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Archiv "Intensivmedizin im höheren Lebensalter?" (30.05.1991)

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Academic year: 2022

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Intensivmedizin

im höheren Lebensalter?

Dieter Platt, Joachim Horn,

Hans Joachim Geier und Gerhard Seefried

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lter an sich ist grundsätzlich kei- ne Kontraindikation für irgendeine diagnostische oder therapeutische Maßnahme! Multimorbidität und chronische Erkrankungen geriatri- scher Patienten setzen Grenzen in Diagnostik und Therapie. In vielen Krankenhäusern, in de- nen es eine begrenzte Zahl von Intensivbetten gibt, steht der behandelnde Arzt oft vor der Fra- ge, wer auf die Intensivstation verlegt werden kann und muß. Es ist daher zunächst durchaus verständlich, daß bei der Entscheidung „chro- nisch kranker multimorbider Patient oder akut erkrankter junger Patient" häufig der akut er- krankte junge Patient das Intensivbett erhält.

Hierbei spielt die Prognose sicher eine zentrale Rolle für die Entscheidung. Darüber hinaus gibt es Hinweise, daß Ärzte in der Behandlung älte- rer Patienten weniger invasiv sind (3). Zu dieser Einstellung tragen Untersuchungen bei, die eine geringe, aber signifikante Verschlechterung der Prognose nach Reanimation, maschineller Be- atmung und allgemein intensivmedizinischer Therapieregime zeigen.

Intensivmedizinische Therapieregime

Es ist nicht Aufgabe und Ziel der Intensiv- medizin, Leben und Leiden um jeden Preis zu verlängern, sondern unter Einsatz aller medizini- schen, pflegerischen und technischen Maßnah- men eine verbesserte Lebensqualität zu errei- chen. Gerade im Alter bedeutet dies auch eine höhere Lebenserwartung. Die hohen Ansprüche erschweren oft die Entscheidung für eine inten- sivmedizinische Therapie bei akut exazerbierten chronisch kranken Patienten im höheren Le- bensalter. Nicht das kalendarische, sondern das biologische Alter ist entscheidend! Daher sind ex- akte Daten zur Effizienz intensivmedizinischer Maßnahmen erforderlich, die dem behandeln- den Arzt als Entscheidungshilfe dienen könnten.

Es liegen bereits mehrere prospektive Studien vor, die detaillierte Zahlen zur Intensivtherapie im Alter liefern (2, 4, 7). In einer retrospektiven

Studie von Patientendaten unserer gemischt in- ternistisch-toxikologischen Intensivstation (17 Betten) wurde darüber hinaus die Wertigkeit verschiedener Score-Systeme bei geriatrischen Patienten im Hinblick auf unterschiedliche Fra- gestellungen überprüft (5).

Effizienz

Entscheidende Voraussetzung für eine ver- gleichende Effektivitätskontrolle, die unter öko- nomischen und ethischen Gesichtspunkten ge- wertet werden muß, ist die Zusammensetzung des Patientengutes (internistische/chirurgische Patienten), Schwere der Grunderkrankungen, Summe, Art und Schwere der Aufnahmediagno- sen, betroffene Organsysteme und die Alters- struktur. Während 1971 der Anteil über 70jähri- ger auf einer Intensivstation bei etwa 18 Prozent lag (1), liegen die Zahlen heute zwischen 25 und 34 Prozent. Vor allem zeigen die kardiovaskulä- ren Erkrankungen, die zur Aufnahme führten, eine deutliche altersabhängige Zunahme.

Verschiedene Arbeitsgruppen haben Model- le entwickelt, um anhand von Variablen bereits bei der Aufnahme dieser Patienten Voraussagen treffen zu können. Das Alter der Patienten wirkt sich sowohl durch physiologische Organverände- rungen als auch durch die Multimorbidität aus.

Knaus et al. (6) konnten zeigen, daß die Progno- se der Patienten direkt mit der Zahl versagender Organsysteme korreliert, wobei bei mehr als drei betroffenen Systemen die Sterblichkeit nach vier Tagen 100 Prozent erreichte. Bei über 65jähri- gen Patienten betrug die Letalitätsrate fast das Doppelte der bei jüngeren mit dem gleichen Or- gansystemausfall. Bettlägrigkeit vor stationärer Aufnahme, Pneumonie, Hypotonie, Nierenver- sagen und maligne Erkrankungen haben eine sehr schlechte Prognose. Das Alter an sich ge- stattet keine Voraussage.

Durchschnittlich werden etwa 13,3 Prozent aller Intensivpatienten reanimiert (9). Die end- gültige Effektivität (definiert als Entlassungen aus dem Krankenhaus) liegt zwischen sieben und 22 Prozent (8), wobei die Erfolge der Wiederbe- lebung mit dem Lebensalter abnehmen.

Dt. Ärztebi. 88, Heft 22, 30. Mai 1991 (37) A-1973

(2)

Prognostische Wertigkeit

von intensivmedizinischen Scores im Alter

Allgemein gültige Richtlinien, intensivmedi- zinische Maßnahmen aufgrund klinischer oder pathophysiologischer Kriterien einzuleiten oder abzubrechen, stehen uns nicht zur Verfügung. Es ist daher vielfach der Versuch unternommen worden, anhand von Punktesystemen Schwere- grad, Verlauf und Prognose von Erkrankungen oder den therapeutischen Aufwand zu bestim- men, um somit im Einzelfall leichter zu thera- peutischen Entscheidungen zu finden. Zur Ver- fügung stehen mehrere Score-Systeme, die auf der Bestimmung pathophysiologischer Meßwer- te und Labordaten beruhen, unter anderem APACHE („Acute Physiology And Chronic Health Evaluation"), dessen Weiterentwicklung und Vereinfachung APACHE II und das TISS („Therapeutic Intervention Scoring System"), das auf der Summe und Bewertung therapeu- tischer Maßnahmen beruht. APACHE und TISS registrieren das Alter des Patienten nicht, APA- CHE II nimmt es als eigenen Bewertungsfaktor mit auf. Unterschiedliche Bewertungen des Fak- tors Alter ergeben keine wesentliche Änderung im prognostischen Index. Es konnte aber gezeigt werden, daß die Mehrzahl der Verstorbenen mit niedrigen Scores alte Patienten und Überleben- de mit hohen Scores junge Patienten waren, so- mit also das Alter einen zu erwartenden progno- stischen Wert besaß.

In einer eigenen, retrospektiven Untersu- chung unserer überwiegend geriatrisch ausge- richteten Intensivstation wollten wir das Alter als diskriminierenden Faktor besser erfassen, Kor- relationen zwischen Alter, Risikofaktoren, Vor- erkrankungen und weiteren klinischen Parame- tern erstellen, um Vorschläge für einen spezifi- schen Score für geriatrische Patienten zu erar- beiten. Im internationalen Literaturvergleich ist die Altersverteilung in unserer Intensivstation gering zugunsten des Alters verschoben, die Häufigkeit der jeweils betroffenen Organsysteme entspricht — abgesehen von der hohen Rate jun- ger vergifteter Patienten (weiterer klinischer Schwerpunkt der Station) — den Daten anderer Untersucher.

Auch die durchschnittlichen, bei Aufnahme, während der Behandlung und vor Verlegung/

Versterben der Patienten evaluierten Score- punkte entsprechen der Literatur. Auffällig ist ein nur gering höherer APACHE-Score für älte- re Patienten, wogegen der „alterskorrigierte"

APACHE II und der TISS als Maß aller thera-

peutischen Bemühungen im Alter etwas höher ausfällt.

Bei der Diskriminierung zwischen überle- benden und verstorbenen Patienten erkennt man unschwer eine schlechtere Unterscheidung bei beiden diagnostischen Scores für das Alter. In therapeutischen Scores sind die Unterschiede nicht signifikant. In beiden Altersgruppen liegt der therapeutische Aufwand bei verstorbenen Patienten wesentlich höher, signifikante Unter- schiede insbesondere bei der Therapie überle- bender junger und alter Patienten bestehen nicht. Das bisherige Resultat unserer Studie be- sagt, daß die bislang am besten untersuchten Score-Systeme in der Intensivmedizin im Alter weniger prognostische Sicherheit bieten als bei den jungen Patienten. Somit müssen gerade In- tensivmediziner im Bereich der Geriatrie auf ei- ne individuelle Einschätzung des Patienten zu- rückgreifen, die ein Mehr an Intuition und Er- fahrung erfordert.

Schlußfolgerungen

Alter an sich gilt nicht als unabhängiger Fak- tor für oder wider eine Entscheidung zur Inten- sivtherapie, auch wenn die Prognose geriatri- scher Patienten nach intensivmedizinischer The- rapie im allgemeinen und nach kardio-pulmona- ler Reanimation im besonderen eine geringe Verschlechterung aufweist. Das Alter an sich stellt keine absolute Kontraindikation gegen die Intensivtherapie dar. Die Indikation zur Inten- sivtherapie hängt ab von dem Grad der Multi- morbidität bei einem möglichen infausten Allge- meinzustand. Bei problematischen und akuten Verschlechterungen sollte — soweit möglich — mit dem Patienten die wahrscheinliche Prognose so- wie die Folgen einer eventuellen Intensivmedizin besprochen werden, um ihm die Möglichkeit ei- ner selbständigen Entscheidung zu geben oder aber in gemeinsamer Aussprache mit den Ange- hörigen zwischen moderaten Maßnahmen oder aktiver Intensivtherapie zu wählen.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Litera- turverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Dieter Platt

Lehrstuhl Innere Medizin — Gerontologie Universität Erlangen-Nürnberg

Flurstraße 17

W-8500 Nürnberg 90 A-1974 (38) Dt. Ärztebl. 88, Heft 22, 30. Mai 1991

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