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Archiv "Der DGB als Richter über Gut und Böse" (09.04.1981)

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DEUTSCHE S B LATT

A

Ä RZTE BLATT

rz.tliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Der DGB als Richter über Gut und Böse

Der Deutsche Gewerkschafts- bund (DGB) hat auf seinem 4.

Außerordentlichen Bundes- kongreß (12. bis 14. März) in respektabler Disziplin und fast blockartiger Geschlos- senheit sein Grundsatzpro- gramm beschlossen. Die Presse, auch die „bürgerli- che", atmete nach der einlei- tenden Rede von DGB-Chef Heinz Oskar Vetter auf: End- lich klare Worte gegenüber dem Kommunismus. Aber die teils im Hohepriesterstil formulierten 30 Abschnitte des Programms implizieren praktisch eine gelenkte Wirt- schaft und Gesellschaft im Sinne des Sozialismus. Was soziale Gerechtigkeit ist, das bestimmt der DGB .. .

Die Statuten, nicht zuletzt die Abschnitte 16 bis 20 über die sozial- und gesundheitspolitische Sicherung im frisch verabschiedeten Grundsatzprogramm des DGB, sind bewußt großzügig und weitläu- fig gefaßt, um den Nachfolgern die Chance zum weitdimensionieren- den Wegebau zu geben, den in Zukunft Freiberufler, leitende Ange- stellte, Arbeitgeber, kurzum die Bezieher von „Spitzeneinkommen", zu zahlen hätten. Es ist —würden die DGB-Vorstellungen wahr—eine Welt, aus der das Risiko verbannt wird und alles, nicht nur Industrie und soziale Versorgung, sondern auch Kirche und Kultur, unter die Kontrolldirektoren des DGB fällt.

Die Sozialleistungen sind nach den DGB-Ideen grundsätzlich nach dem Solidaritätsprinzip zu finanzieren, das die Versicherten „ent- sprechend" ihrer Leistungsfähigkeit belastet. In der Alterssicherung sind die Finanzierungsgrundlagen zu harmonisieren; „Privilegien"

bestimmter Personengruppen, wie zum Beispiel für Selbständige und Freiberufler, die zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, „sind zu beseitigen". Der Arbeitgeberbeitrag zur Rentenversicherung hat sich „nicht nur an der Bruttolohnsumme" zu orientieren. Konkret:

Die Beitragsbemessungsgrenze ist zu beseitigen und die Maschi- nensteuer einzuführen.

Der Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand muß für den Menschen unbeschadet einer „allgemeinen Herabsetzung der Altersgrenze flexibler gestaltet werden. Die Versicherten müssen rechtzeitig zwischen Arbeit und Altersrente wählen können. Es müs- sen zusätzliche Möglichkeiten geschaffen werden, um den älteren Menschen ohne finanzielle Einbußen einen flexiblen Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen . ."

Sämtliche Erwerbstätigen haben einen Arbeitsmarktbeitrag zu ent- richten, und zwar „entsprechend der Höhe ihres Einkommens". Der auf die Arbeitnehmer entfallende Beitrag ist zur Hälfte von den Arbeitgebern zu tragen. „Bei der Steuerpolitik ist der Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit oberstes Gebot . . . Spitzeneinkommen sind stärker zu besteuern". Die Mitbestimmung ist nicht nur in den Betrieben und Verwaltungen im Bereich des öffentlichen Dienstes Heft 15 vom 9. April 1981 701

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Die Information:

Bericht und Meinung DGB-Programm

und der öffentlich-rechtlichen In- stitutionen, sondern auch in den

„konfessionellen, caritativen, er- zieherischen, wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen" zu verwirklichen. Beachtlich in die- sem Grundsatzprogramm ist die suggestive Formulierung. Die Frei- berufler und Leitenden Angestell- ten sind einkommensmäßig und sozial- wie arbeitsrechtlich „privi- legiert", sie sind, wie die Fürsten in der mittelalterlich-ständischen Gesellschaftsverfassung, mit „Pri- vilegien" ausgestattet.

„Die wissenschaftlichen Ergebnis- se [der Gesundheits- und Sozial- forschung] sind der betrieblichen Praxis nutzbar zu machen und in der Gesetzgebung zu berücksich- tigen" (man drehe diesen Satz ein- mal um: Als sei das wenigstens nicht teilweise schon realisiert worden).

Trennung von Prophylaxe und Prävention

Kennzeichnend für die gewerk- schaftliche Sicht der gesundheitli- chen und sozialen Sicherung ist zum Beispiel die Spaltung des Prophylaxe- bzw. Präventionsbe- griffs. Der DGB ist durchaus auf- geschlossen für Maßnahmen ge- sundheitlicher Vorbeugung — aber die zu ändernde Problematik liegt

„vor allem in der Arbeitswelt und in der sozialen Umwelt der Men- schen". Der Dienstherr hat in er- ster Linie den Arbeitsplatz zu re- formieren und die Stressoren zu beseitigen. Im Programm steht kein Wort von der „Innensteue- rung". Das Hauptprogramm des DGB verliert im gesundheitlich-so- zialen Abschnitt auch kein Wort über die Genußmittelschäden, die sich wie Seuchen ausbreiten und mit Milliarden zu Buche schlagen.

Komplette

soziale Absicherung

Es versteht sich fast von selbst:

„Eine Selbstbeteiligung der Versi- cherten an den Krankheitskosten wird abgelehnt ... Die medizini-

schen Leistungen sind auf der Grundlage des Sachleistungsprin- zips entsprechend dem Bedarf zu erbringen. Die Herstellung, Preis- gestaltung und der Vertrieb von Arzneimitteln sind staatlich zu kontrollieren. Nur durch Mitspra- che und Mitverantwortung, nicht durch Selbstbeteiligung kann die individuelle Bereitschaft zum Ab- bau von Krankheitsursachen ge- weckt werden".

Die Krankenhäuser sind — so der DGB — an der ambulanten Versor- gung zu beteiligen. Jeder Patient hat Anspruch auf gleiche und bestmögliche Behandlung, Pflege und Unterbringung. „Die Einrich- tungen der sozialen Sicherung ha- ben den Arbeitnehmern und ihren Familien als Ersatz für das ausfal- lende Arbeitseinkommen ausrei- chende Geldleistungen zu gewäh- ren, die es ihnen ermöglichen, den erreichten Lebensstandard auf- rechtzuerhalten. Die Leistungen sind regelmäßig den Veränderun- gen der Arbeitseinkommen der Ar- beitnehmer anzupassen. . . . Je- dem Arbeitnehmer ist bei gemin- derter Erwerbsfähigkeit und im Al- ter eine Rentenleistung auf der Grundlage des bruttolohnbezoge- nen dynamischen Rentensystems zu gewähren, die seinen erreich- ten Lebensstandard sichert. Die Grundlagen für die Rentenberech- nung in den verschiedenen Alters- versorgungssystemen sind fort- schrittlich zu harmonisieren". Na- türlich ist ein „Finanzausgleich in- nerhalb der Krankenversicherung notwendig".

Toleranz

Nach langen Diskussionen wurde in der Präambel das Toleranzge- bot gegenüber Minderheiten ak- zeptiert. „Die interne Vielfalt der Meinungen verpflichtet auf der Grundlage von Toleranz zu einer eigenständigen und unabhängi- gen Willensbildung, die die ge- meinsamen Interessen aller Ar- beitnehmer zum Ausdruck bringt.

Weltanschauliche und politische Ideologien, die die Gewerkschaf- ten für ihre Zwecke mißbrauchen

wollen, sind mit dem Gedanken der Einheitsgewerkschaft unver- einbar".

Aber wehe dem, der wider die ehernen Gesetzestafeln verstößt.

Er hat gefälligst die Interpretation anzunehmen, die der DGB für richtig hält. Der DGB ist sozial, der Arbeitgeber ist es nicht. Die Ge- schichte ist der Kampf zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Plu- tokraten und Unterdrückten; die anderen Konflikte spielen höch- stens eine Rolle am Rande. Die Solidarität der Arbeitnehmer ist licht und fortschrittlich, die Soli- darität der Arbeitgeber und der an- deren, die sich dem Programm entgegenstellen, ist Verschwö- rung. Was konservativ ist, ist starr und reaktionär, was sozialistisch ist, ist fortschrittlich. Der DGB

„erübrigt konkurrierende Gewerk- schaften". So einfach ist das Ge- schichtsbild.

Mit der gesellschaftspolitischen Wirklichkeit sieht es laut Vetter nicht gut aus: „Konservative Ge- sinnung macht sich breit. Kolle- ginnen und Kollegen, das ist ein düsteres Bild. Aber ihr wißt selbst am besten, daß die Wirklichkeit nicht heller ist. Bringen wir Licht in die Zukunft! Laßt es mich wie ein Bergmann sagen: Inspizieren wir die Lampenstube, putzen wir das Geleucht! Vieles taugt noch, einiges muß blankgemacht, man- ches ganz erneuert werden . ."

„Die Einheitsgewerkschaft", so im Grundsatzprogramm, „ist aus den Erfahrungen der Arbeitnehmer vor und während der Weimarer Repu- blik und der Verfolgung durch den Nationalsozialismus entstanden.

Sie hat die historischen Traditio- nen, politischen Richtungen und geistigen Ströme der Arbeiterbe- wegung, vor allem der freiheitlich- sozialistischen und der christlich- sozialen Richtungen, in eine ge- meinsame Organisation zusam- mengeführt". Im Grundsatzpro- gramm kommen aber die Vorstel- lungen der katholischen Sozial- lehre, die nach dem Kriege in die Einheitsgewerkschaft eingebracht 702 Heft 15 vom 9. April 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung DGB-Programm

worden waren und auf die sich Vetter so gern beruft, kaum noch vor. Während die katholische So- ziallehre dem Staat, öffentlichen Einrichtungen und Händen mit Mißtrauen gegenübersteht, basiert der Sozialismus ausdrücklich auf diesen Strömungen.

„Ein Hauch von

Selbstgerechtigkeit durchzieht das Grundsatzprogramm"

Der DGB hat in Heinz Oskar Vetter eine starke Persönlichkeit. Die steinern-spartanische Überlegen- heit dieses Mannes und die An- spruchslosigkeit seiner äußeren Existenz wirken auf den Beobach- ter überzeugend. Die Organisation hat in der sozialen Welt den gro- ßen historischen Bonus, daß die Gründergeneration unter dem NS- Radikalismus schwer gelitten hat

— der DGB weiß das und spielt diese Karte in der Auseinanderset- zung hart aus. Wenn Loderer an die Zeit erinnert, wie Hütten- arbeiter sich als lebende Panzer- sperren vor die Briten stellten und die Demontage abwehrten, „wäh- rend andere Herren auf der Jagd nach Persilscheinen waren, um ihre graue Weste weißzuwa- schen", bringt er den Saal zum Vi- brieren.

Der DGB hat beim Aufbau der Bundesrepublik Grundlagen der Stabilität gelegt, er hat dem Ar- beitnehmer, der anfangs finanziell nicht verwöhnt worden ist von den beiden ersten Nachkriegs- jahrzehnten, mit Erfolg beigestan- den.

Aber die schneidende Absolutheit der Formulierungen, der Hauch der Selbstgerechtigkeit, der aus dem Grundsatzprogramm weht, macht aus dem Deutschen Ge- werkschaftsbund den Schieds- richter, der sich zuständig fühlt für alles. Aus dem Anwalt der Unter- drückten und Entrechteten wird die Institution, die über Gut und Böse entscheidet.

Dr. Ekkhard Häussermann

Anspruch auf soziale Sicherheit

„Das Grundgesetz fordert einen sozialen Rechtsstaat. Daraus folgt ein Anspruch aller Arbeitnehmer auf soziale Sicherheit und auf Schutz vor den Wechselfällen des Lebens. Der soziale Rechtsstaat beinhaltet den ständigen Auftrag, nicht die Vorrechte weniger zu schützen und die bestehenden Machtverhältnisse zu bewahren, sondern durch soziale und gesell- schaftliche Reformen die Voraus- setzungen für die Entfaltung der Grundrechte aller Menschen zu schaffen."

Umgestaltung der Gesellschaft

„Die Gewerkschaften kämpfen um die Ausweitung der Mitbestim- mung der Arbeitnehmer. Damit wollen sie eine Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft einlei- ten, die die Arbeitnehmer an den wirtschaftlichen, sozialen und kul- turellen Entscheidungen gleichbe- rechtigt beteiligt."

Umfassende Mitbestimmung

„Die Mitbestimmung in den Be- trieben und Verwaltungen im Be- reich des öffentlichen Dienstes und der öffentlich-rechtlichen so- wie konfessionellen, caritativen, erzieherischen, wissenschaftli- chen und kulturellen Einrichtun- gen ist zu verwirklichen. Die Ver- treter der Beschäftigten müssen dabei gleichberechtigt und gleich- gewichtig an den Entscheidungen beteiligt werden. Die Rechte der politischen Organe bleiben davon unberührt."

Weiterer Ausbau sozialer Leistungen

„Die Gewerkschaften haben in der Vergangenheit wesentliche Erfol- ge beim Ausbau der sozialen Si- cherheit erzielt. Das gegenwärtige System bildet deshalb eine gute Grundlage für die weitere Ent- wicklung, die entsprechend den Bedürfnissen der Arbeitnehmer voranzutreiben ist. Schwerge- wichte der weiteren Entwicklun- gen müssen in der Beseitigung von Nachteilen durch eine fort- schrittliche Harmonisierung, in ei- nem zügigen Ausbau der Leistun- gen für die Familien, der Verbes- serung der sozialen Sicherheit für Problemgruppen und dem Ausbau von Sach- und Dienstleistungen liegen, die die finanziellen Ansprü- che zu ergänzen haben. Auf alle Leistungen der sozialen Siche- rung besteht ein Rechtsan- spruch."

Koordination

der „Sozialleistungszweige"

„Die soziale Sicherung wird vor- wiegend durch die Träger der So- zialversicherung gewährleistet.

Die Erfüllung dieser Aufgabe wird durch die Einrichtungen von Bund, Ländern und Gemeinden und der Sozialhilfe unterstützt. Die Organisation der Träger der ge- gliederten Sozialversicherung und anderer sozialer Einrichtungen muß so weiterentwickelt werden, daß sie ihre Aufgaben wirkungs- voll erfüllen kann. Unter Beach- tung des Grundsatzes der Selbst- verwaltung gehören dazu vor al- lem eine versichertennahe und DOKUMENTATION

Anspruch des DGB:

Mitbestimmung

auch im Gesundheitswesen

Auszüge aus dem in Düsseldorf verabschiedeten

Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 15 vom 9. April 1981 703

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