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Archiv "Das Haschischproblem aus klinischer Sicht" (22.01.1981)

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ÜBERSICHTSAUFSATZ

Das Haschischproblem aus klinischer Sicht

Karl-Ludwig Täschner*)

Aus der Abteilung für klinische Psychiatrie II

(Kommissarischer Leiter: Dr. med. Karl-Ludwig Täschner) des Zentrums der Psychiatrie der

Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

Haschisch ist eine halluzinogene Substanz, sein regelmäßiger Kon- sum führt über eine Dosissteigerung zur psychischen Abhängigkeit.

Die lange Halbwertszeit seiner Inhaltsstoffe bewirkt Speicherung im Organismus und unerwünschte Additionseffekte. Haschisch gehört zu den psychosefördernden Substanzen; sein Konsum führt auch zur Verfestigung von Haltungen, die Drogenkonsum allgemein begünsti- gen. Cannabis ist insofern psychologischer Schrittmacher (Einstiegs- droge) für Drogenkarrieren. Haschischkonsum führt zu sozialer Beeinträchtigung, zur Ausrichtung des Handelns am LustUnlustprin- zip und damit meist zu vielfältigen sozialen Verwicklungen.

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin.

Das Cannabisproblem — ein alltägliches

klinisch-psychiatrisches Problem Das Cannabisproblem in der Bun- desrepublik Deutschland kann nur dann verstanden werden, wenn man es als Teil eines größeren Gesamtge- schehens auffaßt, das sich uns seit Ende der 60er Jahre als sogenannte Drogenwelle darstellt. Seit jener Zeit haben wir es in der Klinik mehr und mehr mit rauschdrogenkonsumie- renden jungen Menschen zu tun, die vorwiegend der Altersgruppe der unter 30jährigen angehören. Von ih- nen konsumiert ein großer Teil auch Cannabis. Viele der Cannabis- konsumenten kommen allerdings mit der Klinik nicht in Berührung, weil sie den Konsum nach einem Probierstadium von selbst wieder aufgeben. Daneben existiert an- scheinend eine Gruppe von Gele- genheitskonsumenten, die das Sta- dium der Abhängigkeit nicht errei- chen, weil sie die Droge nur spora- disch benutzen. Etwa die Hälfte aller

drogenkonsumierenden Patienten unserer Klinik nahm in den letzten drei Monaten vor der stationären Aufnahme Cannabis zu sich, meist im Rahmen eines Mehrfachkon- sums. Damit ist das Cannabispro- blem vom Umfang her ein alltägli- ches klinisch-psychiatrisches Pro- blem geworden.

Warum stellt Cannabis für uns

ein Problem dar?

Dafür gibt es die im folgenden auf- geführten Gründe:

0 Cannabis ist eine rauscherzeu- gende Droge, die halluzinogene Wir- kungen entfaltet, wenn sie in der üb- lichen, dem konsumierenden Indivi- duum angemessenen Dosis genom- men wird. Es wird zur Herbeiführung

*) In dankbare Gedenken an Herrn Professor Dr. med. Hubert Harbauer (1919-1980), der diese Arbeit angeregt hat.

Psychotrope Drogen

eine wesentlich treuere Kundschaft bilden als Kiffer, werden die ersten Dosen Heroin an die Jugendlichen meistens verschenkt, anschließend geraten diese dann rasch und unwi- derstehlich in den Teufelskreis der Drogenabhängigkeit, aus der es kaum ein Entrinnen gibt.

Dem Haschisch wurde lange die Funktion einer Einstiegsdroge zuge- schrieben, was für psychisch labile Jugendliche sicher zutrifft, nicht aber für die Mehrheit der Haschisch- Konsumenten auf der ganzen Welt.

Das Umsteigen auf Opiate erfolgt genauso von Alkohol oder Amphet- aminen wie von Haschisch.

In der Bundesrepublik Deutschland sind, abgesehen von vereinzelten In- itiativen, keine Tendenzen zur Lega- lisierung von Haschisch vorhanden, anders als in Amerika, wo aufgrund ziemlich schlechter Erfahrungen mit der Alkoholprohibition und ange- sichts beachtlich vieler Marihuana- raucher unter der jüngeren Bevölke- rung die Legalisierung der Droge diskutiert wird. Die Fürsprecher der Legalisierung erwarten, daß sich die Zahl der Umsteiger auf harte Drogen verringern würde und daß die Kon- sumenten des „relativ harmlosen"

Haschisch entkriminalisiert würden.

Voraussetzung dafür ist jedoch, es finden sich Wege, die Droge zu so- zialisieren, das heißt, ihren Konsum in unsere Gesellschaft zu integrieren und in vernünftige Bahnen zu lenken.

Literatur

(I) Mechoulam, R. (Ed.): „Marijuana", Academic Press, New York (1973)-(11) Braude, M.; u. Szara, S. (Ed.): „Pharmacology of Marihuana", Raven-Press, New York (1976)

Nahas, G. (Ed.): „Marihuana, Chemistry, Biochemistry and Cellular Effects", Springer- Verlag, New York (1976) - (IV) Nahas, G.; u.

Paton, W. L. M. (Ed.): „Marihuana: Biological Effects", Pergamon Press, Oxford (1979) Das gesamte Literaturverzeichnis ist den Son- derdrucken beigefügt.

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. phil. nat.

Michael A. Binder

Institut für Physiologische Chemie der Ruhr-Universität Bochum Postfach 10 21 48

4630 Bochum

126 Heft

4 vom

22. Januar

1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Therapie statt Strafe! — Therapie statt Strafe?

Die Drogensucht nimmt zu. Das Schlagwort „Therapie statt Stra- fe" hat bei Laien vielfach den Ein- druck erweckt, als müsse der Ge- sellschaft erst mitgeteilt werden, wie mit Drogensüchtigen umzu- gehen sei. Die Medien haben die- se Meinung begierig aufgegriffen und verbreitet. Hier liegt indes- sen eine Täuschung vor. Die Be- wältigung des Rauschmittel- problems durch die Gesellschaft ist keineswegs mit der Weiterga- be des pharmakologischen und toxikologischen Wissens an die Praxis identisch. Selbst wenn man — rein theoretisch — die Mei- nung vertreten könnte, Ha- schisch sei so bemerkenswert wenig toxisch und habe bei nur gelegentlichem Konsum so weni- ge Nachwirkungen, daß eigent- lich gar nicht einzusehen sei, weshalb es nicht genauso in die Gesellschaft integriert werden könnte wie etwa der Alkohol, so sieht dieses Problem aus der Sicht desjenigen, der bei der Be- wältigung von Suchtproblemen an der Front steht, doch ganz an- ders aus — ganz abgesehen da- von, wäre das Problem Ha- schisch durch Integration wirk- lich bewältigt? — Die Front, das ist der Umgang mit den Süchti- gen und ihrer Egozentrizität, mit ihren Angehörigen und deren Verzweiflung, vor allem dann, wenn es sich bei den Süchtigen um Jugendliche handelt. Was hilft eigentlich eine Statistik, die nachweist, daß soundsoviele He- roinsüchtige ohne den vorheri- gen Konsum von Haschisch ihrer Sucht verfallen sind? Fest steht auf der anderen Seite doch auch, daß derjenige, der erst einmal mit Haschisch begonnen hat, die Barriere für den nachfolgenden Konsum tiefer ansetzt und vor al- lem auch die psychologischen Hemmungen, es auch einmal mit stärker wirksamen Drogen zu probieren, sehr viel rascher ver- liert. Haschisch ist sicher nicht

die Einstiegsdroge, indes ist es mit Sicherheit eine Einstiegsdro- ge. Die Bewältigung des Sucht- problems ist erst in zweiter oder gar nur dritter Linie eine medizi- nische Frage. Extrapoliert man die heute verfügbaren Erfahrun- gen, dann muß man zugeben, daß eine „Therapie" der Sucht wohl nur schwer verwirklicht werden kann. Vor allem muß es darum gehen, die Zahl derjeni- gen, die sich zur Bewältigung ih- rer persönlichen Probleme in ei- ne psychophysische Abhängig- keit begeben möchten, so klein wie möglich zu halten. Das ist sicherlich zum Teil eine Frage der Pädagogik. Vor allem resul- tiert daraus aber die Forderung an unser Ordnungssystem, dafür zu sorgen, daß Opiate, Psycho- pharmaka, Halluzinogene oder Schlafmittel und was es sonst noch so an Stoffen gibt, die po- tentiell zur Suchterzeugung die- nen können, auf dem Markt nicht frei erhältlich sind, obgleich sie als Arzneistoffe im Bedarfsfall verfügbar sein müssen. Es dürfte sich als erheblich effektiver und effizienter erweisen, die potenti- ell Süchtigen vor der Exposition gegenüber Suchtmitteln zu be- wahren, als den Eintritt einer Sucht in Kauf zu nehmen, um dann unter erheblichem Aufwand eine Therapie zu starten, deren Erfolg gegenwärtig als höchst fragwürdig beurteilt werden muß.

Überdies klagen die mit der Thera- pie Befaßten auch noch darüber, daß ihre Arbeit in erster Linie des- halb in Frage gestellt ist, weil we- gen begrenzter finanzieller Res- sourcen zu wenig qualifizierte Therapieplätze zur Verfügung ste- hen. Auch dies ist eine Realität, die vor einer Entscheidung über das anzuwendende Handlungssche- ma in die Überlegungen mit ein- fließen muß. —Therapie statt Stra- fe? — Das Schlagwort: „Ächtet die Sucht!" steht dazu nicht im Wider- spruch. W. Forth

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Cannabisproblem

eines Rauschzustandes benutzt und ist damit im Grunde der Gruppe der Halluzinogene zuzuordnen, auch wenn es von der Weltgesundheitsor- ganisation (WHO) bezüglich des Ab- hängigkeitstyps aus dieser Gruppe herausgenommen wurde.

Der Cannabisrausch ist in der Re- gel durch Euphorie, Glücksgefühl, Fröhlichkeit, innere Gelassenheit, Heiterkeit, das Gefühl der Erfüllung und das wohlige Nachlassen innerer Aktivität gekennzeichnet. Er führt zur Antriebsverminderung, die im weiteren Verlauf des Rauschs zu Passivität, aber auch zu Apathie und depressiver Verstimmung überleiten kann. Müdigkeit und Leistungsnach- laß charakterisieren den ausklingen- den Rauschzustand.

Weitere Hauptwirkungen des Can- nabis sind Denkstörungen, die Be- ringer (1)*) schon 1932 und vor ihm in ähnlicher Weise Fränkel und Joel 1928 (5) beschrieben haben: Das Denken verliert seinen inneren Zu- sammenhang, seine zeitliche und sinnhafte Kontinuität, es kommt zum Gedankenabreißen, zur Herabset- zung der gedanklichen Speiche- rungsfähigkeit, zu nicht nachvoll- ziehbaren Ordnungsprinzipien der Denkabläufe außerhalb logischer Gesetzmäßigkeiten. Störungen der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit und der Konzentration treten im Cannabisrausch wie bei anderen Räuschen auf, die Kritikfähigkeit wird herabgesetzt. Als typische Hal- luzinogenwirkung ist das Auftreten von illusionären Verkennungen und Halluzinationen zu bezeichnen. Da- bei scheint teilweise eine Distan- zierung von den halluzinativen Erlebnisproduktionen möglich zu sein, so daß man exakter von Pseu- dohalluzinationen sprechen sollte.

Eine Droge mit einem solchen Wir- kungsspektrum kann nicht als harm- los bezeichnet werden.

(9

Regelmäßiger Cannabiskonsum führt in Relation zu den zugeführten Mengen zur Abhängigkeit. Hierzu ist ein mehr oder weniger langes Vor- stadium regelmäßigen Konsums er-

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 4 vom 22. Januar 1981 127

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Cannabisproblem

forderlich. Die Abhängigkeit vom Cannabistyp besteht nach der Definition der Weltgesundheitsorga- nisation (WHO) aus einer mäßigen bis deutlichen psychischen Abhän- gigkeit von der angestrebten Sub- stanzwirkung bei gering ausgepräg- ter Tendenz zur Dosissteigerung.

Psychische Entzugserscheinungen bei Absetzen der Substanz sind die Regel, sie äußern sich als Unruhe, Nervosität, Drang zur Wiederholung der Stoffzufuhr, Verstimmung, viel- fach auch als das Gefühl innerer Leere. Möglicherweise können auch leichte körperliche Entzugssympto- me auftreten (5. Bericht an das Ame- rikanische Gesundheitsministerium von 1975 (10)). In ähnliche Richtung sprechen auch die Ergebnisse von Tierversuchen (Hirschhorn (6), De- neau (4)).

Dem widerspricht nicht, daß manche Konsumenten bestreiten, solche Symptome erlebt zu haben. Viele er- reichen das Stadium der Abhängig- keit nicht, weil sie nach einem Pro- bierkonsum aufhören oder auf ande- re Drogen übergehen. Auch der zu- sätzliche Konsum von Alkohol kann solche Symptome verdecken. Daß ein über längere Zeit betriebener sporadischer Gelegenheitskonsum der Droge möglich ist, ohne daß eine Abhängigkeit manifest wird, beob- achten wir auch bei anderen Dro- gen, wobei Suchtpotential und Grad des traditionell-soziokulturellen Ein- gebundenseins des Konsums in die Umgebung hier mitbestimmende Faktoren sind.

Für das Cannabis und alle anderen Rauschdrogen gilt, daß sie zur Ab- hängigkeit führen. Abhängigkeit be- deutet Einschränkung der individu- ellen und sozialen Freiheit und da- mit das Gegenteil von Emanzipation und freier Entfaltung des Indivi- duums.

Die wirksamen Cannabisinhalts- stoffe haben eine Halbwertszeit, die weit über der gängiger Arzneimittel liegt. Wir rechnen mit 54 Stunden beim anfänglichen Konsum, im Lau- fe eines Dauerkonsums sinkt diese Zeitdauer auf etwa die Hälfte ab.

Cannabisinhaltsstoffe werden in li-

pophilen Geweben angereichert, un- ter anderem im Gehirn. Hier entsteht ein Reservoir, das die ständi- ge Anwesenheit von THC (Tetra- hyd rocannabinol, ein wirksamer Haschischinhaltsstoff) garantiert.

Durch diese Speicherung im Orga- nismus kann eine Dosiserhöhung der Substanz verschleiert werden.

Bei einem fortgeschritten Abhängi- gen kann es Tage, ja unter Umstän- den Wochen dauern, bis nach Ein- setzen von Abstinenz keine nen- nenswerten THC-Mengen mehr im Organismus vorhanden und damit verfügbar sind. Werden während dieser Zeit andere Rauschdrogen oder auch psychotrop wirkende Me- dikamente genommen, so kann es zu unerwarteten Additionseffekten kommen.

Eines der Hauptprobleme, die mit dem Konsum von Cannabis ver- bunden sind, besteht in der psycho- sefördernden Potenz der Substanz.

Schon Stringaris berichtete 1939 (12) über Cannabispsychosen. In der südlichen Sowjetunion wurden be- reits 1934 solche Krankheiten bei Cannabiskonsumenten beschrieben (Skliar (11)). Auch nach neueren Un- tersuchungen kann kein Zweifel dar- an bestehen, daß Cannabiskonsum die Entstehung von schizophre- nieähnlichen Krankheitsbildern för- dert (Keup (7), Negrete (8), Bron (3), Täschner (13)).

Bei Cannabiskonsumenten beob- achten wir immer wieder atypische Rauschverläufe, bei denen Angst, Panik, Horror, Depressionen, Verfol- gungs- und Beziehungswahn zu ei- nem vom Betroffenen als qualvoll erlebten Bild führen. Anhand der un- sicheren Dosierbarkeit des Canna- bis ist die Wirkung einer Einzeldosis oft schwer kalkulierbar. Unter ver- schiedenartigen Begleitumständen

ist bei verschiedenen Personen mit sehr unterschiedlichen Rauschver- läufen zu rechnen. Eine vom Konsu- menten gar nicht recht registrierte depressive Verstimmung oder situa- tiv bedingte Niedergeschlagenheit kann den Cannabisrausch negativ beeinflussen und zu einem atypi- schen Rauschverlauf führen. Ist der Rausch einmal in Gang gekommen,

können Verlauf und Inhalt vom Kon- sumenten praktisch nicht mehr be- einflußt werden. Atypische Rausch- verläufe bedürfen häufig psychiatri- scher Behandlung.

Ein spezielles Problem stellen die Nachräusche (flashbacks) dar. Dar- unter verstehen wir das Auftreten von Wahrnehmungs- und Erlebnis- veränderungen, wie sie sonst nur im Rausch beobachtet werden können, ohne daß hier allerdings erneut Can- nabis zugeführt worden wäre. Flash- backs können noch etwa sechs Mo- nate nach dem letzten Konsum der Substanz auftreten, in manchen Fäl- len noch später, oft ohne erkennba- ren Anlaß. Der genaue Entstehungs- mechanismus ist bis heute nicht be- kannt. Das plötzliche, unvorherseh- bare Eintreten dieser Zustände birgt erhebliche Gefährdungsmomente für die Betroffenen.

Schließlich kann es in einer Reihe von Fällen zu schizophrenie-ähnli- chen Krankheitsbildern kommen, deren Verlauf akut, subakut und chronisch sein kann. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von cannabisinduzierten Psychosen. Wir haben eine ganze Reihe solcher Psy- chosen bei Cannabiskonsumenten beobachtet und beschrieben*). Man- ches spricht dafür, daß wir hier aus- gelöste Schizophrenien vor uns ha- ben. Die psychotische Symptomatik, die in einem Teil der Fälle schon vor dem Cannabiskonsum bestand, wird häufig verstärkt. In einem unlängst beobachteten Fall führte die Ände- rung der Dosierung bei einem exzes- siven Cannabiskonsumenten zur Auslösung einer paranoid-halluzina- torischen Psychose von chroni- schem Verlauf, der allmählich in ei- ne Defektbildung einzumünden scheint.

Chronischer Cannabiskonsum führt über Haltungs- und Einstel- lungsveränderungen zu sozialer Be- einträchtigung. Die Neigung zum passiven Sichtreibenlassen wird durch den Konsum der Rauschdro- ge gefördert. Dort, wo Auseinander-

') Täschner, K.-L.: Rausch und Psychose.

Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1980. Hier werden auch Fallbeispiele beschrieben.

128 Heft 4 vom 22. Januar 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Cannabisproblem

setzung mit den Anforderungen der Umgebung zu persönlicher Erfah- rung und Reifung eines jungen Men- schen führen kann, bleiben ent- scheidende Anstöße aus, wird aus- gewichen in eine künstlich verän- derte Innenwelt, wo Verantwortung nicht übernommen zu werden braucht und aktive Auseinanderset- zung nicht erforderlich ist. Zugleich kommt es zum allgemeinen Lei- stungsnachlaß.

Regelmäßig Cannabis konsumieren- de Schüler können sich nach Erfah- rungen des Frankfurter schulpsy- chologischen Dienstes (Weber) nach Beginn ihrer Sucht noch etwa sechs Monate an der Schule halten, danach kommt es in der Regel zum Abbruch der Schulausbildung.

Cannabiskonsum führt so zu zahlrei- chen zusätzlichen Problemen und Konflikten, nicht zur Lösung schon bestehender Belastungen aus dem sozialen Umfeld.

Die Abwendung von leistungs- orientierten Handlungsmaximen bei gleichzeitiger Ausrichtung des Ver- haltens am Lust/Unlustprinzip birgt aber nicht nur für die betreffenden Individuen Gefahren, sondern letzt- lich auch für die bestehenden ge- sellschaftlichen Strukturen, die da- durch eine zunehmende Aushöh- lung erfahren.

Cannabis ist immer wieder eine Einstiegsdroge genannt worden.

Man hat sich zeitweise vorgestellt, daß Haschischhändler Opium unter die Substanz mischten, um auf diese Weise aus Haschischkonsumenten Opiatsüchtige zu machen. Diese Vorstellung konnte nie durch exakte Untersuchungsergebnisse belegt werden. Haschischproben weisen zwar streckende Verunreinigungen auf, praktisch aber niemals Opiate.

Einen rein mechanischen Übergang vom Cannabis zum Heroin gibt es sicher nicht. Andererseits besteht aber auch kein Zweifel, daß der Dau- erkonsum einer euphorisierenden Rauschdroge allmählich zu einer Einstellungs- und Haltungsverände- rung bei den Konsumenten führt, in- dem die Manipulation der eigenen

Befindlichkeit zur Routine erstarrt.

An die Stelle von Lebensbewälti- gung treten Betäubung und Flucht in die eigene Innenwelt.

Da sich die Wirkung der Droge aber durch Dosiserhöhung nicht beliebig steigern läßt, ergibt sich bald die Notwendigkeit, auf ein stärker wir- kendes Mittel überzugehen. Hier bieten sich praktisch nur die soge- nannten harten Drogen an, vor allem das Heroin.

Eine Einstiegsdroge ist Cannabis in- sofern, als sein Konsum eine Hal- tung verfestigt, deren immanenter Bestandteil der Konsum psychotro- per Stoffe ist. Es erfüllt eine Schritt- macherfunktion beim Übergang auf stärker wirkende Rauschdrogen.

Sein Konsum wirkt gewohnheitsbil- dend, bahnt und verfestigt abhängi- ge Verhaltensweisen. Cannabiskon- sum führt aber nicht zwangsläufig zum Konsum anderer zentral wirksa- mer Mittel. Seine Schrittmacher- funktion ist überwiegend psycholo- gischer Art.

Es ist klar, daß sie vor allem bei jüngeren, unzureichend stabilisier- ten Menschen zum Tragen kommen kann. Daß auch andere Stoffe eine solche Funktion übernehmen kön- nen, ändert nichts an der diesbezüg- lichen Gefährlichkeit des Cannabis.

0

Abschließend ein Wort zur soge- nannten Legalisierungsdiskussion.

Zur Herausnahme des Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz wird es erforderlich sein, den Nachweis der Unschädlichkeit zu führen. Die Beweislast liegt hier ganz bei der Droge. Es besteht aber eine Fülle von Verdachtsmomenten, die ent- kräftet werden müssen (zum Bei- spiel Einfluß auf das Immunsystem, den Serumtestesteronspiegel, mög- liche teratogene Wirkungen, Lun- genschäden, Beeinträchtigung der Spermatogenese).

Zweifellos würde die Freigabe von Cannabis seine Verbreitung auch unter neuen Konsumentengruppen fördern, die bis heute vom Konsum nicht erfaßt sind: Der bestehende Schwarzmarkt würde nicht ausge-

trocknet, sondern zwecks Unterbie- tung staatlich verordneter Preise fortbestehen. Der Legalisierung wei- terer Rauschdrogen würde der Bo- den bereitet: Auch LSD und seine Verwandten müßten bald freigege- ben werden.

Alle diese Aspekte sollten bedacht werden, wenn man der Freigabe ei- ner Rauschdroge großzügig das Wort redet.

Literatur

(1) Beringer, K.; Baeyer, W. v.; Marx, H.: Zur Klinik des Haschischrauschs, Nervenarzt 5 (1932) 337-350. — (2) Bron, B.; Fröscher, W., Gehlen, W.: Differentialdiagnostische und syn- dromgenetische Probleme und Aspekte dro- geninduzierter Psychosen bei Jugendlichen, Fortschr. Neurol. Psychiat. 44 (1976)673-682—

(3) Bron, B.; Fröscher, W.; Gehlen, W.: Analyse chronischer psychotischer Zustandsbilder bei jugendlichen Drogenkonsumenten, Fortschr.

Neurol. Psychiat. 45 (1977) 53-75 — (4) Deneau, G. A.; Kaymakcalan, S.: Physiological and psy- chological dependence to synthetic delta-9- THC in Rhesus monkeys, Pharmacologist 13 (1971) 246 — (5) Fränkel, F.; Joel, E.: Beiträge zu einer experimentellen Psychopathologie — Der Haschischrausch, Zschr. f. d. ges. Neurol.

u. Psychiat. 111 (1927) 84-106— (6) Hirschhorn, 1. D.; Rosencrans, J. A.: Morphine and Delta-9- THC: Tolerance to the stimulus effects, Psychopharmacol. (Berl.) 36 (1974) 243-253 — (7) Keup, W.: Psychotic Symptoms Due to Can- nabis Abuse (A Survey of Newly Admitted Men- tal Patients), Dis. nerv. Syst. 31 (1967) 119-126

— (8) Negrete, J. C.: Psychological adverse effects of cannabis smoking: A tentative clas- sification, Canad. med. Ass. J. 108 (1973) 195-196 — (9) Remschmidt, H.: Haschisch und LSD. Physische und psychische Wirkungen, Med. Klin. 67 (1972) 706-716, 781-786 — (10) Secretary of Health, Education and Welfare (Hrsg.): Marihuana and Health. Fifth annual Report to the U. S. Congress. Washington 1975

— (11) Skliar, N.: über Anascha-Psychosen, Allg. Zschr. f. Psychiatrie und psychisch-ge- richtl. Medizin 102 (1934) 304-312 — (12) Strin- garis, M. G.: Die Haschischsucht, Springer Verlag, Berlin 1939,2. Aufl. 1972 — (13) Täsch- ner, K.-L.: Das Cannabisproblem, Akademi- sche Verlagsgesellschaft, Wiesbaden 1979

—(14) Woggon, B.: Haschisch — Konsum und Wirkung, Springer Verlag, Berlin — Heidelberg

— New York 1974

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Kari-Ludwig Täschner Kommissarischer Leiter der

Abteilung für Klinische Psychiatrie II des Zentrums der Psychiatrie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Heinrich-Hoffmann-Straße 10 6000 Frankfurt am Main 71

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