A-622 (46) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 10, 12. März 1999 stand bezüglich der Review-Erstel-
lung wider. In Deutschland wird die Arbeit durch das Deutsche Cochrane Zentrum vorangetrieben.
Die weitere Entwicklung
Neben der klinischen Arbeit des einzelnen Arztes können auch andere Bereiche des Gesundheitssystems von systematischen Übersichtsarbeiten profitieren. Alle Fragen der Bewer- tung von diagnostischen und thera- peutischen Verfahren (Health Tech- nology Assessment) benötigen als Ausgangspunkt eine valide Erfassung des Wissensstands. Ebenso sollten kli- nische Leitlinien auf systematischen Übersichtsarbeiten basieren, können jedoch keineswegs durch sie ersetzt werden (26). Cochrane Reviews bie- ten eine Basis, in dem sie die unter idealisierten Bedingungen von rando- misierten, kontrollierten Studien er- zielten Erkenntnisse bereitstellen, auf die praxisorientierte Bewertungen und Handlungsempfehlungen auf- bauen sollten.
Für die Planung von klinischen Studien liefern aktuelle systematische Übersichtsarbeiten einen wesentli- chen Bestandteil des Studienpro- tokolls in Form der Beschreibung des „state of the art“. Systematische Übersichtsarbeiten liefern nicht nur Antworten auf Fragen, sie zeigen auch Lücken und zukünftigen For- schungsbedarf auf. Längerfristig kann durch eine große Anzahl an thema- tisch umfassenden Übersichtsarbeiten eine „Forschungslandkarte“ erstellt werden, die den Stand der Wissen- schaft kartiert.
Ein indirekter Effekt der gegen- wärtigen Entwicklung besteht in der steigenden Qualitätsanforderung an klinische Studien. Systematische Übersichtsarbeiten hängen entschei- dend von der Qualität der einbezoge- nen Studien ab, so daß Studien bezie- hungsweise ihre Beschreibung nach- träglich einer intensiven Qualitäts- kontrolle unterzogen werden, die oft massive Mängel aufzeigt. Diese Er- kenntnis hat zu einer standardisierten Checkliste für das Publizieren von Studien geführt, dem sogenannten Consort Statement (6), das inzwi- schen von 70 Zeitschriften unterstützt
T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE/FÜR SIE REFERIERT
wird und als Maßstab für die Publika- tion von Studien dient.
Obwohl nach wie vor heftig disku- tiert und kritisiert (27), belegt die enor- me Zunahme an Übersichtsarbeiten beziehungsweise Meta-Analysen, daß ein solches Resümee des Forschungs- und Wissensstandes heute in seiner Be- deutung zunehmend akzeptiert wird (19, 23). Die praktische Anwendung des in systematischen Übersichtsarbei- ten zusammengefaßten Wissens hängt vor allem davon ab, inwieweit akzep- tiert wird, daß es sich bei Evidenz-ba- sierter Medizin nicht um Kochbuchme- dizin, sondern um eine problemorien- tierte, wissenschaftlich fundierte Medi- zin handelt (33, 34). Die Frage ist, in- wieweit Standardisierung und der Ein- satz von Checklisten als hilfreiche Un- terstützung im klinischen Alltag ange- sehen werden und nicht als unakzep- table Einschränkung der ärztlichen Entscheidungsfreiheit (5, 22, 31). Die Auseinandersetzung mit diesen The- men berührt grundsätzliche Aspekte des ärztlichen Selbstverständnisses und wird im Zusammenhang mit der Be- wertung von medizinischen Verfahren, Qualitätssicherung und -management sowie der Leitliniendiskussion zur Zeit intensiv geführt.
Die Diskussion um systemati- sche Übersichtsarbeiten beschränkt sich in Deutschland bisher weitge- hend auf deren Anwendung. Ob die Anfertigung und damit die Teilnah- me am internationalen Review-Pro- zeß auch in Deutschland in einem
mit den englischsprachigen Ländern sowie Holland und Skandinavien vergleichbaren Maße zunehmen wird, hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab: Zum einem vom Ansehen der patientenorientierten, klinischen Forschung, die, vergli- chen mit der medizinischen Grund- lagenforschung, in Deutschland nur geringe Anerkennung erfährt (37, 41). Zum anderen von der Bereit- stellung finanzieller und personeller Ressourcen und von der Formulie- rung entsprechender Förderprogram- me für die Review-Arbeit. Nicht zuletzt wird es jedoch nur dann zu ei- ner effektiven Arbeit kommen, wenn sie in der notwendigen interdiszi- plinären Kooperation in Angriff ge- nommen wird.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-616–622 [Heft 10]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser Dr. rer. nat. Gerd Antes Deutsches Cochrane Zentrum Institut für Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik Universität Freiburg
Stefan-Meier-Straße 26 79104 Freiburg
Wegen einer steigenden Zahl von Meldungen über das Auftreten eines Guillain-Barré-Syndroms nach Influ- enzaimpfungen ging eine Forschungs- gruppe aus Baltimore, USA, dieser Frage nach. In den Jahren 1992 bis 1994 wurde in vier Bundesstaaten bei 273 Patienten die Diagnose ei- nes Guillain-Barré-Syndroms gestellt, hiervon waren 19 Fälle innerhalb von sechs Wochen nach einer Influen- zaimpfung aufgetreten. Daraus ergab sich ein relatives Risiko von 1,7 für das Auftreten dieser Erkrankung ge- genüber der Normalbevölkerung, wo- bei sich im Verlauf entgegen der ur-
sprünglichen Annahme eher ein Risi- korückgang feststellen ließ. Die Zah- len ergeben anders ausgedrückt einen zusätzlichen Guillain-Barré-Fall auf eine Million geimpfte Personen; die Mechanismen, die zu dieser gering- gradigen impfbedingten Erhöhung führen, sind noch unbekannt. acc Lasky T et al.: The Guillain-Barré-Syn- drome and the 1992–1993 and 1993–
1994 Influenza vaccines. N Eng J Med 1998; 339: 1797–1802.
Dr. Lasky, Department of Epidemiology and Preventive Medicine, School of Medicine, University of Maryland, Balti- more, 660 West Redwood St., Baltimore, MD 21201, USA.