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Archiv "Hirntod oder Teilhirntod?" (05.04.1990)

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Hirntod oder Teilhirntod?

Das auch in der Bundesrepublik Deutschland etablierte Konzept des

„Hirntodes" (s. Dtsch. Ärztebl. 83, 1986: 2940-2946) wurde in den letz- ten Jahren Gegenstand einer vor al- lem in den USA einflußreichen Kri- tik. In zwei Artikeln wird der argu- mentative Wert dieser aktuellen Kri- tik untersucht, derzufolge der Tod eines Menschen nicht erst mit dem

„Tod" des gesamten Hirns gegeben ist, sondern bereits mit dem irrever- siblen Funktionsausfall der für be- stimmte höhere Funktionen wie etwa bewußtes Erleben verantwortlichen Hirnstrukturen. Die Vertreter eines Konzepts des Teilhirntodes, das in verschiedenen Versionen als „neo- kortikaler Tod", „Großhirntod", „ko- gnitiver Tod" etc. eingeführt wird, unterstellen den Befürwortern der Bestimmung des Todes als Hirntod ei- ne konzeptuelle Inkonsequenz oder gar ein reduktionistisches, physiolo- gistisches Menschenbild. So kann ar- gumentiert werden, daß die Pointe der Forderung nach jeglichen Hirn- kriterien des Todes gerade darin be- stand, daß das Gehirn als dasjenige Organ anerkannt wurde, durch wel- ches Kognition, bewußtes Erleben, kurz: alles, was den Menschen als Menschen ausmacht, verwirklicht wird. Es wäre dann nur konsequent, bereits den Ausfall der für diese Funktionen verantwortlichen höhe- ren Hirnzentren als Kriterium für den Tod eines Menschen vorzusehen.

Zweifellos ist ein Konzept des To- des als Teilhirntod höchst problema- tisch. Nicht nur sind die als „essentiell menschlich" anzusehenden höheren Funktionen derzeit weder begrifflich (was, zum Beispiel, ist „Bewußt- sein"??) noch klinisch-operational hinreichend präzise zu bestimmen;

der „Teilhirntod" scheint auch eine von vielen als ethisch unannehmbar eingeschätzte weitere „Aufweichung"

der Todeskriterien mit sich zu brin- gen. Man muß sich jedoch davor hü- ten, mittels der empörten Ablehnung des „Teilhirntodes" zugleich auch die unerledigte Fragwürdigkeit zu ver- drängen, die dem Tod qua Tod des Gesamthirns noch innewohnen mag.

Um die Diskussion dieses heik- len Themas zu strukturieren, wird —

in Erweiterung früherer Modelle aus der US-amerikanischen Literatur — ein „Vier-Ebenen-Modell" des To- des vorgeschlagen, demzufolge

„Tod" auf den Ebenen der Attribu- tion (A), der Definition (B), der Krite- rien (C) und der Tests (D) zu bestim- men ist.

(A) Mit der Attribution wird das Subjekt des Todes bestimmt: etwa der Mensch, der Organismus, die Person o. a.

(B) Die Definition liefert den Be- griff des Todes: als Erlöschen der personalen Existenz, als irreversibler Funktionsausfall des „Organismus als Ganzes" o. a.

(C) Die Kriterien geben die über- prüfbaren Sachverhalte an, die das Eintreten des Todes markieren: der Funktionsausfall des gesamten Ge- hirns, des Großhirns o. a.

(D) Die Tests schließlich liefern das Verfahren, die Erfüllung dieser Kri- terien zu demonstrieren: etwa klini- sche Untersuchung, EEG etc.. .

Da die Todesbestimmung auf je- der Ebene nur relativ zu der jeweils höheren Ebene vorgenommen wer- den kann, muß die Ebene der Attri- bution des Todes als entscheidend angesehen werden. Nach Sichtung einiger Argumente erscheint es sinn- voll, nicht den „Menschen", den „Or- ganismus" oder das „Individuum" als Subjekt des Todes anzusetzen, son- dern die Person — dies um so mehr in- sofern, als die meisten Todeskonzep- te einen nicht eigens bestimmten, im- pliziten Personbegriff ohnehin ent- halten. Ein rein am „Organismus"

orientiertes — und vermeintlich be- sonders „wissenschaftliches" — To- deskonzept gelangt überhaupt nicht zu einem Begriff des Todes eines Menschen als Menschen, es sei denn, der „organismal" definierte Tod wird nachträglich einfach auf die Person (das Individuum, o. a.) übertragen.

Der Verfechter des „Hirntodes"

kann dann tatsächlich in die argu- mentative Defensive geraten. Denn wenn seine Todesdefinition aus- schließlich auf die dem ganzen Ge- hirn zugeordneten Integrations- und Regulationsleistungen für den Ge- samtorganismus abhebt, erhebt sich der Vorwurf des Reduktionismus so-

wie die Frage, warum nicht der Funktionsausfall der für diese Lei- stungen entscheidenden Hirnstruk- turen (im Extremfall: nur der Hirn- stamm) als Todeskriterium ausreicht.

Wenn aber zusätzlich das „personale menschliche Leben" in die Todesdefi- nition einbezogen wird — dies ist in der für die Bundesrepublik maßgebenden Stellungnahme der Fall — ist auch die Auseinandersetzung mit all den Pro- blemen unausweichlich, mit denen der Verfechter des „Teilhirntodes" zu kämpfen hat.

Der „Teilhirntod" — als „zu En- de gedachter 'Hirntod" — stellt inso- fern eine heilsame Provokation dar, als er die Konsequenzen einer Ent- scheidung in den Blickpunkt rückt, die bereits mit der Annahme des

„Hirntodes" gefallen war: die Festle- gung darauf, daß das „Menschliche des Menschen" auf die Funktion ei- nes einzigen Organs zurückgeführt werden kann. Die diversen Konzepte des Teilhirntodes sind nur Teile des großangelegten Versuchs, unsere vorwissenschaftlichen Intuitionen bezüglich des „Wesens des Men- schen" (und des Toten als „Nicht- mehr-Menschen") mit der nicht wei- ter befragten neurowissenschaft- lichen Einsicht zu versöhnen, daß

„Seele", „Geist" und ratio durch das Gehirn realisiert werden (s. D. B.

Linke und M. Kurthen: Parallelität von Gehirn und Seele. Stuttgart: En- ke 1988). Die drastischen Modifika- tionen des Todeskonzepts in diesem Jahrhundert spiegeln einen tieferge- henden Wandel wider, welcher darin besteht, daß von den medizinischen Wissenschaften nicht mehr lediglich eine Antwort auf die Frage erwartet wird, wann ein Mensch tot sei, son- dern auch eine Auskunft darüber, was überhaupt „der Mensch" sei. Und auf eben diese Auskunft warten wir bislang vergebens. krh

M. Kurthen, D. B. Linke, B. M. Reuter:

Hirntod, Großhirntod oder personaler Tod? Medizinische Klinik 84 (1989):

483-487.

M. Kurthen, D. B. Linke, D. Moskopp:

Teilhirntod und Ethik. Ethik in der Medi- zin 1 (1989): 134-142.

Dr. med. Martin Kurthen, Klinische Neu- rophysiologie und Neurochirurgische Re- habilitation, Neurochirurgische Universi- tätsklinik, Sigmund-Freud-Str. 25, 5300 Bonn 1.

Dt. Ärztebl. 87, Heft 14, 5. April 1990 (75) A-1123

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