentation vor, sondern eine implizite Repräsentation.

Gewöhnlich wird man im ersten Fall von echter Präsentation oder Repräsentation sprechen. Im 2. Fall hingegen kann man m. E. auf dreifache Weise verfahren:

(i) Man betrachtet Repräsentationen als nicht-relationale Repräsentationen, was aber der analytischen Relationalität des Repräsentationsbegriffes widerspricht.

(ii) Man betrachtet Repräsentationen nicht als Repräsentationen. In diesem Fall wäre man methodischer Antirepräsentationalist. Allerdings ist man dann den Problemen des Antirepräsentationalismus ausgesetzt (s. Kapitel 4), was mit der dritten Möglichkeit vermieden wird.

(iii) Man betrachtet Repräsentation als eine von der klassischen Repräsentation verschiedenen Art. Im Folgenden wird versucht, diese dritte Art des Repräsentationsbegriffs zu definieren.

Wenn man Bedeutung als Inhalt einer Repräsentation versteht und den Repräsentationsbegriff analytisch als relational ansieht, dann darf man bei strukturinhärenten, ungerichteten und („semantisch“) nichtrelationalen Bedeutungen im Sinne der ‚Bedeutung B‟ also nicht von Repräsentation im klassischen Sinne (wie in Abbildung 3.1.1 dargestellt) sprechen. Bei den gerichteten, intentionalen Bedeutungen

(25)

im Sinne ‚Bedeutung M  B‟, welche die Voraussetzung der („semantischen“) Relationalität einer Repräsentation erfüllen, kann hingegen sehr wohl von Repräsentation gesprochen werden.

Eine klassische Repräsentation R besteht aus dem Repräsentierten, dem Repräsentierenden und einer Repräsentationsrelation RR: Das Repräsentierte ist der Gegenstand G der Repräsentation R (z.B. ein Stein). Das Repräsentierende besteht aus zwei Teilen: dem mentalen Inhalt I der Repräsentation R (z.B. einer Vorstellung von diesem Stein) und der physikalischen Implementierung M des Inhalts I der Repräsentation R (z.B. durch die neuronale Implementierung dieser Vorstellung des Steins im Gehirn). Die klassische Repräsentationsrelation RR wird als eine Beziehung zwischen I und G verstanden. Es sind aber noch weitere Beziehungen zu berücksichtigen. Die Beziehung zwischen I und M und die Beziehung zwischen M und G. Alle diese Beziehungen sind problematisch.

Allerdings denke ich, dass sich die Probleme mit Hilfe des Ansatzes dynamischer Systeme lösen lassen, ohne dabei auf diese Beziehungen und somit auf den Repräsentationsbegriff verzichten zu müssen. Innerhalb dynamischer Systeme könnte man dann von einer neuen Art von Repräsentation sprechen. Um dies zu demonstrieren, soll ein Beispiel helfen, das die Beziehung zwischen G und I klarer macht.

Als Gegenstand G nehme ich einen Stein. I soll die Vorstellung von dem Stein sein. Ich kann von dem Stein keine Vorstellung haben, ohne ihn zumindest einmal wahrgenommen zu haben, denn Begriffe ohne Anschauung sind leer (vgl. Kant 1787).

Ich muss die „Bekanntschaft“ mit diesem Stein machen, ihn kennen lernen, d.h. eine Repräsentation von ihm erzeugen, ihn erkennen (vgl. Russell 1918/19). Dies geschieht, indem durch den Stein eine Wahrnehmung des Steines als Muster im Gehirn kausal hervorgerufen wird. Aufgrund des dynamischen Charakters des Gehirns wird dieses Muster mit bereits vorhandenen Mustern zu etwas verrechnet (kombiniert), das man als die Vorstellung von dem Stein bezeichnen könnte. Immer wenn ich etwas Ähnliches erblicke wie diesen Stein, dann wird wieder eine Vorstellung von einem Stein dynamisch aufgebaut. Natürlich sind die Vorstellungen aufgrund der Dynamik des Systems nicht identisch. Dadurch ist es auch möglich, sich zu täuschen, d.h. auch Missrepräsentationen sind möglich: In der Dämmerung kann man schon mal eine Kuh für ein Pferd halten oder umgekehrt.

Ich habe nun eine Repräsentation von dem Stein als Vorstellung von dem Stein im Gehirn in Form eines stabilen physikalischen Systemzustandes. Die Verknüpfung zwischen G und I wurde aufgebaut. I repräsentiert G. Immer wenn G wahrgenommen

(26)

wird, stellt sich I ein. Aufgrund des physikalisch kausal operierenden dynamischen Systems (Gehirn), ist es auch möglich, dass sich I aufgrund eines anderen I‟ einstellt.

D.h. eine Vorstellung kann durch eine andere hervorgerufen werden. Anders ausgedrückt: ein stabiler Systemzustand kann aufgrund physikalischer Vorgänge im System einen anderen stabilen Systemzustand kausal verursachen. Die Vorstellung von dem Stein könnte z.B. die Vorstellung von einem Haus hervorrufen, wenn man z.B.

vorher gelernt hat, dass Häuser aus Steinen gebaut werden können. Die Beziehung zwischen I und G ist (im Falle dass G ein Gegenstand der Welt ist) zusammengesetzt aus der Beziehung zwischen I und M und der Beziehung zwischen M und G. Es gibt also keine direkte Verbindung zwischen G und I, sondern nur eine indirekte über G und M sowie M und I.

Alle diese Relationen sind auf physikalischer Ebene angesiedelt: Die Relation zwischen I und G kommt auf rein physikalischem Wege zustande. RR ist nicht kausal, sondern korrelativ, d.h. es gilt meist folgendes: immer wenn G vorliegt, liegt auch I vor.

Diese Relation ist deshalb nicht kausal, weil es ab und zu sein kann, dass das System aufgrund von Ausnahmefällen (d.h. durch interne und/oder externe Einflüsse) eine andere innere Dynamik (= zeitlich bedingtes Verhalten) aufweist. Je öfter G vorliegt, desto wahrscheinlicher ist es, dass M vorliegt. Je öfter M mit I verbunden wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine Repräsentationsrelation RR zwischen I und G besteht und somit eine Repräsentation R vorliegt. Dynamische Systeme verfügen über stabile Zustände, die sich kausal aus ihrer Systemdynamik ergeben (z.B. sogenannte Attraktoren)5. Diesen können Bedeutungen zugeordnet werden und somit als explizite Repräsentationen betrachtet werden. Aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte innerhalb des Gesamtgefüges Mensch-Umwelt können diese Zustände aber auch aus sich (d.h.

implizite) Bedeutung haben und daher als implizite Repräsentationen angesehen werden.

Die als antirepräsentationalistisch bezeichneten dynamischen Systeme können somit sowohl über implizite als auch über explizite Repräsentationen verfügen.

Die Beziehung zwischen I und G ergibt sich also aus der Interaktion des Systems mit eigenen Teilsystemen und mit der Umwelt über die Beziehungen zwischen I und M sowie M und G. Innerhalb des Systems gibt es aber auch Beziehungen zwischen den verschiedenen I‟s untereinander.

5 Für die weitere Diskussion reicht es vorerst aus, einen Attraktor als stabilen Systemzustand bzw. als stabiles Systemverhalten eines dynamischen Systems zu betrachten. Für genauere Hinweise zu Attraktoren und weiteren Fachbegriffen aus der dynamischen Systemtheorie siehe S. 44f in Abschnitt 3.2.3.

(27)

Innerhalb dynamischer Systeme sind I und M identisch (d.h. die vertikale Relation (MB) wird eliminiert), sodass die Beziehung zwischen I und G nur noch aus der Verbindung zwischen M und G besteht (sofern G ein Ding in der Welt ist).

Ist G hingegen etwas Abstraktes (Mentales), dann fällt G mit irgendeinem I zusammen. Und wegen I=M gilt: G als Abstraktes (Mentales) fällt mit M zusammen.

Die Beziehung zwischen M und G (egal, ob G abstrakt oder konkret ist) ist wie oben bereits erwähnt nicht kausal, sondern korrelativ.

Zusammenfassend: Es ist angebracht, nicht nur die Unterschiede zwischen Repräsentation und Präsentation aufzuzeigen, sondern auch eine neue Art von Repräsentation einzuführen: Repräsentation im Sinne einer „zeitlichen Repräsentation“ (Repräsentation B) als Wiederholung eines Zustandes innerhalb eines dynamischen Systems. Die Repräsentation B verfügt über keine vertikale Relation, d.h.

über keine semantische Relation im Sinne der expliziten Bedeutung ‚Bedeutung MB‟.

Sie ist eine implizite Repräsentation. Die Begriffe ‚Präsentation‟ und ‚Repräsentation‟

müssen analytisch als relational verstanden werden. Deren Bedeutungs- und Zeitrelationalität ist zu unterscheiden. Tabelle 3.1.3 fasst die Ergebnisse noch einmal kurz zusammen.

klassische Repräsentation

Repräsentation B Präsentation

Repräsentationsinhalt / Bedeutung

Referenz (Denotat)

Wiederholung bzw. wiederholte Verwendung eines stabilen Zustandes/Verhaltens innerhalb eines dynamischen Systems

Gebrauch

Repräsentationsart explizit Implizit -

Semantisch relational im Sinne der impliziten

‚Bedeutung B’

Nein Ja Nein

Semantisch relational im Sinne der expliziten

‚Bedeutung MB’

(vertikal)

Ja Nein Ja

Zeitlich relational (horizontal)

Ja Ja Nein

Vertreter Frege Pasemann, Jäger, Freeman,

Maturana, Beer

Wittgenstein

Tabelle 3.1.3: Gegenüberstellung der Eigenschaften von klassischer Repräsentation, Präsentation und Repräsentation B

Vor diesem Hintergrund lege ich nun folgende Definition des Begriffes

‚Repräsentation B‟ fest, um einen begrifflichen Bezugspunkt für die weitere Untersuchung zu haben, in der die Repräsentationalität der in dieser Arbeit aufgezeigten Ansätze festgestellt werden soll.

(28)

Eine ‚Repräsentation B‟ liegt dann vor, wenn gilt:

(i) Das Repräsentierte ist der Gegenstand G (z.B. ein Stein – kann auch etwas Abstraktes sein (wie z.B. die Zahl „5“ oder „Pegasus“), d.h. G kann sich innerhalb oder ausserhalb eines (kognitiven) Systems befinden).

(ii) Das Repräsentierende I besteht aus dem mentalen Inhalt I der Repräsentation B (z.B. einer Vorstellung von dem Stein) als Eigenschaft eines dynamischen Systems aufgrund seiner Systemdynamik (z.B. die Vorstellung des Steins entspricht einem stabilen Systemzustand bzw. – verhalten eines neuronalen Netzes).

(iii) Die Repräsentationsrelation RR einer Repräsentation B ist eine Beziehung zwischen dem Repräsentierenden I und dem Repräsentierten G.

Zur Relation zwischen I und G ist noch folgendes zu sagen: I ist das, was man sich vorstellt, was man anderen zuschreibt, was man denkt. Alles dies passiert auf einer konzeptuellen Ebene. Da aber alles auf physischer Ebene implementiert ist, fällt die konzeptuelle Ebene mit der physischen zusammen. I kann in folgendem Sinne als emergente Eigenschaft aus I bezeichnet werden: I ist ein stabiler Systemzustand innerhalb eines dynamischen Systems, der sich aufgrund der Systemdynamik ergibt. I korreliert daher mit G (ob G nun etwas Konkretes ausserhalb des Systems oder etwas Abstraktes (als I) innerhalb des Systems ist). Dies sind explizite Repräsentationen, d.h.

stabile Zustände, welche erkannt wurden und denen Ausdrücke bzw. Laute zugeordnet wurden. Die Bedeutung der Laute ergab sich aus dem Gebrauch der Laute in der entsprechenden Situation, d.h. durch eine implizite Konvention durch den bedeutsamen Gebrauch der Laute in der Gesellschaft. I ist ein stabiler Systemzustand, der sich aufgrund anderer, niedrigerer Systemzustände ergibt. Dazu können auch neuronale Implementationen solcher stabilen Systemzustände gehören oder gespeicherte wahrgenommene physikalische Muster (subsymbolische Repräsentationen vgl.

Abschnitt 3.2.2, bes. S. 37ff). Es gibt durch die Dynamik des Systems eine ständige Korrelation zwischen solchen I-Zuständen und G-Zuständen im oder ausserhalb des Systems, wobei G-Zustände innerhalb des Systems auch I-Zustände sein können.

3.1.4 Weitere begriffliche Festlegungen

Implizite Repräsentationen werden im Gegensatz zu expliziten Repräsentationen nicht benannt bzw. wurden noch nicht als Repräsentationen erkannt. Sie repräsentieren

(29)

Dinge, denen wir uns meist gar nicht bewusst sind, wie z.B. interne Systemzustände, internes Systemverhalten, Einflüsse der Umwelt auf uns usw. Oft werden syntaktisch strukturierte Repräsentationen (Symbole) mit expliziten Repräsentationen bzw.

konnektionistisch verteilte Repräsentationen (Subsymbole) mit impliziten Repräsentationen gleichgesetzt, weil explizite Repräsentationen im Vergleich zu impliziten leicht erkannt und benannt werden können. Explizite Repräsentation ist an ein Subjekt gebunden, implizite Repräsentation nicht. In diesem Sinne kann also von nicht erkennbaren und erkennbaren (impliziten) Repräsentationen und erkannten bzw.

bereits benannten (expliziten) Repräsentationen gesprochen werden. Implizite Repräsentationen können vorhanden sein, auch wenn man sie niemals entdecken würde oder niemals entdecken könnte.

Symbole sind explizite Repräsentationen. Der Unterschied zwischen Symbolen und Variablen liegt darin, dass die Bedeutung von Variablen häufig umdefiniert wird.

Innerhalb symbolischer Systeme wird allerdings meist nur von Symbolen gesprochen, obwohl damit sowohl Symbole als auch Variablen gemeint werden. Variablen werden durch Interpretation (d.h. durch Zuordnung einer Bedeutung) qualitativ.

Interne Repräsentation findet „im Kopf“ eines kognitiven Agenten statt. Diese wird als „mentale Repräsentation“ bezeichnet. Externe Repräsentation findet ausserhalb des Kopfes statt. Ein Foto ist eine typische externe Repräsentation, eine Vorstellung eine typisch interne/mentale Repräsentation.

Der allgemeine Repräsentationalismus erfordert keine besonderen Entitäten wie Variablen, Symbole oder dergleichen. Vielmehr ist, um als Repräsentation gelten zu können, nur ein stabiler Zustand nötig, der einen Systemzustand oder ein Systemverhalten repräsentiert („einfriert“), der in einer späteren Operation noch einmal benötigt wird (entspricht der Repräsentation B).

Daher ist jegliches System, das über einen stabilen Zustand verfügt (der den Systemzustand oder das Systemverhalten repräsentiert, in dem sich das System beim Einstellen dieses stabilen Zustandes befand), der später von diesem System noch einmal gebraucht wird, ein repräsentationales System. Innerhalb eines Systems liegt dann eine Repräsentation B vor, wenn ein stabiler Zustand bzw. ein stabiles Systemverhalten innerhalb eines dynamischen Systems von diesem wiederholt verwendet wird.

Repräsentationen B haben aufgrund der Dynamik dynamischer Systeme und der permanenten Interaktivität solcher Systeme mit der Umwelt sowohl interne als auch externe Bedeutung, d.h. Bedeutung, die aus dem inneren des Systems herrührt, als auch Bedeutung, die aus der Umwelt stammt.

(30)

Man kann innerhalb eines dynamischen Systems erst dann nicht mehr von internen Repräsentationen sprechen, wenn es keine Attraktoren bzw. kein stabiles Systemverhalten mehr gibt. Und es ist der Normalfall innerhalb eines dynamischen Systems, dass es über solche quasi-stabile Zustände verfügt und sich nicht ständig chaotisch verändert.

In der Kognitionswissenschaft werden noch weitere Arten von Repräsentationen unterschieden, auf die ich teilweise Bezug nehmen werde (vgl. Scheerer 1992b, S. 843):

 strukturiert vs. holistisch: Teile können semantisch interpretiert werden (kompositionelle Semantik) vs. Teile können nicht semantisch interpretiert werden.

 lokal vs. verteilt: Jede Repräsentation hat ihren eigenen „Ort“ vs. ein „Ort“ ist Teil verschiedener Repräsentationen.

 analog (numerisch) vs. digital (symbolisch): Zwischen zwei Zuständen ist immer noch ein dritter Zustand, der semantisch interpretiert werden könnte vs. diskret- semantisch-interpretierbare Zustände.

 propositional vs. nicht-propositional (z.B. räumlich): Dem Inhalt propositionaler Repräsentationen kann ein Wahrheitswert zugesprochen werden, dem Inhalt räumlicher Repräsentationen nicht.

 intrinsisch vs. extrinsisch: Die durch die Repräsentation abgebildeten Relationen sind als Relationen in der Repräsentation selbst enthalten vs. Relationen werden explizit benannt.

 primär (physisch) vs. sekundär (funktional) isomorph: Relationen oder Eigenschaften des Inhalts der Repräsentation sind in ihr selbst enthalten vs.

Ähnlichkeiten zwischen den Objekten der Domäne sind durch Relationen zwischen den Elementen eines Repräsentationssystems abgebildet.

3.2 Der Repräsentationsbegriff in der Kognitionswissenschaft

Den bisher erfolgreichsten theoretischen und experimentellen Ansatz zur Erforschung des Geistes stellt nach Paul Thagard die computational-repräsentationale Vorstellung des Geistes (CRUM – computational representational understanding of mind) dar (vgl. Thagard 1999, S. 22f). CRUM basiert auf der Kognitivismusthese („Keine Kognition ohne Repräsentation“) und der Computationalitätshypothese („Keine Kognition ohne Computation“) und erklärt, wie Menschen ein bestimmtes intelligentes

(31)

Verhalten aufweisen können, also wie Kognition möglich ist, wenn man Kognition für intelligentes Verhalten voraussetzt.

CRUMBS (computational representational understanding of mind – biological- sociological) ist eine Erweiterung von CRUM durch neuere biologische und soziologische Ansätze, um die signifikante Rolle der physischen Umwelt und die Bedeutung von Emotion und Bewusstsein für das menschliche Denken zu berücksichtigen (vgl. Damasio 1994).

Antirepräsentationalisten verneinen zumindest das „R“ in CRUMBS (z.B.

Stufflebeam 1998a), wenn nicht sogar zusätzlich das „C“ (z.B. van Gelder 1995), wie wir in diesem Kapitel noch sehen werden. Die Abbildung 3.2.1 soll einen Eindruck davon vermitteln, auf welche Weise die verschiedenen Ansätze in der kognitionswissenschaftlichen Literatur m. E. als „antirepräsentationalistisch“

eingeordnet werden (vgl. auch Metzinger 1998).

Abbildung 3.2.1: Die drei wichtigsten Paradigmen in der Kognitionswissenschaft (SS: symbolische Systeme, KS: konnektionistische Systeme, DS:

dynamische Systeme; je dunkler, desto antirepräsentationalistischer) In diesem Abschnitt werden die drei wichtigsten Paradigmen innerhalb der Kognitionswissenschaft zur Erklärung der Kognition näher vorgestellt: symbolische Systeme (SS), konnektionistische Systeme (KS) und dynamische Systeme (DS). Dabei

nein ja

Lokale Repräsentation SS

DS Symbolische Repräsentation

Subsymbolische Repräsentation

KS

Umweltbezug

Verteilte Repräsentation Ursprung der

zwei Schienen SS und KS

Referenzen

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