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Archiv "Diagnosekriterien für das akute Guillain-Barré-Syndrom *)" (15.07.1996)

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M E D I Z I N AKTUELL

D

as Guillain-Barré-Syndrom (GBS) tritt in allen Alters- klassen mit einem Erkran- kungsgipfel im frühen Er- wachsenenalter und vor allem beim älteren Erwachsenen zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf. Weltweit wird eine Inzidenz von ein bis zwei Fällen pro 100 000 Einwohnern und Jahr angegeben (14). Die ersten klini- schen Symptome des GBS treten in etwa zwei Drittel der Fälle ein bis vier Wochen nach Infektionen der Atem- wege oder des Magendarmtraktes auf. Der am häufigsten nachgewiese- ne Erreger ist Campylobacter jejuni (C. jejuni). Eine zuvor durchgemach- te Infektion mit C. jejuni geht mit ei- nem schwereren Verlauf und einer schlechteren Prognose des GBS ein- her (20). Den vorausgegangenen In- fektionen wird eine Triggerfunktion im immunpathogenetischen Prozeß des GBS zugeschrieben.

Klinik

Das klinische Erscheinungsbild war bereits seit Mitte des letzten Jahr- hunderts bekannt (16). Der Name stammt von den französischen Neuro- logen G. Guillain und J. A. Barré, die im Jahre 1916 mit R. Strohl diese Er- krankung in ihren typischen klini- schen und liquor-biochemischen Be- funden beschrieben (9). Sie beginnt häufig mit einer Schwäche in den unteren Extremitäten und im Beckengürtel, vor allem beim Aufste- hen aus sitzender Position und beim Treppensteigen. In der Folge klagen die Patienten auch über Schwächen sowohl der proximalen als auch der distalen Muskelgruppen in den obe- ren Extremitäten. Die Muskeldeh-

nungsreflexe sind gewöhnlich von Be- ginn an abgeschwächt oder erloschen.

Innerhalb von wenigen Tagen bis zu vier Wochen erreichen die Lähmun- gen ihren Höhepunkt. Bei leichten Verlaufsformen sind die Patienten noch gut gehfähig, bei schweren Er- krankungen kommt es zur Tetraple- gie mit Atemlähmung und Lähmung der von den Hirnnerven versorgten Schlund- und Rachenmuskulatur. Am häufigsten treten im Hirnnervenbe- reich ein- oder doppelseitige Fazia- lisparesen auf, seltener Augenmus- kel- und Hypoglossusparesen. Eine Variante des GBS mit akut auftreten- der Ophthalmoplegie, Ataxie und Areflexie wird als Miller-Fisher-Syn- drom bezeichnet (6). In etwa einem Drittel der Fälle klagen die Patienten über mehr oder weniger ausgeprägte Myalgien und radikuläre Schmerzen, die mit der Entwicklung der Paresen einhergehen. Nicht selten gehen den motorischen Ausfällen Myalgien, zum Beispiel in Form von Rücken- schmerzen voraus. In den meisten Fällen geben die Patienten Kribbel- parästhesien und ein Taubheitsgefühl zunächst akrodistal an, das sich dann strumpf- beziehungsweise hand- schuhförmig nach proximal ausbrei- tet. Durch Störung der Tiefensensibi- lität kann es zu einer ausgeprägten Gang- und Standataxie kommen.

Fast regelmäßig ist auch das ve- getative Nervensystem mit orthostati- scher Hypotonie und Störungen der Schweißproduktion betroffen. Ge- fährlich ist das Auftreten von Herz- rhythmusstörungen und Überlei-

tungsstörungen. Eine seltene Sonder- form des GBS mit vorwiegenden au- tonomen Funktionsstörungen wurde als akute Pandysautonomie bezeich- net (26).

In der Mehrzahl finden sich die aufsteigenden motorisch-sensiblen und autonomen Funktionsstörungen kombiniert. Der Schwerpunkt liegt meist bei den motorischen Funktions- ausfällen (Tabelle 1). Eine Übersicht der diagnostischen Kriterien für das akute GBS gibt der Textkasten „Dia- gnosekriterien“.

Verlauf und Prognose

Die Symptome bilden sich in ei- nem monophasischen Verlauf nach ei- nem unterschiedlich langanhaltenden Plateau über Wochen bis Monate wie- der zurück. Das Ausmaß der Remissi- on hängt in erster Linie von dem Schweregrad der Axondegeneration mit entsprechenden Muskelatrophien ab. Als ungünstige prognostische Faktoren sind höheres Lebensalter, rascher und schwerer Beginn sowie die Notwendigkeit zur künstlichen Beatmung zu werten (14). Wenn- gleich die Prognose als gut bezeichnet wird, kommt es nur bei etwa 15 Pro- zent zu einer vollständigen Rückbil- dung der Symptome. Etwa zwei Drit- tel der Patienten behalten leichte neu- rologische Defizite, wie Fußheber- schwäche oder distale Hypästhesien, die das alltägliche Leben nicht we- sentlich behindern. Funktionell be- einträchtigende Paresen oder Sensibi- litätsstörungen bleiben bei etwa 10 bis 15 Prozent der Patienten bestehen (21). Nach Einführung der intensiv- medizinischen Therapiemaßnahmen sterben noch etwa 2 bis 6 Prozent an

A-1895 Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 28–29, 15. Juli 1996 (39)

Das akute

Guillain-Barré-Syndrom

Eckhart Sindern, Jean-Pierre Malin

Nach dem fast völligen Verschwinden der Poliomyelitis ist das Guillain-Barré- Syndrom (GBS) in unseren Breiten die häufig- ste Ursache für akute generalisierte Lähmungen. Intensivmedi- zinische Präventiv- und Behandlungsmaßnahmen haben sich im Hinblick auf das Gesamttherapieresultat und die Senkung

der Mortalitätsrate auf unter fünf Prozent als der entscheiden- de Faktor erwiesen. Die spezifische Therapie mit Plasmaaus- tausch oder hochdosierten intravenösen Immunglobulinen gründet sich auf die immunologisch-entzündliche Pathogenese der Erkrankung. Kortikosteroide allein helfen beim GBS nicht.

Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Jean-Pierre Malin) der Ruhr-Universität Bo- chum, Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannsheil

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interkurrenten Infekten und Kompli- kationen thrombembolischer, kardio- vaskulärer Zwischenfälle (7, 22, 23).

Differentialdiagnose

Die chronische idiopathische Po- lyneuritis (chronisches GBS, chronic inflammatory demyelinating poly-

neuropathy [CIDP] im englischen Sprachraum) unterscheidet sich von dem akuten GBS vor allem durch ihren langsamen, subakuten oder chronischen Beginn (Symptompro- gredienz länger als 8 bis 12 Wochen) und den progredienten oder schub- förmig rezidivierenden Verlauf (4).

Etwa 15 bis 20 Prozent der chroni- schen Polyneuritis beginnen wie ein akutes GBS. Aufgrund der unter- schiedlichen Behandlung der beiden Formen ist eine frühzeitige Differen- zierung anzustreben (Tabelle 2). An- dere symptomatische Ursachen einer akuten Polyneuropathie, die dem kli- nischen Erscheinungsbild des GBS ähneln können, müssen ausgeschlos- sen werden (Textkasten „Ursachen für akute Neuropathien“).

Elektromyographie und Elektroneurographie

Die wesentliche Änderung be- steht in einer Störung der Impulslei-

tung. Daher gehören pathologische Verlängerungen der distalen Latenz- zeiten und Verlangsamung der Ner- venleitgeschwindigkeiten zu den emp- findlichsten Laborparametern beim GBS. Sie treten im Verlauf oft früher als die Eiweißerhöhung im Liquor auf.

Die motorischen und sensiblen Sum- menreizantwortpotentiale (SRAP) sind infolge der erhöhten Streubreite der Nervenleitgeschwin- digkeiten der verschie- denen Axone verlän- gert, aufgesplittert und erniedrigt. Sofern in ei- nem Teil der Nervenfa- sern die Impulsleitung im Sinne eines Leitungs- blocks unterbrochen ist, resultiert bei Stimulati- on proximal des Blocks eine Abnahme der Am- plituden der SRAP aus der entsprechenden di- stalen Muskulatur. Eine alleinige oder zusätzli- che Leitungsstörung in proximalen Nervenab- schnitten, wie sie beson- ders beim GBS vorkom- men, läßt sich anhand der verlängerten Reflex- oder F-Antworten fest- stellen. Keine oder ausgefallene SRAP und ausgeprägte Denervie- rungsaktivität in der Elektromyogra- phie infolge axonaler Degeneration sind als prognostisch ungünstige Para- meter zu werten.

Liquorbefunde

Der Liquor ist im Sinne der „zy- toalbuminären Dissoziation“ verän- dert. Die Liquor-Eiweißwerte sind mit Werten bis zu 200 mg/l und mehr deutlich erhöht bei einer meist nor- malen oder nur geringfügig erhöhten Zellzahl. Die Höhe der Liquor-Ei- weißwerte korreliert nicht mit der Schwere der Erkrankung. Die Li- quor-Eiweißwerte erreichen häufig erst im Verlaufe der Erkrankung ihr Maximum. Zu Beginn der Erkran- kung können daher grenzwertige oder sogar normale Liquor-Ei- weißwerte gemessen werden, was dann gegebenenfalls eine Nachunter- suchung erforderlich macht.

Ätiologie und Pathogenese

Beim GBS handelt es sich um eine immunologisch-entzündliche Erkran- kung der peripheren Nerven und der Nervenwurzeln, deren Ursache bisher letztlich nicht geklärt ist. Pathologisch anatomisch ist eine Infiltration von Lymphozyten und Makrophagen, die sich in unterschiedlicher Verteilung im Bereich der peripheren Nerven und vor allem der Nervenwurzeln finden, charakteristisch (13). Damit verbun- den ist eine Demyelinisierung der Ner- ven. In den letzten Jahren erschienene Arbeiten unterstützen die Hypothese einer krankheitsspezifischen T-Zellak- tivierung, die möglicherweise als fehl- geleitete Immunantwort nach voraus- gegangenen Infektionen oder anderen immunologischen Stimuli auftritt (21).

Daneben wurde auch eine direkte frühe antikörperbedingte Attackie- rung der Myelinmembranen vermutet

A-1896

M E D I Z I N AKTUELL

(40) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 28–29, 15. Juli 1996 Tabelle 1

Relative Häufigkeit der Symptome zu Beginn und während des Höhepunktes der Erkrankung beim Guillain-Barré-Syndrom*)

Symptome Häufigkeit

Beginn (%) Höhepunkt (%)

Parästhesien 70 85

Lähmungen

Beine 60 95

Arme 20 90

Gesicht 35 60

Oropharynx 25 50

Augenmuskeln 5 15

Areflexie 75 90

Sensibilitätsausfälle 40 75

Schmerzen 25 30

Sphinkterstörungen 15 5

Ataxie 10 15

Atemstörungen 10 30

*) modifiziert nach Rooper (21)

Ursachen für akute Neuropathien, die ein Guillain-Barré-Syndrom imitieren können

Medikamente

Nitrofurantoin, Isoniazid, Vincri- stin, d-Penicillamin, Carbimazol, Danazol, Disulfiram, Amitriptylin, Gangliosidgemische und Frisch- zellen

Toxisch Alkohol

Schwermetalle: Blei, Arsen, Thal- lium, Gold

Organophosphate

Lösungsmittel: n-Hexan und Methyl-n-Butylketon Botulinumtoxin Infektiös

Diphtherie, Borreliose (Meningo- radikulitis Bannwarth), Poliomye- litis, HIV

Paraneoplastisch

M. Hodgkin, Myelompolyneuro- pathie

Vaskulitis

Panarteriitis nodosa, systemischer Lupus erythematodes

Porphyrie

„critical illness“ Polyneuropathie

(3)

(13). Für die pathogenetische Bedeu- tung humoraler Faktoren spricht in- direkt auch die therapeutische Wir- kung der Plasmaaustauschbehand- lung. Beim GBS konnten antineurale Antikörper gegen eine Vielzahl von Antigenen nachgewiesen werden (12).

Eine besondere Bedeutung als Zielan- tigen kommt dem GM1 Gangliosid zu.

Nach intramuskulärer Injektion von Gangliosidgemischen zur Behandlung von Polyneuropathien kam es in eini- gen Fällen zu einem GBS (1, 17). In ei- ner prospektiven Studie wurden in 25 Prozent der Patienten mit GBS anti- GM1-Antikörper nachgewiesen, da- von in über der Hälfte der Fälle mit zu- vor durchgemachter C.-jejuni Infekti- on (19). Hypothetisch könnte die in- itiale Immunreaktion gegen das infek- tiöse Agens schließlich im Rahmen ei- ner Kreuzreaktion gegen Markschei- den-Antigene gerichtet sein und zu ei- ner Autoimmunreaktion gegen peri- phere Nerven führen.

Therapie

Zu unterscheiden sind die Allge- meintherapie und die spezifische The- rapie mit verschiedenen Formen der Immunmodulation. Bei leichten For- men des GBS mit nur distalen Parästhesien und funktionell wenig einschränkenden Paresen ist eine sta- tionäre Überwachung ohne spezielle

Therapie bis nach Ende der Symptom- progredienz sinnvoll. Die Allgemein- behandlung umfaßt unter anderem ei- ne physiotherapeutische Behandlung zur Thrombose- und Pneumoniepro- phylaxe. Bei schwereren und progre- dienten Manifestationen mit bulbärer Schwäche, Ateminsuffizienz, Aspirati- on und Pneumonie sowie ausgeprägter autonomer Dysregulation sollte die Behandlung auf einer Intensivstation erfolgen. Die intensivmedizinische Be- handlung hat sich für das Gesamtthe- rapieresultat im Hinblick auf die Sen- kung der Mortalitätsrate auf unter fünf Prozent als der entscheidende Faktor erwiesen (21). Etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten müssen im Verlauf ihrer Erkrankung durch Befall des Zwerch- fells, der Atemhilfsmuskulatur und kaudaler Hirnnerven vorübergehend beatmet werden (11). Wichtig ist, daß

die Beatmung rechtzeitig eingeleitet wird und pulmonale Infekte frühzeitig behandelt werden. Eine Beatmungs- notwendigkeit kann sich selbst bei feh- lender allgemeiner Zunahme der Pa- resen innerhalb kürzester Zeit ent- wickeln. Die Indikation zur Beatmung ergibt sich bei progredientem Abfall des pO2und insbesondere bei einem die alveoläre Hyperventilation signali-

sierenden Anstieg des pCO2. Frühzei- tig soll mit Funktionstests die Bedroh- lichkeit autonomer Störungen abge- schätzt werden. Bei relevanten Rhyth- musstörungen und bei Hinweisen auf eine autonome Regulationsstörung ist die prophylaktische Anlage eines pas- sageren Herzschrittmachers zu disku- tieren. Nicht zuletzt ist neben der allge- meinen intensivmedizinischen Pro- phylaxe und Therapie eine gute psy- chische Betreuung des Patienten mit dem Hinweis auf die Reversibilität des Krankheitsbildes wichtig.

Plasmaaustausch

Die Indikation zum Plasmaaus- tausch besteht bei gesicherter Diagno- se mit schwerem Verlauf. Der Erkran- kungsgipfel sollte noch nicht erreicht

A-1897

M E D I Z I N AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 28–29, 15. Juli 1996 (41) Tabelle 2

Unterscheidungskriterien des akuten GBS gegenüber der chronischen Polyneuritis *)

Kriterien akutes GBS chronische Polyneuritis

Beginn akut bis subakut subakut bis chronisch

Höhepunkt erreicht bis max. 4 Wochen mehr als 4 Wochen Verlauf monophasisch rezidivierend oder progredient

vorausgegangene 70% 20–30%

Infektion

Ateminsuffizienz relativ häufig (20–30%) selten

relevante autonome häufig selten

Störungen

Neurophysiologie initial proximaler deutliche Leitungsblock Leitungsverzögerung spezifische Therapie Plasmaaustausch, Kortikosteroide,

i. v. Immunglobuline, fakultativ i. v.

Immunadsorption? Immunglobuline, Plasmaaustausch und

Immunsuppressiva (Azathioprin, Ciclosporin und

Cyclophosphamid)

*) modifiziert nach Wiethölter (24) Diagnosekriterien für das akute

Guillain-Barré-Syndrom *) Für die Diagnose unerläßliche Kriterien:

Progrediente Paresen von mehr als einer Extremität

Areflexie oder deutlich vermin- derte Muskeldehnungsreflexe Für die Diagnose wichtige Kriterien:

Progression bis zu maximal 4 Wo- chen

Relativ symmetrischer Befall Geringe sensible Störungen Hirnnervenbeteiligung, vor allem ein- oder beidseitige Fazialispa- rese

Störungen des vegetativen Ner- vensystems

Erholungsbeginn 2 bis 4 Wochen nach Stillstand der Progression Kein Fieber zu Beginn der Er- krankung

Liquor cerebrospinalis: Eiweißer- höhung bei ,10 Zellen/µl (nach der ersten Woche)

Neurophysiologie: Verzögerung der Impulsleitung, Leitungsblock

*)modifiziert nach Asbury und Cornblath (3)

(4)

sein und der Erkrankungsbeginn nicht länger als 14 Tage zurückliegen. Eine akute Infektion oder gar eine Sepsis müssen ausgeschlossen werden. Der Plasmaaustausch wird durch Zellsepa- ration oder Membranfiltration durch- geführt. Es sollen humorale Faktoren, wie Antikörper, Komplement- und Entzündungsmediatoren, die den im- munpathogenetischen Prozeß beim GBS unterhalten, weitgehend aus dem Blutplasma entfernt werden. Die klini- sche Wirksamkeit wurde durch zwei prospektive, randomisierte, offene, multizentrische Studien aus Nord- amerika und Frankreich nachgewiesen (7, 23). Unter dem Plasmaaustausch waren ein schnellerer Rückgang der Paresen, weniger häufiger eine künstli- che Beatmung, eine kürzere Beat- mungsdauer, kürzere Intensivliegezei- ten und insgesamt eine kürzere Dauer des Krankenhausaufenthaltes zu beob- achten. Der Plasmaaustausch war um so erfolgreicher, je früher die Patienten behandelt wurden. Auch der Langzeit- verlauf war nach dem Plasmaaustausch günstiger (8). Bei etwa 10 bis 25 Pro- zent kommt es, möglicherweise durch eine überschießende Nachbildung potentieller Autoantikörper, zu einer erneuten schubförmigen Verschlechte- rung. Diese bildet sich in der Regel nach einem erneuten Plasmaaustausch zurück (11). Einige Patienten profitie- ren nicht von dieser Therapie. Dies scheint bei schweren, überwiegend mo- torischen Defiziten und axonaler Ner- venschädigung der Fall zu sein. Der Plasmaaustausch kann heute als siche- res Therapieverfahren angesehen wer- den, sofern er in routinierten Zentren durchgeführt wird. Komplikationen sind lokale und systemische katheter- bedingte Infektionen und anaphylakti- schen Reaktionen durch Fremdprotei- ne, die als Eiweißersatz dienen. Ein Er- satz mit fresh-frozen-Plasma kann beim GBS nicht mehr empfohlen wer- den, seit in der französischen Studie bei 5 von 52 Patienten sich hierunter eine Hepatitis entwickelte (7).

Immunadsorption

Bei der Immunadsorption wird das mechanisch separierte Blutplasma über eine Adsorbersäule gepumpt, an die Proteine und zirkulierende Anti-

körper gebunden werden. Das Plasma wird dem Patienten direkt reinfun- diert. Eine Substitution mit Fremdei- weiß ist daher nicht erforderlich. Im Vergleich zur Plasmaaustauschbe- handlung gilt die selektive Adsorption als weniger belastend und nebenwir- kungsärmer. In ihrer therapeutischen Wirksamkeit scheint die Immunad- sorption der Plasmaaustauschbehand- lung vergleichbar zu sein. Bislang lie- gen jedoch noch keine kontrollierten Studien zur selektiven Adsorption beim GBS vor, so daß die Immunad- sorption derzeit nicht als gesichertes Therapieverfahren beim GBS gewer- tet werden kann. In einer kontrollier- ten, randomisierten, offenen, multi- zentrischen Studie werden derzeit Im- munabsorption, Plasmaaustausch und i.v. Immunglobulinbehandlung mit- einander verglichen (15).

Intravenöse

Immunglobulingabe

Eine mögliche Alternative zum Plasmaaustauch ist die i.v. Immunglo- bulingabe (IVIG), die bei einigen Au- toimmunerkrankungen (zum Beipiel Morbus Werlhoff) bereits etabliert ist.

Sie wird in einer Dosierung von 0,4 g/kg Körpergewicht/Tag an fünf auf- einanderfolgenden Tagen empfohlen.

Der genaue Wirkmechanismus der Im- munglobuline beim GBS ist letztlich unbekannt. Mögliche Wirkungen um- fassen unter anderem die Hemmung pathogener Autoantikörper durch in der Immunglobulinlösung enthaltenen sogenannten antiidiotypischen Anti- körper, Hemmung der Antikörpro- duktion von B-Zellen, kompetitive Hemmung von Makrophagen durch Blockade ihrer Fc-Rezeptoren und Beeinflussung der T-Zellaktivierung durch lösliche Faktoren (11). Nach- dem Einzelfallberichte und kleinere, nicht kontrollierte Studien bereits für eine gute therapeutische Wirksamkeit beim GBS sprechen, läßt eine Multi- center-Studie aus den Niederlanden ei- ne ähnlich gute therapeutische Wirk- samkeit von IVIG und Plasmaaus- tausch vermuten (22). Hinsichtlich der Virussicherheit werden die in Deutschland erhältlichen 7-S-Immun- globulin-Präparate, die aus einem ge- poolten Plasma von meist 5 000 bis

10 000 Spendern gewonnen werden, auf das Vorliegen von Antikörpern ge- gen HIV 1 und 2, Hepatitis-C-Virus, Hepatitis-B-Antigen (HBs-Antigen) und Syphilis getestet. In der Literatur ist von vereinzelten Hepatitis-C-Hepa- titiden durch IVIG berichtet worden (2). Es liegen keine Berichte über HIV-Infektionen nach IVIG vor. Bei Patienten mit selektivem IGA-Mangel kann es durch IGA-Antikörper zu ei- ner anaphylaktischen Reaktion kom- men, da die IVIG-Präparate in der Re- gel Spuren von IGA enthalten. Wegen der Möglichkeit allergischer Reaktio- nen und akut lebensbedrohlicher Kreislaufreaktionen in seltenen Fällen empfiehlt die Arzneimittelkommissi- on der deutschen Ärzteschaft eine Überwachung der Patienten bis zu zwei Stunden nach der Therapie (2).

Kortikosteroide

Kortikosteroide wurden früher zur Behandlung des GBS eingesetzt.

Die therapeutische Wirksamkeit ist je- doch nicht erwiesen. Die einzige multi- zentrische, doppelblinde, randomisier- te Studie aus Großbritannien zeigte keine Vorteile einer hochdosierten i.v.

Kortikosteroidtherapie (Methyl-Pred- nisolon 500 mg/die für fünf Tage) ge- genüber Plazebo (10). Eine offene, nicht kontrollierte Pilot-Studie der niederländischen GBS-Studiengruppe erbrachte Hinweise auf eine mögliche synergistische therapeutische Wirk- samkeit von IVIG und i.v. Kortikoster- oiden (22). Im Gegensatz zum akuten GBS gilt die chronisch idiopathische Polyneuritis als steroidsensitiv (5).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-1895–1898 [Heft 28-29]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Eckhart Sindern Neurologische Klinik der Ruhr-Universität

Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannsheil Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum

A-1898

M E D I Z I N AKTUELL

(42) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 28–29, 15. Juli 1996

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