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und zwei, nach anderen Quellen drei bis fünf Pro- zent der Ärzte waren in der DDR als Inoffizielle Mitar- beiter (IM) des Staatssicher- heitsdienstes (Stasi) tätig. Das erklärte unter Hinweis auf einschlägige Literatur Dr.Francesca Weil vom Hannah- Ahrendt-Institut für Totalita- rismusforschung e.V. (HAIT) der TU-Dresden auf einer Ver- anstaltung „Ärzte und Staats- sicherheit“ der Stasi-Unter- lagenbehörde in Berlin. In den Siebzigerjahren habe das Ministerium für Staatssi- cherheit (MfS) begonnen, medizinische Einrichtungen von IM beobachten und be- spitzeln zu lassen. Die tradi- tionell bürgerlichen, von Frei- beruflichkeit geprägten Ärzte galten der DDR-Führung für
das System als potenziell ge- fährlich, erklärte Weil. Miss- stände und Probleme im Ge- sundheitswesen hätten zu Unruhen führen können und bedurften deswegen der
„Kontrolle“.
Zu den wesentlichen Auf- gaben der IM gehörte insbe- sondere die Bespitzelung von Kollegen auf geplante „un- gesetzliche Grenzübertritte“
und „staatsfeindlichen Men- schenhandel“. Einige der IM- Ärzte hätten dem MfS frei- lich keinerlei Mitteilungen gemacht. Jeder vierte IM- Arzt aber habe die ärztli-
che Schweigepflicht verletzt und auch über Patienten be- richtet.
Norbert Jachertz, ehemali- ger langjähriger Chefredak- teur des Deutschen Ärzte- blattes (DÄ) betonte, dass hinter dem „Forschungsge- genstand“ zum Teil drama- tische Einzelschicksale stün- den, die Ärzteschaft fördere das HAIT-Forschungsprojekt auch aufgrund der Erfahrun- gen mit der Aufarbeitung der NS-Zeit. Man habe mit der DDR-„Vergangenheitsbewäl- tigung“ nicht zögern wollen, wie mit der lange Zeit ver-
drängten Verstrickung von Ärzten in den Nationalsozia- lismus.
In der lebhaften, von Dr.
med. Hartmut Wewetzer („Ta- gesspiegel“) moderierten Dis- kussion meldeten sich immer wieder Betroffene zu Wort, insbesondere mit der Frage, ob IM-Ärzte nach der „Wen- de“ belangt worden seien.
Laut Weil sind einige wenige Verfahren bekannt, die aber nicht zu Konsequenzen ge- führt hätten. Unter dem Strich, ergänzte Jachertz, sei wohl nichts geschehen. Das läge nicht zuletzt daran, dass Verfahren vor Gericht oder bei einer Ärztekammer eine Anzeige voraussetzten und dass harte Beweise hätten vorgelegt werden müssen.
Für ihr mehrjähriges For- schungsprojekt, das vom Deutschen Ärzteblatt unter- stützt und vom Deutschen Ärzte-Verlag mitfinanziert wird, hat Weil rund 490 IM- Akten von Ärzten ausgewer- tet und zudem 21 Interviews mit IM-Ärzten geführt. Über neueste Erkenntnisse ihrer Forschung hatte Weil mehr- fach im DÄ berichtet, zuletzt in Heft 23/2006. TB A K T U E L L
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 27⏐⏐7. Juli 2006 AA1861
Hypertonie: Erstmedikation
Britische Behörde gegen Betablocker
D
as National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) rät von Betablockern als Erstmedikation bei der unkomplizierten arteriellen Hyper- tonie ab. Die jetzt vorgestellte Leitlinie begründet diesen Schritt mit dem er- höhten Diabetesrisiko unter der Thera- pie und der geringeren schlaganfall- präventiven Wirkung der Betablocker.Diese gehören neben Thiaziddiuretika, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmern und Angiotensin-II-Antagonisten zu den am häufigsten eingesetzten Anti- hypertonika. Während die Deutsche Hochdruckliga keine prinzipiellen Un- terschiede in ihren Empfehlungen macht, hat sich die British Hyperten- sion Society (BHS) früher bereits kri-
tisch zu Betablockern geäußert. In der aktuellen Leitlinie, die zusammen mit NICE herausgegeben wurde, heißt es nun, dass Betablocker im direkten Ver- gleich mit anderen Substanzen weniger gut in der Lage seien, die kardiovas- kulären Folgen der Hypertonie, insbe- sondere aber den Schlaganfall zu ver- meiden. Betablocker seien auch weni- ger als ACE-Hemmer oder Kalzium- antagonisten geeignet, das Diabetesri- siko zu mindern. Ein erhöhtes Risiko für einen Diabetes mellitus Typ 2 se- hen die britischen Hypertonologen ins- besondere bei einer Kombinations- behandlung aus Betablockern und Thiaziddiuretika.
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ür ältere Patienten geben die neuen Leitlinien Kalziumantagonisten und Thiaziddiuretika den Vorzug. Bei jün- geren Patienten spreche die bisherige Evidenz eher für die Erstwahl eines ACE-Hemmers. Wenn die Patienten mehrere Medikamente benötigen, umden Blutdruck einzustellen, halten die Briten die gemeinsame Gabe von ACE-Hemmern und Kalziumantagoni- sten für eine „logische Kombination“.
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ie neuen Leitlinien dürfen jedoch nicht missverstanden werden. NICE und BHS kennen durchaus Situatio- nen, in denen sie zu Betablockern ra- ten. Ein Einsatz sei erwägenswert bei Frauen im gebärfähigen Alter (wegen der im Gegensatz zu ACE-Hemmern fehlenden teratogenen Risiken), bei Patienten mit erhöhtem Sympathikoto- nus (wegen der negativ dromotropen Wirkung der Betablocker). Auch bei Unverträglichkeit auf ACE-Hemmer oder Angiotensin-2-Antagonisten sei- en Betablocker eine gute Wahl. Abge- raten wird allerdings davon, Beta- blocker mit Thiaziddiuretika zu kombi- nieren. Patienten, die derzeit mit einem Betablocker behandelt werden, wird langfristig zum Wechsel auf andere Substanzen geraten. Rüdiger Meyer AkutÄrzte und Stasi
Vergangenheit bewältigen
Kontroverse Diskussion über die Stasi-Mitarbeit von DDR-Ärzten
Mit der Titel- geschichte in Heft 48/2004 startete das DÄ seine Serie über die Ver- flechtungen von Ärzten mit der Staatssicher- heit der DDR.