Skurrile Röntgenbilder wurden
in Ulm der Öffentlichkeit vorgestellt. Wie„Associated Press" meldet, sind in Zusammenar- beit mit einem Radiologen rund dreißig künstlerische Graphiken mit Hilfe der Röntgentechnik entstanden. Die Themen: „Schrauben im Gehirn" (unser Foto),
„gebundene Hände und Füße", „mit Stacheldraht umwundene Herzen", „ordens- geschmückte Brustkörbe" oder „Schädel mit Nasenring und Nummern". Initiator ist der Chef des Ulmer „Theaters in der Westentasche", das mit dieser Röntgenbilder- Ausstellung in den nächsten Monaten auf Reisen gehen will Foto: AP
Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
Hommage ä Gottfried Benn
wird gewahrt von den Anzügen, die bei gutem Stoff zehn Jahre
halten.
Gedichte solcher Art („Teils- Teils", „Eure Etüden", „Verließ das Haus") und andere Alltagslyrik, sowie Stücke von kabarettartiger bis hin zu romantisch-melancholi- scher Manier, oder Kombinationen aller dieser Faktoren, finden sich vornehmlich in den letzten Lyrik- sammlungen „Fragmente", „Destil- lationen" und „Apräslude", die noch einmal die ganze Skala Benn- scher Artikulierungskunst wie in ei- nem Brennglas zusammenfassen.
In dem berühmten Gedichtzyklus
„Spät", in dem Alltagsididm, Hol- lywoodszene und Schlagertextli- ches neben zeitlosen, poetisch-me- taphorischen Reimstrophen stehen, trauernd-rückblickenden Versen des Alternden über die Unerfüllt- heiten des Lebens, findet sich eine Passage, die mir als abschließen- des Lyrikbeispiel Typisches und Reichtum Bennscher Poesie be- sonders deutlich zu machen scheint:
Abends dasitzen, in den Schlund der Nacht sehn, er verengert sich, aber am Grund
sind Blumen, es duftet herauf, kurz und zitternd, dahinter natürlich die Verwesung, dann ist es ganz dunkel und du
weißt wieder dein Teil, wirfst dein Geld hin und gehst — Benns Weltsicht und literarische Aussage, seine nihilistische Gott- ferne, seine antifortschrittliche Ein- stellung, seine unheile, heillose Welt hatte immer Gegner. Dies sind weltanschauliche Probleme, die offenbleiben müssen.
Ein anderes, ein lyrisches Anliegen aber ist es, in einer heure bleue am Rande der Aktivitäten, einmal Benn-Verse zu lesen oder zu hören (etwa von dem meisterlichen Benn- Rezitator Gerd Westphal gespro- chen) und sich tragen zu lassen von der zauberhaften Musikalität seiner Strophen, von seiner unver- gleichlichen lyrischen Sprache, mit
der er die Einsamkeit des Men- schen, die Hinneigung zum Sich- Verströmen und die ewige Klage der Irdischen artikuliert.
Ein Nichtfachmann wird bei einem Vorhaben wie diesem zwangsläufig Dinge falsch sehen, die die Germa- nisten zurechtrücken müssen! Aber eines kann er ebensogut, vielleicht besser als sie: sich begeistern für lyrische Strophen mit der Unbefan- genheit des unmittelbar konsumie- renden Lesers, des Nicht-kritische- Elle-Anlegenden, Nicht-Rezensie- renden, sondern des im Sinne Benns echt „Faszinierten".
So wollten diese Zeilen auch nicht als wissenschaftliche Abhandlung verstanden sein, sondern als Anre- gung zur Beschäftigung mit Benns Lyrik, als eines musisch Interes- sierten Huldigung — als Hommage ä Gottfried Benn ...
Literatur
Baiser, Hans-Dieter: Das Problem des Nihi- lismus im Werke Gottfried Benns, H. Bou- vier u. Co. Verlag, Bonn, 1970 - Büttner, Ludwig: Von Benn zu Enzensberger, Verlag Hans Carl, Nürnberg, 1972 - Friedrich, Hugo: Die Struktur der modernen Lyrik, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1956 - Knörrich, Otto: Die deutsche Lyrik der Gegenwart, Kröner, Stuttgart, 1971
—Koch, Thilo: Gottfried Benn, dtv, München, 1957/1970 - Lennig, Walter: Gottfried Benn in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1962 - Lohner, Edgar: Passion und Intel- lekt, die Lyrik Gottfried Benns, Luchter- hand, Neuwied, 1961 - Thielicke, Helmut:
Das Ende der Religion, Tübingen, 1950, in:
Theolog. Literaturzentrum, Berlin-Ost, 81, 1956 - Wellershoff, Dieter: Phänotyp die- ser Stunde, Ullstein, Frankfurt/Berlin, 1958
— Wellershoff, Dieter: Der Gleichgültige, Kiepenheuer & Witsch, Köln/Berlin 1963
—Wellershoff, Dieter: „Nachwort des Heraus- gebers" in: Gottfried Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Limes Verlag, Wies- baden, 1968
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Dietrich Reimers 565 Solingen-Aufderhöhe Gillicherstraße 47