[128] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 30|
29. Juli 2011E
s sind die einfachen Zusam- menhänge, die unseren Geist mit großer Erkenntnis erhellen und uns durch das immer komplexer werdende Leben helfen. Fährt man zu schnell, so erhellt ein Blitz un- ser Wissen darüber, dass wir dem- nächst einen bestimmten Betrag an die Stadtkasse zu überweisen ha - ben. Wenn der Bildschirm des PC schwarz bleibt, reift die Erkenntnis darüber, dass die Installation einer Firewall doch hilfreich gewesen wäre.Auch in unserem kränkelnden Gesund- heitswesen gibt es solche Zusammenhänge:
je mehr Ärzte, desto mehr Diagnosen. Das ist nun nicht erhellend, denn wir wissen, dass es keine gesunden Menschen gibt, sondern nur schlecht untersuchte. Aber damit erschöpft sich der genannte Zusammenhang nicht, denn es heißt: je mehr Ärzte, desto mehr Patienten, also höhere Kosten, desto rascher der Ruin der Krankenkassen. So ist das also, wir sind, da viel zu viele, daran schuld, dass das Ge- sundheitssystem umfassend frakturiert! Wir Ärzte, die wir dicht an dicht gedrängt unschuldige Mitmenschen in unsere Praxen zwingen, um sie mit unerwünschten Diagnosen und überflüssigen Therapien zu traktieren!
Ist das wirklich so?
Ich kann, in Anbetracht von wochenlangen Wartezei- ten und übervollen Wartezimmern, dies nicht ganz nach- vollziehen. Die Frage lautet doch: Was bringt unsere lie- ben Mitbürger zum Kränkeln, warum suchen sie unent- wegt Hilfe beim Doktor ihres Vertrauens? Die Suche nach der Antwort beginne ich, der Freund einfacher Zu- sammenhänge, in meiner Praxis. Und werde im Warte- zimmer fündig. Ja, dort treffe ich auf das Medium, das die Herzen der Menschen bewegt, ihre Sorgen teilt, ihre Hoffnungen befeuert und auf charmanteste Art und Wei- se zum Gesundheitsbewusstsein animiert. Es ist die Wartezimmerlektüre! Dieser publizistische Reigen, der neben Themen, deren tiefere Bedeutung mir für immer verschlossen bleiben („die schönsten Volumen-Frisuren“), einen gelungenen Einstieg in die Welt der Medizin bietet („Alarmsignale! Was Sie keinesfalls übersehen dür- fen!“), den geneigten Leser subtil sensibilisiert („Es kann
jeden Tag zu Ende sein!“), um die Bewusstseinsschärfe auch zu vermeintlichen Bagatellen von Geist und Körper zu lenken („Unruhe? Angstgefühle? Verspannungen?“ –
„Jeder Dritte malmt nachts mit den Zähnen, ohne es zu wissen!“), und unaufdringlich den gesunden Weg weist („Gehen Sie zum Spezialisten, bevor es zu spät ist!“) und die Größe der Chirurgie („Not-OP! Gibt es eine Ret- tung?“) sowie die Inhaltsschwere der Inneren („Wenn es zu spät entdeckt wird, ist es zu spät!“) preist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache den An- fang und sortiere, durchdrungen von großer Erkenntnis der Zusammenhänge, die Wartezimmerlektüre. Ich will es nicht sein, der die Neurosen züchtet.
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.
VON SCHRÄG UNTEN
Zusammenhang
Dr. med. Thomas Böhmeke