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Archiv "Rundreise durch die Türkei: Von Mensch zu Mensch" (27.12.2010)

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A 2568 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 51–52

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27. Dezember 2010

D

en Ramadan merkt man in einer Megastadt wie Istanbul tagsüber kaum. Zwischen Sonnen - auf- und Sonnenuntergang bekom- men Reisende hier überall zu essen und zu trinken. Doch in den Café- häusern sitzen Männer an Tischen, vor sich nichts als ihre Hände. Sie warten auf das Signal, das ihnen nach einem langen Tag erlaubt, Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen.

Neben der Beyazit-Moschee ist ein Zelt aufgebaut, vor dem mehr als 100 Menschen Schlange stehen.

Hier wird täglich nach Sonnenun- tergang das Iftar(Fastenbrechen)- Essen serviert, ein einfaches Menü aus Salat, Bohnen und Reis oder Bulgur. Auf dem Platz vor der ge- waltigen Süleymaniye-Moschee be- eilen sich die Kellner, die Tische zu decken. Wie auf ein geheimes Zei- chen drängen von allen Seiten Men- schen herbei, setzen sich und essen.

Eine halbe Stunde später ist der Platz wie leer gefegt. In den Grün- anlagen zwischen Hagia Sophia und Blauer Moschee kampieren Fa- milien. Entlang der ehemaligen Pferderennbahn reihen sich Ver- kaufsstände aneinander, in denen Händler lautstark Süßigkeiten und Teigwaren feilbieten.

Eine gute Stunde braucht die Fähre von Istanbul über das Mar-

marameer. Yalova hat außer dem Hafen und einem Busbahnhof nicht viel zu bieten. Beim großen Erdbe- ben 1999 wurden große Teile der Stadt zerstört. Auf der Suche nach unserem Bus treffen wir Havva. Sie ist um die 50 Jahre alt und hat den Bus nach Bursa bereits zweimal verpasst. Es ist Nachmittag und heiß. Wir setzen uns auf eine Bank im Schatten. Wenige Meter entfernt donnert der Verkehr vorbei. Havva wischt sich den Schweiß von der Stirn. Seit drei Uhr ist sie auf den Beinen, vor Sonnenaufgang hat sie schnell etwas gegessen und getrun- ken und dann ihren Sohn zum Istan-

buler Flughafen begleitet. Eigent- lich sollte sie wegen ihres erhöhten Blutdrucks nicht so lange ohne Flüssigkeit sein, haben ihr die Ärzte geraten. Doch der Ramadan ist ihr wichtig, auf das Fasten will sie nicht verzichten. Auf der anderen Straßenseite hält soeben der Bus.

Havva spricht gut Deutsch. Sie stammt aus Montenegro und hat viele Jahre in Deutschland gelebt,

drei ihrer Kinder sind immer noch dort. Jetzt wohnt sie mit ihrem Mann in einem kleinen Dorf zwi- schen Gemlik und Mudanya, inmit- ten von Olivenhainen und keine fünf Minuten vom Marmarameer entfernt. Dort gefällt es ihr, doch sie fühlt sich überall als Fremde:

„Eigentlich bin ich nirgends richtig zu Haus“, sagt sie, als sie sich in Gemlik von uns verabschiedet.

Vor der Beyazit-Moschee in Bur- sa stehen ein Mann und eine Frau vor einem Stativ mit einer Filmka- mera. Lächelnd geben sie uns zu verstehen, dass wir eintreten sollen.

In der Moschee sind wir allein, es ist die Zeit vor dem Mittagsgebet.

Draußen auf einer Bank fläzen sich vier Jungen, vielleicht 16 Jahre alt.

Ob sie wegen Ramadan schulfrei haben? Sie nicken. In der Schule lernen sie Englisch, aber sie kön nen es nicht gut, sagen sie. Ein Klei - ner mit noch heller Stimme ist der Wortführer. „Where are you from?“, fragt er und dann, unver- mittelt: „I love you – Ich liebe RUNDREISE DURCH DIE TÜRKEI

Von Mensch zu Mensch

Begegnungen zwischen Istanbul und Westanatolien

Wie auf ein geheimes Zeichen drängen von allen Seiten Menschen herbei, setzen sich und beginnen zu essen.

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27. Dezember 2010 A 2569 dich.“ Die anderen biegen sich vor

Lachen. Im nächsten Jahr wollen sie mit ihrer Klasse nach Deutsch- land fahren.

Als wir am nächsten Tag vom Busbahnhof zurück in die Stadt fah- ren, spricht Cem mich auf Englisch an. Er ist um die 30 Jahre alt, berät Firmen bei ihrem Internetauftritt und begleitet sie zu Messen und Kongressen. Ein bisschen habe er studiert, aber das meiste habe er sich selbst beigebracht. „Das Wich- tigste ist, dass ich mein Englisch verbessere“, sagt er.

In zwei Tagen ist Bayram (Zu- ckerfest), der dreitägige Abschluss des Fastenmonats. An Bayram be- sucht das ganze Land Verwandte oder nutzt die Tage für einen Kurz- urlaub. Wir haben Glück und be- kommen gerade noch zwei Fahrkar- ten für einen Bus nach Ayvalik.

Nach dem Ersten Weltkrieg verlie- ßen die letzten Griechen die Stadt, die meisten siedelten auf der gegen- überliegenden Insel Lesbos. Türken aus Kreta übernahmen ihre Häuser.

Deutsch, dass sie seit langem in Berlin leben und einmal im Jahr in der Türkei Urlaub machen. Der Aufstieg auf den Hügel lohnt sich.

Von oben haben wir eine großartige Sicht auf die zerklüftete Küste, zahllose kleine Inseln und die Son- ne, die langsam hinter Lesbos ver- sinkt.

In Pergamon führt Ali eine Pen- sion in einem alten osmanischen Haus. Er zeigt uns alle Zimmer und erzählt von den Schwierigkeiten ei- nes Unternehmers, der ein denk- malgeschütztes Haus wie dieses umbauen möchte. Für das Zimmer sollen wir das bezahlen, was es uns wert ist. Als wir zwei Beträge nen- nen, grinst er und entscheidet sich für den höheren.

Der Junge am Ortsausgang von Pergamon ist höchstens zehn Jahre alt. Verlaufen kann man sich hier nicht, der Weg führt immer gerade- aus zur Akropolis. Doch der Junge will mit uns ins Geschäft kommen.

Aus einer Tüte bietet er Kartoffel- chips an und geht mit uns an den letzten Häusern des Ortes vorbei.

Dabei weist er immer wieder nach oben und sagt „kale“ (= Festung).

Hundert Meter weiter möchte er für seine Dienste fürstlich entlohnt werden. Auch wenn unser Angebot seine Forderung unterschreitet, trot- tet er halbwegs zufrieden zurück.

Kütahya in Westanatolien liegt circa 1 000 Meter hoch und hat et- wa 200 000 Einwohner. Hier sind wir deutlich fremder als an der Küs- te. Als wir abseits der Hauptstraße in einem Gartencafé einen Tee trin- ken wollen, macht uns ein Kellner darauf aufmerksam, dass sich der

„Familienbereich“ jenseits des Ba- ches befinde. Wir stutzen – Mann und Frau bilden bereits eine Fami- lie? Dann sehen wir, dass diesseits des Baches ausschließlich Männer an den Tischen sitzen. Abends kaufen wir ein Bier in einem Kiosk an der Lise Caddesi. Der Besitzer erzählt in fließendem Deutsch, dass er in Istanbul zum Deutsch- lehrer ausgebildet wurde. Doch in Deutschland sei er nie gewesen, nur einmal in Wien, 1977. Das Fußball- spiel gegen Österreich hat die Tür- kei damals knapp verloren. ■

Christof Goddemeier Einzig die Taxiyarchis-Kirche blieb

als christliche Kirche erhalten, alle anderen versah man mit Minaretten und wandelte sie in Moscheen um.

In der Altstadt winden sich winzige Gassen den Berg hinauf. Der Mann, der uns nahe der Kirche sein Haus zeigt, ist wie circa 25 Prozent der Türken Alevit. Diese Glaubensrich- tung lehnt etwa das islamische Rechtssystem der Scharia ab. „Mei- ne Frau muss sich nicht verschlei- ern, ich darf Alkohol trinken, und im Ramadan muss ich nicht fasten“, erzählt er.

Den schönsten Strand der Ge- gend hat der kleine Ort Badavut, von Ayvalik mit dem Bus gut zu er- reichen. Von dort wandern wir am frühen Abend Richtung Norden zur

„Teufelstafel“, einer Gesteinsfor- mation, auf der man den Teufel be- stechen kann, indem man ein Geld- stück in einen Felsspalt wirft. Drei türkische Männer, die wir nach dem Weg fragen, entpuppen sich als Touristen im eigenen Land.

Lachend erzählen sie in gutem Megastadt Istan-

bul: Im Ramadan ist der Sonnenunter- gang das Zeichen zum Fastenbrechen.

Tagsüber wird in den zahlreichen Straßencafés höchs- tens den Reisenden aufgetischt.

Fotos: mauritius images

R E I S E

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