• Keine Ergebnisse gefunden

Weisskittelhypertonie: Mehr als ein harmloser psychologischer Effekt

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Weisskittelhypertonie: Mehr als ein harmloser psychologischer Effekt"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Der Begriff «Weisskittelhypertonie» wurde vor vielen Jahren geprägt, um eine Subgruppe unbehandelter Patienten zu be- schreiben, deren Blutdruck bei Messungen in der Arztpraxis dauerhaft erhöht ist, bei Messungen zu Hause dagegen nor- male Werte aufweist. Verglichen mit Personen, deren Blut- druck sowohl bei Messungen in der Klinik als auch während eines 24-h-Monitorings zu hoch ist, sind diejenigen mit Weisskittelhypertonie häufiger weiblich sowie jünger und schlanker, und die Hypertoniediagnose liegt bei ihnen kürzer zurück.

Je nach demografischen und klinischen Charakteristika der Patienten wie auch nach den angewandten Messmethoden (Heim- oder Praxismessung) und den einen normalen ausser- halb der Praxis gemessenen Blutdruck definierenden Grenz- werten wird die auch als isolierte klinische Hypertonie

bezeichnete Weisskittelhypertonie im ärztlichen Alltag sehr häufig diagnostiziert: Die meisten klinischen Studien berich- ten, dass sie bei etwa 25 bis 30 Prozent aller Individuen, wel- che ambulante Hypertoniezentren aufsuchen, anzutreffen ist.

Stoffwechsel aus dem Ruder

Die Ergebnisse langjähriger Forschung haben gezeigt, dass die Weisskittelhypertonie kein harmloses klinisches Phäno- men, sondern vielmehr einen durch ein erhöhtes kardiovas- kuläres Risiko gekennzeichneten Zustand darstellt. Zuneh- mende Evidenz unterstützt die Annahme, dass im Vergleich zu Normotensiven für Personen mit Weisskittelhypertonie ein etwa 2,5- bis 3-fach höheres Risiko besteht, im Laufe der Zeit eine tatsächliche, anhaltende Hypertonie zu entwickeln.

Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass Weiss - kittelhypertonie mit einer Reihe von Faktoren assoziiert ist, welche das kardiovaskuläre Risikoprofil eines Individuums bestimmen. So weisen Weisskittelhypertoniker im Vergleich mit normotensiven Personen höhere Serumcholesterin-, Tri- glyzerid-, Harnsäure- und Glukosewerte sowie einen grösse- ren Taillenumfang und Body-Mass-Index und eine höhere Prävalenz eines metabolischen Syndroms auf. Diese meta - bolischen Veränderungen können in Kombination mit den Blutdruckanomalien zur Entstehung von Zielorganschäden auf kardialer (erhöhter linksventrikulärer Massenindex, verringertes E/A-Verhältnis [frühe/späte Mitralflussgschwin- digkeit], grösserer linksatrialer Durchmesser), vaskulärer (subklinische Karotisschäden, Arteriensteifigkeit) und rena- ler Ebene (frühe Nierenschädigung) wie auch zu Netz haut - veränderungen beitragen. Auch die Gefahr einer fortschrei- tenden Beeinträchtigung des Glukosemetabolismus (neu auftretende Glukoseintoleranz und Diabetes mellitus) scheint bei von Weisskittelhypertonie betroffenen Personen gegenüber solchen mit normalen Blutdruckwerten signifi- kant erhöht und auf einem ähnlichen Niveau zu liegen, wie es bei tatsächlich hypertensiven Patienten zu beobachten ist.

Sterblichkeitsrisiko

auch bei Weisskittelhypertonikern erhöht

Was die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse anbelangt, zei- gen kürzlich veröffentlichte Metaanalysen, dass das Risiko schwerer oder tödlicher Herz-Kreislauf-Erkrankungen von Personen mit Weisskittelhypertonie nicht, wie ursprünglich angenommen, demjenigen von normotensiven Individuen entspricht, sondern eher zwischen dem kardiovaskulären Ri- siko Letzterer und demjenigen von echten Hochdruckpatien- ten liegt. Diese Ergebnisse bestätigen die Daten des Registers

FORTBILDUNG

118

ARS MEDICI 32017

Weisskittelhypertonie:

Mehr als ein harmloser psychologischer Effekt

Risikofaktoren beachten und rechtzeitig therapeutisch eingreifen

Dass bei Patienten in der Praxis höhere Blutdruckwerte gemessen werden, als wenn sie diese Messungen selbst zu Hause durchführen, ist ein in der ärztlichen Routine häufig auftretendes Phänomen. Diese sogenannte Weiss - kittelhypertonie sollte allerdings nicht auf die leichte Schulter genommen werden, denn sie kann mit metabo - lischen Veränderungen und kardiovaskulären Zielorgan- schäden assoziiert sein.

ESC E-Journal of Cardiology Practice

Eine Weisskittelhypertonie sollte stets klinisch erkannt und sorgfältig nachbeobachtet werden.

Die Abschätzung des kardiovaskulären Risikoprofils sowie möglicher Zielorganschäden ist essenziell, da eine Weiss - kittelhypertonie mit metabolischen Veränderungen, asym- ptomatischen Organschädigungen und dem Risiko kardio- vaskulärer Ereignisse assoziiert sein kann.

Gemäss den ESH/ESC-Leitlinien 2013 sollte eine medi - kamentöse blutdrucksenkende Therapie der Weisskittel - hypertonie auf Patienten mit hohem bis sehr hohem Risiko beschränkt bleiben.

MERKSÄTZE

(2)

IDHOCO (International Database of Home Blood Pressure in Relation to Cardiovascular Outcomes), welches insgesamt 6458 Patienten aus 5 Populationen prospektiv über mehr als 8 Jahre nachbeobachtet und ebenfalls ein höheres kardio - vaskuläres Risiko bei Weisskittelhypertonikern gegenüber normotensiven Personen verzeichnet hatte.

Die PAMELA-Studie konnte jüngst neue Erkenntnisse zum allgemeinen sowie zum kardiovaskulären Mortalitätsrisiko von Personen mit stabiler respektive instabiler Weisskittel - hypertonie (normale Blutdruckwerte bei Heimmessung in Verbindung mit einer persistierenden bzw. nicht persistieren- den Erhöhung des bei zwei konsekutiven Besuchen in der Praxis gemessenen Blutdrucks) beisteuern. Beim Vergleich der während eines 16-Jahres-Follow-ups (des längsten im Zusammenhang mit Weisskittelhypertonie je untersuchten Nachbeobachtungszeitraums) erhobenen Daten mit jenen von Normotonikern ergab sich zwar nicht für Personen mit instabiler, jedoch für solche mit stabiler Weisskittelhyper - tonie ein erhöhtes allgemeines sowie kardiovaskuläres Sterblichkeitsrisiko. Daraus lässt sich schliessen, dass eine Weisskittelhypertonie nur bei anhaltend erhöhten Praxismes- sungen mit einer erhöhten Langzeitmortalität assoziiert ist.

Hochrisikopatienten

auch medikamentös antihypertensiv behandeln Es existieren bis anhin keinerlei Daten aus randomisierten Studien zu der Frage, ob beziehungsweise inwieweit eine antihypertensive Therapie bei Weisskittelhypertonie einen günstigen Effekt auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mor talität bewirken könnte. Allerdings stellen die Leitlinien

der European Society of Hypertension (ESH) und der Euro- pean Society of Cardiology (ESC) aus dem Jahr 2013 heraus, dass die Bewertung des kardiovaskulären Gesamtrisikos (gleichzeitig bestehende Risikofaktoren, Zielorganschäden, Komorbiditäten) die Grundlage für die Therapieentschei- dung bilden sollte. Bei Weisskittelhypertonikern ohne zu- sätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren können demnach bereits Lebensstiländerungen (regelmässige körperliche Akti- vität, Gewichtsabnahme, Salzrestriktion, Rauchstopp) in Verbindung mit einer engmaschigen Kontrolle von klinischen und Laborparametern inklusive regelmässiger Heim- und periodischer ambulanter Blutdruckmessungen zielführend sein.

Bei Patienten dagegen, die zusätzlich zur Weisskittelhyperto- nie aufgrund des Vorliegens von diversen Risikofaktoren, von Typ-2-Diabetes, Nierendysfunktion, Anzeichen prognos- tisch relevanter Zielorganschäden oder von Herz-Kreislauf- Erkrankungen ein hohes kardiovaskuläres Risiko aufweisen, kann zusätzlich zur Lebensstilmodifikation auch eine medi- kamentöse antihypertensive Therapie in Betracht gezogen werden. Wegen des wesentlich geringeren Risikos gilt dies allerdings bei instabiler Weisskittelhypertonie genauso wenig wie bei stabiler Weisskittelhypertonie ohne zusätzliche

Risikofaktoren.

Ralf Behrens

Quelle: Grassi G: White-coat hypertension: not so innocent. ESC E-Journal of Cardiology Practice 2016, 21 Oct, Vol. 14, No. 26.

Interessenlage: Der Autor der referierten Originalpublikation hat keinerlei Interessen- konflikte deklariert.

FORTBILDUNG

ARS MEDICI 32017

119

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Tabelle 22: Häufigkeiten der einzelnen Regressionsstufen 60 Tabelle 23: Kreuztabelle Regressionsstufe / Nekrosen 61 Tabelle 24: Verhältnis der Nekrosegrade zur Anzahl

Dass er sich Jahre später mit der Er- probung von Robert Kochs „Tuber- kulin“ einen Rückfall holen wird, weiß er gottlob noch nicht.. „Ehrlich färbt

Dies spiegelt sich auch in den Themen wider, die wir uns wäh- rend unserer Mitgliedschaft im Sicher- heitsrat vorgenommen haben: Lösungen für Konflikte wie in Syrien und Libyen,

Wenn man selbst nur einen kleinen Beitrag leisten muss, dafür aber entscheiden kann, was man bekommt, gibt das den Din- gen mehr Wert und den Käufern Würde, weil sie sich

Eine 74-jährige Patientin, ehemals starke Raucherin, stellt sich mit seit Tagen zuneh- mender Heiserkeit und Dyspnoe in einer haus- ärztlichen Praxis vor.. Auffällig ist ein „blauer

Da verschiedene Gesetzesbestimmungen auf frühere Sachverhalte Bezug nehmen und die Anzeigepflicht nach § 23 TGVG 1996 erst mit der Einbringung der Anzeige verjährt,

Ich erkläre mich damit einverstanden, dass im Rahmen dieser wissenschaftlichen Studie personenbezogene Daten, gegebenenfalls auch Angaben über meine Gesundheit, erhoben und

Hier- zu siehe auch Punkt 12.2 (Gebühren für Wertgutachten). Neben den örtlichen Gutachterausschüssen wurde im Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen außerdem ein