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Archiv "Allgemeinmedizin: Brüssel ist böse" (22.02.1990)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

ie sich wandelnde politi- sche Landschaft in der Deutschen Demokrati- schen Republik (DDR) hat dazu geführt, daß ein bisher nicht zu beobachtendes Leiden in be- achtlicher Häufigkeit auftritt.

Die Ätiologie scheint bis heute noch nicht klar zu sein; interes- sant ist allerdings, daß das Krankheitsbild des „Wendehal- ses" an den Besitz eines Partei- buches der sozialistischen Ein- heitspartei (SED) und deren Mutationsform, der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), gebunden ist.

Sicher ist bisher, daß im Ge- gensatz zum „Schiefhals" der

„Wendehals" kein orthopädi- sches Leiden ist. Zu den siche- ren prodromi des neuen Krank- heitsbildes gehören stets ein ge- wisses politisches Unwohlsein und eine ganz gewöhnliche Form der retrograden Amnesie.

Diese retrograde Amnesie, die wiederum nicht traumatisch be- dingt ist, bezieht sich vor allem auf die Handlungen, die in der näheren und ferneren Vergan- genheit zum eigenen Nutzen, al- so zum Mehren des persönlichen Besitzes und zur Stärkung des politischen Einflusses, erfolgten.

Bevorzugt werden soge- nannte sozialistische Leiter be- fallen, die bisher am Revers des Jacketts ein elliptoides Gebilde

DDR

Der Wendehals — kein orthopädisches Leiden

mit der symbolhaften Darstel- lung zweier ineinander ver- schlungener Hände getragen ha- ben. Und weil gerade in diesem äußeren Zeichen große Gefahr bestand, von anderen erkannt zu werden, wurde dieses Symbol der Partei der Selbstgerechten (PDS) in den Tagen des revolu- tionären Leipziger Oktobers DDR-weit abgelegt. In der über- großen Tragik des Vorgangs liegt zugleich die spezifische Handlungsweise des Wendehal- ses, denn er kann sich nun gar nicht mehr erinnern, jemals zu den Selbstgerechten gehört zu haben. Und danach gibt es eine Sonderform des DDR-Men- schen, der mit absoluter Sicher- heit vom Morbus Wendehalsii heimgesucht wurde: der Kreis- arzt! Auch jahrelanges Stillsit- zen an Schreibtischen, tiefes Buckeln nach oben und kräftiges Treten nach unten haben tragi- scherweise nicht bewirken kön- nen, daß das ewige Leben in Be- quemlichkeit gesichert werden konnte.

Eine eigentliche Therapie des Wendehalsleidens ist nicht wünschenswert, da ansonsten sein Träger unerkannt bleibt.

Besser ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes unter Beachtung der beruflichen Eig- nung des Wendehalsträgers.

Zur Prophylaxe des Wende- halsleidens sind Änderungen in der gesellschaftlichen Struktur der DDR mit völliger Zerschla- gung der SED und ihrer Folge- gebilde genauso unabänderlich, wie eine schonungslose Aufdek- kung von Betrug, der in Verant- wortung der Kreisärzte zu den chaotischen Verhältnissen im Gesundheitswesen geführt hat.

Rein prognostisch ist das Wendehalsleiden nicht ungün- stig. Bei einer Entwicklung de- mokratischer Verhältnisse, wie sie im Ergebnis der freien Wah- len vom März 1990 erwartet wer- den, wird der Wendehals als Re- habilitand Gelegenheit erhalten, unter der Therapie demokrati- scher Verhältnisse zu genesen.

Man sollte ihm allerdings in schonungsloser Offenheit schon jetzt sagen, daß es ihm nie wie-

der so gut gehen wird wie zur Zeit der vierzigjährigen Finster- nis. Aber dieses ist wiederum ei- ne erbauliche Prognose für alle Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR.

Michael Burgkhardt, Leipzig

D

ie Brüsseler EG-Kom- mission hat die Bundes- regierung ein wenig är- gerlich gemahnt, sie möge end- lich mitteilen, wie die „Richtli- nie über die spezifische Ausbil- dung in der Allgemeinmedizin"

aus dem Jahre 1986 in der Bun- desrepublik Deutschland um- gesetzt werde. Wer die Umstän- de um jene EG-Richtlinie ver- folgt hat, wundert sich über die Verzögerung nicht.

Die EG-Richtlinie sieht ei- ne „spezifische Ausbildung" von mindestens zwei Jahren für All- gemeinärzte vor. Nach Auffas- sung der Bundesregierung und auch einer Mehrheit der Länder wird die EG-Forderung dank

Allgemeinmedizin

Brüssel ist böse

der Arzt-im-Praktikum-Zeit er- füllt. Doch Bonn kann diese Auffassung nicht einfach Brüssel mitteilen. Die Brüsseler Richtli- nie muß vielmehr länderweise gesetzlich umgesetzt werden.

Ein Mustergesetzentwurf der Länder fand jedoch nicht die Gnade bei allen Bundesländern.

Die Länder begannen vielmehr einen merkwürdigen Schau- kampf darüber, wer am meisten für die Allgemeinärzte tue, sprich: die längste Weiterbil-

dungszeit vorschreiben wolle.

Herausgekommen ist außer schönen Worten nichts. Die zur Zeit eintrudelnden Ländergeset- ze beschränken sich materiell auf die Umsetzung der Brüsseler Mindestvorschrift.

Es dürfte nicht mehr allzu lange dauern, bis alle Länder mit ihren Gesetzen durch sind und die Bundesregierung den Vollzug melden kann. Der Vize- präsident der Kommission, der jetzt das Mahnschreiben nach Bonn geschickt hat, sollte ei- gentlich die Eigentümlichkeiten des deutschen Föderalismus kennen. Denn so lange ist Mar- tin Bangemann noch nicht in Brüssel. NJ

Dt. Ärztebl. 87, Heft 8, 22. Februar 1990 (1) A-517

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