Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Heft 8 vom 22. Februar 1979
Die Dopplersonographie als entscheidende
diagnostische Hilfe
bei der Samenstrangtorsion
Ullrich Bode, Henning Bartels und Karl-Friedrich Albrecht
Die differentialdiagnostische Abgrenzung entzündlicher Er- krankungen von Hoden und Nebenhoden gegenüber der Samenstrangtorsion verlangt vom erstuntersuchenden Arzt, oft auch vom Notfallarzt, eine verantwortungsvolle schnelle Entscheidung. Der geringste Verdacht einer Torsion macht die Einweisung in eine urolo- gische Abteilung dringlich.
Unter Verwendung eines UI- traschall-Blutströmungsmes- sers. des Gefäßdopplers, läßt sich die Diagnose schnell stel- len und sichern: Bei der Tor- sion ist der Hoden akustisch stumm, bei der Entzündung dagegen verursacht die Hyperämie laute, fauchende Geräusche.
Aus der Urologischen Abteilung
des Evangelischen Krankenhauses Göttingen-Weende (Chefarzt: Dr. med. Henning Bartels)
Einleitung
Die Samenstrangtorsion als urologi- sche Notfallsituation verlangt eine schnelle, sichere Diagnostik und Therapie. Fehldiagnose und damit fehlende konsequente Therapie führt zwangsläufig zur Hodennekro- se. Semicastratio oder Hodenatro- phie sind die Folge. Differentialdia- gnostisch gilt es, die Samenstrang- torsion von entzündlichen Hoden- und Nebenhodenerkrankungen vor einer operativen Hodenfreilegung abzugrenzen. Neben der wichtigen Anamnese und den klinischen Un- tersuchungsbefunden wird nun bei jeder derartigen Fragestellung die Ultraschalldopplersonde verwendet.
Ziel dieser Untersuchung ist es, die Durchblutungsverhältnisse im Sa- menstrang und Hoden zu klären. Die Ultraschallsonde arbeitet nach dem Dopplerprinzip. Akustisch wahr- nehmbare Frequenzänderungen sind abhängig von der jeweiligen Fließgeschwindigkeit innerhalb des zu untersuchenden Gefäßes. An den strömenden Blutbestandteilen, ins- besondere an den Erythrozyten, kommt es zu Reflexionen. Diese Echos werden von einem Empfän- gersystem aufgenommen. Durch die elektronische Umsetzung der reflek- tierten Schallwellen entstehen je
nach Geschwindigkeit der im Gefäß schwimmenden Teile verschieden stark ausgeprägte akustische Phä- nomene. Diese sind ein direkter Pa- rameter für die Strömungsge- schwindigkeit des Blutes in dem zu untersuchenden Gefäß. Normaler- weise sind nach dem Auftragen des Koppler-Gels und Aufsetzen des stiftförmigen Applikators (Abbildung 1), und zwar auf die dem Nebenho- den gegenüberliegende Fläche, per Lautsprecher oder per Stethoskop (Abbildung 2) rhythmisch fauchende Geräusche zu hören. Diese entspre- chen dem Kapillarpuls der Aufzwei- gungen der den Hoden versorgen- den arteriellen Gefäße.
Klinisches Bild der Hodentorsion
Bei der Hodentorsion handelt es sich um eine Drehung des Hodens um die Längsachse des Samen- stranges (Abbildung 3). Diese kann vom Säuglingsalter — ja sogar schon in utero — bis zum 30. Lebensjahr und auch danach noch auftreten. Je nach Ausmaß der Verdrehung von 180 bis 720 Grad kann es von einer lediglich venösen Stase bis zum ar- teriellen Gefäßverschluß mit völliger hämorrhagischer Infarzierung des Hodens kommen. Dem entspricht
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Abbildung 2: Der Dopplersonograph besteht aus der Sonde, dem Lautsprecher und dem Schallstethoskop, das nur bei Säuglingen und Kleinkindern zur Geräuschdifferenzierung erforderlich ist
Abbildung 1: Die Dopplersonde wird nach Auftragen des Koppler-Gels tangen- tial über dem Hoden aufgesetzt (siehe Text)
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Dopplersonographie der Samenstrangtorsion
das klinische Bild: Plötzlich auftre- tender Schmerz im Skrotal- und Un- terbauchbereich, oftmals auch oh- ne abrupte Bewegungen, so auch nachts im Bett. Der Schmerz führt zur motorischen Unruhe und zu pe-
ritonealen Reizerscheinungen, zu- mal auch Leistenhoden durchaus torquieren können. Nach kurzer Zeit tritt eine bläßlich-rötliche Schwel- lung der Skrotalhaut auf. Der betrof- fene Hoden kann sichtbar höher ste-
hen als der kontralaterale und ist hoch schmerzempfindlich. Der Schmerz bleibt auch bei der Anhe- bung des Hodens bestehen. Erfol- gen in diesem Stadium nicht die Dia- gnostik und die Therapie, nehmen im Verlauf Schwellung und Rötung zu, der Schmerz dagegen läßt bei eingetretener Infarzierung meist et- was nach.
Manchmal sieht der Kliniker solche Patienten erst dann, wenn eine anti- biotische Therapie unter der Annah- me einer Epididymitis ohne sichtba- re Wirkung auf das lokale Gesche- hen geblieben ist.
Andererseits kann es im frühesten Stadium zur spontanen Retorsion kommen, so daß die subjektive Syrn- ptomatik zum Zeitpunkt der Unter- suchung völlig fehlt. Dem entspricht gelegentlich der anamnestische Hinweis früherer unklarer Schmer- zen im Hodenbereich, sogenannter Hodenkoliken.
Die unterschiedlichen Erschei- nungsbilder der Hodentorsion wer- den durch die anatomischen Vorbe- dingungen dieser Erkrankung er- klärt (Abbildung 3). Ursache nämlich sind ein abnorm langes Mesorchium und kräftige, schleifenförmige Fa- sern des Musculus cremaster um den Samenstrang.
Eine fast gleiche, wenn auch meist etwas geringere Symptomatik wird durch die Hydatidentorsion (Abbil- dung 3c) verursacht. Hier liegt die Drehung einer Appendix testis (Mor- gagnische Hydatide) oder aber eine Appendix des Nebenhodens zugrun- de, also ein gänzlich anderer Vor- gang und ein anderes pathologisch- anatomisches Substrat.
Dopplersonographische Befunde
Den verschiedenen anatomischen Verhältnissen entspricht der dopp- lersonographische Befund: Bei der Torsion, also dem Sistieren der Blut- strömung, ist über dem Hoden kein Gefäßgeräusch hörbar, der Hoden ist akustisch stumm. Bei der Hydati- dentorsion unterscheidet sich das
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Tabelle 1: 29 Diagnosen wurden intraoperativ, 35 Diagnosen kata- mnestisch gesichert. Bei der Torsion bis zu 2 Tagen war der Befund immer eindeutig. Im weiteren Verlauf machen reaktiv-entzündliche Veränderungen im Hoden und Nebenhoden den Befund dem der Epididymitis dopplersonographisch ähnlich (siehe Text)
Differentialdiagnose Hodentorsion Epididymitis, n = 65
Diagnosen Dopplergeräusche
I. operativ gesichert 21 x Hodentorsionen
5 x Hydatidentorsionen 2 x blande Epididymitiden 1 x ältere Hodentorsion II. katamnestisch gesichert 36 x Epididymitiden
A
B
Abbildung 3: Ursache der Torsion sind ein langes Mesorchium und kräftige schleifenförmige Fasern des Musculus cremaster um den Samenstrang A: supravaginale Torsion. fast nur bei Säuglingen
B: intravaginale Torsion
C: Hydatidentorsion einer Appendix epididymis oder testis
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Dopplersonographie der Samenstrangtorsion
Gefäßgeräusch der erkrankten Seite nicht von dem des gesunden kontra- lateralen Hodens, das heißt über bei- den Hoden hört man normale Strö- mungsgeräusche. Bei der Entzün- dung sowohl des Nebenhodens als auch des Hodens ist die Hyperämie- wie bei jeder anderen Entzündung — ein wichtiges diagnostisches Zei- chen. Diese Hyperämie verursacht über dem betroffenen Nebenhoden und Hoden sehr laute fauchende Strömungsgeräusche im Vergleich zu den normalen Geräuschen der gesunden Seite.
Die Ergebnisse aus der eigenen und der Wuppertaler Klinik beziehen sich auf derzeit 65 Patienten im Alter von 0 bis 31 Jahren (Tabelle 1). Bei 21 Patienten wurde der klinische Verdacht einer Hodentorsion und der eindeutige sonographische Be- fund durch operative Freilegung be- stätigt. Bei 7 Patienten lag eine tor- sionsverdächtige Anamnese mit ent- sprechendem Untersuchungsbe- fund vor. Die Strömungsgeräusche waren nicht eindeutig von der kon- tralateralen Seite zu unterscheiden, so daß die operative Freilegung durchgeführt wurde. In 5 Fällen han- delte es sich dabei um eine Hydati- dentorsion, in zwei Fällen um eine blande leichte Epididymitis mit noch geringer hyperämischer Reaktion.
In einem Fall lag eine 4 Tage alte Hodentorsion vor mit bereits einge- tretenen reaktiven Entzündungs- zeichen, die entsprechende Strö- mungsgeräusche verursachten. In 36 Fällen wurde auf eine operative Freilegung verzichtet, da laute Strö- mungsgeräusche im Vergleich zur kontralateralen Seite gehört werden konnten. In diesen Fällen war die Behandlung konservativ. Die Dia- gnose der Epididymitis wurde ka- tamnestisch gesichert.
Diskussion
Die Diagnosestellung einer Samen- strangtorsion erfolgt auch heute noch oft zu spät, um den Hoden durch operative Retorsion und Fi- xierung erhalten zu können. Die dif- ferentialdiagnostische Abgrenzung der Torsion gegenüber entzündli-
chen Erkrankungen des Hodens oder Nebenhodens ist durch die kli- nische Symptomatik allein meist schwierig. Der geringste Verdacht einer Samenstrangtorsion erfordert somit die unmittelbare klinische Ab-
klärung, was früher meist gleichbe- deutend mit einer probatorischen Freilegung war. So ist die Suche nach objektiven meßbaren Parame- tern zu verstehen. Im Vergleich mit
in letzter Zeit beschriebenen nu-
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Dopplersonographie der Samenstrangtorsion
klearmedizinischen Untersuchun- gen, zum Beispiel mit Technetium, stellt die Dopplersonographie eine schnell durchführbare, wenig auf- wendige und völlig unschädliche Untersuchung dar, die der erstunter- suchende Arzt in der Klinik jederzeit selbst durchführen kann. So wird wichtige Zeit gewonnen. Unter Be- rücksichtigung der verschiedenen Möglichkeiten der Differentialdia- gnose ist die sonographische Infor- mation für das weitere Vorgehen entscheidend:
Ist der Hoden akustisch stumm, muß die sofortige operative Retorsion er- folgen.
Entspricht das Gefäßgeräusch über dem erkrankten Hoden dem der ge- sunden Seite, ist der Hoden nicht gefährdet und die sofortige Opera- tion nicht zwingend.
Die Hyperämie der Epididymitis und der selteneren Orchitis gibt sich durch die lauten, fauchenden Gefäß- geräusche sehr eindrücklich zu er- kennen. In diesen Fällen erübrigt sich die früher beim geringsten Ver- dacht immer notwendige diagnosti- sche Freilegung. Es soll jedoch dar- auf hingewiesen werden, daß bei zweifelhaftem dopplersonographi- schen Befund die operative Klärung erfolgen muß. Wir haben solche Zweifelsfälle jedoch seit Verwen- dung des Gefäßdopplers bislang nicht beobachtet.
Zusammenfassung
Die Hodentorsion gehört zu den wichtigen urologischen Notfallsitua- tionen. Die Schwierigkeit liegt häu- fig in der eindeutigen und schnellen Diagnosefindung. Differentialdia- gnostisch gilt es, entzündliche Ho- den- und Nebenhodenerkrankungen abzugrenzen.
Mit dem Ultraschallblutströmungs- messer kann man über einem nor- malen Hoden arterielle Pulsationen hörbar machen. Diese fehlen bei der Samenstrangtorsion und sind zum Beispiel bei einer akuten Epididymi- tis infolge der entzündlichen Hyper-
ämie wesentlich lauter als im Nor- malfall und auf der nicht betroffenen Seite. Bei der Hydatidentorsion ent- spricht der dopplersonographische Befund der betroffenen Seite etwa dem des gesunden kontralateralen Hodens.
Es wird über die Erfahrungen mit der Dopplersonographie bei bislang 65 Patienten, überwiegend Kindern und Jugendlichen, berichtet.
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Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Ullrich Bode Dr. med. Henning Bartels Evangelisches Krankenhaus Göttingen-Weende
3400 Göttingen-Weende
FÜR SIE GELESEN
Kohlenmonoxid wichtig für die Angiopathieentstehung durch Zigarettenrauchen
Rauchen gehört zu den Risikofakto- ren erster Ordnung für den Herzin- farkt und ist der wichtigste Risiko- faktor für die arterielle Verschluß- krankheit. Früher wurde hauptsäch- lich das Nikotin für die Angiopathie- auslösung verantwortlich gemacht, in den letzten Jahren trat das CO als Bestandteil des Zigarettenrauchs mehr in den Vordergrund. Starke Raucher (23 und mehr Zig./die) er- reichen 10-12 Prozent COHb-Sätti- gung und mehr. Die CO-bedingten Gefäßveränderungen sollen hyp- oxiebedingt sein und nicht durch i. v. appliziertes Nikotin hervorgeru- fen werden können.
Anhand von Inhalationsversuchen mit 26 Minischweinen wurden Ziga- rettenrauch und CO-Luftgemische unterschiedlicher Konzentration bei einer täglichen Expositionszeit von 4 Stunden über 1 bis 16 Tage unter- sucht, wobei die induzierten Gefäß- veränderungen an den Karotiden, den Femoralarterien und dem Ra- mus interventricularis cordis im Vor- dergrund standen. Als Kontrollgrup- pe dienten Gefäße von Minischwei- nen nach Druckluftinhalation.
COHb-Werte unter Zigarettenrauch- inhalation betrugen-maximal 5 Pro- zent, Werte um 10 Prozent COHb wurden unter CO-Luftgemischen er- reicht, was einem mäßig starken Rauchen entsprechen würde. Die Plättchenaggregationsneigung stieg bei Zigarettenrauchinhalation und bei CO-Luftgemischen an, bei der Kontrollgruppe blieb sie normal. Die Blutviskosität wurde unterschiedlich beeinflußt: Anstieg bei Zigaretten- rauchinhalation und hohen COHb- Konzentrationen (35 Prozent), keine Änderung bei Druckluft und niedri- gen CO-Konzentrationen. Schon nach kurzfristiger Zigarettenrauch- und CO-Exposition fanden sich bei
rasterelektronenmikroskopischen Untersuchungen Adhärenzen von Einzelthrombozyten auf einem ober- flächlich intakten Endothel. Nach längerer Exposition oder bei hohen CO-Konzentrationen waren Mikro-
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